Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 21.08.2020, Az.: 3 K 208/18

Hinzuschätzungen aufgrund einer Außenprüfung

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
21.08.2020
Aktenzeichen
3 K 208/18
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2020, 69768
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
BFH - 06.05.2024 - AZ: III R 14/22

Fundstellen

  • BBK 2022, 694
  • DStRE 2022, 1404

Tatbestand

Streitig sind Hinzuschätzungen aufgrund einer Außenprüfung.

Der Kläger ist verheiratet wird mit der Klägerin zusammenveranlagt. Der Kläger führt seit dem 1. Juni 1993 als Einzelunternehmer einen Einkaufsladen im Ortskern von A, das sogenannte "... A". Das Warensortiment umfasst vorwiegend Bau- und Heimwerkerbedarf, ebenso Dekoartikel, Schreibwaren, Zeitungen, Lotterielose, Tabak sowie diverse andere Haushaltswaren. Außerdem kauft und verkauft bzw. vermittelt der Kläger Edelmetall.

Zudem bietet der Kläger verschiedene Dienstleistungen an. Seinen Gewinn ermittelt der Kläger durch Einnahmenüberschussrechnung gem. § 4 Abs. 3 EStG.

Der Kläger verwendet eine elektronische Kasse des Modells Olympia CM 942, die auf den täglich ausgedruckten Z-Bons insgesamt 5 Warengruppen (Verkauf 19%, Verkauf 7%, Versandhandel, Wäscherei, Lotto) ausweist. Eine weitere Aufgliederung oder Aufzeichnung der Umsätze nach den einzelnen Waren und Dienstleistungen nimmt der Kläger nicht vor. Auf den Z-Bons hat der Kläger gelegentlich handschriftliche Korrekturen vorgenommen.

Außerdem führt der Kläger tägliche Kassenberichte, die wie folgt aufgebaut sind:

+ Erlöse (soll) laut Bon

- abzüglich EC-Umsatz

- abzüglich Auszahlung

+ zuzüglich Einzahlungen

= Kassenbestand (Soll)

Der Kassenbestand am Ende des Tages wird nahezu ausschließlich mit 0,- € angegeben; der Kläger erläutert insoweit, dass er den gesamten Kassenbestand mit nach Hause nehme. Die Wechselgeldeinlage bei Geschäftseröffnung wird in der Kategorie "+ zuzüglich Einzahlungen" erfasst; für einige Tage der Streitjahre beläuft sich die Eintragung auf 0,- €. Überwiegend entsprechen die Eintragungen im Kassenbericht den Zahlenwerten auf den Z-Bons. Soweit der Kläger handschriftliche Korrekturen auf den Z-Bons vorgenommen hat, entsprechen die Eintragungen im Kassenbericht teils den korrigierten Zahlen auf den Z-Bons (z.B. 12. August 2015, Bl. 143 BP-Arbeitsakte: Korrektur der EC-Umsätze auf dem Z-Bon von 260,64 € auf 254,64 €; Eintragung EC-Umsätze laut Kassenbericht 254,64 €), teils werden die Korrekturen nicht in den Kassenbericht übernommen (z.B. 21. August 2015 Bl. 188R BP-Arbeitsakte: Erhöhung der EC-Umsätze um 28,55 € auf dem Z-Bon und entsprechende Kürzung der Auszahlung; in den Kassenbericht wird der nicht korrigierte Auszahlungsbetrag übernommen).

Für den 24. April 2015 ergibt sich ein Kassenendbestand von 136,44 €. Für den Folgetag, den 25. April 2015 wird dieser nicht als Einzahlung notiert. Außerdem entsprechen die Erlöse und die Auszahlung laut Kassenbericht den auf dem Z-Bon ausgewiesenen Beträgen (Bl. 194 BP-Arbeitsakte).

Der Beklagte veranlagte die Kläger (Einkommensteuer) bzw. den Kläger (Gewerbesteuer) mit Einkommensteuer- und Gewerbesteuermessbescheiden 2013 vom 17. April 2015, 2014 vom 14. März 2016 und 2015 vom 4. Oktober 2016 jeweils erklärungsgemäß zur Einkommensteuer. Der Einkommensteuer- und Gewerbesteuermessbescheid 2015 ergingen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung; die Einkommensteuer- und Gewerbesteuermessbescheide 2013 und 2014 ergingen endgültig. Die Umsatzsteuererklärungen 2013-2010 verarbeitete der Beklagte ohne Abweichung, so dass sie nach § 168 AO einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichstanden.

In der Zeit vom 14. März 2017 bis zum 30. Juni 2017 fand beim Kläger eine Außenprüfung statt. Der Prüfer kam zu dem Ergebnis, dass der Kläger seinen Aufzeichnungspflichten nach § 22 UStG nicht hinreichend nachgekommen wäre, weil er nicht sämtliche Geschäftsvorfälle nach der zeitlichen Reihenfolge und mit ihrem richtigen und erkennbaren Inhalt festgehalten habe. Zudem sei nicht erkennbar, ob der Kläger Umsätze zu verschiedenen Steuersätzen zutreffend getrennt habe. Da nicht feststellbar sei, welche Artikel wann zu welchem Preis verkauft worden seien, könne auch nicht überprüft werden, ob auf die Umsätze der zutreffende Steuersatz angewandt worden sei. Zwar sei der Kläger als 4/3-Rechner grundsätzlich nicht zum Führen eines Kassenbuchs verpflichtet. Werde aber freiwillig ein Kassenbuch geführt, so müsse dieses in vollem Umfang den gesetzlichen Anforderungen genügen. Das für die Jahre 2013/2014 in Form einer Excel-Tabelle erstellte Kassenbuch sei nicht gegen nachträgliche Änderungen geschützt und entspreche somit nicht den Ordnungsvorschriften für die Buchführung und für Aufzeichnungen. Seit dem Jahre 2015 werde für jeden Kalendertag eine Kassenübersicht erstellt, in der die täglichen Einnahmen, Ausgaben, Einlagen und Entnahmen festgehalten würden. Den Aufzeichnungen sei zu entnehmen, dass täglich der gesamte Kassenbestand bei Geschäftsschluss entnommen werde. An einigen Tagen seien keine Einlagen in die Kasse aufgezeichnet worden. Dies würde bedeuten, dass das Geschäft an diesen Tagen ohne Wechselgeld geöffnet worden sei. Dies lege den Schluss nahe, dass die Kassenaufzeichnungen nicht die tatsächlichen Kassenabläufe bzw. den tatsächlichen Ist-Bestand widerspiegelten.

Da die Kassenbücher für 2013 und 2014 änderbar gewesen seien, könne im Nachhinein die Kassensturzfähigkeit nicht festgestellt werden. Ein Kassensturz während der Außenprüfung am 1. Juni 2017 habe eine Kassendifferenz in Höhe von 45,- € zwischen dem Soll- und Istbestand ergeben und habe nicht aufgeklärt werden können. Schließlich seien auf verschiedenen Tagesendsummenbons (Z-Bons) handschriftlich Korrekturen angebracht worden. Es handele sich um Geschäftsvorfälle, die nicht mit der Registrierkasse aufgezeichnet, sondern händisch auf dem Z-Bon nachgetragen worden seien. Da keine Eigenbelege existierten, seien die Geschäftsvorfälle nicht nachvollziehbar. Im Jahre 2013 seien von 18 Korrekturen 7 nicht belegt, in 2014 von 63 Korrekturen 49 nicht belegt und in 2015 von 16 Korrekturen 12 nicht belegt.

Der Prüfer hat eine Geldverkehrsrechnung erstellt, die in ihrer ersten Version insbesondere für das Jahr 2013 einen nicht unerheblichen Einnahmefehlbetrag ergab (Bl. 51ff BP-Arbeitsakte). Nachdem die Kläger verschiedene Geldzuflüsse nachgewiesen haben, ging der Prüfer davon aus, dass die Einnahmefehlbeträge aufgeklärt seien (Bl. 282 BP-Arbeitsakte).

Neben anderen unstreitigen Feststellungen vertrat der Prüfer die Auffassung, dass wegen erheblicher Kassenführungsmängeln eine Hinzuschätzung durch Sicherheitszuschlag in Höhe von 10 % der Barerlöse zu erfolgen habe. Insofern sei ein Sicherheitszuschlag in Höhe von netto 10.826,77 € (2013),13.829,07 € (2014) und 13.443,34 € (2015) in Ansatz zu bringen.

Der Prüfer hat zur Untermauerung seiner Hinzuschätzung eine Richtsatzschätzung vorgenommen. Zu diesem Zweck hat er den Wareneingang und die Erlöse um die Warengruppen Zeitungen, Tabakwaren, Lotto-Toto, Edelmetall und Herrnhuter Sterne bereinigt und für das Jahr 2014 einen Rohgewinnaufschlagssatz von 23,15 % ermittelt (Bl. 226 BP-Arbeitsakte). Unter Einbeziehung des Sicherheitszuschlages errechne sich ein Aufschlagsatz von 28,44 %. Dieser liege nunmehr am unteren Rande der Spanne der Aufschlagssätze laut Richtsatzsammlung für die Branche "Bau- und Heimwerkerbedarf, Anstrichmittel; Einzelhandel", die für die Jahre 2011-2014 von 26-62% reiche.

Mit Einkommensteuer- und Gewerbesteuermessbescheiden 2013-2015, jeweils vom 26. Juli 2017, machte sich der Beklagte die Feststellungen der Außenprüfung zu eigen. Die Änderung der Einkommensteuer- und Gewerbesteuermessbescheide 2013 und 2014 stützte der Beklagte auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO, die Änderung der Einkommensteuer- und Gewerbesteuermessbescheide 2015 auf § 164 Abs. 2 AO. Die Änderung der Umsatzsteuerbescheide 2013-2015 mit Datum jeweils vom 26. Juli 2017 erfolgte nach § 164 Abs. 2 AO.

Die gegen die Änderungsbescheide gerichteten Einsprüche blieben ohne Erfolg.

Im KIageverfahren vertreten die Kläger die Auffassung, dass die Erhöhung der Erlöse um einen Unsicherheitszuschlag in Höhe von 10% der Barerlöse nicht gerechtfertigt sei. Die Kläger weisen zunächst darauf hin, dass der Kläger als Einnahme-Überschussrechner nicht verpflichtet sei, ein Kassenbuch zu führen und ein solches auch nicht freiwillig führe. Den Kläger würden lediglich die Aufzeichnungspflichten nach § 22 UStG treffen. Gegen diese Pflichten habe er nicht verstoßen. Insofern seien Geschäftsvorfälle, die keinen Einfluss auf die Höhe der festzusetzenden Umsatzsteuer hätten, von der Aufzeichnungspflicht nicht betroffen. Soweit Z-Bons nachträglich korrigiert worden seien, würden diese Geschäftsvorfälle nur zum geringeren Teil steuerpflichtige Umsätze betreffen.

Dem Kläger sei eine Einzelaufzeichnung seiner Geschäftsvorfälle nicht zumutbar. Zu Unrecht unterstelle der Beklagte, dass der Kläger nur ca. 5-6 Kunden pro Stunde habe. Der Kläger habe zur Erfassung der Kundenfrequenz eine Einrichtung installiert, die die Zahl der Türöffnungen zähle. Diese ergebe, dass an einem Tag mit 6-stündiger Öffnungszeit ca. 120 Punkten im Laden betreten würden, woraus ca. 90 Geschäftsvorfälle entstehen würden. Mit Kunden, die den Kauf von Baumaterialien beabsichtigen und solchen, die eine Bestellung über den Versandhandel tätigen wollten, würden teilweise intensive Beratungsgespräche geführt. Insofern könne keine Rede davon sein, dass der Kläger für jeden Kunden ca. 10 Minuten zur Verfügung habe.

Der Beklagte berufe sich, wenn er die Führung eines Kassenbuches auf der Basis von Excel als unzureichend betrachte, auf ein Urteil, welches dem Streitfall nicht vergleichbar sei. Denn der Kläger verfüge mit dem Z-Bons über Grundaufzeichnungen, die in die Excel Tabelle übernommen würden. Ein Abgleich auf unzulässige Änderungen sei insofern jederzeit möglich. Der Kläger weist darauf hin, dass er als Überschussrechner nicht zur Führung eines Kassenbuches verpflichtet sei.

Es sei unzutreffend, dass die handschriftlichen Korrekturen an den Z-Bons gegen eine zeitnah gewissenhafte Erfassung der Geschäftsvorfälle sprechen würden. Gerade die irrtümliche Eingabe eines Umsatzes über die Bartaste statt über die EC-Taste falle bei einer zeitnah gewissenhaften Prüfung erst am Tagesende beim Abgleich des Soll-Kassenbestandes mit dem Bargeld und den EC-Belegen auf. Diese Differenz könne nicht mehr in der Kasse korrigiert werden, da der Z-Bon bereits ausgedruckt sei.

Nicht richtig sei es, dass die Einnahmen aus dem Verkauf der Lottospielscheine nicht als im fremden Namen vereinnahmte Entgelte erfasst worden seien. Vielmehr würden die Umsätze ergebnisneutral in einem separaten Kassenspeicher erfasst. Die Auszahlung erfolge über denselben Kassenspeicher als Retoure. Dass es sich um Fremdgelder handele, ergebe sich für den Kunden aus seiner Quittung.

Die Aussagen des Prüfers zum Bereich Edelmetallankauf seien nur bedingt zutreffend. Richtig sei, dass der Edelmetallankauf im Jahre 2013 auf Provisionsbasis erfolgt sei. In den folgenden Jahren sei das Edelmetall an verschiedene Ankäufer nach Möglichkeit und Tagespreis verkauft worden. Der Ankauf sei nicht über die Geschäftskasse erfolgt, weshalb die Zahlungsflüsse auch nicht in der Registrierkasse erfasst worden seien. Nach dem Weiterverkauf seien von dem erzielten Gesamterlös die Ausgaben für den Ankauf in Abzug gebracht worden.

Der Kläger nehme sein Bargeld am Abend mit nach Hause. Es erschließe sich nicht, inwieweit dies nicht glaubhaft sein solle. Es sei zutreffend, dass im Prüfungszeitraum an einigen Tagen, insgesamt 7 Mal, am Tagesbeginn kein Wechselgeld eingelegt worden sei. Daraus folge jedoch keine mangelhafte Kassenführung. Vom Grundsatz her sei die Wechselgeld-Zuführung des Einnahme-Überschussrechners nicht aufzeichnungspflichtig. Sie müsse allerdings festgehalten werden, damit die Kassensturzfähigkeit gegeben ist. Bei Ladenöffnung werde grundsätzlich am Vortag abgezählt Wechselgeld wieder die Kasse eingezahlt. Hin und wieder sei es vorgekommen, dass frühmorgens die ersten Kunden Zigaretten und Zeitungen mit abgezählten Geld bezahlt hätten oder dass der Kläger abends nach Ladenschluss bestellte Ware ausliefere und der beim Kunden kassierte Rechnungsbetrag am nächsten Morgen in der Kasse vereinnahmt worden sei. Zusätzliches Wechselgeld sei in diesen Fällen nicht erforderlich.

Soweit der Beklagte behauptet, dass der Kassensturz während der Betriebsprüfung zu einer Abweichung zwischen Soll- und Istbestand in Höhe von 45 € geführt habe, sei darauf hinzuweisen, dass der Istbestand lediglich um 14,35 € niedriger gewesen sei als der Sollbestand. Es habe deshalb keine nennenswerte Differenz vorgelegen. In der Betriebsprüferkartei heiße es, dass eine Kassenführung, die Kassenfehlbeträge ausweise, dann noch als ordnungsgemäß angesehen werden könne, wenn sich die Minusbestände auf ein geringes Maß beschränkten.

Unzutreffend nehme der Beklagte an, dass nicht überprüft werden könne, ob der jeweils richtige Steuersatz der Umsatzsteuer Anwendung finde. In der Einspruchsentscheidung heiße es, dass die Umsätze zu 7 % größtenteils (zu 92 %) aus dem Zeitungsverkauf stammten und deshalb der Höhe nach nachvollzogen werden könnten. Die Herkunft der restlichen 8% könne an Hand des Wareneingangskontos ersehen werden.

Es sei deshalb zu keiner Umsatzsteuerverkürzung durch Verbuchung von Umsätzen mit einem niedrigeren Steuersatz gekommen. Anhaltspunkte dafür, dass Einnahmen nicht erklärt wurden, seien nicht vorhanden.

Die griffweise Schätzung von zusätzlichen Erlösen in Höhe von 10 % der gesamten Barerlöse entspreche nicht den Vorgaben des BFH. Eine Schätzung müsse schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig sein. Bar vereinnahmt würden aber auch Einnahmen aus dem Verkauf von Zeitschriften, die dem Steuersatz von 7 % unterliegen. Ebenfalls sei der Goldankauf in die Schätzungsbasis einbezogen worden. Es sei von daher nicht schlüssig, dass die Hinzuschätzung ausschließlich dem Regelsteuersatz von 19 % unterworfen werde.

Wenn sich der Beklagte auf Rohgewinnsaufschlagsätze angeblich vergleichbarer Betriebe für Bau- und Heimwerkerbedarf im Einzelhandel berufe, sei dem entgegenzuhalten, dass diese nur einen Teilbereich des Warensortiments des Klägers führten. Der Kläger führe selbst Kleinmengen aus dem Baumarkt und könne folglich nicht den entsprechenden Rohgewinn erzielen, da dies wirtschaftlich nicht möglich sein. Zudem führe er weitere Artikel, die nicht zum Sortiment eines Baumarktes zählen würden.

Die Kläger beantragen,

unter Abänderung der Einkommen-, Umsatzsteuer- und Gewerbesteuermessbescheide 2013-2015, jeweils vom 26. Juli 2017 und der Einspruchsentscheidung vom 18. Juli 2018 den Gewinn aus Gewerbebetrieb (Einkommen- und Gewerbesteuer) bzw. die Umsätze zum Regelsteuersatz (Umsatzsteuer) um netto 10.826,77 € (2013), 13.829,07 € (2014) und 13.443,34 € (2015) zu mindern und die Einkommen- und Umsatzsteuer sowie den Gewerbesteuermessbetrag entsprechend herabzusetzen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hält an den Feststellungen der Außenprüfung fest. Es seien keine hinreichenden Aufzeichnungen über die Geschäftsvorfälle geführt worden. Mit der im Betrieb vorhandenen elektronischen Registrierkasse seien lediglich 5 Warengruppen angesprochen worden. Eine weitere Untergliederung nach Warengruppen/Sortiment sei nicht erfolgt, obwohl die vom Kläger verwendete elektronische Registrierkasse die Vergabe von bis zu 99 Warengruppen sowie die Festpreisspeicherung für über 4500 Artikel ermögliche. Bezüglich der weiteren angebotenen Dienstleistungen wie Batteriewechsel für Uhren, Schuhreparaturen, Änderungsschneiderei sei keine Erlösbuchung erkennbar. Die Einnahmen aus dem Verkauf von Lottospielscheinen sei nicht als in fremden Namen vereinbarte Entgelte erfasst worden. Die Gewinnauszahlungen minderten vielmehr als Stornobuchungen Erlöse aus den Losverkäufen. Die Goldkäufe seien nach den Feststellungen der Außenprüfung nicht mittels Registrierkasse erfasst worden. In der Kassenschublade sei ein Notizzettel aufbewahrt worden, auf dem die Beträge vermerkt worden seien, die aus der Ladenkasse entnommen worden seien um angekauftes Gold zu bezahlen. Die zusammengerechneten Beträge seien dann beim Kassenschluss wieder in die Kasse eingelegt wurde. Ferner seien Einzahlungen von "Provisionen" der Goldankäufer im Kassenbuch als Erlös aufgezeichnet worden. Nach den Feststellungen der Außenprüfung handelt sich jedoch um Einlagen. Die Verbuchung sei auch nicht als Barerlös erfolgt.

Der Beklagte hält ältere BFH-Urteile zur Einzelaufzeichnungspflicht aufgrund technischen Wandels für nicht mehr uneingeschränkt anwendbar. Grundsätzlich sei jeder Geschäftsvorfall gesondert aufzuzeichnen. Zu erfassen seien Inhalt des Geschäfts, Name, Firma und Adresse des Vertragspartners. Dem Grundsatz nach gelte das auch für Bareinnahmen. Der Umstand der sofortigen Bezahlung der Leistung rechtfertige es nicht, die jeweiligen Geschäftsvorfälle nicht auch einzeln aufzuzeichnen. Die Frage nach der Zumutbarkeit stellte sich bei Verwendung eines elektronischen Aufzeichnungssystems nicht mehr. Im Falle der Verwendung einer elektronischen Registrierkasse sei die mit ihr bewirkte Einzelaufzeichnungen grundsätzlich auch zumutbar. Bei den mithilfe einer elektronischen Registrierkasse einzeln aufgezeichneten Bareinnahmen handele es sich um Grundaufzeichnungen im Sinne des § 147 Abs. 1 Nummer 1 AO und nicht um freiwillige Aufzeichnungen. Insbesondere könne die Pflicht zur Einzelaufzeichnung nicht entfallen, wenn, wie im Streitfall, Umsätze zu verschiedenen Steuersätzen ausgeführt würden und keine Genehmigung zur erleichterten Trennung der Entgelte im Sinne des § 63 Abs. 4 UStDV vorliege. Die fehlende Nachvollziehbarkeit der getrennten Erfassung der Entgelte stelle einen erheblichen Mangel der Kassenführung dar. Es sei nicht überprüfbar, ob für den jeweiligen Umsatz der richtige Umsatzsteuersatz angewendet worden sei.

Der Beklagte hält den Vortrag, dass das Ladengeschäft hin und wieder ohne Wechselgeldbestand geöffnet worden sei, für nicht glaubhaft. Dass die ersten Kunden des Tages stets passend bezahlen, widerspreche der allgemeinen Lebenserfahrung.

Der Beklagte meint, dass die Richtsatzsammlung für die Branche "Bau- und Heimwerkerbedarf, Anstrichmittel, Einzelhandel" bei einem wirtschaftlichen Umsatz bis 600.000 € einen durchschnittlichen Rohgewinn von 46 % und eine Spanne von 29 % - 64 % vorsehe. Für die Branche "Haushaltsgegenstände, Einzelhandel" betrage der durchschnittliche Rohgewinnsatz ebenfalls 46 % bei einer Spanne von 33 % bis 62 %. Die Rohgewinnsätze beider Branchen seien damit nahezu identisch.

Der Beklagte meint, dass er zur Änderung der Einkommensteuerbescheide 2013 und 2014 befugt sei, weil ihm im Rahmen der Erklärungsverarbeitung die tatsächliche Kassenführung nicht bekannt gewesen sei. Die Ordnungsmäßigkeit der Kassenführung sei eine Hilfstatsache, die einen Schluss auf die Haupttatsache - den wirtschaftlichen Umsatz - zulasse.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist teilweise begründet.

1. Einkommensteuerbescheide 2013, 2014, Gewerbesteuermessbescheide 2013, 2014

Die Klage ist hinsichtlich dieser Bescheide vollumfänglich begründet, weil der Beklagte das Vorliegen einer Änderungsnorm nicht dargetan hat.

Der Beklagte hat die Kläger mit Einkommensteuer- und Gewerbesteuermessbescheiden 2013 vom 17. April 2015 sowie Einkommensteuer- und Gewerbesteuermessbescheiden 2014 vom 14. März 2016 jeweils endgültig zur Einkommensteuer und Gewerbesteuer endgültig. Eine Änderung der Bescheide wäre infolgedessen nur möglich, wenn die Voraussetzungen einer verfahrensrechtlichen Änderungsvorschrift vorliegen würden. Das ist hier allerdings nicht der Fall; insbesondere können die Bescheide nicht nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO - eine andere Änderungsnorm ist ersichtlich nicht einschlägig - geändert werden.

Gem. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Tatsachen im Sinne dieser Vorschrift sind alle Sachverhaltsbestandteile, die Merkmal oder Teilstück des gesetzlichen Steuertatbestandes sein können, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art (BFH Urteil vom 25. Januar 2006 II R 61/04, BFH/NV 2006, 1059). Tatsachen sind die Merkmale, die den steuerlichen Tatbestand ausfüllen, weil sie unter den Tatbestand subsumiert die steuerliche Folge ergeben (BFH Urteil vom 11. Februar 2009 X R 56/06, BFH/NV 2009, 1411). Auch Hilfstatsachen, die einen Schluss auf das Vorliegen einer Haupttatsache, die Element des gesetzlichen Tatbestandes ist, können die Änderungsbefugnis der Finanzbehörde eröffnen. Hilfstatsachen dürfen allerdings nur dann herangezogen werden, wenn sie einen sicheren Schluss auf das Vorliegen der Haupttatsache zulassen; bloße Vermutungen oder Wahrscheinlichkeiten reichen hierfür nicht aus (BFH Urteil vom 6. Dezember 1994 IX R 11/91, BStBl. II 1995, 192; BFH Beschluss vom 19. Oktober 2011 X R 29/10, BFH/NV 2012, 227). Aus dem "soweit"-Satz folgt weiterhin, dass eine Änderung der Besteuerungsgrundlagen nur in dem Umfang zulässig ist, in dem die nachträglich bekannt gewordene Tatsache ursächlich für eine höhere Steuerfestsetzung ist. Die Feststellungslast für die tatsächlichen Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO trägt die Finanzbehörde (BFH Urteil vom 6. Dezember 1994 IX R 11/91, BStBl. II 1995, 192).

Nach diesen Maßstäben kommt eine Änderung der oben genannten Bescheide nicht in Betracht. Zwar stellen die verschiedenen angeblichen formellen Mängel der Kassenführung, die der Betriebsprüfer festgestellt hat - deren steuerliche Relevanz und Rechtserheblichkeit an dieser Stelle einmal unterstellt werden soll - Hilfstatsachen dar, die dem Beklagten erst im Rahmen der Außenprüfung und damit nachträglich bekannt geworden sind. Allerdings lässt ein rein formeller Mangel der Kassenführung noch keinen sicheren Schluss darauf zu, dass der Steuerpflichtige auch tatsächlich Einnahmen verkürzt hat. Vielmehr besteht bei formellen Mängeln der Kassenführung lediglich die Möglichkeit, dass die Gewinnermittlung auch materiell unrichtig ist, was das Finanzamt bei vorhandener Änderungsbefugnis berechtigt, eine Hinzuschätzung vorzunehmen. Materielle Mängel der Gewinnermittlung in Gestalt einer unzutreffenden Behandlung oder unvollständigen Erfassung steuerlich relevanter Vorgänge hat der Betriebsprüfer demgegenüber nicht festgestellt. Ebenfalls haben die Kläger Einnahmefehlbeträge in dem Entwurf einer Geldverkehrsrechnung, an der der Prüfer sodann auch nicht mehr festgehalten hat, aufklären können. Insofern unterscheidet sich der Sachverhalt des Streitfalles grundlegend von jenem, der der Entscheidung des FG Münster vom 8. Mai 2012 1 K 602/09, EFG 2012, 1894 zugrunde lag und die der Beklagte als Beleg dafür anführt, dass bloße formelle Mängel der Kassenführung eine Änderungsbefugnis nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO begründen (das vom Beklagten ebenfalls zitierte BFH Urteil vom 15. Mai 2003 II R 25/01, BFH/NV 2003, 1395 [BFH 14.05.2003 - II R 25/01] betrifft einen Grunderwerbsteuerfall und ist vom Sachverhalt her ohnehin nicht mit dem Streitfall vergleichbar). Denn in dem Entscheidungsfall des FG Münster war die Buchführung auch materiell unrichtig, was der dortige Beklagte anhand einer Kalkulation nach Anteilen dargelegt hat. An einer solchen Kalkulation fehlt es aber im Streitfall.

Zutreffend ist allerdings der Hinweis des Beklagten darauf, dass der Prüfer zur Verprobung seiner Hinzuschätzung auch eine Richtsatzkalkulation für die Handelswaren (ohne Zeitungen und Zeitschriften, Tabakwaren, Lotto-Toto und Edelmetalle, Bl. 226 BP-Arbeitsakte) erstellt und auf diese Weise auch eine materielle Überprüfung der Betriebsergebnisse vorgenommen hat. Auch wenn die Richtsatzschätzung eine von der Rechtsprechung anerkannte Schätzungsmethode darstellt (BFH Beschluss vom 08. August 2019 X B 117/18, BFH/NV 2019, 1219), knüpft sie als äußerer Betriebsvergleich nicht an den individuellen Verhältnissen des konkreten Betriebes an. Deshalb kann im Streitfall die Richtsatzschätzung auch nicht den sicheren Nachweis erbringen, dass die Rohgewinnaufschlagssätze im Betrieb des Klägers innerhalb der Richtsatzspanne gelegen haben und dieser Betrieb folglich höhere Betriebseinnahmen als erklärt erzielt haben muss. Dies geht zum Nachteil des Beklagten, der die Feststellungslast für das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO trägt.

Hinsichtlich der übrigen - materiell auch nicht streitigen - Feststellungen der Außenprüfung sind die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO indes gegeben, weil dem Prüfer die entsprechenden Sachverhalte erst im Rahmen der Außenprüfung und damit nachträglich bekannt geworden sind. Im Übrigen wäre das Gericht nach § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO gehindert, über das Klagebegehren, welches nur die Hinzuschätzung aufgrund mangelnder Aufzeichnungen umfasste, hinauszugehen.

2. Umsatzsteuerbescheide 2013-2015, Einkommensteuerbescheid 2015, Gewerbesteuermessbescheid 2015

Die Klage wegen Umsatzsteuer 2013 und 2014 sowie Einkommensteuer, Umsatzsteuer und Gewerbesteuermessbetrag ist teilweise begründet.

a) Schätzungsbefugnis dem Grunde nach

Der Beklagte war dem Grunde nach berechtigt, eine Hinzuschätzung zu den Umsätzen vorzunehmen. Gem. § 162 Abs. 1 AO hat die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, soweit sie sie nicht ermitteln oder berechnen kann. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind. Zu schätzen ist nach § 162 Abs. 2 AO insbesondere dann, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann, wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen der Besteuerung nicht nach § 158 AO zugrunde gelegt werden oder wenn tatsächliche Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der vom Steuerpflichtigen gemachten Angaben zu steuerpflichtigen Einnahmen oder Betriebsvermögensmehrungen bestehen.

Dabei ist bei Unternehmern mit Gewinnerermittlung durch Einnahme-Überschuss-Rechnung gem. § 4 Abs. 3 EStG - wie dies beim Kläger der Fall ist - zum einen die umsatzsteuerrechtliche Verpflichtung zur Aufzeichnung der Betriebseinnahmen gemäß § 22 des Umsatzsteuergesetzes (UStG), §§ 63 bis 68 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) zu beachten, da sie auch unmittelbar für das EStG wirkt (Urteil des BFH vom 12. Dezember 2017 VIII R 5/14, BFH/NV 2018, 602). Zum anderen sind die Vorschriften über die Ordnungsmäßigkeit der Kassenführung zu beachten. Gemäß § 146 Abs. 1 AO sollen Kasseneinnahmen und Kassenausgaben "täglich" festgehalten werden. Hierdurch wird versucht, im sensiblen Bereich der Abwicklung von Vorgängen, die Bewegungen von Bargeld einschließen, besonders hohe Dokumentationspflichten einzurichten. Die Anforderungen an diese Dokumentationspflichten sind dabei an die Art und Weise der Kassenführung anzupassen. Nach der für die Streitjahre noch geltenden Gesetzeslage ist der Steuerpflichtige in der Wahl des Aufzeichnungsmittels frei und kann entscheiden, ob er seine Warenverkäufe manuell oder unter Zuhilfenahme technischer Hilfsmittel - wie einer elektronischen Registrier- oder PC-Kasse - erfasst. Dabei bestimmt die Kasseneigenschaft die Art der Aufzeichnung (BFH Beschluss vom 8. August 2019 X B 117/18, BFH/NV 2019, 1219).

Der BFH hat in seinem Beschluss vom 12. Juli 2017 X B 16/17, BFH/NV 2017, 1204 unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des Nds. Finanzgerichts die Möglichkeiten für eine ordnungsmäßige Aufzeichnung von Bareinnahmen in Fällen der Einnahmen-Überschuss-Rechnung bei Sachverhalten, in denen die Führung von Einzelaufzeichnungen nach den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen nicht ohnehin als zwingend anzusehen ist, aufgezeigt. Danach kommen folgende Alternativen für die Kassenführung in Betracht:

(1) eine geordnete Belegablage mit Einzelaufzeichnungen der Erlöse

(2) Verzicht sowohl auf Einzelaufzeichnungen als auch auf ein tägliches Auszählen des Kassenbestands, aber Aufbewahrung der Ursprungsaufzeichnungen und Abgleich von Soll- und Ist-Bestand der Kasse "in gewissen Abständen" (insbesondere bei der Nutzung von Registrierkassen)

(3) Verzicht sowohl auf Einzelaufzeichnungen als auch auf die Aufbewahrung von Ursprungsbelegen, aber tägliches tatsächliches Auszählen der Kasse, das in fortlaufenden Kassenberichten dokumentiert wird

Demgegenüber soll das bloße Aufschreiben des täglichen (Gesamt-)Umsatzes ohne Aufbewahrung weiterer Belege den Anforderungen nicht genügen.

Werden die Bareinnahmen mit einer elektronischen Registrierkasse erfasst und fehlen Z-Bons oder werden fehlen im Fall des Auszählens einer offenen Ladenkasse die täglichen Protokolle, so liegt ein formeller Mangel der Kassenführung vor. Dieser formelle Mangel lässt zwar keinen sicheren Schluss auf die Verkürzung von Einnahmen zu. Gleichwohl gibt es systembedingt keine Gewähr mehr für die Vollständigkeit der Erfassung der Bareinnahmen, ohne dass eine nachträgliche Ergänzung der Dokumentation bzw. eine anderweitige Heilung des Mangels möglich wäre (BFH Urteil vom 25. März 2015 X R 20/13, BStBl. II 2015, 743).

Im Streitfall ergibt sich allerdings entgegen der Rechtsmeinung des Beklagten noch keine Schätzungsbefugnis daraus, dass der Kläger keine Einzelaufzeichnungen über seine Geschäftsvorfälle geführt hat. Nach § 146 Abs. 1 Satz 1 AO in der für die Streitjahre geltenden Gesetzesfassung bestand noch keine Einzelaufzeichnungspflicht; diese ist erst durch die Änderungen durch das Gesetz vom 22. Dezember 2016, BGBl I 2016, 3152 begründet worden. Dass § 146 Abs. 1 Satz 1 AO auch nicht im Lichte "technischer Neuerungen" dahingehend auszulegen ist, dass bereits vor der Gesetzesänderung eine allgemeine Einzelaufzeichnungspflicht besteht, ergibt sich aus dem BFH Beschluss vom 12. Juli 2017 X B 16/17, BFH/NV 2017, 1204, dem die gleiche Gesetzeslage wie im Streitfall zugrundliegt, der zeitlich nach Streitjahren datiert, weiterhin das BFH Urteil vom 12. Mai 1966 IV 472/60, BStBl. III 1966, 371 über die Erleichterungen bei Einzelhandelsunternehmen mit offenen Ladenkassen zitiert und keinerlei Andeutung dahingehend enthält, dass der BFH vor Inkrafttreten der Gesetzesänderung seine bisherige Rechtsprechung zu ändern beabsichtigt. Ebenfalls verkennt der Beklagte, dass gem. § 146 Abs. 6 AO die Ordnungsvorschriften über die Buchführung für Unternehmer, die freiwillig Bücher führen, nur dann anzuwenden sind, wenn der Steuerpflichtige seinen Gewinn tatsächlich nach § 4 Abs. 1 EStG ermittelt (Klein, Kommentar zur AO, § 146 Rn. 112), nicht aber schon dann, wenn der Steuerpflichtige freiwillig nur einzelne Verpflichtungen, die im Rahmen einer Buchführungspflicht bestehen, übernimmt. Eine Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich hat der Kläger aber nicht vorgenommen, so dass § 146 Abs. 6 AO nicht zur Anwendung kommt.

Eine Schätzungsbefugnis besteht dem Grunde nach aber deshalb, weil der Kläger zur Überzeugung des Gerichtes nicht die Kassenberichte durchweg täglich ausgezählt und in fortlaufenden Kassenberichten festgehalten hat.

Der Kläger hat unstreitig keine Einzelaufzeichnungen geführt und keine Ursprungsaufzeichnungen über die einzelnen getätigten Umsätze aufbewahrt, so dass seine Kassenführung nicht den oben genannten Varianten (1) und (2) für eine ordnungsgemäße Kassenführung genügt. Zwar liegen arbeitstägliche Z-Bons und Kassenberichte im Sinne der Variante (3) vor. Ordnungsgemäß wäre die Kassenführung aber nur, wenn der in den Kassenberichten notierte, bei Geschäftsschluss entnommene Geldbetrag ("Auszahlung" in der Terminologie der Kassenberichte) auf einer tatsächlichen Auszählung der Kasse beruhen würde und nicht nur auf einem Übertrag der auf den Z-Bons ausgewiesenen Beträge. Dass tatsächlich keine Auszählung stattgefunden hat, lässt sich an den Kassenberichten und Z-Bons für den 24./25. April 2015 sowie den 12. August 2015 erkennen: Wenn der Kläger am 12. August 2015 einen EC-Umsatz versehentlich über die Bartaste der Ladenkasse erfasst hat, müsste der ausgezählte Kassenbestand niedriger sein als die ursprüngliche Kassenbuchung. In den Kassenbericht hat der Kläger aber einen Auszahlungsbetrag entsprechend dem Wert auf dem Z-Bon vor Korrektur eingetragen, was nicht dem ausgezahlten Kassenbestand entsprechen kann. Entsprechend verhält es sich am 24. und 25. April 2015: Wenn zu Geschäftsschluss des 24. April 2015 - abweichend von der üblichen Geschäftspraxis, den gesamten Kassenbestand zu Geschäftsschluss zu entnehmen - ein Geldbetrag von 136,44 € verblieb und dieser versehentlich am 25. April 2015 bei Geschäftseröffnung nicht als Einzahlung im Kassenbericht notiert wurde, hätte sich bei Geschäftsschluss ein die baren Tageseinnahmen um 136,44 € höherer Schlussbestand ergeben müssen. Als Auszahlungsbetrag hat der Kläger aber den auf dem Z-Bon ausgewiesenen Betrag an baren Tageseinnahmen festgehalten; d.h. es ist lediglich eine betragsmäßige Übertragung vom Z-Bon erfolgt und keine Auszählung des Kassenbestandes. Sind damit aber die Kassenaufzeichnungen des Klägers fehlerhaft, so besteht eine Schätzungsbefugnis des Beklagten.

b) Hinzuschätzung der Höhe nach

Die als Sicherheitszuschläge hinzugeschätzten Erlöse bzw. Umsätze zum Regelsteuersatz sind mit der Hälfte des vom Beklagten angesetzten Betrages, d.h. mit netto 5.413,- € (2013), 6.914,- € (2014) und 6.722,- € (2015) in Ansatz zu bringen.

Unterliegt ein Hinzuschätzungsbetrag durch den Beklagten der gerichtlichen Überprüfung, so hat das Finanzgericht gem. § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 FGO i.V.m. § 162 AO eine eigene Schätzungsbefugnis. Besteht wie hier aufgrund von Mängeln der Kassenführung dem Grunde nach eine Schätzungsbefugnis, so ist es gerechtfertigt, einen Sicherheitszuschlag vorzunehmen (BFH-Urteil vom 15. April 2015 VIII R 49/12, juris). Der Sicherheitszuschlag lässt sich dabei als eine griffweise Schätzung, die in einem vernünftigen Verhältnis zu den erklärten oder nicht erklärten Einnahmen stehen muss, charakterisieren (BFH Urteil vom 26. Oktober 1994 X R 114/92, BFH/NV 1995, 373; Beschluss vom 7. Februar 2017 X B 79/16, BFH/NV 2017, 774). Eine entsprechende Hinzuschätzung muss schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig sein.

Das Gericht berücksichtigt bei seiner Schätzung, dass die Außenprüfung keine sicheren Nachweise für eine Nichterfassung von Umsätzen in großem Umfang hat feststellen können; insbesondere hat sich nicht anhand einer Geldverkehrsrechnung feststellen lassen, dass in hohem Ausmaß Geldzuflüsse im betrieblichen Bereich nicht erfasst worden sind. Bei der Bemessung des Sicherheitszuschlages orientiert sich das Gericht an der von der Betriebsprüfung zur Ergebniskontrolle vorgenommenen Richtsatzschätzung einerseits, sowie den dagegen vom Kläger vorgebrachten Einwänden. Bei Ansatz eines Sicherheitszuschlages von 10% der Barerlöse, den der Beklagte berücksichtigt hat, ergibt sich für das Streitjahr 2014, für das der Beklagte allein eine Kalkulation vorgenommen hat, ein Aufschlagsatz von 28,44 %, der leicht oberhalb der unteren Grenze der Spanne von 26% - soweit der Beklagte im Klageverfahren eine Untergrenze von 29% nennt, entspricht dieses nicht dem Wert für das kalkulierte Streitjahr - der Aufschlagsätze für die Branche "Bau- und Heimwerkerbedarf, Anstrichmittel, Einzelhandel" liegt, die wegen des Schwerpunkts auf den Bau- und Heimwerkerartikeln im Warensortiments des Betriebes des Klägers am ehesten vergleichbar erscheint. Da der Kläger in seinem Betrieb ein breit gestreutes Sortiment an Produkten führt und von den einzelnen Artikeln angesichts des ländlichen Standorts und des geringen Einzugsbereichs seines Ladengeschäfts keine großen Mengen umsetzt, wird er keine nennenswerten Einkaufsvorteile durch Großmengenbestellungen erlangen können. Von daher ist sein Einwand, dass er am Markt keine großen Handelsspannen durchsetzen kann, durchaus stichhaltig. Das Gericht orientiert sich deshalb mit seiner Schätzung am untersten Rand der Spanne der Aufschlagsätze, was in etwa einer Halbierung der vom Beklagten angesetzten Hinzuschätzungsbeträge entspricht.

c) Änderungsbefugnis

Der Beklagte war verfahrensrechtlich berechtigt, die Umsatzsteuerbescheide 2013 und 2014 sowie die Einkommensteuer-, Umsatzsteuer- und den Gewerbesteuermessbescheid 2015 zu ändern, da die entsprechenden Erstbescheide unter dem Vorbehalt der Nachprüfung standen und nach § 164 Abs. 2 AO geändert werden konnten.

3. Dem Beklagten wird nach § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO die Berechnung der festzusetzenden Steuer übertragen, weil dies einen nicht unerheblichen Aufwand erfordert.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 FGO.

5. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.