Arbeitsgericht Hannover
Beschl. v. 26.06.2006, Az.: 11 Ca 254/06

Bibliographie

Gericht
ArbG Hannover
Datum
26.06.2006
Aktenzeichen
11 Ca 254/06
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2006, 45416
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:ARBGHAN:2006:0626.11CA254.06.0A

Amtlicher Leitsatz

Ficht der Arbeitnehmer einen Aufhebungsvertrag an, kann nach Obsiegen des Arbeitnehmers in erster Instanz der anschließende Rechtsstreit, in dem der Arbeitnehmer Verzugslohnansprüche einklagt, der Zahlungsprozess bis zur Rechtskraft der Entscheidung über die Wirksamkeit des Aufhebungsvertrages ausgesetzt werden.

Tenor:

  1. Der Rechtsstreit wird bis zur rechtskräftigen Beendigung des Rechtsstreits zwischen den Parteien zum Aktenzeichen des Arbeitsgerichts Hannover 11 Ca 483/05 ausgesetzt.

Gründe

1

I.

Die Parteien streiten um Verzugslohnansprüche, nachdem das Gericht im Verfahren 11 Ca 483/05 durch Urteil vom 30.03.2006 entschieden hat, dass ein am 17.09.2005 unterzeichneter Aufhebungsvertrag ihr Arbeitsverhältnis nicht zum 31.10.2005 beendete. Das Urteil vom 30.03.2006 ist noch nicht rechtskräftig.

2

Der Kläger begehrt mit seiner Klage nunmehr Entgelt für die Monate November 2005 bis Mai 2006 in Höhe von jeweils 4.097,27 Euro brutto, auf das er sich das seit 01.11.2005 bezogene Arbeitslosengeld in Höhe von monatlich 1.818,60 Euro anrechnen lässt.

3

Nachdem das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien seit 1974 bestand, kam es während der Sommermonate 2005 zu Differenzen zwischen einzelnen Funktionären des beklagten Vereins und dem Kläger über die Handhabung finanzieller Angelegenheiten in der Vergangenheit durch den Kläger, die auch Bereicherungsvorwürfe gegen den Kläger enthielten. Diese Unstimmigkeiten ließen sich bis zum September 2005 nur teilweise klären.

4

Unter dem 14.09.2005 sandte der Kläger eine E-Mail an den Beklagten, in der er auf Grund gesundheitlicher Einschränkungen um eine Aufhebung des Arbeitsverhältnisses zum 31.12.2005 bat sowie um eine Terminsabstimmung für ein diesbezügliches Gespräch am 17.09.2005 in B.. Ein kardiologisches Attest, in welchem dem Kläger angeraten wurde, sich beruflich weniger zu belasten, folgte per Post. In der Folge kam es zwischen dem Kläger und einem Vorstandsmitglied des beklagten Vereins am 17.09.2005 in B. zu einer Besprechung, in deren Verlauf ein Aufhebungsvertrag per 31.10.2005 unterzeichnet wurde.

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Nach dem Wortlaute des Aufhebungsvertrags sollte das Arbeitsverhältnis zum 31.10.2005 enden und der Kläger bis dahin bei Fortzahlung der Vergütung von der Arbeitspflicht freigestellt werden. Eine Abfindung o.ä. wurde nicht zugesagt. Weiter wies der Beklagte den Kläger darauf hin, daß er bei der vorzeitigen einvernehmlichen Beendigung seines Arbeitsverhältnisses ohne Einhalten der Kündigungsfrist mit eine Sperrzeit von bis zu 3 Monaten rechnen müsse, bevor er Arbeitslosengeld beziehen könne.

6

Der Kläger teilte dem Beklagten am 22.09.2005 mit, er halte sich an seiner Erklärung unter der Aufhebungsvereinbarung vom 17.09.2005 nicht mehr gebunden und fechte sie vorsorglich auch wegen widerrechtlicher Drohung an. In der Folge stritten die Parteien vor der Kammer zum Aktenzeichen 11 Ca 483/05 um die Frage, ob die Aufhebungsvereinbarung vom 17.09.2005 ihr Arbeitsverhältnis per 31.10.2005 beendete oder nicht. Die Kammer erkannte auf die mündliche Verhandlung vom 30.03.2006 nach dem Antrage des Klägers mit der Begründung, dass eine abschließende Einigung über eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch nicht erfolgt sei, da ein weiteres Vorstandsmitglied des Beklagten habe mitunterzeichnen sollen, wozu es dann vor dem 22.09.2005 nicht mehr kam. Einen Antrag auf Weiterbeschäftigung über den 31.10.2005 hinaus hatte der Kläger in jenem Verfahren nicht gestellt.

7

II.

Die Entscheidung beruht auf § 148 ZPO.

8

Der Rechtsstreit war auszusetzen bis zum Abschluss des Verfahrens 11 Ca 483/05 zwischen den Parteien.

9

1. Der Rechtsstreit 11 Ca 483/05 ist für die im hiesigen Verfahren zu treffende Entscheidung vorgreiflich. In jenem Verfahren geht es um die Feststellung, ob zwischen den Parteien nach dem 31.10.2005 noch ein Arbeitsverhältnis bestand. Letzteres wiederum ist Anspruchsvoraussetzung für die im hiesigen Verfahren verfolgten Ansprüche des Klägers auf Arbeitsentgelt aufgrund Annahmeverzuges.

10

2. Es erschien dem Gericht ermessensgerecht, den Rechtsstreit auszusetzen.

11

a) Werden Vergütungsansprüche neben einer Bestandsschutzstreitigkeit - und dieser regelmäßig zeitlich nachgelagert - selbständig geltend gemacht, so ist umstritten, ob die Vergütungsklage regelmäßig auszusetzen sei (so LAG Berlin vom 02.12.1993, LAGE § 148 ZPO Nr. 28; etwas zurückhaltender LAG Rheinland-Pfalz vom 06.06.1986, LAGE § 148 ZPO Nr. 15) oder regelmäßig gerade nicht auszusetzen sei (so u.a. Hess. LAG vom 07.08.2003, NZA-RR 2004, S. 264 f., und vom 03.07.2002, BB 2002, S. 2075 f., LAG Nürnberg vom 09.07.1986, NZA 1987, S. 211, das sogar von einer Ermessensreduzierung auf Null ausgeht). Eine Ermessensregel ist dem Wortlaut des § 148 ZPO indes weder in die eine noch in die andere Richtung zu entnehmen.

12

b) Soweit in den eine Aussetzung grundsätzlich ablehnenden Entscheidungen auf § 62 Abs. 1 Satz 1 ArbGG zurückgegriffen wird, um diesem einen das arbeitsgerichtliche Verfahren betreffenden gesetzgeberisch intendierten Sinn und Zweck zu entnehmen, das grundsätzlich nicht auszusetzen sei, geht fehl. Denn § 62 Abs. 1 Satz 1 ArbGG ist vom Gesetzgeber nur für diejenigen Urteile geschaffen wurden, die auch einen vollstreckbaren Inhalt haben. Dies ist bei Feststellungsurteilen jedoch gerade nicht der Fall. § 62 Abs. 1 Satz 1 ArbGG auch hierfür eine Aussage entnehmen zu wollen, hieße dem Gesetzgeber die eigene Ansicht unterzuschieben.

13

§ 62 Abs. 1 Satz 1 ArbGG kann allerdings zur Stützung einer die Aussetzung des Vergütungsprozesses grundsätzlich verneinenden Ansicht durchaus herangezogen werden, wenn nicht lediglich ein nicht vollstreckbares Feststellungsurteil bezüglich des Bestandsschutzes existiert bzw. vom Kläger erstrebt wird, sondern zudem auch ein - vollstreckbarer - Leistungstitel auf Weiterbeschäftigung, selbst wenn es zu keiner Weiterbeschäftigung während des Bestandsschutzverfahrens kommt. Ein solcher Antrag war im Verfahren 11 Ca 483/05 jedoch nicht gestellt worden.

14

Es würde indes dem allgemeinen Beschleunigungsgrundsatz aus § 9 Abs. 1 ArbGG nicht gerecht, die auf Verzugslohn gerichtete Klage grundsätzlich auszusetzen und erst weiterzubetreiben, wenn das Bestandsschutzverfahren rechtskräftig abgeschlossen ist. Die nach § 148 ZPO zu treffende Ermessensentscheidung ist deshalb unter diesem Gesichtspunkt im Verzugslohnprozeß grundsätzlich gegen eine Aussetzung bis zum Abschlusse des Bestandsschutzverfahrens zu treffen.

15

c) Mit Thür. LAG vom 27.06.2001, Az. 6/9 Ta 160/2000, n.v., juris, ist aber davon auszugehen, daß im besonderen Ausnahmefall vom Grundsatz des Nicht-Aussetzens abgewichen werden kann oder womöglich sogar grundsätzlich abzuweichen ist. Ein solcher Fall ist nach Auffassung des Gerichts vorliegend gegeben.

16

Denn anders als in sämtlichen Sachverhalten, die der zitierten obergerichtlichen Rechtsprechung zugrunde lagen - und, soweit ersichtlich, den veröffentlichten arbeitsgerichtlichen Entscheidungen zu dieser Frage überhaupt zugrundeliegen -, ist die Bestandsschutzstreitigkeit, im Hinblick auf welche vorliegend ausgesetzt wird, kein Kündigungsschutzverfahren. Vielmehr behandelte das Verfahren 11 Ca 483/05 die Frage der Wirksamkeit einer Aufhebungsvereinbarung, die auch nicht auf Initiative des Arbeitgebers zustandekommen sollte, sondern vielmehr auf Anregung des später klagenden Arbeitnehmers hin.

17

Nicht der Arbeitgeber nahm mithin durch einseitige Kündigung des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitnehmer seinen Vergütungsanspruch für den Zeitraum nach Ablauf der Kündigungsfrist, so daß es billig erscheinen mag, den Arbeitnehmer auf diese Vergütung nicht ohne erhebliche Notwendigkeit nach Obsiegen in I. Instanz so lange warten zu lassen, bis das Kündigungsschutzverfahren rechtskräftig beendet ist. Vielmehr war es der Kläger selbst, der den Beklagten mit seiner E-Mail vom 14.09.2005 um Aufhebung des Arbeitsverhältnisses bat. Er war es mithin selbst, der die Initiative zur - dann streitig gewordenen - Beendigung des Arbeitsverhältnisses ergriff.

18

Mit einem ohne Sperrzeit seit November 2005 an den Kläger ausgezahlten Arbeitslosengeld i.H.v. immerhin € 1.818,60 monatlich ist der Kläger nach Familienstand und Unterhaltspflichten auch nicht auf den Verzugslohn zur Existenzsicherung angewiesen.