Arbeitsgericht Hannover
Urt. v. 16.11.2006, Az.: 6 Ca 227/06 Ö
Bibliographie
- Gericht
- ArbG Hannover
- Datum
- 16.11.2006
- Aktenzeichen
- 6 Ca 227/06 Ö
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2006, 45415
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:ARBGHAN:2006:1116.6CA227.06OE.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- LAG Niedersachsen - 16.11.2007 - AZ: 3 Sa 9/07
- BAG - 18.12.2008 - AZ: 6 AZR 9/08
In dem Rechtsstreit
...
wegen Forderung
hat die 6. Kammer des Arbeitsgerichts Hannover auf die mündliche Verhandlung vom 16. November 2006 durch
die Richterin ... als Vorsitzende i.V.,
die ehrenamtliche Richterin ...,
den ehrenamtlichen Richter ... als Beisitzer
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin die kinderbezogenen Entgeltbestandteile in Höhe von 180,- € für die Monate Februar, März und April 2006
für die Kinder ... geb. am ..., und ..., geb. am ..., zu zahlen.
- 2.
Es wird festgestellt dass die Beklagte verpflichtet ist, diese Entgeltbestandteile auch künftig an die Klägerin zu zahlen.
- 3.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
- 4.
Der Streitwert wird auf 6 480,- € festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt Zahlung kinderbezogener Entgeltbestandteile.
Die Klägerin ist seit dem 01.09.1999 bei der Beklagten beschäftigt. Sie ist unverheiratet und Mutter der Kinder ... geboren am ... und ... geboren am ... Nach dem zunächst geltenden BAT standen der Klägerin kinderbezogene Vergütungsbestandteile in Höhe von 90,00 € für jedes Kind monatlich zu. Seit dem 01.10.2005 ist für das Arbeitsverhältnis der Klägerin der Tarifvertrag TVöD gültig. Dieser sieht keine kinderbezogenen Entgeltbestandteile vor. Gemäß des Überleitungstarifvertrages TVÜ-VKA sind diese Entgeltbestandteile nur zur Wahrung des Besitzstands vorgesehen. In § 11 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-VKA heißt es, dass für im September 2005 zu berücksichtigende Kinder die kinderbezogenen Entgeltbestandteile des BAT in der für September 2005 zustehenden Höhe als Besitzstandzulage fortgezahlt werden, solange für diese Kinder Kindergeld ununterbrochen gezahlt wird.
Die Klägerin befand sich vom 16.07.2005 bis zum 16.02.2006 in Elternzeit. Sie erhielt durchgehend Kindergeld, jedoch aufgrund der Elternzeit im September 2005 keine Vergütung.
Mit Schreiben vom 10.03.2006 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass ein Anspruch auf kinderbezogene Entgeltbestandteile daher nicht mehr bestünde. Die Klägerin machte ihren Anspruch mit Schreiben vom 07.03.2006 bei der Beklagten geltend.
Die Klägerin ist der Auffassung, dass § 11 Abs. 1 TVÜ-VKA in der Weise auszulegen ist, dass die Besitzstandswahrung auch eintritt, wenn die kinderbezogenen Entgeltbestandteile aufgrund der Elternzeit im September 2005 nicht gezahlt wurden.
Sie beantragt,
- 1.
Die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin die kinderbezogenen Entgeltbestandteile in Höhe von 180,00 € für die Monate Februar, März und April 2006 für die Kinder ... geboren am ... und ... geboren am ... zu zahlen.
- 2.
Festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, diese Entgeltbestandteile auch künftig an die Klägerin zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf § 11 TVÜ-VKA verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung der kinderbezogenen Entgeltbestandteile seit Februar 2006 aus § 11 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-VKA.
Das Gericht ist der Auffassung, dass § 11 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-VKA in der Weise auszulegen ist, dass die Besitzstandszulage auch unabhängig von einer tatsächlichen Zahlung gewährt werden kann, soweit alle weiteren Voraussetzungen im September 2005 gegeben waren. Die Formulierung "in der für September 2005 zustehenden Höhe" stellt lediglich eine Berechnungsgrundlage dar. Sie setzt voraus, dass für das zu berücksichtigende Kind im September 2005 eine Zahlung in entsprechender Höhe erfolgt wäre, wenn die Vergütung ohne eine Unterbrechung durch Elternzeit gezahlt worden wäre. Dafür spricht auch § 11 Abs. 3a TVÜ-VKA, der den Abs. 1 für entsprechend anwendbar erklärt für Kinder, die zwischen dem 01.10.2005 und 31.12.2005 geboren wurden. Diese Vorschrift zeigt, dass der Bestandsschutz gerade auch auf den Zeitpunkt der Geburt des Kindes gestützt werden soll. Eine Besserstellung für nach September 2005 geborene Kinder ist nicht einleuchtend.
Dem Wortlaut des § 11 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-VKA ist weder eindeutig zu entnehmen, dass es im September 2005 zu einer Zahlung gekommen sein muss, noch dass die tatsächliche Zahlung überflüssig ist. Eine verfassungskonforme Auslegung des § 11 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-VKA lässt jedoch nur diese Wertung zu.
Auch auf Tarifverträge sind die Grundrechte anwendbar, da sie Rechtsnormen enthalten. Daraus ergibt sich eine Schutzpflicht aller staatlichen Grundrechtsadressaten, somit auch der Gerichte, die Grundrechte bei der Auslegung und Anwendung von Tarifverträgen beachten müssen ( BAG, 27.11.2002 - 7 AZR 414/01, DB 2003, 1000; NZA 2002, 1155 [BAG 31.07.2002 - 7 AZR 140/01]).
Eine Auslegung, die Arbeitnehmer, die sich in Elternzeit befinden, vom Bestandsschutz ausnimmt, würde gegen Artikel 3 Abs. 2 Grundgesetz verstoßen. Zwar haben auch Männer die Möglichkeit, Elternzeit nach § 15 Bundeserziehungsgeldgesetz zu nehmen. Tatsächlich wird dieses Recht jedoch sehr selten von Vätern in Anspruch genommen, so dass eine Schlechterstellung während der Elternzeit faktisch eine Benachteiligung von Frauen darstellt. Diese Ungleichbehandlung ist sachlich nicht gerechtfertigt und kann so von den Tarifvertragsparteien nicht gewollt sein.
Darüber hinaus ist auch der Sinn und Zweck der Elternzeit zu berücksichtigen.
Die gegenseitigen Pflichten der Arbeitsvertragsparteien sollen während der Elternzeit insoweit ruhen, als während der Elternzeit zu erfüllende Pflichten nicht erfüllt werden müssen. Zweck der Elternzeit ist jedoch, dass die Rechte des Arbeitnehmers, die er vor der Elternzeit erlangt hat, bestehen bleiben und diese nicht durch die Unterbrechung der Arbeitspflicht untergehen. Somit soll gerade eine Besitzstandswahrung solcher Ansprüche, wie die der kinderbezogenen Entgeltbestandteile, eintreten.
Dieser Auffassung steht auch nicht § 11 Abs. 1 Satz 3 TVÜ-VKA entgegen. Satz 3 enthält zwar eine abschließende Aufzählung. Diese bezieht sich jedoch nicht auf die Unterbrechung der Entgeltfortzahlung, sondern auf die Unterbrechung der Kindergeldzahlung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 ArbGG i.V. mit § 91 ZPO. Der Streitwert ergibt sich aus § 42 Abs. 3 Gerichtskostengesetz. Danach ist bei wiederkehrenden Leistungen der 3-fache Jahresbetrag der wiederkehrenden Leistungen maßgebend.