Amtsgericht Nordenham
Urt. v. 11.07.2003, Az.: 3 C 464/02

Geltendmachung von Ansprüchen aus einer Fahrzeugteilversicherung wegen eines Sturmschadens; Sturm als wetterbedingte Luftbewegung von mindestens Windstärke 8; Unmittelbarkeit der Einwirkung durch den Sturm; Vorliegen eines unmittelbaren Sturmschadens für einen juristisch nicht vorbebildeten Versicherungsnehmer

Bibliographie

Gericht
AG Nordenham
Datum
11.07.2003
Aktenzeichen
3 C 464/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 32505
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGNOHAM:2003:0711.3C464.02.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Oldenburg - 16.01.2003 - AZ: 13 S 647/03
nachfolgend
LG Oldenburg - 12.12.2003 - AZ: 13 S 647/03

Fundstellen

  • IVH 2004, 90-91 (Volltext mit amtl. LS)
  • ZfS 2004, 172-173 (Volltext mit amtl. LS)
  • zfs 2004, 172-173 (Volltext mit amtl. LS)

Das Amtsgericht Nordenham hat
im schriftlichen Verfahren gem. § 128 ZPO
mit einer Erklärungsfrist bis zum 4.7.2003
durch
den Richter am Amtsgericht Fischer
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.477,28 EUR nebst Zinsen hierauf in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 7.9.2002 zu zahlen.

  2. 2.

    Die weiter gehende Klage wird abgewiesen.

  3. 3.

    Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

  4. 4.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

  5. 5.

    Hinsichtlich des nicht berufungsfähigen Teils des Urteils wird die Berufung nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger macht Ansprüche aus einer Fahrzeugteilversicherung wegen eines Sturmschadens geltend.

2

Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine Fahrzeugteilversicherung mit einem Selbstbehalt von 150 EUR für seinen Wohnwagen. Auf den Nachtrag zur Kraftfahrtversicherung vom 1.8.2002 (Blatt 28 f d.A.) wird Bezug genommen.

3

Es gelten die Allgemeinen Versicherungen für die Kraftfahrtversicherung der Beklagten (Blatt 33 ff d. GA). Nach § 12 Absatz 1 Abschnitt I Buchstabe c) umfasst diese auch die Beschädigung des Fahrzeugs

"durch unmittelbare Einwirkung von Sturm, Hagel, Blitzschlag oder Überschwemmung auf das Fahrzeug.

Als Sturm gilt eine wetterbedingte Luftbewegung von mindestens Windstärke 8.

Eingeschlossen sind Schäden, die dadurch verursacht werden, dass durch diese Naturgewalten nicht mit dem Fahrzeug verbundene Gegenstände auf oder gegen das Fahrzeug geworfen werden.

Ausgeschlossen sind Schäden, die auf ein durch diese Naturgewalten veranlasstes Verhalten des Fahrers zurückzuführen sind".

4

Am 28.5.2002 befand sich der Wohnwagen auf einem Campingplatz in St. Tropez in Frankreich. An diesem war ein Vorzelt aufgebaut, dessen Gestänge in Ösen eingehängt war, die an dem Wohnwagen angebracht waren.

5

Der Kläger behauptet, es habe am Abend ein Sturm geherrscht, auf Grund dessen sich eine am Wohnwagen befestigte Öse gelöst habe. Durch den heftigen Wind hätten sich dann die Haken aus den anderen Ösen gelöst, so dass die Zeltstangen gegen den Wohnwagen geschleudert worden seien und dort derartige Dellen verursacht hätten, dass gemäß des für die Beklagte erstellten Gutachtens vom 30.7.2002 (Blatt 5 ff d.A.) ein Schaden in Höhe von 2.627,28 EUR entstanden sei. Zudem stehe ihm eine Unkostenpauschale von 20,00 EUR zu.

6

Er beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.647,28 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 7.9.2002 zu zahlen.

7

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Ihrer Ansicht nach komme u.a. bereits deshalb keine Haftung in Betracht, weil das Vorzelt mit dem Wohnwagen verbunden gewesen sei und die Stangen gegen diesen geschlagen sein müssten.

9

Das Gericht hat Beweis erhoben zu der Frage, ob Sturm geherrscht habe durch Vernehmung der Zeugin Schwarz in der mündlichen Verhandlung vom 4.4.2003 (Protokoll Blatt 56 ff d.GA) und gegenbeweislich ein Gutachten des Deutschen Wetterinstitutes vom 26.5.2003 (Blatt 71 ff d.A.) eingeholt.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Klage hat in überwiegendem Umfang Erfolg.

11

I.

Dem Kläger steht ein Anspruch auf Ausgleich des an seinem Wohnwagen entstandenen Schadens aus dem mit der Beklagten abgeschlossenen Versicherungsvertrag in Verbindung mit § 12 Absatz 1 Abschnitt I Buchstabe c) der Allgemeinen Versicherungen für die Kraftfahrtversicherung der Beklagten zu. Denn der versicherte Wohnwagen ist durch unmittelbare Einwirkung eines Sturms auf das Fahrzeug beschädigt worden.

12

Der Kläger muss sich allerdings eine Selbstbeteiligung von 150 EUR abziehen lasse. Auch steht ihm nach den Versicherungsbedingungen keine Unkostenpauschale zu.

13

Im Einzelnen gilt Folgendes:

14

1.

Auf Grund der Vernehmung der Zeugin Schwarz steht fest, dass es am 28.2.2002 auf dem Campingplatz in St. Tropez in Frankreich stürmte.

15

Als Sturm gilt nach § 12 Absatz 1 Abschnitt I Buchstabe c) Satz2 der Allgemeinen Versicherungen für die Kraftfahrtversicherung der Beklagten eine wetterbedingte Luftbewegung von mindestens Windstärke 8.

16

Nach der so genannten Beaufortskala für Windstärken, welche diese in Bezug zu typischen Auswirkungen auf dem Land und auf dem Meer stellt, liegt bei Windstärke 8 "stürmischer Wind" vor, während die Windstärke 7 als "steifer Wind" bezeichnet wird. Nach der Skala kommen bei Windstärke 7 im Binnenland ganze Bäume in Bewegung; es kommt zu fühlbarer Hemmung beim Gehen gegen den Wind. Wind der Stärke 8 ist hingegen dadurch gekennzeichnet, dass dieser Zweige von den Bäumen bricht und das Gehen erheblich erschwert.

17

Das Gericht hat diese Merkmale im Einverständnis mit den Parteien als Maßstab genommen. Sie lagen am 28.2.2002 vor.

18

Die Zeugin hat ausgesagt, sie und ihre Tochter hätten in gebückter Haltung gehen müssen, um dem Wind standzuhalten. Sie habe ihre schmächtige 11-jährige Tochter sogar fest halten müssen. Auf Grund des Windes seien kleine Zelte weggeflogen, ebenso kleine Bäume und Sträucher. Es seien auch Äste von den Bäumen heruntergefallen.

19

Das Gericht ist auf Grund des in der Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks von der Glaubwürdigkeit der Zeugin überzeugt, auch wenn es sich um die Tochter des Klägers handelt. Ihre gleichmäßige und differenzierte Aussage war auch glaubhaft.

20

Das gegenbeweislich eingeholte Gutachten des Deutschen Wetterdienstes vom 26.5.2003 steht dem nicht entgegen. Es bestätigt vielmehr die Annahme, dass es am 28.5.2002 Windböen der Windstärke 8 gab. In dem Gutachten ist ausgeführt, der Wind habe im Bereich der Bucht von St. Tropez mittlere Windgeschwindigkeiten von bis zu 15 Metern/Sekunde erreicht, was der Windstärke 7 nach der Beaufort-Skala entspreche. In Spitzenböen habe man in den Abendstunden des 28.5.2002 im Raum St. Tropez und Umgebung Windgeschwindigkeiten von bis zu 22 Metern/Sekunde gemessen, was der Windstärke 9 entspreche. In unmittelbarer Küstennähe seien sogar Windgeschwindigkeiten der Windstärke 10 erreicht worden.

21

2.

Der Sturm hat auch dazu geführt, dass es zu den Schäden an dem Wohnwagen kam. Denn die Beklagte hat nicht in Abrede gestellt, dass diese dadurch entstanden sind, dass die Stangen des Vorzeltes auf Grund des Windes gegen den Wohnwagen schlugen und diesen beschädigten.

22

3.

Es handelt sich auch um eine unmittelbare Einwirkung des Sturms auf das Fahrzeug, ohne dass es auf die Frage ankommt, ob und in welcher Weise das Vorzelt mit dem Wohnwagen verbunden war.

23

Unmittelbar ist eine Einwirkung durch Sturm, wenn die Naturgewalt die einzige oder letzte Ursache für den Fahrzeugschaden ist '(Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 26.Auflage 1998, §12 AKB Rn.38).

24

Dies ist auch dann der Fall, wenn ein Schaden dadurch entsteht, dass mit dem Fahrzeug verbundene Gegenstände sturmbedingt, gegen das Fahrzeug geraten oder schlagen. Die möglicherweise als Gegenauffassung zu verstehende Ansicht, dass der Sturm nicht die letzte Ursache sei, wenn etwa eine Tür sturmbedingt zuschlage und einen Schaden an einem anderen Teil des versicherten Objektes verursache (so Wussow, Sturmschäden im Versicherungs- und Haftpflichtrecht, VersR 2000, 679, 681), ist mithin abzulehnen. Eine davon unabhängig zu beantwortende Frage ist die, ob Versicherungsschutz aus anderen Gründen ausgeschlossen ist, etwa weil der Schaden gemäß § 12 Absatz 1 Abschnitt I Buchstabe c) Satz 3 der Allgemeinen Versicherungen für die Kraftfahrtversicherung der Beklagten auf ein durch Sturm veranlasstes Verhalten des Fahrers zurückzuführen ist oder den Versicherungsnehmer eine Obliegenheitsverletzung trifft, etwa weil er das Fahrzeug oder mit ihm verbundene Gegenstände nicht ausreichend gegen Sturm gesichert hat.

25

Dies ergibt sich aus folgendem:

26

a)

Maßgeblich ist für die Auslegung des Begriffs der Unmittelbarkeit in § 12 Absatz 1 Abschnitt I Buchstabe c) Satz 1 der Allgemeinen Versicherungen für die Kraftfahrtversicherung der Beklagten, wie ihn ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer bei verständiger Würdigung verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne Spezialkenntnisse an. Unmaßgebend ist, was sich der Verfasser der Bedingungen bei der Abfassung vorstellte. Insbesondere hat die Entstehungsgeschichte, die der Versicherungsnehmer typischerweise nicht kennt, außer Betracht zu bleiben (vgl. nur BGH NJW-RR 1986, 857/858).

27

b)

Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer muss die Klausel des § 12 Absatz 1 Abschnitt I Buchstabe c) Satz2 der Allgemeinen Versicherungen für die Kraftfahrtversicherung der Beklagten so verstehen, dass auch Schäden eingeschlossen sein sollen, die dadurch entstehen, dass ein mit dem Fahrzeug verbundener Gegenstand Schäden an diesem verursacht.

28

Ein unmittelbarer Sturmschaden liegt für den juristisch nicht vorgebildeten Versicherungsnehmer dann vor, wenn Schaden und Sturm in direkter räumlicher und zeitlicher Beziehung zueinander stehen, ohne dass Umstände dazwischentreten, die den Sturm bei wertender Betrachtung als nur mittelbare Ursache des eingetretenen Schadens erscheinen lassen.

29

Dass gerade die Verbindung eines Gegenstandes mit dem Fahrzeug ein derartiger Umstand sein soll, kann sich dem Versicherungsnehmer aus den allein maßgeblichen Bedingungen heraus nicht erschließen.

30

Dies gilt vor allem angesichts des Umstandes, dass nach der ausdrücklichen Regelung des § 12 Absatz 1 Abschnitt I Buchstabe c) Satz2 der Allgemeinen Versicherungen für die Kraftfahrtversicherung dann ein sturmbedingter Schaden angenommen wird, wenn nicht mit dem Fahrzeug verbundene Gegenstände gegen diese geworfen werden. Für den unbefangenen Versicherungsnehmer muss der Eindruck entstehen, dass es dem Versicherer gerade nicht darauf ankommt, ob der Gegenstand, der den Schaden verursacht hat, mit dem Fahrzeug verbunden ist oder nicht, zumal das Versicherungsrisiko dadurch nicht ersichtlich erhöht oder verringert wird. Es ist nicht wahrscheinlicher, dass ein am Fahrzeug befestigtes Vorzelt eher Schäden verursacht als ein Zelt gleicher Bauart, welches ohne Verbindung unmittelbar vor dem Fahrzeug errichtet ist.

31

Es tritt hinzu, dass die Unterscheidung zwischen dem Fahrzeug selbst und mit diesem verbundener Gegenstände kaum möglich ist, ohne Wertungen vorzunehmen, die in der Klausel keinen Niederschlag finden. Schon die Frage, ob bei dem sturmbedingten Zuschlagen einer Fahrzeugtür die Tür als Gegenstand und der diese haltende Holm als Teil des Fahrzeugs anzusehen wäre, erscheint willkürlich und für den Versicherungsnehmer nicht zu beantworten, der sein Fahrzeug als Ganzes verstehen wird.

32

Angesichts dieser Umstände ist es erst recht unzulässig, aus der Regelung des § 12 Absatz 1 Abschnitt I Buchstabe c) Satz2 der Allgemeinen Versicherungen für die Kraftfahrtversicherung den Rückschluss zu ziehen, dass die Verursachung eines Schadens durch einen mit dem Fahrzeug verbundenen Gegenstand nicht als unmittelbarer Sturmschaden anzusehen sein soll. Für den Versicherungsnehmer muss die Regelung als Klarstellung oder jedenfalls Erweiterung der Haftung erscheinen, auch wenn sie bei juristischer Betrachtung als Erweiterung der primären Risikoabgrenzung erscheinen mag (so Stiefel/Hofmann a.a.O., Rn. 54).

33

c)

Dem entspricht es, dass das LG Karlsruhe in DAR 1995, 488, 489 [LG Karlsruhe 14.07.1995 - 9 S 21/95] einem unmittelbaren Sturmschaden für den Fall angenommen hat, dass zunächst ein mit dem Fahrzeug verbundener Anhänger sturmbedingt umstürzte und das Fahrzeug danach ausbrach und einen Totalschaden erlitt. Gleiches gilt für die zu § 12 Absatz 1 Abschnitt II Buchstabe e) AKB ergangene Entscheidung des LG Mönchengladbach, ZfS 1988,85, wonach auch dann eine unmittelbar von außen wirkende mechanische Kraft vorliegt, wenn die Motorhaube eines Fahrzeugs windbedingt nach oben schlägt und Schäden am Fahrzeugdach verursacht.

34

d)

Sofern Rechtsprechung veröffentlicht ist, nach der eine Haftung des Versicherers in ähnlichen Fallkonstellationen abgelehnt worden, folgt daraus nichts anderes.

35

Nach AG Würzburg ZfS 1989, 315 soll kein Versicherungsschutz gegeben sein, wenn sich die an einem PKW befestigte Plane auf einem Schiffstransport löse, gegen das Fahrzeug schlage und Lackschäden verursache. Dies soll nach AG Koblenz, ZfS 1990, 205, 206 auch dann gelten, wenn ein durch Sturm abgelöster Dachgepäckträger das Fahrzeug beschädige.

36

Beide Entscheidungen stützen sich hingegen nicht auf den Umstand, dass Plane und Gepäckträger mit dem Fahrzeug verbunden waren, sondern auf schadensursächliches Verhalten des Versicherungsnehmers.

37

4.

Die Haftung der Beklagten ist nicht aus anderen Gründen ausgeschlossen.

38

a)

§ 12 Absatz 1 Abschnitt I Buchstabe c) Satz 3der Allgemeinen Versicherungen für die Kraftfahrtversicherung der Beklagten greift nicht ein. Nach dieser Regelung sind Schäden ausgeschlossen, die durch ein durch die in der Klausel genannten Naturgewalten veranlasstes Verhalten des Fahrers zurückzuführen sind. Dafür gibt es keine Anhaltspunkte. Das Einhängen des Vorzeltes in die Befestigungsösen fällt bereits deshalb nicht darunter, weil dies nicht sturmbedingt war.

39

b)

Für einen Haftungsausschluss wegen Obliegenheitsverletzung fehlen hinreichende Anhaltspunkte.

40

5.

Der Anspruch ist auch der Höhe nach überwiegend begründet.

41

Gegen die Höhe des geltend gemachten Sachschadens hat die Beklagte keine Einwendungen erhoben. Allerdings ist dieser um die vereinbarte Selbstbeteiligung von 150 EUR zu kürzen, §13 Absatz 9 der Allgemeinen Versicherungen für die Kraftfahrtversicherung.

42

Die geltend gemachte Unkostenpauschale kann nicht verlangt werden. Dies sieht §13 der Allgemeinen Versicherungen für die Kraftfahrtversicherung der Beklagten nicht vor.

43

6.

Der Anspruch auf Zinsen ergibt sich aus Verzug.

44

II.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92 Absatz 2, 709 Satz1 ZPO.

45

Für eine Zulassung der Berufung für den Kläger wegen des nicht berufungsfähigen abgewiesenen Teils der Klage bestand keine Veranlassung.

Fischer, Richter am Amtsgericht