Sozialgericht Osnabrück
v. 17.03.2022, Az.: S 43 AL 100/20

Analogie; Corona-Pandemie; Gesetzliche Frist; Gründungszuschuss; Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand

Bibliographie

Gericht
SG Osnabrück
Datum
17.03.2022
Aktenzeichen
S 43 AL 100/20
Entscheidungsform
Gerichtsbescheid
Referenz
WKRS 2022, 59448
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. § 93 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB III, der für die Gewährung eines Gründungszuschusses bei Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit einen Anspruch von 150 Tagen Arbeitslosengeld voraussetzt, stellt auf einen tatsächlich noch bestehenden materiell-rechtlichen Anspruch, nicht auf einen fiktiv ggf. noch bestehenden Anspruch ab. Die materiellen Voraussetzungen eines konkreten Zahlungsanspruchs müssen gegeben sein (LSG Hamburg, Urteil vom 10.07.2017, L 2 AL 9/17, Rn. 29). Die Möglichkeit der Anspruchsverlängerung in der Corona-Krise nach § 421d SGB III (in der Fassung vom 20.05.2020) reicht dafür nicht aus.

2. § 421d SGB III (in der Fassung vom 20.05.2020) setzt für die Verlängerung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld voraus, dass sich der Anspruch in der Zeit vom 01.05.2020 bis zum 31.12.2020 auf einen Tag gemindert hat. Tritt vor diesen Zeitpunkt eine Unterbrechung des Leistungsbezugs ein, erfolgt eine Verlängerung des Anspruchs nicht (BT-Drucks. 19/18866, Seite 29).

3. Ist es deshalb zu der Verlängerung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld bei Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit nicht gekommen, so ergibt sich eine Möglichkeit der Gewährung von Gründungszuschuss weder aus einer teleologischen Extension des/einer Analogie zu § 93 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB III oder § 421d SGB III (in der Fassung vom 20.05.2020). Hinsichtlich § 93 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III fehlt es an einer planwidrigen Regelungslücke, hinsichtlich § 421d SGB III (in der Fassung vom 20.05.2020) an einer vergleichbaren Interessenslage.

4. § 421d SGB III (in der Fassung vom 20.05.2020) verfolgt das Ziel, die soziale Absicherung für eine absehbar besonders betroffene Gruppe von Arbeitslosengeldbeziehenden für eine bestimmte Zeit aufrecht zu erhalten (dazu: BT-Drucks. 19/18966, Seite 29). Dieser Zweck wird durch den Gründungszuschuss, der eine Maßnahme der aktiven Arbeitsmarktförderung darstellt, nicht in gleicher Form erreicht. Von den Maßnahmen der Arbeitsmarktförderung hat der Gesetzgeber zur Bekämpfung der Folgen der Corona-Pandemie den Anspruch auf Kurzarbeitergeld ausgewählt.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt mit dem vorliegenden Verfahren die Gewährung eines Gründerzuschusses nach § 93 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) für die Zeit ab dem 01.08.2020.

Der 1989 geborene Kläger absolvierte in der Zeit von August 2009 bis Januar 2013 eine Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker im Bereich Nutzfahrzeugtechnik. In der Zeit von August 2013 bis November 2016 durchlief er Weiterbildungsmaßnahmen zum Kraftfahrzeugtechnikermeisters. Seine Meisterurkunde datiert auf den 23.11.2016. In der Zeit von Januar 2013 bis August 2015 war der Kläger bei der Firma A GmbH in B als Kfz-Mechatroniker angestellt. Anschließend war er in der Firma C in B als Werkstattleiter tätig. Von Mai 2016 bis Juli 2017 war er Betriebsleiter und Inhaber der D GbR in B. Danach war er Betriebsleiter und Inhaber der E Kfz-Meisterbetrieb GbR in F. Daran schloss sich eine Tätigkeit als Betriebsleiter bei der A GmbH in G an. Von Januar 2020 bis Mai 2020 war er Betriebsleiter der H in I.

Am 29.05.2020 wandte sich der Kläger per E-Mail an die Beklagte und fragte, welche Unterlagen für den Antrag eines Gründerzuschusses nötig seien (Bl. 37 der GA). Er habe eine Gründungsberatung bei der Handwerkskammer J absolviert. Daraufhin verwies die Beklagte am 03.06.2020 auf eine Informationsbroschüre „Hinweise und Hilfen zur Existenzgründung“, die dem Kläger am 12.05.2020 zugesandt worden sei.

Am 03.06.2020 beantragte der Kläger bei der Beklagten Gründerzuschuss und legte einen Business-Plan vor, der gemeinsam mit Handwerkskammer J erarbeitet worden sei. Nach dem vorgelegten Businessplan sollte die Tätigkeit am 01.08.2020 aufgenommen werden (Seite 3 des Businessplans). Der Liquiditätsplan für das erste Jahr begann mit August 2020 (Seite 17 des Businessplans). Im Antrag führte er zur Begründung aus, dass ihm der Gründungszuschuss dabei helfe, seinen Lebensunterhalt in der Anfangsphase zu sichern. Dadurch könne er sich voll und ganz auf die Unternehmensentwicklung konzentrieren, ohne Existenzängste zu haben. Wie dem Businessplan entnommen werden könne, bedürfe die Unternehmung einer gewissen Anlaufzeit, bis er hiermit seinen Lebensunterhalt bestreiten könne. Diese Zeit werde dazu genutzt, einen festen Kundenstamm aufzubauen.

Am 08.06.2020 wurde der Kläger in der Handwerksrolle eingetragen. Am 02.07.2020 meldete der Kläger bei der Stadt J ein Gewerbe für die Wartung und Reparatur von Kraftfahrzeugen und dem Handel mit Ersatzteilen an.

Mit Bescheid vom 22.07.2020 lehnte die Beklagte die Gewährung eines Gründungszuschusses ab. Schon die Tatbestandsvoraussetzungen des § 93 SGB III seien nicht erfüllt. Bis zur Aufnahme der selbständigen Tätigkeit müsse danach ein Anspruch auf Arbeitslosengeld bestehen, dessen Dauer noch mindestens 150 Tage betrage und nicht allein auf § 147 Abs. 3 SGB III beruhe.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 12.08.2020 Widerspruch ein. Es sei zwar richtig, dass die Restanspruchsdauer lediglich 118 Tage betragen habe. Geplant gewesen sei jedoch, die selbstständige Tätigkeit schon zum 01.06.2020 aufzunehmen. Zum geplantem Zeitpunkt hätte er noch einen Restanspruch von 162 Tagen gehabt. Die Verzögerung sei durch die Corona-Pandemie eingetreten. Dies ziehe sich durch die komplette Gründungsphase. Anträge seien nur noch durch Fernkommunikationsmittel möglich gewesen. Bereits die Erstellung des Businessplans habe sich verzögert. Die Gewerbeanmeldung habe fast vier Wochen gedauert. Eine Steuernummer habe ihm das Finanzamt bis heute nicht mitgeteilt. Zudem verlängere sich das Arbeitslosengeld laut § 421d SGB III um drei Monate, sodass sein Restanspruch 208 Tage betragen. Außerdem fehle es an einer ordnungsgemäßen Ermessensausübung.

Mit Schreiben vom 13.08.2020 wies die Beklagte im Widerspruchsverfahren darauf hin, dass § 421d SGB III nicht anwendbar sei. Die Arbeitslosigkeit sei mit Aufnahme der Selbständigkeit beendet worden, so dass keine Verlängerung der Anspruchsdauer in die Zukunft erfolgt sei. Der Restanspruchsdauer habe am 15.07.2020 (Aufnahme der selbständigen Tätigkeit) nur noch 118 Tage betragen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 21.09.2020 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Dieser sei zulässig, aber unbegründet. Die Argumentation aus Ausgangsbescheid wurde aufrecht erhalten. Eine Ermessensausübung erfolge nur, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt seien.

Gegen den Bescheid vom 22.07.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.09.2020 hat der Kläger am 26.10.2020 Klage erhoben. Es liege seitens der Beklagten keine substantiierte Auseinandersetzung mit der Corona-Situation vor. Ein stures Beharren auf gesetzlichen Bestimmungen könne in Anbetracht des Lockdowns nicht verfangen. Eine Fristverlängerung sei nötig. Auch, wenn Einrichtungen nicht geschlossen gewesen seien, sei lediglich eine Kommunikation über Fernkommunikationsmittel möglich gewesen. Öffentliche Stellen hätten sich im Notbetrieb befunden. Noch schwieriger als bei der Gewerbeanmeldung sei dies beim Finanzamt gewesen. Er habe sich am 04.05.2020 zwecks gemeinsamer Erarbeitung eines Business-Plans mit der Handwerkskammer in Verbindung gesetzt. Schwierigkeiten in der Kommunikation würden dadurch bestätigt, dass eine Mail von ihm bei der Handwerksammer im Spamordner gelandet sei (Bl. 49 der GA). Die Schwierigkeiten würden durch Verschärfungen der Corona-Maßnahmen vom 19.01.2021 verdeutlicht. Aus dem ursprünglichen Entwurf des Business-Plans ergebe sich, dass die Tätigkeit ursprünglich zum 01.06.2020 habe aufgenommen werden sollen. Insoweit legt der Kläger einen Auszug vor (Bl. 50 der GA).

Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,

1. den Bescheid der Beklagten vom 22.07.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.09.2020 aufzuheben,

2. die Beklagte zu verpflichten, ihm ab dem 01.08.2020 Gründungszuschuss in gesetzlicher Höhe für die gesetzlich vorgesehene Dauer zu gewähren,

hilfsweise:
die Beklagte zu verpflichten, ihn unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,

die Klage abzuweisen.

Sie hält ihre Bescheide für rechtmäßig. Die Corona-Pandemie könne gesetzliche Regelungen nicht aushebeln. Es bestehe keine Möglichkeit einer Entscheidungsänderung. Der Kläger mache es sich mit dem Abwälzen der Verspätung auf Institutionen zu leicht. Er habe auch nicht versucht, Kontakt zur Beklagten herzustellen und seine Probleme zu schildern. Insoweit übersendet die Beklagte verBIS-Vermerke. Fernkommunikationsmittel als Hemmnis darzustellen sei darüber hinaus ein „untauglicher Versuch“.

Die Beteiligten sind zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört worden.

Ergänzend wird auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakte verwiesen. Die Akten sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die Kammer konnte über den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlichere oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt in dem für die Entscheidung notwendigen Umfang hinreichend geklärt ist und beide Beteiligten zu dieser Vorgehensweise angehört worden sind, § 105 Abs. 1 Satz 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Die angegriffenen Bescheide erweisen sich nicht als rechtswidrig und beschweren den Kläger damit nicht. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gründungszuschuss. Da bereits die Tatbestandsvoraussetzungen nicht erfüllt sind, musste die Beklagte kein Ermessen ausüben, so dass auch kein Ermessensfehler vorliegt.

Nach § 93 Abs. 1 SGB III können Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden, zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung einen Gründungszuschuss erhalten. Ein solcher Gründungszuschuss kann nach Abs. 2 der Vorschrift geleistet werden, wenn der Arbeitnehmer bis zur Aufnahme der selbständigen Tätigkeit einen Anspruch auf Entgeltersatzleistungen nach dem SGB III hat oder eine Beschäftigung ausgeübt hat, die als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme nach dem SGB III gefördert worden ist, bei Aufnahme der selbständigen Tätigkeit noch über einen Anspruch auf Arbeitslosengeld, dessen Dauer nicht allein auf § 147 Abs. 3 SGB III beruht, von mindestens 150 Tagen verfügt, der Agentur für Arbeit die Tragfähigkeit der Existenzgründung nachweist und seine Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung der selbständigen Tätigkeit darlegt.

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Der Kläger hat im Zeitpunkt der Aufnahme keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld in Höhe von 150 Tagen (dazu unter 1). Der Kläger ist auch nicht so zu behandeln, als habe er noch einen solchen Anspruch (dazu unter 2).

1.
Der Kläger hatte im Zeitpunkt der Aufnahme keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld in Höhe von 150 Tagen.

§ 93 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB III stellt auf den tatsächlich noch bestehenden materiell-rechtlichen Anspruch, nicht auf einen fiktiv ggf. noch bestehenden Anspruch ab. Die materiellen Voraussetzungen eines konkreten Zahlungsanspruchs müssen gegeben sein (LSG Hamburg, Urteil vom 10.07.2017, L 2 AL 9/17, Rn. 29). Der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld hatte sich im Zeitpunkt der Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit am 01.08.2020 nach § 148 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III durch Erfüllung auf 118 Tage gemindert.

Etwas anderes ergibt sich nicht aus § 421d SGB III. Nach § 421d SGB III in der Fassung vom 20.05.2020 (mittlerweile: § 421d SGB III) verlängert sich die Anspruchsdauer (des Anspruchs auf Arbeitslosengeld) für Personen, deren Anspruch auf Arbeitslosengeld sich in der Zeit vom 01.05.2020 bis zum 31.12.2020 auf einen Tag gemindert hat, einmalig um drei Monate. Eine solche Minderung auf einen Tag liegt hier ersichtlich nicht vor (siehe oben). Nach dem eindeutigen Wortlaut ist die Vorschrift nicht einschlägig.

Eine erweiternde Auslegung ist nicht möglich. Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 19/18966, Seite 29 f.) soll die Verlängerung der Anspruchsdauer um drei Monate erst zu einem Zeitpunkt erfolgen, an dem sich die Anspruchsdauer durch Erfüllung (§ 148 Abs. 1 Nr. 1 SGB III) oder unter Berücksichtigung der sonstigen in § 148 Abs. 1 SGB III genannten Tatbestände faktisch auf einen Tag gemindert hat. Vor diesen Zeitpunkt, z.B. im Fall einer Unterbrechung des Leistungsbezugs wegen einer Arbeitsaufnahme, mit einem dann noch bestehenden Restanspruch von mehr als einem Tag, erfolgt eine Verlängerung des Anspruchs nicht (daran anknüpfend: Kador in: Eicher/Schlegel, SGB III, § 421d, Rn. 35 f., Stand: 07/2021). Die Verlängerung der Anspruchsdauer um pauschal drei Monate soll erst dann erfolgen, „wenn sich die Dauer eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld tatsächlich bis auf einen Tag gemindert hat“ (BT-Drucks. 19/18866, Seite 29).

Dementsprechend ergibt sich eine Verlängerung des Anspruchs hier nicht aus § 421d SGB III. Der Wortlaut und der Wille des Gesetzgebers sind eindeutig.

2.
Der Kläger ist nicht so zu behandeln, als habe er noch einen Anspruch auf Arbeitslosengeld in Höhe von 150 Tagen.

Eine fiktive Erfüllung der Voraussetzungen ergibt sich weder aus Überlegungen einer Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand (dazu unter a) noch aus einer entsprechenden Anwendung des § 421d SGB III (dazu unter b).

a)
Eine fiktive Erfüllung der Voraussetzung, noch 150 Tage Anspruch auf Arbeitslosengeld zu haben, ergibt sich nicht aus der Rechtsfigur der Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand.

Der Kläger trägt vor, dass er geplant hatte, bereits zum 01.06.2020 die Tätigkeit aufzunehmen. Ob sich dieses Vorhaben durch pandemiebedingte Folgen verzögert hat, kann die Kammer offen lassen, da sich auch in diesem Fall keine fiktive Vorverlegung der Aufnahme ergeben würde.

Gegen eine realistische Aufnahme am 01.06.2020 könnte sprechen, dass sich der Kläger wohl erst ca. vier Wochen vor dem Zieltermin an die Handwerkskammer gewandt hat. Dass eine E-Mail, die keine PDF-Dateien (sondern Office-Dateien) im Anhang hatte, bei der Handwerkskammer im Spamordner einging, hat seine Ursache zudem nicht in der Pandemie. Das erste Informationsmaterial wurde bei der Beklagten am oder kurz vor dem 12.05.2020 abgefragt.

Die Frage, ob eine pandemiebedingte unverschuldete Verzögerung vorliegt, kann offen bleiben, da diese Überlegungen am ehesten unter die Rechtsfigur der Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand subsumiert werden könnten, deren Voraussetzungen aber aus einem anderen Grund nicht vorliegen. Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist jemanden, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Bei der Anforderung des § 93 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB III handelt es sich nicht um eine gesetzliche Frist in diesem Sinne. Fristen im weiteren Sinn sind alle abgegrenzten, also bestimmt angegebenen oder wenigstens bestimmbaren Zeiträume schlechthin, auch wenn sie nicht zusammenhängend zu verlaufen brauchen (BSG, Urteil vom 27.06.1961, 3 RK 64/58, Rn. 15). Kennzeichen gesetzlicher Fristen ist, dass sich diese im Hinblick auf Beginn, Dauer und Ende unmittelbar aus einer Rechtsnorm, d.h. aus einem Gesetz im engeren Sinne, einer Verordnung oder Satzung ergeben (Franz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 27 SGB X, Rn. 12). Hier liegt keine Bestimmung eines Zeitraums vor. § 93 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB III setzt einen gewissen „Restbestand“ eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld voraus. Ein Zeitraum wird dadurch nicht bestimmt.

b)
Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht aus einer teleologischen Extension des oder einer Analogie zu § 93 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III oder § 421d SGB III.

Der Sinn und Zweck der Regelung in § 93 Abs. 2 Nr. 1 SGB III dürfte unter anderem darin liegen, „Mitnahmeeffekte“ zu verhindern (BT-Drucks. 16/1696, Seite 30; Schneil in: Gagel, SGB III, § 93, Rn. 17, Stand: 06/2021; mit anderer Schwerpunktsetzung allerdings: LSG Hamburg, Urteil vom 10.07.2017, L 2 AL 9/17, Rn. 29 ebenfalls unter Verweis auf Ausführungen im Gesetzgebungsverfahren, wonach der Gründungszuschuss (allgemein) dafür da sei, den Lebensunterhalt am Anfang der selbstständigen Tätigkeit zu sichern, da „[d]as wegfallende Arbeitslosengeld […] kompensiert“ werden müsse, BT-Drucks. 16/1696, Seite 30). Wird auf das Verhindern von „Mitnahmeeffekten“ abgestellt, könnte argumentiert werden, dass dieser Zweck hier noch erfüllt werden konnte, da der Kläger noch die Möglichkeit hatte, 208 Tage Arbeitslosengeld zu erhalten. Bei einem Weiterlaufen des Anspruchs auf Arbeitslosengelds hätte sich dieser innerhalb der Frist des § 421d SGB III auf einen Tag gemindert. Die Kammer hält eine solche Auslegung oder Rechtsfortbildung hier aber nicht für methodengerecht möglich. Hinsichtlich § 93 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III fehlt es an einer planwidrigen Regelungslücke, hinsichtlich § 421d SGB III an einer vergleichbaren Interessenslage.

aa) Eine teleologische Extension des/eine Analogie zu § 93 SGB III oder § 421d SGB III wäre zunächst nur bei einer planwidrigen Regelungslücke möglich (zur Analogie: Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. 1995, Seite 202 ff.; BSG, Urteil vom 27.06.2007, B 6 KA 24/06 R, Rn. 18; auch zur teleologischen Extension: BVerwG, Urteil vom 29.11.2018, 5 C 10/17, Rn. 11). Dies lässt sich bei der bereits länger in Geltung stehenden Vorschrift des § 93 SGB III, die an vorherige Vorschriften anknüpft, nicht begründen. Auch, wenn die Wechselwirkung mit § 421d SGB III eine neue Situation ist, ist das Tatbestandsmerkmal insoweit klar konturiert, dass ein tatsächlicher Zahlanspruch gegeben sein muss (dazu bereits oben). Es gibt hierzu zusätzlich zu der oben zitierten Rechtsprechung eine bereits zu den Vorgängervorschriften bestehende, gefestigte Rechtsprechung des BSG zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Anspruch auf Arbeitslosengeld“ (BSG, Urteil vom 05.05.2010, B 11 AL 11/09 R, Rn. 16). Danach reicht zur Erfüllung des Tatbestandsmerkmal nicht einmal das Entstehen des Stammrechts aus (BSG, Urteil vom 05.05.2010, B 11 AL 11/09 R, Rn. 16).

Zu § 421d SGB III lässt die Kammer die Frage, ob eine Regelungslücke besteht, offen. Eine solche kann hier wegen der Wechselwirkung des § 421d SGB III auf andere Leistungen (hier Gründungszuschuss) nicht ganz ausgeschlossen werden, da diese Regelungen zu Beginn der Pandemie (hier: Gesetz zu sozialen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie – Sozialschutzpaket II, BGBl. I. 2020, 1055) unter großem Zeitdruck verabschiedet wurden und diese Querwirkung ggf. übersehen wurde. Gegen eine planwidrige Regelungslücke spricht allerdings, dass es sich – worauf in der Bundestagsdrucksache mehrfach hingewiesen wird – um eine Ausnahmevorschrift handelt, bei der besondere Vorsicht bei der Annahme einer planwidrigen Regelungslücke geboten ist (dazu ergänzend sogleich).

bb) Es liegt hier jedenfalls keine vergleichbare Interessenslage wie in dem in § 421d SGB III abgedeckten Fall vor (zu dieser Voraussetzung ebenfalls: Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. 1995, Seite 220; BSG, Urteil vom 27.06.2007, B 6 KA 24/06 R, Rn. 18). Die Regelung sollte eine einmalige Verlängerung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld in der Sondersituation der Pandemie schaffen. Mit der Regelung sollte „der Versicherungsschutz für Personen verbessert werden, die in der Krisensituation am Arbeitsmarkt infolge der wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie aus dem Schutz der Arbeitslosenversicherung fallen würden. In dieser Phase, in der die Möglichkeiten und Chancen, eine neue Beschäftigung zu finden und aufzunehmen, in gravierender Weise eingeschränkt sind, sollen die Betroffenen nicht unmittelbar auf das Leistungssystem der Grundsicherung für Arbeitsuchende verwiesen werden. Die Regelung verfolgt insoweit das Ziel, die soziale Absicherung im Versicherungssystem zumindest für eine absehbar besonders betroffene Gruppe von Arbeitslosengeldbeziehenden für eine bestimmte Zeit aufrecht zu erhalten“ (BT-Drucks. 19/18966, Seite 29).

Dieser Zweck ist durch den Gründungszuschuss nicht in gleicher Form erreichbar. Auch, wenn dieser an die Stelle des Anspruchs auf Arbeitslosengeld treten soll (BT-Drucks. 16/1696, Seite 30, siehe dazu auch: LSG Hamburg, Urteil vom 10.07.2017, L 2 AL 9/17, Rn. 29, siehe auch bereits oben), ist der Zweck des Gründungszuschusses gegenüber dem des Arbeitslosengelds insgesamt ein anderer. Beim Arbeitslosengeld steht der Lohnersatz im Vordergrund. Beim Gründungszuschuss, der ein Mittel der aktiven Arbeitsmarktpolitik darstellt, ist die Beendigung der Arbeitslosigkeit der vorrangige Bezugspunkt. Die Unterstützung am Anfang der noch nicht lukrativen selbstständigen Tätigkeit ist insoweit ein Mittel zum Zweck. Aus den Mitteln der Arbeitsmarkpolitik hat der Gesetzgeber zur Bekämpfung der Folgen der Corona-Pandemie den Anspruch auf Kurzarbeitergeld ausgewählt und den Zugang zu dieser Leistung erleichtert und die Leistungshöhe und die Bezugsdauer angehoben (siehe dazu im Einzelnen: Greiser/Akyüz in: ZESAR 2021, 112 ff.). Diese Spezifizierung findet sich auch in der Bundestagsdrucksache zur Einführung des § 421d SGB III (BT-Drucks. 19/18966, Seite 1).

Darüber hinaus bezieht sich der Gesetzgeber hinsichtlich § 421d SGB III mehrfach auf die begrenzten Mittel und den besonderen Ausnahmecharakter der Verlängerung, die erst eingreifen solle, wenn der Anspruch sich tatsächlich gemindert hat (BT-Drucks. 19/18966, Seite 29). Der Gesetzgeber hat den Ausnahmecharakter der Regelung stark betont (dazu bereits oben). Dieser Ausnahmecharakter der Regelung des § 421d SGB III spricht deutlich gegen eine Rechtsfortbildung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.