Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 04.08.2020, Az.: 9 K 237/19

Anspruch auf Berichtigung eines Einkommensteuerbescheides

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
04.08.2020
Aktenzeichen
9 K 237/19
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2020, 70519
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand

Streitig ist die Rechtmäßigkeit der Ablehnung einer Änderung des Einkommensteuerbescheides 2016.

Die Klägerin ist ledig und wird einzeln zur Einkommensteuer veranlagt. Für das Streitjahr reichte sie eine Einkommensteuererklärung mit Anlagen beim beklagten Finanzamt ein und erklärter dabei u. a. Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung für die Objekte "F-Straße 29 und 31" in L.

Die Klägerin hatte jeweils eine Wohnung in diesen Objekten bis einschließlich 2015 unentgeltlich an jeweils eine Tochter überlassen. Auf der Anlage V der Steuererklärung des Vorjahres 2015 für das Objekt F-Straße 29 hatte die Klägerin deshalb in Zeile 7 des Vordrucks (Kennziffer 62) angegeben, dass das Objekt nicht teilweise an Angehörige zu Wohnzwecken vermietet war. Die Wohnfläche für dieses Objekt wurde mit 218,16 m2 angegeben, davon eigengenutzter oder unentgeltlich an Dritte überlassener Wohnraum 152,42 m2. Entsprechend des vermieteten Anteils wurden die Werbungskosten (AfA und weitere Werbungskosten) um 69,87 % gekürzt. Aus einer selbstgefertigten Anlage zu dieser Anlage V ergab sich, dass der Anteil von 69,87 % auf die unentgeltlich an die Tochter M überlassene Wohnung entfiel und die restliche vermietete Wohnfläche auf eine Anwaltskanzlei (ab 2/2015).

Auf der Anlage V zur Steuererklärung 2015 für das Objekt F-Straße 31 machte die Klägerin entsprechende Angaben (Gesamtwohnfläche 189,98 m2, davon eigengenutzter oder unentgeltlich an Dritte überlassener Wohnraum 133,63 m2). Für dieses Objekt ergab sich ein nichtbezugsfähiger Anteil der AfA und übrigen Werbungskosten in Höhe von 70,34 %. Auch hier ergab sich aus einer selbstgefertigten Anlage zu der Anlage V, dass der Anteil von 70,34 % auf die unentgeltlich der Tochter C überlassene Wohnung entfiel und die restliche vermietete Wohnfläche auf "J EG Laden".

Für das Streitjahr 2016 gab die Klägerin wiederum jeweils eine Anlage V für die Objekte F-Straße 29 und 31 ab. Im Unterschied zu den Anlagen V des Vorjahres gab die Klägerin hier in der Zeile 7 des Vordrucks (Kennziffer 62) jeweils an, das Objekt ganz oder teilweise an Angehörige zu Wohnzwecken vermietet zu haben. Im Unterschied zum Vorjahr wurde jeweils die Kennziffer 55 der Anlage V, in der Angaben zur Eigennutzung oder unentgeltlichen Überlassung an Dritte zu machen sind, nicht mehr ausgefüllt. Stattdessen wurde jeweils erstmalig die Zeile 12 (Einnahmen für an Angehörige vermietete Wohnungen) ausgefüllt. Gleichwohl erklärte die Klägerin in Zeile 33 des Vordrucks wie im Vorjahr jeweils einen nichtabzugsfähigen Anteil der AfA in Höhe von 69,87 % bzw. 70,34 %. Auch in den wiederum selbstgefertigten Anlagen zu den Anlagen V gab die Klägerin an, eine Wohnung jeweils an Angehörige vermietet zu haben. Dabei war aus diesen Anlagen ersichtlich, dass die diesen Kürzungen zugrundeliegenden Wohnflächenanteile mit denen des Vorjahres identisch waren (F-Str. 29: Gesamtwohnfläche 218,16 qm, an T und M R vermietete Fläche 152,43 qm; F-Str. 31: Gesamtwohnfläche 189,98 qm, an Tochter C vermietete Fläche 133,63 qm). Auch die Mieter der verbleibenden Wohnflächen hatten sich danach nicht verändert.

Das beklagte Finanzamt folgte den Angaben auf den Anlagen V in vollem Umfange und berücksichtigt im Einkommensteuerbescheid 2016 vom 10. November 2017 die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erklärungsgemäß.

Am 23. Januar 2019 beantragte die Klägerin die Änderung des vorgenannten Einkommensteuerbescheides nach § 129 der Abgabenordnung (AO). Im Bescheid habe noch eine Kürzung der AfA stattgefunden, obwohl die Objekte ab dem 1. Januar 2016 vollentgeltlich vermietet seien. Hierbei handele es sich um eine offenbare Unrichtigkeit. Sämtliche Vermietungsobjekte seien in 2016 vollständig vermietet gewesen. Es sei lediglich irrtümlich versäumt worden, die Kürzung der AfA zu löschen.

Mit Bescheid vom 4. April 2019 lehnte das beklagte Finanzamt den Änderungsantrag jedoch ab. Der hiergegen gerichtete Einspruch hatte keinen Erfolg. Der Beklagte ging davon aus, dass der streitbefangene Einkommensteuerbescheid nicht offenbar unrichtig im Sinne des § 129 AO sei. Das beklagte Finanzamt sei den erklärten Angaben in der Steuerklärung gefolgt. Aus der vollständigen Vermietung an Angehörige ergebe sich nicht zwangsläufig, dass die AfA nicht zu kürzen sei. Die Prüfung, ob bzw. in welchem Umfang Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zu kürzen seien, sei kompliziert. Fehler bei der Anwendung rechtlicher Überlegungen seien hier nicht auszuschließen. Die Angabe "an Angehörige vermietet" besage nicht zwingend, dass es sich nunmehr um eine vollentgeltliche Vermietung handele. Gerade bei Vermietungen an Angehörige sei es üblich, weniger oder keine Miete zu verlangen. Insofern hätte der Sachverhalt noch aufgeklärt werden müssen. Auch ein Vergleich der Anlagen zur Einkommensteuererklärung 2015 mit denen für 2016 lasse nicht zwingend erkennen, dass eine Kürzung der AfA ausgeschlossen sei. Es ergebe sich aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Dritten und damit auch aus Sicht des Finanzamts nicht, dass die AfA nur aufgrund eines mechanischen Versehens gekürzt worden sei. Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf den Einspruchsbescheid vom 29. August 2019 Bezug genommen.

Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage, mit der die Klägerin ihr Begehren aus dem Einspruchsverfahren weiterverfolgt. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen Folgendes vor:

Bei einem Wechsel von der unentgeltlichen Nutzung zur entgeltlichen Nutzung einer Wohnung sei unter keinen Gesichtspunkten denkbar, dass der Kürzungssatz unverändert bestehen bleibe, und zwar selbst dann nicht, wenn man davon ausgehen würde, dass nur eine teilentgeltliche bzw. verbilligte Überlassung vorgelegen habe. Die unrichtigen Angaben zu den Abschreibungsbeträgen seien entsprechend ohne bewusste Entscheidung des Sachbearbeiters in den Datenbestand des Finanzamts und damit in den Steuerbescheid übernommen worden, sofern sie nicht ohnehin schon fest im Datenbestand des Finanzamts hinterlegt gewesen seien. Ob sich bei der Bearbeitung der Steuerveranlagung - sofern wegen der elektronischen Datenübermittlung überhaupt eine manuelle Bearbeitung gegeben gewesen sei -, Anhaltspunkte ergeben hätten, die zu Zweifeln führten, sei unbeachtlich, denn eine Berichtigung des Steuerbescheides sei nicht von Verschuldenserwägungen abhängig und habe daher auch dann zu erfolgen, wenn der Sachbearbeiter notwendige Überlegungen nicht anstelle und sein Versehen bei gehöriger Sorgfalt hätte erkennen können. Bei Erstellung der Einkommensteuererklärung des Folgejahres 2017 seien dann die Angaben zur Kürzung der Abschreibungsbeträge gelöscht worden. Diese Angaben seien wiederum elektronisch dem Beklagten übermittelt worden. Gleichwohl sei auch bei Erlass des Steuerbescheides 2017 die Kürzung der Abschreibungsbeträge durch das Finanzamt wiederum vorgenommen worden. Hieraus ergebe sich eindeutig, dass die Angaben zur Kürzung der Abschreibungsbeträge in den Daten des Finanzamts gespeichert gewesen seien. Hieraus ergebe sich auch, dass insoweit die ernsthafte Möglichkeit jeglicher Denk- oder Überlegungsprozesse ausgeschlossen sei. Bei der Kürzung der Abschreibungsbeträge im Streitjahr handele es sich um eine einem Schreib- oder Rechenfehler ähnliche offenbare Unrichtigkeit. Ursache hierfür sei zum einen, dass in der Steuererklärung die entsprechende Angabe aus den Vorjahren nicht gelöscht worden sei. Wie aus der Veranlagung des Folgejahres ersichtlich, habe sich der Fehler in der Hauptsache jedoch aus beim Finanzamt gespeicherten Daten ergeben, die unreflektiert in die Veranlagung eingeflossen seien. Damit liege insgesamt ein mechanisches, keinem Denk- oder Überlegungsprozess mehr unterliegendes Versehen vor. Die Voraussetzungen für eine Berichtigung der Veranlagung nach § 129 AO seien entsprechend gegeben.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Klagebegründung wird auf die Klageschrift vom 27. September 2019 und dem Schriftsatz vom 14. Januar 2020 Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt (wörtlich),

das Finanzamt zur Durchführung der beantragten Berichtigung der Einkommensteuerveranlagung 2016 zu verpflichten, wodurch sich das zu versteuernde Einkommen um 4.414 € auf 30.271 € vermindert.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist er zunächst auf seinen Einspruchsbescheid vom 29. August 2019. Des Weiteren führt er aus, dass die Voraussetzungen für eine Berichtigung nach § 129 AO nicht vorliegend seien. Bei der unzutreffenden Kürzung der AfA sei gerade ein Denk- oder Überlegungsfehler nicht auszuschließen. Eine anteilige Kürzung sei schon im Hinblick auf § 21 Abs. 2 EStG nicht abwegig. Bei der Vermietung an Angehörige sei es nicht unüblich, Werbungskosten anteilig zu kürzen. Hier dürfte eine unrichtige Tatsachenwürdigung, bedingt durch die Angaben in der Einkommensteuererklärung, ausschlaggebend gewesen sein, denn die Klägerin habe die Kürzung in den Anlagen V so erklärt. Soweit die Klägerin darauf hinweise, dass bei der Ermittlung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung die Kürzung der Abschreibungsbeträge aufgrund gespeicherter Daten beim Finanzamt automatisch erfolgt sei, sei dem nicht zuzustimmen. Bei jeder Erklärung erfolge ein Abgleich der erklärten Beträge mit den gespeicherten Werten durch einen Bearbeiter. Eine offenbare Unrichtigkeit müsse bei dem Erlass eines Verwaltungsaktes unterlaufen sein. Sie könne zwar auch dann vorliegen, wenn das Finanzamt eine in der Steuererklärung oder dieser beigefügten Anlage enthaltene offenbare, d.h. vom Finanzamt erkennbare, Unrichtigkeiten als Anlagen übernehme. Im Streitfall gehe es nicht um die Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung der Abschreibung in Gänze, sondern lediglich um einen Teilbetrag. Dieser Fehler sei keineswegs offenbar, eindeutig und augenfällig.

Entscheidungsgründe

1. Die Klage ist begründet.

Der Beklagte hat die begehrte Änderung des Einkommensteuerbescheides 2016 rechtswidrig abgelehnt und die Klägerin dadurch in ihren Rechten verletzt (§ 101 Satz 1 FGO).

Der Einkommensteuerbescheid für 2016 ist vielmehr auf Grundlage von § 129 AO zu berichtigen.

a. Nach § 129 Satz 1 AO kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die ihr beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigen.

aa. Ähnliche offenbare Unrichtigkeiten i. S. des § 129 AO sind mechanische Versehen, wie beispielsweise Eingabe- und Übertragungsfehler. Nicht erfasst sind hingegen Fehler bei der Auslegung oder Anwendung einer Rechtsnorm, eine unrichtige Tatsachenwürdigung, die unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts oder Fehler, die auf mangelnder Sachaufklärung bzw. der Nichtbeachtung feststehender Tatsachen beruhen.

Nach § 129 AO zu berichtigende Fehler müssen auf einem "Versehen" beruhen; hingegen dürfen sie nicht auf die unzulängliche Erfassung oder rechtliche Würdigung eines Sachverhalts zurückzuführen sein (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 8. Dezember 2011 VI R 45/10, BFH/NV 2012, 694). Dagegen schließen Fehler bei der Auslegung oder Anwendung einer Rechtsnorm, eine unrichtige Tatsachenwürdigung oder die unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts eine offenbare Unrichtigkeit aus. § 129 AO ist nicht anwendbar, wenn auch nur die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass die Nichtbeachtung einer feststehenden Tatsache in einer fehlerhaften Tatsachenwürdigung oder einem sonstigen sachverhaltsbezogenen Denk- oder Überlegungsfehler begründet ist oder auf mangelnder Sachverhaltsaufklärung beruht (vgl. dazu insgesamt BFH-Urteil vom 17. Mai 2017 X R 45/16, BFH/NV 2018, 10 [BFH 09.05.2017 - VIII R 51/14]). Deuten die Gesamtumstände des Falles auf ein mechanisches Versehen hin und liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Fehler auf rechtliche oder tatsächliche Erwägungen zurückzuführen ist, so kann berichtigt werden (vgl. BFH-Urteile vom 22. Mai 2019 XI R 9/18, BFHE 264, 393, BStBl II 2020, 37 und vom 16. Januar 2018 VI R 41/16, BFHE 260, 397, BStBl II 2018, 378; BFH-Beschluss vom 15. Oktober 2018 VIII B 79/18, BFH/NV 2019, 102).

Ob ein mechanisches Versehen oder ein die Berichtigung nach § 129 AO ausschließender Tatsachen- oder Rechtsirrtum vorliegt, muss nach den Verhältnissen des Einzelfalls und dabei insbesondere nach der Aktenlage beurteilt werden. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um eine Tatfrage, die der revisionsgerichtlichen Prüfung nur in eingeschränktem Umfang unterworfen ist (vgl. BFH-Urteile vom 3. August 2016 X R 20/15, BFH/NV 2017, 438, und vom 26. Oktober 2016 X R 1/14, BFH/NV 2017, 257, jeweils unter II.1.a, m. w. N.).

bb. Ein Fehler ist dann "offenbar" i. S. des § 129 AO, wenn er auf der Hand liegt, durchschaubar, eindeutig oder augenfällig ist. Maßgebend ist, ob der Fehler bei Offenlegung des Sachverhalts für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und deutlich als offenbare Unrichtigkeit erkennbar ist (BFH-Urteil vom 8. Dezember 2011 VI R 45/10, BFH/NV 2012, 694 m. w. N.).

cc. Die Berichtigungsmöglichkeit nach § 129 AO setzt grundsätzlich voraus, dass die offenbare Unrichtigkeit in der Sphäre der den Verwaltungsakt erlassenden Finanzbehörde entstanden ist (vgl. BFH-Urteil vom 16. September 2015 IX R 37/14, BFHE 250, 332, BStBl II 2015, 1040). Da die Unrichtigkeit aber nicht aus dem Bescheid selbst erkennbar sein muss, ist die Vorschrift auch dann anwendbar, wenn das Finanzamt offenbar fehlerhafte Angaben des Steuerpflichtigen als eigene übernimmt (vgl. BFH-Urteil vom 3. Mai 2017 X R 4/16, BFH/NV 2017, 1415, Rz. 13, m. w. N.). Eine Berichtigung nach § 129 AO kommt im Fall eines Übernahmefehlers aber nur dann in Betracht, wenn die Fehlerhaftigkeit der Angaben für das Finanzamt als offenbare Unrichtigkeit erkennbar war (BFH-Urteil vom 3. Juni 1987 X R 61/81, BFH/NV 1988, 342).

dd. Liegt eine offenbare Unrichtigkeit vor, ist die Berichtigungsmöglichkeit nach § 129 Satz 1 AO nicht von Verschuldensfragen abhängig, weshalb die oberflächliche Behandlung eines Steuerfalls grundsätzlich eine Berichtigung nach dieser Vorschrift nicht hindert (vgl. BFH-Urteile vom 26. Juli 1979 V R 108/76 BFHE 128, 334, BStBl II 1980, 18; vom 28. November 1985 IV R 178/83, BFHE 145, 226, BStBl II 1986, 293; vom 10. September 1987 V R 69/84, BFHE 150, 509, BStBl II 1987, 834; vom 4. November 1992 XI R 40/91, BFH/NV 1993, 509; vom 11. Juli 2007 XI R 17/05, BFH/NV 2007, 1810; vom 21. Januar 2010 III R 22/08, BFH/NV 2010, 1410; vom 7. November 2013 IV R 13/11, BFH/NV 2014, 657 und vom 16. Januar 2018 VI R 38/16, BFH/NV 2018, 513).

ee. Diese Grundsätze gelten auch bei der Einreichung elektronischer Steuererklärungen. Der BFH hat bereits mehrfach Fälle mit elektronischen Steuererklärungen entschieden und dabei die oben dargestellten Grundsätze der bisherigen Rechtsprechung angewendet (vgl. BFH-Urteile vom 3. August 2016 X R 20/15, BFH/NV 2017, 438; vom 3. Mai 2017 X R 4/16, BFH/NV 2017, 1415; vom 17. Mai 2017 X R 45/16, BFH/NV 2018, 10 [BFH 09.05.2017 - VIII R 51/14]; vom 16. Januar 2018 VI R 41/16, BFHE 260, 397, BStBl II 2018, 378 und vom 22. Mai 2019 XI R 9/18, BFHE 264, 393, BStBl II 2020, 37).

b. Auf Grundlage dieser Rechtsprechungsgrundsätze, denen das Gericht folgt, sind die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 129 AO im Streitfall gegeben.

Im Streitfall hat der Beklagte die offenbar fehlerhaften Angaben der Klägerin betreffend die Kürzung der AfA für ihre Vermietungsobjekte L, F-Str. 29 und 31, als eigene übernommen. Die Fehlerhaftigkeit der Angaben war dabei für das beklagte Finanzamt auch als offenbare Unrichtigkeit erkennbar.

So war nach Aktenlage aus dem Vergleich der Anlagen V aus dem Vorjahr 2015 mit dem Streitjahr und den in den hierzu selbstgefertigten Angaben mit weitergehenden Erläuterungen unzweifelhaft ersichtlich, dass die bis zum VZ 2015 erfolgte Kürzung der gesamten Werbungskosten um 69,87% bzw. 70,34% allein auf dem Umstand beruhte, dass die Klägerin jeweils eine Wohnung in den streitbefangenen Objekten unentgeltlich an die Töchter überlassen hatte. Sämtliche Werbungskosten wurden zutreffender Weise im Verhältnis der Wohnflächen gekürzt.

Für das Streitjahr war für das beklagte Finanzamt zudem eindeutig erkennbar, dass sich an diesem Sachverhalt lediglich der Umstand verändert hat, dass die zuvor unentgeltlich überlassenen Wohnungen nunmehr entgeltlich an die Töchter überlassen werden.

Angesichts dieser Sachlage ist entgegen der Auffassung des Beklagten nicht denkbar, dass die Kürzung lediglich der AfA-Beträge in unveränderter Höhe gegenüber dem Vorjahr - für alle weiteren Werbungskosten wurden die Kürzungen jeweils gelöscht - auf rechtlichen Erwägungen wie etwa der Werbungskostenkürzung bei verbilligter Überlassung an Angehörige gemäß § 21 Abs. 2 EStG beruhte. Die Möglichkeit einer solchen rechtlichen Erwägung ist zum einen nur denkbar, wenn sämtliche Werbungskosten - und nicht nur die AfA - gekürzt worden wären. Zu anderen käme jedoch selbst bei einer verbilligten Vermietung eine vollständige Kürzung der AfA - wie in den Vorjahren - unter keinem denkbaren Gesichtspunkt in Betracht.

Ebenso wenig besteht nach Überzeugung des Gerichts die auch nur entfernte Möglichkeit, dass die fortbestehende Kürzung allein der AfA-Beträge auf einem sachverhaltsbezogenen Denk- und Überlegungsfehler beruhte. Hierfür bestehen nicht die geringsten Anhaltspunkte.

Im Streitfall deuten die Gesamtumstände - insbesondere die Aktenlage - im Ergebnis vielmehr auf ein rein mechanisches Versehen im Sinne eines irrtümlichen Unterlassens der Löschung der Kürzungsanteile auch für die AfA-Beträge hin; ein Rechts- oder Tatsachenirrtum kann ausgeschlossen werden. Dieses Versehen und die daraus resultierenden fehlerhaften Angaben hat der Beklagte als eigene übernommen. Diese fehlerhaften Angaben zur Kürzung der AfA-Beträge sind auch bei Offenlegung des Sachverhalts für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und deutlich als offenbare Unrichtigkeit erkennbar.

Danach hatte die Klage in vollem Umfang Erfolg.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 3 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.