Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 13.07.1998, Az.: 3 B 3057/98
Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen eine verfügte Abschiebungsandrohung ; Prüfungsumfang des Gerichts bei einem Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz; Bindung der Kammer an eindeutiges Rechtsschutzbegehren; Anforderungen an Fiktion eines erlaubten bzw. geduldeten Aufenthaltes
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 13.07.1998
- Aktenzeichen
- 3 B 3057/98
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1998, 17627
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGGOETT:1998:0713.3B3057.98.0A
Rechtsgrundlagen
- § 80 Abs. 5 VwGO
- § 51 Abs. 1 AuslG
- § 53 Abs. 4 AuslG
- Art. 8 EMRK
Verfahrensgegenstand
Abschiebungsandrohung
Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO.
Prozessführer
des Herrn ... Staatsangehörigkeit: jugoslawisch,
Prozessgegner
die ...
Die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Göttingen
hat am 13. Juli 1998
beschlossen:
Tenor:
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 4.000,00 DM festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist jugoslawischer Staatsangehöriger aus dem Kosovo. Er begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Androhung seiner Abschiebung nach Jugoslawien bzw. in einen anderen zu seiner Rückübernahme bereiten Staat.
Der Antragsteller reiste am ... 1992 nach Deutschland ein und betrieb ein Asyl verfahren. Mit bestandskräftigem Bescheid vom ... 1994 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Asylantrag des Antragstellers ab, stellte fest, daß die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorlägen und forderte den Antragsteller unter Fristsetzung und Abschiebungsandrohung zur Ausreise auf. Am ... 1997 heiratete der Antragsteller die aus dem Kosovo stammende jugoslawische Staatsanhörige Frau ... für die das Bundesamt mit bestandskräftigem Bescheid vom ... 1996 das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG festgestellt hatte und der durch die Antragsgegnerin in der Folge Aufenthaltsbefugnisse erteilt wurden.
Am ... 1997 beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis. Mit Bescheid vom ... 1997 lehnte die Antragsgegnerin diesen Antrag ab, stellte fest, daß der Antragsteller zur Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland verpflichtet sei und drohte ihm für den Fall, daß er nicht innerhalb von 2 Monaten nach Zustellung des Bescheides ausgereist sei, die Abschiebung nach Jugoslawien bzw. in einen anderen Staat, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei, an. Am ... 1997 legte der Antragsteller gegen diesen Bescheid Widerspruch ein und suchte bei der Kammer um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach. Der Eilantrag war sowohl gegen die von der Antragsgegnerin ausgesprochene Versagung der Aufenthaltsbefugnis als auch gegen die gleichzeitig verfügte Abschiebungsandrohung gerichtet. Mit Beschluß vom ... 1997 lehnte die Kammer den Antrag des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ab (3 B 3323/97). Mit Beschluß vom 12.12.1997 ließ das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß der Kammer vom 24.10.1997 zu, soweit der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz im Hinblick auf seine vorgesehene Abschiebung begehrte; im übrigen wurde der Antrag auf Zulassung der Beschwerde abgelehnt. In der Sache änderte das Oberverwaltungsgericht - unter Zurückweisung der Beschwerde im übrigen - den Beschluß der Kammer teilweise dahingehend, daß die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet wurde, die Abschiebung des Antragstellers bis zum 28.02.1998 auszusetzen.
Mit Bescheid vom 20.01.1998 wies die Bezirksregierung Braunschweig den Widerspruch des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 09.07.1997 zurück. Dem Antragsteller könne eine Aufenthaltsbefugnis nach § 31 Abs. 1 AuslG i.V.m. § 30 Abs. 1 bis 4 AuslG nicht erteilt werden.
Am 17.02.1998 erhob der Antragsteller Klage zum Aktenzeichen 3 A 3043/98 der Kammer, mit der er sein Begehren auf Aufhebung des Bescheides vom 09.07.1997 und auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis weiterverfolgt. Über diese Klage ist bisher nicht entschieden.
Am 26.02.1998 hat der Antragsteller erneut um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht.
Der Antragsteller ist der Ansicht, er könne sich auf ein Abschiebungshindernis gemäß § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 8 EMRK mit der Folge berufen, daß die verfügte Abschiebungsandrohung rechtswidrig sei. Gemäß § 50 Abs. 3 Satz 2 AuslG hätte in der Abschiebungsandrohung jedenfalls zum Ausdruck gebracht werden müssen, daß eine Abschiebung nach Jugoslawien nicht erfolgen dürfe. Da überdies auch nicht erkennbar sei, daß es andere Staaten geben könne, die zur Aufnahme des Antragstellers bereit oder verpflichtet wären und die darüber hinaus im Lichte des Art. 8 EMRK keinen Bedenken unterlägen, müsse die Abschiebungsandrohung im Ergebnis insgesamt aufgehoben werden. Der Antragsteller trägt vor, er lebe mit seiner Ehefrau ... in einer durch Art. 8 EMRK geschützten Familie. In diese werde in Form einer Abschiebung eingegriffen, ohne daß dies durch den Eingriffsvorbehalt des Art. 8 Abs. 2 EMRK gedeckt sei. Seiner Ehefrau sei es nicht zuzumuten, ihm in die Bundesrepublik Jugoslawien zu folgen. Die Führung der Familie außerhalb Deutschlands und außerhalb der Bundesrepublik Jugoslawien sei aus tatsächlichen Gründen nicht möglich. Die Antragsgegnerin sei als Ausländerbehörde für die Feststellung des hier in Rede stehenden Abschiebungshindernisses zuständig, weil es sich im Sinne der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts um ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis handele. Insoweit entfalte auch der bestandskräftige Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 24.02.1994, in dem festgestellt worden sei, daß Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorlägen, keine Bindungswirkung. Der Antragsteller meint außerdem, er habe Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 31 Abs. 1 AuslG i.V.m. § 30 Abs. 2 bzw. Abs. 3 AuslG. Sozialhilfebezug, Maßlosigkeit und Visumsverstoß bei der Einreise stünden dem nicht entgegen. Zudem habe die Antragsgegnerin in einem vergleichbaren Fall eine Aufenthaltsgenehmigung erteilt.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage (Az.: 3 A 3043/98) gegen die in dem Bescheid vom 09.07.1997 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 20.01.1998 enthaltene Abschiebungsandrohung anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Die Antragsgegnerin beruft sich auf die Begründung der angefochtenen Bescheide. Der Fall, auf den sich der Antragsteller hinsichtlich einer Entscheidungspraxis der Antragsgegnerin in seinem Sinne berufe, sei dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar; im übrigen sei die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung in dem durch den Antragsteller bezeichneten Fall in rechtswidriger Weise erfolgt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte zu diesem Verfahren mitsamt den beigezogenen Verwaltungsvorgängen der Antragsgegnerin und der Bezirksregierung Braunschweig (Beiakten A bis C) sowie auf die Gerichtsakten zu den Verfahren mit den Aktenzeichen 3 B 3323/97 und 3 A 3043/98 der Kammer verwiesen. Die Unterlagen sind Gegenstand der Beratung der Kammer gewesen.
Entscheidungsgründe
Der Antrag bleibt ohne Erfolg.
Mit dem nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellten Eilantrag wird ausdrücklich nur um die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage (Aktenzeichen 3 A 3043/98) gegen die von der Antragsgegnerin verfügte Abschiebungsandrohung nachgesucht. Anders als in dem zunächst zum Aktenzeichen 3 B 3323/97 der Kammer anhängig gemachten Eilverfahren wird mithin nicht vorläufiger Rechtsschutz auch gegen die zugleich ausgesprochene Versagung der beantragten Aufenthaltsbefugnis begehrt. Gemäß § 88 Halbs. 1 VwGO darf die Kammer über das eindeutige Rechtsschutzbegehren des durch denselben Prozeßbevollmächtigten wie im Verfahren 3 B 3323/97 vertretenen Antragstellers nicht hinausgehen. Die angegriffene Abschiebungsandrohung findet ihre rechtliche Grundlage in §§ 42 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 49 Abs. 1, 50 Abs. 1 AuslG und ist nicht zu beanstanden.
Der Antragsteller beruft sich zur Begründung seines Begehrens im wesentlichen darauf, sein Zusammenleben mit seiner als Flüchtling i.S.d. § 51 Abs. 1 AuslG anerkannten Ehefrau ... in Deutschland werde durch (§ 53 Abs. 4 AuslG i.V.m.) Artikel 8 EMRK bzw. durch Artikel 6 Abs. 1 GG geschützt. Die Kammer kann dahinstehen lassen, ob dieses Vorbringen geeignet wäre, in Ansehung der neueren Rechtsprechung des 1. Senats des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 04.06.1997 - 1 C 9.95 -, NVwZ 1997, 1114 ff.; Urteile vom 09.12.1997 - 1 C 16.96 -, InfAuslR 1998, 272 ff., - 1 C 19.96 -, DVBl 1998, 722 ff. und - 1 C 20.97 - NVwZ 1998, 748 ff.) einen Anspruch des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach den Vorschriften der §§ 31 Abs. 1, 30 Abs. 2 bis 4 AuslG, die der zuständigen Behörde ein Ermessen einräumen, zu begründen. Diese Frage wäre nur in einem - hier nicht zu entscheidenden - Verfahren nach § 123 VwGO auf (weitere) vorläufige Duldung des Antragstellers mit seinen spezifischen, insbesondere die Glaubhaftmachung eines Duldungsanspruchs betreffenden Voraussetzungen relevant. In dem - zulässigerweise - isoliert gegen die verfügte Abschiebungsandrohung gerichteten Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO kommt dieser Fragestellung keine Bedeutung zu.
Dies ergibt sich zum einen daraus, daß sich der Antragsteller, wie die Kammer bereits in ihrem Beschluß vom 24.10.1997 in dem Verfahren 3 B 3323/97 dargelegt hat, nicht auf die Fiktion eines erlaubten (§ 69 Abs. 3 Satz 1 AuslG) bzw. geduldeten (§ 69 Abs. 2 Satz 1 AuslG) Aufenthaltes berufen kann, sondern derzeit - ungeachtet einer etwaigen Duldung - aufenthaltsrechtlich völlig ungeschützt ist. Das Ergebnis entspricht zum anderen der durch den 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 11.11.1997 - 9 C 13.96 -, NVwZ 1998, 526 ff. und - 9 C 54.96 -) vorgenommenen Einteilung zwischen zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen, die dem § 53 Abs. 4 AuslG unterfallen, und inlandsbezogenen Vollstreckungshindernissen, die nur Duldungsgründe i.S.d. § 55 Abs. 2 und 3 AuslG darstellen können, wobei das von dem Antragsteller reklamierte Recht auf Wahrung seines Ehe- und Familienlebens den inlandsbezogenen Vollstreckungshindernissen zuzuordnen ist. Dabei stehen nach § 50 Abs. 3 AuslG die bloßen Vollstreckungshindernisse bzw. Duldungsgründe dem Erlaß einer Abschiebungsandrohung generell nicht entgegen. Lediglich - hier nicht ersichtliche - zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse können zu einer Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung insoweit führen, als die Abschiebung in einen Staat angedroht wird, in den der Ausländer nach den §§ 51 und 53 Abs. 1 bis 4 AuslG (u.U. auch § 53 Abs. 6 AuslG) nicht abgeschoben werden darf (vgl. dazu: BVerwG, Urteil vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 -, AuAS 1997, 50 ff. und Urteil vom 04.06.1997, a.a.O., 1116 a.E.).
Der Antrag ist mithin mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Streitwertbeschluss:
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 4.000,00 DM festgesetzt.
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Dr. Rudolph
Dr. Möller