Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 08.04.1986, Az.: 2 Ss (OWi) 33/86

Ausübung der Prostitution durch die Mieterin eines in einem reinen Wohngebiet gelegenen Hauses als gewerbliche Nutzung des Gebäudes im bauplanungsrechtlichen Sinne; Betrieb eines Bordells in einem reinen Wohngebiet als gewerbliche Tätigkeit im bauplanungsrechtlichen Sinne; Änderung der Nutzung eines Wohngebäudes im reinen Wohngebiet ohne baubehördliche Genehmigung; Ausübung der Prostitution durch eine einzelne Frau als genehmigungspflichtige Nutzungsänderung der betreffenden Wohnräume; Nutzung des Hausgrundstücks für einen Bordellbetrieb; Prostitution auf dem Grundstück als genehmigungspflichtige Änderung der baurechtlichen Nutzung eines Grundstücks

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
08.04.1986
Aktenzeichen
2 Ss (OWi) 33/86
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1986, 20294
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1986:0408.2SS.OWI33.86.0A

Fundstellen

  • NJW 1987, 1563 (Volltext mit amtl. LS)
  • NVwZ 1987, 631 (amtl. Leitsatz)

Verfahrensgegenstand

Ordnungswidrigkeit nach der Niedersächsischen Bauordnung

Der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Celle hat
auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Amtsgerichts ... vom 16. Dezember 1985
nach Anhörung der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht
am 8. April 1986
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ...,
den Richter am Oberlandesgericht ... und
den Richter am Amtsgericht ...
beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts ... zurückverwiesen.

Gründe

1

I.

Das Amtsgericht hat die Betroffene von dem Vorwurf freigesprochen, die Nutzung eines Wohngebäudes ohne baubehördliche Genehmigung geändert zu haben (§§ 91 Abs. 1 Nr. 1, 2 Abs. 7, 68 NBauO).

2

Nach den Feststellungen mietete die Betroffene im April 1984 einen Bungalow, der bauplanungsrechtlich in einem reinen Wohngebiet liegt, als "gewerbliche Räume" für 2.500 DM monatlich. In einem im Erdgeschoß dieses Hauses gelegenen Zimmer, das entsprechend ausgestattet war, übte sie von etwa Mitte Mai bis Ende Dezember 1984 die Prostitution aus, von deren Erlös sie in dieser Zeit ausschließlich lebte. Diese Tätigkeit bereitete sie unter verschiedenen Vornamen durch intensive Werbung in verschiedenen Zeitschriften unter Angabe von einem der drei Telefonanschlüsse des Bungalows vor.

3

Das Amtsgericht verneint aufgrund dieser Feststellungen die der Betroffenen zur Last gelegte Bauordnungswidrigkeit, weil die Ausübung der Prostitution durch eine einzelne Frau keine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung der betreffenden Wohnräume darstelle und weil die Betroffene sich zumindest auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum berufen könne.

4

II.

Die gegen das freisprechende Urteil gerichtete Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Bückeburg, der sich die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht angeschlossen hat, hat mit der Sach- und der Verfahrensrüge Erfolg. Die getroffenen Feststellungen tragen den Freispruch nicht. Das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben und die Sache, weil weitere Feststellungen möglich erscheinen, an den Amtsrichter zurückzuverweisen.

5

1.

Das Amtsgericht geht zu Unrecht davon aus, daß die Ausübung der Prostitution durch die Mieterin eines in einem reinen Wohngebiet gelegenen Hauses keine gewerbliche Nutzung des Gebäudes im bauplanungsrechtlichen Sinne sei und deshalb nicht eine nach § 2 Abs. 7, § 68 NBauO genehmigungspflichtige Änderung der Zweckbestimmung dieses allein zu Wohnzwecken bestimmten Gebäudes darstelle. Bei dem Betrieb eines Bordells in einem reinen Wohngebiet handelt es sich um eine gewerbliche Tätigkeit im bauplanungsrechtlichen Sinne. Die Bauplanung und die damit verbundene Einteilung in Wohngebiete, Mischgebiete und reine Gewerbegebiete hat den Sinn, eine Grundstücksnutzung mit einem städtebaulichen System in Einklang zu bringen und durch das generelle Verbot der Nutzung von Wohngrundstücken zu gewerblichen Zwecken den Schutz der Bewohner reiner Wohngebiete vor schädlichen Einflüssen zu gewährleisten. Vom Betrieb eines Bordells gehen solche schädlichen Einwirkungen auf die Nachbarschaft dadurch aus, daß damit ein zusätzlicher Zu- und Abgangsverkehr, das Kommen und Gehen von Kunden, ein gesteigerter Kraftfahrzeugverkehr und die sich daraus ergebende Lärmbelästigung verbunden sind (OVG Nordrhein-Westfalen, BRS 40, Nr. 51). Dies gilt nach Ansicht des Senats auch dann, wenn - wie bisher festgestellt - die Betroffene allein in dem im reinen Wohngebiet gelegenen Bungalow der Prostitution nachgegangen ist. Auch in einem solchen Falle besteht - zwar in geringerem, aber doch noch erheblichen Umfange - die Gefahr der erwähnten Belästigungen, wenn - wie hier - die Tätigkeit nach Anmieten eines Bungalows für einen erheblichen Mietzins in speziell dafür hergerichteter Räumlichkeit unter gleichzeitiger intensiver Werbung in Zeitschriften zum Bestreiten des gesamten Lebensunterhaltes ausgenutzt wird. Eine solche Tätigkeit ist auf einen sehr erheblichen Kundenverkehr vornehmlich mit Kraftfahrzeugen angelegt.

6

Aus den gleichen Gründen kommt es entgegen der Auffassung des Amtsrichters nicht darauf an, ob einer oder mehrere Räume in einem Wohnhaus für die Zwecke der Prostitution genutzt werden. Nicht das, was sich im Gebäude abspielt, ist für die bauordnungsrechtliche Wertung von entscheidender Bedeutung, sondern die sich daraus ergebenden äußeren Auswirkungen auf die Umgebung (OVG Nordrhein-Westfalen a.a.O.). Hat aber danach die Betroffene das von ihr gemietete Wohnhaus anderen Zweckbestimmungen im oben erörterten Sinne zugeführt, bedurfte es hierfür der bauordnungsrechtlichen Genehmigung. Das angefochtene Urteil begegnet daher schon hinsichtlich der oben erörterten objektiven Gesichtspunkte durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

7

2.

Die Nachprüfung der subjektiven Tatseite führt zu dem Ergebnis, daß die Annahme eines unvermeidbaren Verbotsirrtums durch den Tatrichter rechtlicher Nachprüfung nicht standhält, so daß das angefochtene Urteil auch unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt keinen Bestand haben kann.

8

Es mag hier zunächst dahinstehen, ob sich der Betroffenen wegen der ihr bekannten äußeren Auswirkungen der Prostitution in einem reinen Wohngebiet (verstärker Autoverkehr durch Kunden usw.) die Vorstellung aufdrängen mußte, die von ihr ausgeübte Tätigkeit in einem bauplanungsrechtlich als Wohnhaus genehmigten Gebäude könne durch die vorliegende Nutzungsgenehmigung nicht gedeckt sein. Dieser Gedanke mußte sich möglicherweise der Betroffenen besonders dann aufdrängen, wenn es sich etwa um ein Wohngebiet mit Einzelvillen und verhältnismäßig geringem Personen- und Fahrzeugverkehr handelt, wozu Feststellungen bisher nicht getroffen worden sind. Jedenfalls hat die von der Staatsanwaltschaft in zulässiger Weise erhobene Aufklärungsrüge Erfolg, nach der sich dem Amtsgericht nach dem Akteninhalt die Einführung des Schriftwechsels zwischen der Betroffenen und dem Landkreis ... wegen der sich daraus ergebenden Kenntnis der Betroffenen von der Bauordnungswidrigkeit aufdrängen mußte. Danach wußte die Betroffene jedenfalls ab 20. Dezember 1984, daß gegen die Nutzung des Bungalows zu Zwecken der Prostitution bauordnungsrechtliche Bedenken bestanden. Ihr war nämlich durch Verfügung des Landkreises ... vom 17. Dezember 1984 (Bl. 12 d.A.) die Nutzung des Hausgrunristücks für einen Bordellbetrieb u.a. mit der Begründung untersagt worden, die gewerbsmäßige Prostitution auf dem Grundstück stelle eine genehmigungspflichtige Änderung der baurechtlichen Nutzung des Grundstücks dar. Spätestens nach Erhalt dieser Verfügung hätte die Betroffene - sofern sie überhaupt noch an der baurechtlichen Ordnungswidrigkeit ihres Tuns zweifelte - Auskünfte darüber einholen müssen, ob nur die Prostitution mehrerer Personen in dem von ihr gemieteten Haus untersagt sei, oder ob dies nicht in gleicher Weise dann gelte, wenn sie selbst allein Prostitution ausübe. Es spricht deshalb viel dafür, daß die Betroffene mindestens ab 20. Dezember 1984 bis "Ende Dezember 1984" (S. 2 der Urteilsgründe) in vermeidbarem Verbotsirrtum gehandelt hat. Hierzu wird deshalb der Amtsrichter ergänzende und genauere Feststellungen treffen müssen, sofern nicht seine erneute Prüfung zu der Annahme führt, daß für die Betroffene auch schon vor dem 20. Dezember 1984 ein etwaiger Verbotsirrtum vermeidbar war.