Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 14.12.2022, Az.: 5 U 70/19
Anforderungen an die Risikoaufklärung bei Implantation einer Bandscheibenprothese vom Typ Cadisc
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 14.12.2022
- Aktenzeichen
- 5 U 70/19
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2022, 70551
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
Rechtsgrundlagen
- § 823 Abs. 1 BGB
- § 630a BGB
- § 280 Abs. 1 BGB
Fundstelle
- GesR 2023, 289-290
Amtlicher Leitsatz
I. Nicht jede Neuerung innerhalb eines etablierten Prinzips stellt eine aufklärungspflichtige Neulandmethode dar.
II. Ob es sich um eine Neulandmethode handelt oder bloß um die (nicht gesondert aufklärungspflichtige) Varianz eines etablierten Prinzips, bestimmt sich danach, ob der Behandler unter Wahrung der berechtigten Sicherheitsinteressen des Patienten bei Anwendung der Methode ex ante mit der ernsthaften Möglichkeit rechnen musste, dass die Methode von den anderen etablierten Methoden so abweicht, dass mit ihr weitere, unbekannte Risiken verbunden sein könnten.
III. Bandscheibenprothesen mit viskoelastischem Kern stellen ein etabliertes Prinzip dar. Die Verwendung von derartigen Prothesen mit Deckplatten aus Polycarbonat (Cadisc) statt aus Titan stellt bloß die Varianz eines etablierten Prinzips dar und ist demgemäß nicht gesondert aufklärungspflichtig.
Redaktioneller Leitsatz
Die Implantation von Bandscheibenprothesen vom Typ Cadisc stellt keine sog. Neulandmethode dar, da sich die konstruktive Besonderheit, dass der viskoelastische Kern keine Deckplatten aus Titan aufweist, sich lediglich als Varianz eines etablierten Prinzips darstellt, die aus Sicht des Operateurs mit keiner Gefahrerhöhung verbunden war. Daher bestanden auch keine erhöhten Anforderungen an die Risikoaufklärung des Patienten.
In dem Rechtsstreit
1. AA, (...),
2. BB, (...),
Beklagte und Berufungskläger,
Prozessbevollmächtigte:
(...)
gegen
CC, (...),
Klägerin und Berufungsbeklagte,
Prozessbevollmächtigte:
(...)
hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht ... auf die mündliche Verhandlung vom 23. November 2022 für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Aurich vom 5. Februar 2019 geändert und die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Beklagten wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages geleistet haben.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird bestimmt auf 144.060,10 €.
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt Schmerzensgeld und Schadensersatz aus Anlass von 2 Operationen.
Die Beklagte zu 1) ist die Trägerin des Krankenhauses, in welchem die Klägerin die beiden Eingriffe durchführen ließ. Der Beklagte zu 2) ist der Ehemann und Erbe des ehemaligen Chefarztes der behandelnden Abteilung der Beklagten zu 1), der die beiden Eingriffe durchgeführt hat. Letzterer ist im November des Jahres 2021 während des Prozesses verstorben; der Beklagte zu 2) führt den Prozess fort.
Der Verstorbene implantierte der Klägerin jeweils eine Bandscheibenprothese des Typs Cadisc im Bereich L5/S1 (Cadisc - L) bzw. im Bereich HWK 5/6 (Cadisc - C).
Die Prothesen Cadisc (Compliant Artificial spinal Disc) L (= lumbal) bzw. C (= cervikal) der Firma Rainier Ltd. waren neu entwickelte Modelle. Herkömmliche Lumbal- oder Cervikal-Bandscheibenprothesen bestanden aus Titan oder Titandeckplatten, zwischen denen ein viskoelastischer Kunststoffkern befestigt ist. Abhängig vom Hersteller sind die Titanplatten zum Teil mit Widerhaken oder ähnlichen Vorrichtungen versehen, um die Prothese zusätzlich gegen Dislokation zu sichern.
Beispiel:
Bei Entwicklung der Prothese Cadisc wurde auf diese Titanplatten verzichtet; es handelt sich um eine Prothese, die vollständig aus Kunststoff besteht und zwar aus einem weichen Polyurethankern, der von zwei Deckplatten aus Polycarbonat umfangen ist, die ihrerseits mit Calciumphospat beschichtet sind, um das Einwachsen in den Knochen zu fördern.
Da Metallimplantate bei bildgebenden Verfahren zu Artefakten führen, versprach man sich von der Prothese Cadisc im Vergleich zu Prothesen mit Titanbestandteilen eine bessere postoperative Bildgebung bei gleichem Leistungsbild im Übrigen.
Tatsächlich kam es indessen bereits kurz nach Markteinführung zu ersten Rückrufen von Chargen durch den Hersteller. In der Folgezeit stellte man dann in mehreren Fällen einen Höhenverlust eingebauter Prothesen des Typs Cadisc L fest. Im September 2014 nahm der Hersteller, die Fa. Rainier Ltd., die Prothese Cadisc L vom Markt, die Cadisc C folgte im Jahre 2015.Der Marktzulassung der Prothese war lediglich ein in-vivo-Versuch mit einigen Pavianen und eine mehrmonatige klinische Prüfung mit nur 29 Patienten in Deutschland, Belgien und den Niederlanden vorausgegangen1, bevor die British Standards Institution als benannte Stelle ("notified body") i.S. der europarechtlichen Regelungen zur Marktzulassung von Medizinprodukten der Prothese am 24. August 2010 die CE-Kennzeichnung zuerkannte.
Auch der Klägerin wurden die implantierten Prothesen wieder entnommen.
Die Behandlung stellt sich im Einzelnen wie folgt dar:
Nach Vorstellung am 24.9.2012 im Hause der Beklagten diagnostizierte der Mitarbeiter Dr. DD ein sogenanntes Black Disc Phänomen mit Höhenminderung des Bandscheibenfaches L5/S1 sowie eine Foramenstenose. Dr. DD stellte eine relative Operationsindikation und führte ein erstes Aufklärungsgespräch. Unter dem 8.11.2012 stellte sich die Klägerin dann in der Klinik der Beklagten zu 1) vor, um den Eingriff vornehmen zu lassen. Kurz vor der Operation am 9.11.2012 wurde die Klägerin erneut, diesmal durch einen Assistenzarzt, aufgeklärt; im Zuge dieser Aufklärung unterzeichnete sie das Einwilligungsformular, in welchem auf eine Infobroschüre über die Bandscheibenprothese Elastic spine der Firma Bricon verwiesen wird.
Am 9.11. wurde dann, wie geplant, die Prothese eingebaut. Die Operation verlief komplikationslos. Die durchgeführte Kontrolle ergab eine regelrechte Lage der Prothese; auch der weitere postoperative Verlauf war unauffällig. Eine Kontrolluntersuchung am 5.2.2013 ergab einen regelrechten Sitz des Implantats.
Am 28.3.2013 stellte sich die Klägerin erneut vor mit Schmerzen in der Halswirbelsäule. Auf den MRT - Aufnahmen war als Ursache eine osteochondrotische Veränderung und Sinterung der Bandscheibe in Höhe HWK 5/6 mit zirkulär verlaufenden Retrospondylophyten (kleine Knochen-Anbauten am hinteren Ende der Wirbelkörper) zu sehen. Am 28.11.2014 stellte sich die Klägerin erneut bei der Beklagten zu 1) vor und wurde vom Zeugen EE aufgeklärt; am 30.11.2014 wurde die Klägerin stationär aufgenommen; am 1.12.2014 wurde die Bandscheibe Höhe HWK 5/6 gegen eine Prothese Typ Cadisc - C ausgetauscht. Die Operation verlief komplikationslos; postoperativ ergab sich eine regelrechte Lage der Prothese.
Die Lumbalprothese L5/S1 wurde dann am 28.4.2016 in der Fachklinik FF wegen Höhenminderung explantiert, die HWK Prothese am 28.7.2016 unter der Indikation einer aseptischen Lockerung. Beide Operationen verliefen komplikationslos.
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, die Prothesen Cadisc hätten ihr nicht eingebaut werden dürfen. Sie hat sich auf die Medienberichterstattung berufen, wonach die Prothese Cadisc gar nicht auf den Markt hätte gelangen dürfen. Mit Blick auf den verstorbenen Chefarzt der Beklagten zu 1), den vormaligen Beklagten zu 2), hat sie auf zwei Strafverfahren verwiesen, die anhängig waren. So ist vor dem Amtsgericht Leer ein Verfahren wegen Körperverletzung anhängig gewesen, in welchem gegen ihn der Vorwurf erhoben worden war, er hätte die Patienten über den Einbau der Prothese Cadisc getäuscht; dieses Verfahren hat in erster Instanz mit einem Freispruch geendet; zudem ist seinerzeit vor dem Landgericht Aurich Anklage wegen des Verdachts der Bestechlichkeit im Zusammenhang mit Implantaten erhoben worden; die Anklage betraf -anders als die staatsanwaltliche Ermittlung- indessen nicht Implantate der Fa. Cadisc; zu einem Urteil ist es vor dem Versterben des vormaligen Beklagten zu 2) nicht mehr gekommen.
Die Klägerin hat geltend gemacht, bei der Implantation handele es sich um eine Neulandmethode; über diesen Umstand hätte sie explizit aufgeklärt werden müssen. Der Einwand der hypothetischen Einwilligung greife insoweit nicht, als sie getäuscht worden sei. Beide Eingriffe seien nicht indiziert gewesen, weil die konservativen Behandlungsmaßnahmen nicht ausgeschöpft worden seien. Sie habe vor der ersten Operation ausdrücklich gewünscht, dass der Zeuge Dr. DD die Operation vornehme.
Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Zeugenvernehmung und Einholung eines Gutachtens der Sachverständigen Prof. Dr. GG und die Beklagten unter Abweisung der Klage im Übrigen zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 10.000 € nebst Nebenforderungen verurteilt. Das Landgericht ist von einem Aufklärungsversäumnis ausgegangen, weil es die Cadisc Prothesen - anders als die Sachverständige GG - als sogenannte Neulandmethode qualifiziert hat. Demgegenüber hat es sich von den restlichen Argumenten der Klägerin nicht überzeugt gezeigt.
Die Eingriffe seien indiziert, was die Sachverständige näher ausgeführt habe. Die Anhörung der Klägerin habe nicht hinreichend genau ergeben, dass sie wirklich eine Vereinbarung des Inhalts getroffen hätte, Dr. DD solle sie operieren. Die Klägerin habe auch nicht zur Überzeugung der Kammer bewiesen, dass sie sich im Zuge der Aufklärung mit dem Arzt auf die Verwendung einer Prothese Elastic Spine des Herstellers Bricon geeinigt hätte. Allerdings hat das Landgericht das Schmerzensgeld für den jeweiligen Eingriff als solchen zugesprochen; eine Kausalität mit den zahlreichen weiteren Beschwerden, welche die Klägerin auf die Implantation zurückgeführt wissen will, sei nicht zur Überzeugung der Kammer erwiesen.
Wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen, der erstinstanzlichen Anträge und der Urteilsbegründung im Einzelnen wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
Die Beklagten wenden sich mit ihrer Berufung gegen die Annahme des Landgerichts, es handelte sich um eine Neulandmethode. Insbesondere vertreten sie die Auffassung unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe (vom 20.2.2013, Az. 7 U 107/11), der Charakter einer Neulandmethode dürfe nicht daraus hergeleitet werden, dass Langzeitstudien über das Produkt fehlten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründung Bezug genommen
Die Beklagten beantragen,
unter teilweiser Abänderung des Urteils, die Klage insgesamt abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landgerichts Aurich vom 5.2.2019 zum Aktenzeichen 5 O 606/17, hier zugegangen am 11.2.2019, wie folgt teilweise abzuändern:
1. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an sie ein weiteres Schmerzensgeld zu zahlen, das ausdrücklich in das Ermessen des Berufungsgerichts gestellt wird.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 1 und 2 als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr sämtliche künftige immateriellen sowie alle vergangenen und künftigen materiellen Schäden zu ersetzen, die aus der fehlerhaften und rechtswidrigen Behandlung gemäß Ziffer 1 entstanden sind bzw. noch entstehen werden, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.
3. Die Beklagten zu 1 und 2 werden als Gesamtschuldner verurteilt, ihr vorgerichtlich entstandene Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 2743,43 € zu zahlen.
Beide Parteien beantragen die Zurückweisung des Rechtsmittels der Gegenseite.
Die Klägerin stützt ihre Berufung weiterhin darauf, dass sie bei Einbau der Lumbalprothese lediglich eine Einwilligung zum Einbau einer Prothese mit Titanplatten, nämlich jenem Modell Elastic Spine Pad 2 der Firma Bricon erteilt habe. Sie erneuert ihre Behauptung, dass die von ihr beklagte Blasenschwäche und Darmträgheit auf der Implantation der Lumbal-Prothesen beruhe. Sie bezieht sich insoweit auf einen gynäkologischen Arztbrief, in welchem neurogene Ursachen für die vorgenannten Beschwerden als Ursache benannt werden.
Mit Beschluss vom 16.12.2019 hat der Senat mitgeteilt, dass er gemäß § 411 a ZPO die Gutachten der Sachverständigen HH und II aus den Verfahren 5 U 81/19 und 5 U 131/19 verwerten wolle. Mit Beschluss vom 23.1.2020 hat der Senat dann in Abänderung des Ursprungsbeschlusses die Absicht mitgeteilt, den Sachverständigen II im vorliegenden Verfahren ebenfalls gemäß § 412 ZPO zum Obergutachter zu bestellen (Bl. 183/II). Die Klägerin hat sich mit der Beauftragung des Sachverständigen II einverstanden erklärt und gleichzeitig ein Privatgutachten der Sachverständigen Dr. JJ vorgelegt (Bl. 206 ff/II). Mit Beschluss vom 16.3.2020 hat der Senat dann Professor KK zum Sachverständigen bestellt zur Beweisfrage, ob die Cadisc-Prothese L im Vergleich zu den bei Markteinführung etablierten Prothesen ein abweichendes Risikoprofil hatte.
Der Senat hat sodann das im Parallelverfahren 5 U 131/19 erstattete schriftliche Gutachten den Parteivertretern übersandt zur Stellungnahme. Beide haben Stellung genommen.
Der Senat hat dann mit Beschluss vom 27 7. 2020 den Parteien mitgeteilt, dass die mitgeteilten Einwendungen im Parallelverfahren mit dem Sachverständigen erörtert würden, um im vorliegenden Verfahren dann die Übertragbarkeit zu erörtern (Bl. 21/III). Gutachten und Protokoll der mündlichen Anhörung (vgl. Anlage 1 und 2 zu Protokoll vom 23.11.2022, Bl. 166 ff/III) sind den Parteien dann unter dem 26.5.2021 übermittelt worden mit der Mitteilung, dass der Senat die entsprechenden Äußerungen im vorliegenden Verfahren verwerten wolle.
Mit Beschluss vom 12. Oktober 2020 hat der Senat dann die Verwendung gemäß § 411 a ZPO des Gutachtens aus dem Parallelverfahren beschlossen und eine ergänzende Begutachtung mit Blick auf die Prothese Cadisc C durchgeführt. Dazu hat der Sachverständige mit Gutachten vom 1.5.2022 festgestellt, dass es sich um keine Neulandmethode handle. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 23.11.2023 hat der Senat mit den Parteivertretern und dem Sachverständigen Prof. Dr. II seine Gutachten mündlich erörtert. Insoweit wird wegen der Einzelheiten auf die Sitzungsniederschrift gleichen Datums (Bl.163/III) verwiesen. Der Senat hat zudem die in einem Parallelverfahren eingeholte Auskunft des Bundesamtes für Arzneimittel (BfArm) über die korrektiven Maßnahmen des Herstellers nach Inverkehrbringen der Prothese Cadisc L zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht (Anlage 3 zu Protokoll) sowie ein Konvolut der Produktrückrufe der Prothese Cadisc L (Anlage 4 zu Protokoll).
II.
Die Berufung der Beklagten hat Erfolg, jene der Klägerin nicht.
Die Beklagten haften weder für die Eingriffe noch für etwaige Folgen der Eingriffe. Aufklärungsmängel sind nicht ersichtlich, insbesondere musste die Klägerin nicht gesondert darüber belehrt werden, dass der Einbau der Prothese Cadisc eine Neulandmethode darstellte, die im Vergleich zu den am Markt etablierten Modellen anderer Hersteller möglicherweise mit unbekannten Risiken vergesellschaftet sein könnte.
1. Einbau der Prothese
Gegenstand der Berufung ist nur der Vorwurf fehlerhafter Aufklärung, nicht jener, etwaiger Behandlungsfehler. Gleichwohl weist der Senat zum Gesamtverständnis vorsorglich darauf hin, dass der Einbau der Prothesen des Typs Cadisc keinen Behandlungsfehler darstellt, weil die Prothesen CE-zertifiziert waren und sich die Beklagten auf die Zertifizierung verlassen durften.
Im rechtskräftigen Urteil vom 11.08.2021, 5 U 103/20, hat der Senat insoweit ausgeführt:
Es war kein Fehler, die Prothese Cadisc L einzubauen, denn das Produkt war CE-zertifiziert und damit für den europäischen Markt freigegeben (§ 6 MPG a.F.). Grundsätzlich darf sich der Behandler darauf verlassen, dass ein Produkt, das CE-zertifiziert ist, auch verwendet werden darf.
Zwar wird mit Blick auf die regulatorische Ausgestaltung des Verfahrens, in dem eine CE-Kennzeichnung erteilt wird, kritisch angemerkt, dass es sich beim seinerzeit geltenden Zulassungsverfahren für Medizinprodukte primär um ein Konformitätsbewertungsverfahren handelt und dass die Produktsicherheit anders als im Bereich des Arzneimittelrechts nicht geprüft werde (vgl. kritische Berichterstattung zu Cadisc in allgemein zugänglichen Medien, z.B. https://projekte.sueddeutsche.de/implantfiles/politik/implant-files-sueddeutsche-de-e952128/). Indessen führt dieses etwaige regulatorische Defizit nicht dazu, dass stattdessen der einzelne Behandler insoweit im Rahmen der Behandlung die medizinische Unbedenklichkeit des Produktes verantworten müsste. Wie der Sachverständige Prof. Dr. LL im Termin vor dem Senat überzeugend ausgeführt hat, fehlt den Behandlern regelmäßig bereits die Sachkunde, materialwissenschaftliche Fragen zu beurteilen; dies komme im Studium nicht vor; hinzukommt, dass die Behandler bei der Vielzahl der Produkte regelmäßig auch keinen sicheren Marktüberblick werden haben können. Will der Patient in diesem Zusammenhang geltend machen, das Konformitätsverfahren sei fehlerhaft durchgeführt worden und ihm sei durch ein CE-zertifiziertes Produkt ein Schaden entstanden, hat er sich an die sog. benannten Stellen ("notified bodies") zu halten, die nach der Richtlinie 93/42/EWG, die durch das seinerzeit geltende MPG in nationales Recht umgesetzt worden ist, die Zertifizierung zu verantworten haben; das Verfahren dient insoweit auch den Individualinteressen der Empfänger von Medizinprodukten (BGH, Urteil vom 27. Februar 2020 - VII ZR 151/18 -, Rn.36 ff -juris = BGHZ 225, 23).
Die Beklagten haften aber auch nicht wegen einer fehlerhaften Aufklärung.
2. Neulandmethode
Bei der Anwendung einer noch nicht allgemein anerkannten medizinischen Behandlungsmethode sind zur Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten erhöhte Anforderungen an dessen Aufklärung zu stellen; dem Patienten müssen nicht nur das Für und Wider dieser Methode erläutert werden, sondern er ist auch darüber aufzuklären, dass der geplante Eingriff nicht oder noch nicht medizinischer Standard ist; eine Neulandmethode darf nur dann am Patienten angewandt werden, wenn diesem zuvor unmissverständlich verdeutlicht wurde, dass die neue Methode die Möglichkeit unbekannter Risiken birgt (zuletzt: BGH Urteil vom 8.5.2021 - VI ZR 401/19 NJW-RR 2021, 886 [BGH 18.05.2021 - VI ZR 401/19]).
Die Prothese Cadisc stellt insoweit keine Neulandmethode dar; die konstruktive Besonderheit, dass der viskoelastische Kern keine Deckplatten aus Titan hat, stellt sich lediglich als Varianz eines etablierten Prinzips dar, die mit keiner Gefahrerhöhung verbunden war; jedenfalls mussten Behandler eine weitergehende Gefahr bei Implantation nicht gewärtigen. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. II (Ort1).
Der Senat ist der Ansicht, dass die Beurteilung der Frage, ob es sich beim Einbau der Prothese Cadisc um eine Neulandmethode handelt oder nicht, um eine Rechtsfrage handelt, die unter Hinzuziehung medizinischer Sachverständiger zu klären ist.
Der Senat hat dazu im Urteil vom 11.08.2021, 5 U 103/20, ausgeführt:
Wie dem Senat aus Parallelverfahren bekannt und auch in diesem Verfahren vom Sachverständigen angeführt ist, gibt es eine Vielzahl von Prothesentypen, die durch die Hersteller im Laufe der Zeit immer wieder modifiziert werden. Dies gilt wie hier für Bandscheibenprothesen, lässt sich aber ohne weiteres auf viele andere Implantate übertragen. Indessen muss nicht jedwede Modifikation im Detail, mag sie vorher auch noch nicht in dieser Spezifikation am Markt vertreten gewesen sein, bereits dazu führen, dass die insoweit "neue" Methode / das insoweit "neue" Implantat als aufklärungspflichtige Neulandmethode zu qualifizieren wäre, denn dies beschränkte ohne inhaltliche Rechtfertigung die Therapiefreiheit des Arztes. Entscheidend für die Frage, ob eine Neuerung in diesem Sinne die Schwelle zur Aufklärungspflicht überschreitet, ist, ob der Behandler zu gewärtigen hatte, dass die zu beurteilende Methode im Vergleich zu den etablierten Methoden mit einem abweichenden / unbekannten Risikoprofil verbunden sein würde (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juni 2006 - VI ZR 323/04 - Juris Rn.14 (Robodoc) = BGHZ 168, 103-112).
An dieser Einschätzung hält der Senat fest. Es kommt also entscheidend darauf an, ob der Behandler unter Wahrung der berechtigten Sicherheitsinteressen des Patienten bei Anwendung der Methode ex ante mit der ernsthaften Möglichkeit rechnen musste, dass die Methode von den anderen etablierten Methoden so abweicht, dass mit ihr unbekannte Risiken verbunden sein könnten.
Da der Bundesgerichtshof diese Gefahr unbekannter neuer Risiken in der Entscheidung Robodoc als Grund für die besondere Behandlung der Neulandmethode in der Aufklärung angeführt hat, ist nach Ansicht des Senates auch die Frage nach der Qualifikation mit Blick auf diesen Gesichtspunkt zu beantworten.
Wollte man demgegenüber nur darauf abstellen, wie lange die Methode gebräuchlich ist oder ob die Fachkreise sie als "neu" einordnen, bliebe man an der Oberfläche und könnte eine wissenschaftlich fundierte Abgrenzung nicht vornehmen und auch nicht hinreichend fachlich argumentativ erörtern.
Ebenfalls untauglich scheint es dem Senat zur Abgrenzung darauf abzustellen, ob Langzeitstudien zur entsprechenden Methode vorliegen, wie dies die Klägerinvertreterin in der mündlichen Verhandlung thematisiert hat. Wie der Sachverständige Prof. Dr. II in der Verhandlung vor dem Senat ausgeführt hat, wäre dies völlig lebensfremd; für viele Methoden oder Gegenstände gibt es keine solchen Studien; und die Zeiträume, über die sie laufen müssten, führten dazu, dass Ergebnisse mutmaßlich zumeist erst vorlägen, wenn die Methode gar nicht mehr gebräuchlich wäre.
Soweit die Klägerin mit nicht nachgelassenem Schriftsatz kritisiert, dem Sachverständigen II seien die Kriterien zur Bestimmung einer Neulandmethode nicht geläufig; er stelle fälschlicherweise auf seine subjektive Sicht ab, trifft dies nicht zu. Der Senat hat dem Sachverständigen vorgegeben, dass er das Risikoprofil ex ante nach dem Facharztstandard beurteilen solle, weil der Behandler schlechterdings nicht über Umstände aufklären kann, die er nicht kennt bzw. kennen muss.
Die Argumentation der Klägerin im vorgenannten Schriftsatz bleibt insoweit an der Oberfläche als sie sich mit der Frage, wann die Modifikation eines etablierten Prinzips als Neulandmethode zu werten ist und wann sie noch als bloße Varianz eines bereits etablierten Prinzips gelten darf, nicht weiter beschäftigt. Versteht man indessen den Verzicht auf die Platten als Varianz innerhalb eines Standards (hier Lumbalprothese mit viskoelastischem Kern) ist sie eben deshalb keine Neulandmethode, weil Lumbalprothesen mit viskoelastischem Kern unstrittig eine etablierte Methode darstellen. Die Argumentation, die Prothese Cadisc L sei eine Neulandmethode, weil sie erst wenige Jahre am Markt sei, bleibt insoweit an der Oberfläche und könnte nur dann Geltung beanspruchen, wenn jede Varianz- auch wenn sie ex ante aus Sicht der beteiligten Fachkreise mit keiner Veränderung des Risikoprofils verbunden ist, sondern sich in das Risikoprofil der etablierten Methode einfügt - aufklärungspflichtig wäre. Wie bereits ausgeführt, verkennt der Senat nicht, dass eine derartige Grenzziehung dogmatisch möglich ist; indessen kann er unter Berücksichtigung der Therapiefreiheit der Behandler und der berechtigten Sicherheitserwartungen der Patienten wenig Sinn an einer so apodiktischen Abgrenzung unter Ausblendung der Risikoeinschätzung erkennen.
In Anwendung der o.g. Definition erweist sich die Prothese Cadisc L nicht als Neulandmethode.
Grund dafür, dass die Prothese vom Markt genommen worden ist, waren Fälle von Höhenverlust. Zudem wurde mit Blick auf die Prothese des Typs Cadisc die Ansicht vertreten, dass bei ihr das Risiko der Dislokation und das Risiko nicht einzuwachsen von jenem Risiko etablierter Prothesentypen abweiche.
Der Sachverständige Prof. Dr. II hat indessen für alle 3 Aspekte ein abweichendes Risiko explizit verneint.
Er hat sinngemäß ausgeführt, dass Kunststoffimplantate ebenfalls einwüchsen und sich unter diesem Gesichtspunkt keine neuen Risiken ergäben. Es sei durchaus üblich, dass in der Wirbelsäulenchirurgie beschichtete Kunststoffimplantate ohne weitere Verankerungen eingebracht würden und auch ein Einwachsen nachgewiesen werden könne. Dazu sei anzumerken, dass man früher in der Tat angenommen habe, Plastik könne wegen seiner Materialeigenschaften per se nicht einwachsen. Diese Annahme sei aber überholt. Man gehe heutigen Tags davon aus, dass Plastik schneller von Bakterien besiedelt sein könne, die ihrerseits dann ein knöchernes Verwachsen verhindern. Den verschiedenen OP-Berichten zu Cadisc-Explantationen habe er entnehmen können, dass die Prothesen verwachsen seien; er deute die OP-Berichte, wenn es dort heiße, die Prothese habe herausgefräst werden müssen, dass tatsächlich eine Verwachsung der Deckplatten stattgefunden habe. Als Beispiel für ein gängiges Plastikimplantat ohne zusätzliche Verankerung seien Cages an der Halswirbelsäule zu nennen, deren Oberfläche allenfalls aufgeraut werde. Die Erkenntnis, dass die Oberflächenstruktur für das Einwachsen entscheidend sei und dass das Einwachsen durch eine Beschichtung noch verbessert werden könne, sei uralt. Die Erkenntnis, dass beschichtetes Plastik einwachsen könne, dürfe 10 bis 13 Jahre alt sein.
Aus dem Umstand, dass Nachoperateure auch Cadisc-L Prothesen vorgefunden hätten, die nicht eingewachsen gewesen seien, könne insoweit nichts abgeleitet werden. Das sei ein allgemeines Risiko, das für sämtliche Implantate gelte, auch eben für Titanimplantate beispielsweise.
Er meine auch nicht, dass mit Blick auf die fehlende zusätzliche Verankerung (durch Haken o. ä.) und mit Blick auf die Stabilität der Prothese bei fehlenden Deckplatten ein erhöhtes Risiko der Cadisc-L Prothese bestanden hätte bzw. dass man davon jedenfalls ex ante nicht habe ausgehen müssen. Zum einen gebe es ohnehin Implantate, die ausschließlich durch Aufrauung der Oberfläche und Beschichtung fixiert würden, wie dies bei Cadisc-L vorgesehen war. Zum anderen verhinderten nach seiner Einschätzung die Deckplatten insoweit wenig. Wenn eine herkömmliche Prothese disloziere, was durchaus nicht selten sei, disloziere der Plastikkern, der sich von der Deckplatte löse. Insoweit sehe er nicht, dass das Risiko bei Cadisc-L signifikant höher gewesen wäre. Das Fehlen von Metalldeckplatten erhöhe auch nicht das Risiko, dass der Plastikkörper den Belastungen nicht standhielte. Im Gegenteil wirkten die Metallplatten bei Belastung der Wirbelsäule auf den Plastikkörper verstärkend. Zusammenfassend könne man sagen, dass die angesprochenen Risiken gängige Risiken der herkömmlichen Bandscheibenprothesen seien, die dazu geführt hätten, dass man die Bandscheibenprothesen heutigen Tags deutlich kritischer beurteile.
Mit Blick auf Lumbalprothesen hat der Sachverständige sogar ausgeführt, dass das Risiko des Höhenverlustes dazu geführt habe, dass Lumbalprothesen mit viskoelastischem Kern eigentlich nicht mehr gebräuchlich seien. Man müsse ganz allgemein sagen, dass insgesamt in der Prothetik nicht mehr mit Bandscheibenprothesen im Lumbalbereich gearbeitet werde. Im Grunde könne man sagen, dass die Versteifungsoperation der Standard sei und die Prothese ungebräuchlich geworden sei wegen des damit verbundenen Risikos des Höhenverlustes. Die Cadisc-Prothese reihe sich insoweit im Lumbalbereich da ein, ohne dass man mit Blick auf die Cadisc L von einem besonderen Risiko sprechen würde.
Diese Einschätzung, die der Sachverständige für die Prothese Cadisc L abgegeben hat, hat er im Wesentlichen auch für die Cadisc C abgegeben.
Generell gelte für Polyurethan-Prothesen, dass dieser Stoff mit der Zeit verschleiße. Letzteres sei unabhängig davon, ob zusätzlich bei der Bandscheibenprothese Titandeckplatten angebracht seien oder nicht. Bei Prothesen mit Platte verabschiede sich dann der Kern. Das sei der Grund, weswegen auch mit Blick auf die Prothese L nicht sehe, dass sie ein anderes oder unbekanntes Risikoprofil gehabt hätte.
Diese Überlegungen gölten für die Prothese Cadisc C entsprechend. Auch hier gebe es Produkte mit Deckplatten. Auch hier bestehe aber ebenfalls das Risiko, dass sich der Kern löse, hier mit der Erschwernis, dass die Deckplatten evtl. sogar dafür sorgen können, dass der Kern in Richtung Spinalkanal disloziere. Aber insoweit gelte wie bei der Cadisc L, dass das Risiko der Cadisc C sich im Vergleich zu den herkömmlichen Cervikalprothesen nicht unterscheide.
Eine Aufklärungspflicht folgt schließlich in diesem Zusammenhang auch nicht aus dem Umstand, dass die Prothese Cadisc C der Klägerin erst eingesetzt wurde, als die Fa. MM bereits einen Einbaustopp für die Cadisc L verhängt hatte. Der Sachverständige hat dazu ausgeführt, dass er sich in diesem Fall in seiner Klinik mit seinen Oberärzten besprochen hätte, ob man die Prothese noch weiterverwenden würde; mutmaßlich hätten man das nicht getan. Er hätte allerdings keine Veranlassung gesehen, einen Patienten, dem er eine Cervikal-Prothese hätte einbauen wollen, darauf hinzuweisen, dass die Cadisc C risikobehaftet wäre, weil die L vom Markt genommen war. Es handele sich um völlig unterschiedliche Indikationen und Risikoprofile. Insofern sei die Cervikal-Prothese mit der Lumbal-Prothese überhaupt nicht zu vergleichen. Um eine Analogie zu gebrauchen: Das wäre so, wie wenn ein Chirurg Hüftprothesen eines Herstellers nicht mehr einbaute, weil eine Knieprothese des gleichen Herstellers vom Markt genommen würde. Insbesondere der Druck, der auf Lumbal-Prothesen wirke, stellt ein besonderes Risiko für Polyurethan-Prothesen dar. Dieser Gesichtspunkt spiele bei Cervikal-Prothese eine eher untergeordnete Rolle. Bei einer Cervikal-Prothese stehe eher das Dislokationsrisiko beziehungsweise das Risiko einer zu frühen Fusion des Segments in Rede. Deswegen seien Prothesen mit viskoelastischem Kern im Zervikalbereich (anders als im Lumbalbereich) immer noch in Gebrauch.
Der Senat erachtet die Ausführungen des Sachverständigen für überzeugend. Prof. Dr. II ist als Direktor der Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie der TU Ort1 ein absoluter Experte, dessen wissenschaftliches und fachliches Renommee national und internationale Anerkennung findet, was sich nicht zuletzt an zahlreichen Auszeichnung zeigt [...].
Inhaltliche Einwendungen gegen die fachlichen Feststellungen des Sachverständigen sind von den Parteien auch nicht erhoben worden. Dazu passt, dass in Parallelverfahren vor dem Senat bislang alle als Sachverständigen hinzugezogenen Neurochirurgen die gleiche Ansicht vertreten haben wie hier der Sachverständige II, nämlich dass es sich insoweit um keine Neulandmethode handelt und dass sich die Cadisc-Prothese im Risikoprofil, was Höhenverlust, Dislokation und fehlendes Einwachsen angeht, nicht von etablierten Prothesen mit viskoelastischem Kern unterscheidet. Soweit die Klägerin im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 28.11.2022 anführt, die Privatgutachtern Dr. JJ hätte die Ansicht vertreten, es handelte sich um eine Neulandmethode, ist dies nicht zutreffend. Unter Punkt 2.a. (S.8 Gutachten, Bl. 213 / II) hat die Privatgutachterin diese Frage explizit verneint.
3. Festlegung des Prothesentyps / Operateurs
Soweit das Landgericht eine verbindliche Einigung über den Prothesentyp, nämlich die Prothese Elastic Spine der Firma Bricon, bzw. über die Person des Operateurs verneint hat, sind ernstliche Zweifel an der Vollständigkeit und Richtigkeit der landgerichtlichen Tatsachenfeststellung nicht ersichtlich, § 529 ZPO.
4. Behandlungsalternative
Entsprechendes gilt für die Rüge, es hätten konservative Behandlungsalternativen bestanden. Die erstinstanzliche Sachverständige hat, ohne dass dies substantiell in Zweifel gezogen würde, für beide Eingriffe ausgeführt, dass jeweils die konservative Behandlung ausgereizt war und dies demgemäß zum Zeitpunkt der jeweiligen Eingriffe keine echte Behandlungsalternative mehr war.
Der Vollständigkeit halber, auch wenn die Klägerin sich darauf nicht berufen hat, weist der Senat darauf hin, dass er mit Blick auf Parallelverfahren sämtliche Ermittlungsakten zum Komplex Cadisc gesichtet hat, und sich keine Anhaltspunkte für ein haftungsbegründendes Verhalten des vormaligen Beklagten zu 2) ergeben haben.
Da die Berufung der Beklagten Erfolg hat und keine Aufklärungsdefizite festzustellen sind, war die Berufung der Klägerin notwendigerweise zurückzuweisen, weil eine Haftung der Beklagten schon dem Grunde nach ausscheidet.
Der Senat sieht keine Veranlassung die Revision zuzulassen. Er erachtet seine Rechtsprechung zur Bestimmung einer Neulandmethode im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Soweit die Klägerin im Schriftsatz vom 28.11.2022 auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 18.5.2021, Az. VI ZR 401/18, verweist und ihr meint entnehmen zu können, der Bundesgerichtshof hätte dort bereits die Prothese Cadisc als Neulandmethode qualifiziert (so auch Frahm NJW 2022, 2899, Tz. 16), ist dies nicht zutreffend. Der Bundesgerichtshof hatte in der dortigen Entscheidung aus revisionsrechtlichen Gründen zu unterstellen, dass es sich um eine Neulandmethode handelt, weil der Senat diese Frage in der Ausgangsentscheidung hatte dahingestellt sein lassen und die Klage auf den Beklagteneinwand der hypothetischen Einwilligung abgewiesen hatte. Inhaltlich hat sich im genannten Fall weder der Senat noch der Bundesgerichtshof mit der Frage befasst, ob die Cadiscprothese eine Neulandmethode darstellt.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97, 708 Nr.10, 711 ZPO.
1 Vgl. Datenbank der Federal Drug Administration über klinische Studien, https://clinicaltrials.gov/ct2/show/study/NCT00949936?term=cadisc&draw=2&rank=1; vgl. im Übrigen sog. Hirslandenuntersuchungsbericht, S.21 ff, "Unabhängige Untersuchung zur Verwendung von Bandscheibenimplantaten des Typs CAdisc-L des Herstellers Ranier Technology Ltd. in Spitälern der Privatklinikgruppe Hirslanden - Untersuchungsbericht vom 1. Juli 2019 - Publikationsexemplar", https://www.hirslanden.ch/content/dam/corporate/downloads/de/media/press-releases/2019/hirslanden-untersuchungsbericht-publikationsexemplar-august-2019.pdf