Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 08.09.1988, Az.: 10 UF 97/87

Zuständigkeit der deutschen Gerichte bei Antrag auf Scheidung einer Ausländerehe; Voraussetzungen für die Annahme einer dauernden und vollständigen Zerrüttung einer Ehe; Grundsatz der Scheidung wegen Verschuldens im polnischen Recht

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
08.09.1988
Aktenzeichen
10 UF 97/87
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1988, 18584
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1988:0908.10UF97.87.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hannover - 24.03.1987 - AZ: 615 F 1507/86

Fundstelle

  • IPRspr 1988, 77

Verfahrensgegenstand

Ehescheidung pp.

Der 10. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle hat
auf die mündliche Verhandlung vom 25. August 1988
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht K. sowie
die Richter am Oberlandesgericht R. und B.
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das am 24.3.1987 verkündete Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Hannover wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Entscheidungsgründe

1

I.

Die Parteien, die p. Staatsangehörige sind, haben am 26.6.1976 vor dem Standesamt in C. die Ehe miteinander geschlossen, aus der die am 4.11.1980 geborene Tochter J. hervorgegangen ist. Der Antragsteller, der Mitglied der Gewerkschaft Solidarität in P. gewesen ist, reiste im Oktober 1981 legal und ohne seine Familie aus P. aus und lebt seither in der Bundesrepublik Deutschland. Am 29.7.1983 ist er als Asylberechtigter anerkannt worden.

2

Der Antragsteller hat die Scheidung der Ehe begehrt mit der Begründung, diese sei zerrüttet. Die Antragsgegnerin hat der Scheidung widersprochen und Abweisung des Antrages begehrt, ohne jedoch dem Vorbringen des Antragstellers zu der behaupteten Zerrüttung entgegenzutreten. Das Amtsgericht - Familiengericht - Hannover hat nach Anhörung des Antragstellers im Termin am 2.3.1987 die Ehe der Parteien geschieden, die Entscheidung über die elterliche Sorge für J. den p. Gerichten vorbehalten und eine Entscheidung zum Versorgungsausgleich dahingehend getroffen, daß der schuldrechtliche Versorgungsausgleich vorbehalten werden sollte. Zur Begründung der Ehescheidung hat es ausgeführt, daß eine vollständige und dauernde Zerrüttung der ehelichen Gemeinschaft im Sinne des Art. 56 § 1 des p. Familiengesetzes gegeben sei.

3

Dagegen richtet sich die Berufung der Antragsgegnerin, mit der diese begehrt,

  1. a)

    unter Abänderung des angefochtenen Urteils den Scheidungsantrag des Antragstellers abzuweisen,

  2. b)

    hilfsweise, gemäß Art. 57 § 1 des p. Familien- und Vormundschaftscodex festzustellen, daß den Antragsteller die Schuld an der Zerrüttung der ehelichen Gemeinschaft trifft,

  3. c)

    weiter hilfsweise, unter Aufhebung des Urteils und des Verfahrens die Sache an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückzuverweisen,

  4. d)

    weiter hilfsweise, die Revision zuzulassen.

4

Die Antragsgegner in trägt vor, es fehle an der Feststellung einer dauernden und vollständigen Zerrüttung der Ehe. Sie, die Antragsgegnerin, gehe nach wie vor davon aus, daß der Antragsteller, wie er ihr gegenüber selbst erklärt habe, zu ihr zurückkommen werde. Im übrigen liege ein Verschulden des Antragstellers allein darin, daß er sie, die Antragsgegnerin und die gemeinsame Tochter J. kurz nach deren Geburt allein in P. zurückgelassen habe und auch seinen Unterhaltspflichten gegenüber der Familie nicht nachgekommen sei.

5

Der Antragsteller verteidigt das angefochtene Urteil und ist der Auffassung, alleinschuldig an der Zerrüttung der Ehe sei die Antragsgegnerin.

6

Der Senat hat zur Frage der Zerrüttung der Ehe und dem Verschulden an der Zerrüttung Beweis erhoben gemäß dem Beweisbeschluß vom 5.5.1988.

7

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Das Amtsgericht hat im Ergebnis zu Recht die Ehe der Parteien geschieden. Im einzelnen gilt folgendes:

8

1.

Zu Recht hat das Amtsgericht die auch vom Senat in der Berufungsinstanz von Amts wegen zu prüfende internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte bejaht. Diese ergibt sich aus § 606 a Abs. 1 Nr. 1 ZPO, denn der Antragsteller ist als Asylberechtigter einem Deutschen gleichgestellt (§ 3 AsylVerfG vom 16.7.1982, BGBl. S. 946). Als Asylberechtigter, der am 29.7.1983 vom Bundesamt die Anerkennung als ausländischer Flüchtling erhalten hat (Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG, §§ 1, 4, 7 ff AsylVerfG), findet auf den Antragsteller die Genfer Flüchtlingskonvention Anwendung. Die unter Art. 12 Abs. 1 der Flüchtlingskonvention fallenden Flüchtlinge, die ihren Wohnsitz bzw. Aufenthalt in der Bundesrepublik haben, haben hinsichtlich des Zugangs zu den Gerichten nach Art. 16 Abs. 2 Anspruch auf dieselbe Behandlung wie Deutsche, so daß sie auch hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit wie Deutsche zu behandeln sind (BGH NJW 1985, 1283 [BGH 12.12.1984 - IVb ZB 928/80]; vgl. weiter die Nachweise bei Baumbach-Albers, ZPO, 45. Aufl., Anhang zu § 606 a ZPO).

9

Darüber hinaus ergibt sich eine Zuständigkeit der deutschen Gerichte auch aus § 606 a Abs. 1 Nr. 4 ZPO, denn der gewöhnliche Aufenthaltsort des Antragstellers ist im Inland gelegen und nach p. Recht wird die von einem deutschen Gericht zu fällende Entscheidung anerkannt werden.

10

2.

Nach Art. 17 Abs. 1 Satz 1, 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB bestimmt sich das Scheidungsstatut in Fällen einer Ausländerehe, in denen - wie hier - beide Ehegatten demselben Staat angehören, nach dem gemeinsamen Heimatrecht. Damit ist zur Beurteilung der vom Antragsteller begehrten Scheidung p. Recht berufen.

11

3.

Nach Art. 56 § 1 des Familien- und Vormundschaftsgesetzbuches vom 25.2.1964 - im folgenden FVG - (abgedruckt bei Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Stichwort: Polen S. 42) kann jeder Ehegatte die gerichtliche Auflösung der Ehe im Wege der Scheidung verlangen, wenn zwischen den Ehegatten eine vollständige und dauernde Zerrüttung der ehelichen Gemeinschaft eingetreten ist.

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Dabei deckt sich der Begriff der "vollständigen und dauerhaften Zerrüttung der ehelichen Gemeinschaft" mit dem der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des BGH geläufigen Begriffs der "unheilbaren Zerrüttung der Ehe". Ein Unterschied besteht nur insofern, als nach polnischem Recht die unheilbare Zerrüttung der ehelichen Gemeinschaft der einzige positive Scheidungsgrund ist; einzelne Eheverfehlungen oder andere Gründe der Zerrüttung können lediglich als Beweis für eine unheilbare Zerrüttung gewertet werden (Gralla ROW 1968, 97, 105).

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Eine Ehe ist dann vollständig zerrüttet, wenn weder physische noch geistige noch wirtschaftliche Bindungen zwischen den Eheleuten bestehen, wobei es ausreicht, wenn eine dieser Bindungen aufhört. Ein feindseliges bzw. widerwilliges Verhältnis zwischen den Ehegatten ist nicht erforderlich. Eine dauerhafte Zerrüttung liegt vor, wenn nach menschlicher Lebenserfahrung eine Rückkehr zur ehelichen Gemeinschaft mit größter Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist, wobei bei langjähriger Trennung der Eheleute eine dauerhafte Zerrüttung vermutet wird (Gralla a.a.O. S. 104). Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.

14

Die Parteien haben sich im Oktober 1981 getrennt, als der Antragsteller in die Bundesrepublik Deutschland ausgereist ist, so daß zwischenzeitlich nahezu 7 Jahre vergangen sind, in denen bis auf gelegentlichen Briefverkehr - der auch nur bis Ende 1984 bestanden hat - kein persönlicher Kontakt zwischen den Eheleuten mehr stattgefunden hat. Daß zwischen den Parteien noch irgendwelche geistigen Bindungen bestehen, ist nicht ersichtlich. Dies allein aber reicht aus, um eine vollständige und wegen des Zeitablaufes auch dauerhafte Zerrüttung der Ehe anzunehmen (Gralla a.a.O. S. 104). Darüber hinaus ist unstreitig - und vom Antragsteller bei seiner Anhörung vor dem Senat auch bestätigt worden -, daß der Antragsteller im Dezember 1984 in seinem letzten Brief der Antragsgegnerin mitgeteilt hat, seine Gefühle für die Antragsgegnerin seien endgültig erloschen und ein weiteres Zusammenleben nicht mehr möglich. Daß die Antragsgegnerin gleichwohl an der Ehe festhalten will, vermag am Scheitern der Ehe nichts zu ändern, denn eine eheliche Lebensgemeinschaft setzt eine wechselseitige Bindung an die Ehe voraus, und eine Wiederherstellung der ehelichen Gemeinschaft ist nicht mehr zu erwarten, wenn auch nur bei einem der Ehegatten die eheliche Gesinnung zerstört ist.

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4.

Nach Art. 56 § 2 FVG kann eine Ehe trotz vollständiger und dauerhafter Zerrüttung jedoch nicht geschieden werden, wenn darunter das Wohl der gemeinsamen minderjährigen Kinder der Ehegatten leiden würde oder wenn die Scheidung aus anderen Gründen mit den Grundsätzen des gesellschaftlichen Zusammenlebens im Widerspruch stehen würde.

16

a)

Vorliegend ist jedoch nichts dafür ersichtlich, daß bei einer Scheidung das Wohl der am 4.11.1980 geborenen gemeinsamen Tochter J. leiden würde. Dabei kann nicht darauf abgestellt werden, ob durch eine Wiederherstellung der ehelichen Gemeinschaft das Wohl des Kindes gefördert würde, sondern allein darauf, ob durch die Scheidung eine wesentliche Verschlechterung der Lage des Kindes eintritt (Gralla a.a.O. S. 159). Dies behauptet die Antragsgegnerin nicht einmal selbst, zumal der Antragsteller Kindesunterhalt zahlt und es auch grundsätzlich nicht im Interesse eines Kindes liegt, eine zerrüttete Ehe aufrechtzuerhalten.

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b)

Das Scheidungsbegehren des Antragstellers verstößt auch nicht gegen die Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens, d.h. es kann nicht als rechtsmißbräuchlich oder sittenwidrig angesehen werden. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichts (OG) P. (Urteile vom 7.11.1955 und 4.1.1957, zitiert nach: Gralla a.a.O. S. 158) liegt keine Sittenwidrigkeit darin, daß ein Ehegatte den anderen verläßt, sich im Ausland niederläßt und eine Rückkehr nach P. ablehnt. Andere Gesichtspunkte für eine eventuelle Sittenwidrigkeit des Scheidungsbegehrens sind nicht ersichtlich und von der Antragsgegnerin nicht dargetan. Dabei kann zur Beurteilung der Frage, wann ein Scheidungsbegehren sittenwidrig ist, auf die zu § 47 EheG von deutschen Gerichten entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden, die mit der p. Rechtsprechung weitgehend übereinstimmen (Gralla a.a.O.).

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5.

Nach Art. 56 § 3 FVG ist eine Scheidung auch dann unzulässig, wenn sie von dem an der Zerrüttung des Zusammenlebens alleinschuldigen Ehegatten begehrt wird. Rechtsfehlerhaft ist es zwar, daß das Amtsgericht diese - von Amts wegen zu prüfende - Frage (vgl. dazu Gralla a.a.O. S. 160) unerörtert gelassen hat, die Voraussetzungen nach Art. 56 § 3 FVG liegen aber nicht vor. Der Begriff der Schuld richtet sich im p. Recht nach zivilrechtlichen Grundsätzen, so daß erforderlich ist ein rechts- oder sittenwidriges Verhalten sowie Vorsatz oder Fahrlässigkeit. Die Antragsgegnerin sieht ein alleiniges Verschulden des Antragstellers darin, daß - wie sie mit dem Hilfsantrag geltend macht - der Antragsteller sie im Herbst 1981 in P. allein zurückgelassen hat. Darin liegt jedoch nach p. Recht - wie oben unter II. 4. b) - ausgeführt, kein sittenwidriges Verhalten des Antragstellers. Andere Tatsachen, die für ein Verschulden sprechen könnten, sind von der Antragsgegnerin nicht dargetan. Deshalb hat der Senat auch keine Veranlassung, die Antragsgegnerin im Wege der Rechtshilfe gemäß § 613 ZPO anzuhören.

19

6.

Nach Art. 57 § 1 FVG hat der Senat von Amts wegen über die Frage des Verschuldens zu entscheiden. Dem steht nicht entgegen, daß die Verschuldensscheidung im deutschen Recht (§ 52 EheG) aufgehoben worden ist, denn ob das Verschulden zu prüfen ist, ist eine dem Scheidungsstatut zuzurechnende Frage (BGH NJW 1982, 1940, 1941 [BGH 26.05.1982 - IVb ZR 675/80]) [BGH 26.05.1982 - IVb ZR 675/80]. Dabei muß die gegebenenfalls festzustellende Verantwortlichkeit eines Ehegatten in dem Scheidungsurteil in einer Weise verlautbart werden, daß für eine spätere Verurteilung hinsichtlich in Betracht kommender Scheidungsfolgen (z.B. Unterhalt) das Vorliegen eines gerichtlichen Ausspruchs außer Zweifel steht. Deshalb ist, da das p. Recht den gerichtlichen Ausspruch einer Verantwortlichkeit an der Scheidung vorsieht, dieser Ausspruch, falls ein Verschulden festgestellt werden kann, im Tenor des Urteils vorzunehmen (so jetzt auch ausdrücklich BGH FamRZ 1987, 795 unter ausdrücklicher Aufgabe der in NJW 1982, 1940, 1941 [BGH 26.05.1982 - IVb ZR 675/80] geäußerten Auffassung). Die Feststellung eines Verschuldens eines der Ehegatten an der Zerrüttung ist jedoch nicht Voraussetzung für den Ausspruch der Scheidung. Art. 57 § 1 FVG legt dem Gericht nur die Pflicht auf, die Frage eines eventuellen Verschuldens zu prüfen. Auch das p. Recht des FVG kennt nicht den Grundsatz der Scheidung wegen Verschuldens (Gralla a.a.O. S. 102).

20

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kann jedoch ein Verschulden der Antragsgegnerin an der Zerrüttung der Ehe nicht festgestellt werden. Dafür ist erforderlich, wie bereits ausgeführt, ein rechts- oder sittenwidriges Verhalten der Antragsgegnerin. Ein solches kann bejaht werden bei einem Verhalten, das den Verdacht des Ehebruchs oder der Treuewidrigkeit entstehen läßt. Die Aussage der Zeugin D., der Schwester des Antragstellers, hat zwar gewisse Anhaltspunkte bzw. Verdachtsmomente dafür ergeben, daß die Antragsgegnerin ein ehewidriges Verhältnis zu einem anderen Mann nach der Trennung der Partelen aufgenommen hat. Der Senat vermag jedoch aus der Aussage der Zeugin nicht die Überzeugung zu gewinnen, daß ein dahingehender Verdacht begründet ist oder daß die Antragsgegnerin gar Ehebruch begangen hat. Die Zeugin D. hat aus eigener Kenntnis dazu keine Angaben machen können. Sie hat lediglich bekundet, aus Erzählungen von Nachbarn sei ihr bekannt, daß die Antragsgegnerin einen Freund gehabt habe, der morgens zusammen mit ihr zur Arbeit gegangen sei. Nähere Einzelheiten zu einem eventuellen Verhältnis zu diesem Freund hat die Zeugin nicht machen können. Soweit die Zeugin darüber hinaus über Streitigkeiten zwischen den Eheleuten berichtet hat, ist zum einen zu berücksichtigen, daß die Zeugin auch insoweit zum Teil nur eigene Erlebnisse hat schildern können und daß es sich im übrigen wiederum nur um die Weitergabe von Schilderungen gehandelt hat. Überdies war nicht zu verkennen, daß die Zeugin offensichtlich nicht gut auf die Antragsgegnerin zu sprechen ist. Zum anderen reichen die geschilderten Streitigkeiten um Geld oder angebliche Liebschaften des Antragstellers nicht aus, darin ein Verschulden der Antragsgegnerin an der Zerrüttung der Ehe zu sehen.

21

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

22

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

23

Der nicht nachgelassene Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 5.9.1988 ist bei der Entscheidung nicht berücksichtigt worden (§ 296 a ZPO). Für den Senat besteht auch kein Anlaß, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen (§ 156 ZPO).