Oberlandesgericht Braunschweig
Urt. v. 19.12.2023, Az.: 3 Kap 1/16

Zeugnisverweigerungsrecht in einem Kapitalanleger-Musterverfahren bei der Gefahr einer Strafverfolgung

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
19.12.2023
Aktenzeichen
3 Kap 1/16
Entscheidungsform
Zwischenurteil
Referenz
WKRS 2023, 52346
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2023:1219.3KAP1.16.00

Verfahrensgang

vorgehend
LG Braunschweig - AZ: 5 OH 62/16

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Einem Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 384 Nr. 2 Alt. 2 ZPO steht nicht entgegen, dass sich der Zeuge in einem gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahren gegenüber der Staatsanwaltschaft umfassend als Beschuldigter eingelassen hat.

  2. 2.

    Die Gefahr einer Strafverfolgung im Sinne des § 384 Nr. 2 Alt. 2 ZPO bezüglich der in einem Zivilprozess anstehenden Aussage kann grundsätzlich nicht dadurch "entfallen", dass aufgrund einer früheren Aussage oder Einlassung des Zeugen ohnehin schon eine Gefahr der Strafverfolgung besteht; insoweit unterscheidet sich § 384 Nr. 2 Alt. 2 ZPO von § 383 Abs. 1 Nr. 5 ZPO.

  3. 3.

    Der Streitwert eines Zwischenstreits über ein Zeugnisverweigerungsrecht in einem Kapitalanleger-Musterverfahren hängt u. a. davon ab, ob die Beweisaufnahme für alle Ausgangsverfahren gleichermaßen relevant sein wird und ob sich der Zeuge in einem solchen Zwischenstreit einem Kostenrisiko ausgesetzt sieht, das ihn in dieser Höhe in den Ausgangsverfahren kaum treffen könnte.

In dem Kapitalanleger-Musterverfahren
Deka Investment GmbH, vertreten durch den Geschäftsführer
Thomas Schneider und den Prokuristen Michael Windischmann,
Mainzer Landstraße 16, 60325 Frankfurt am Main,
- Musterklägerin -
Prozessbevollmächtigte:
TILP Litigation Rechtsanwaltsgesellschaft mbH,
Einhornstraße 21, 72138 Kirchentellinsfurt,
gegen
1. Volkswagen AG, vertreten durch den Vorstand, dieser vertreten durch den Vorstandsvorsitzenden Dr. Oliver Blume, Berliner Ring 2, 38440 Wolfsburg,
- Musterbeklagte -
Prozessbevollmächtigte:
Göhmann Rechtsanwälte Abogados Advokat Steuerberater Partnerschaft mbB, Ottmerstraße 1-2, 38102 Braunschweig,
sowie
Hengeler Mueller Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB,
Bockenheimer Landstraße 24, 60323 Frankfurt am Main,
2. Porsche Automobil Holding SE, vertreten durch den Vorstand,
dieser vertreten durch den Vorstandsvorsitzenden Hans Dieter Pötsch,
Porscheplatz 1, 70435 Stuttgart,
- Musterbeklagte -
Prozessbevollmächtigte:
Hengeler Mueller Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB,
Bockenheimer Landstraße 24, 60323 Frankfurt am Main,
hier:
Zwischenstreit über die Rechtsmäßigkeit der Zeugnisverweigerung des Zeugen
A., ...
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwalt B.
hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Jäde, den Richter am Oberlandesgericht Stephan und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Otto auf die mündliche Verhandlung vom 2. November 2023 für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Der Zeuge ist gemäß § 384 Nr. 2 Alt. 2 ZPO berechtigt, bezüglich der folgenden Beweisthemen das Zeugnis umfassend zu verweigern:

    (...)

  2. 2.

    Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei; die Musterklägerin, die Musterbeklagte zu 1) und die Musterbeklagte zu 2) haben die notwendigen Auslagen des Zeugen zu jeweils einem Drittel zu tragen.

  3. 3.

    Der Wert des Streitgegenstands des Zwischenstreits wird festgesetzt auf 1.500.000,00 €.

Gründe

I.

Die verbliebenen Parteien des Zwischenstreits - nachdem die Musterklägerin ihren Antrag zurückgenommen hat: der Zeuge und die Musterbeklagten - streiten über das Recht des Zeugen, in dem Kapitalanleger-Musterverfahren gemäß § 384 Nr. 2 Alt. 2 ZPO das Zeugnis umfassend zu verweigern.

Mit Beweisbeschluss vom 7. Juli 2023 ("Beweisbeschluss I", Bl. 4215-4282, Bd. XVIII d. A.) hat der Senat unter anderem beschlossen, dass der Zeuge zu den aus dem Tenor ersichtlichen Beweisthemen vernommen werden soll. Mit Verfügung vom 10. Juli 2023 (Bl. 4293 ff. Bd. XVIII d. A.) hat der Senat den Zeugen von der beabsichtigten Vernehmung zu den genannten Beweisthemen unterrichtet.

Daraufhin hat der Zeuge mitgeteilt, dass er sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 384 Nr. 2 ZPO berufe, welches vorliegend zu einem umfassenden Zeugnisverweigerungsrecht erstarke. Die aus dem Schreiben vom 10. Juli 2023 ersichtlichen Beweisthemen ständen in einem direkten Zusammenhang mit dem gegen den Zeugen geführten Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft ... zur Diesel-Abgasthematik. Der Zeuge sei einer der wenigen weiterhin Beschuldigten in diesem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft ... (Az. ...); gegen viele andere Beschuldigte seien die Verfahren nach § 153a Abs. 1 StPO mit Zustimmung des Landgerichts ... eingestellt worden. Dem Zeugen werde in dem genannten Ermittlungsverfahren Betrug, strafbare Werbung und mittelbare Falschbeurkundung vorgeworfen. Es bestehe die Gefahr, dass etwaige Aussagen des Zeugen zu den genannten Beweisthemen in dem Ermittlungsverfahren gegen ihn verwendet werden könnten. Jede mögliche Kenntnis oder Unkenntnis des Zeugen von den Behauptungen der Parteien im Musterfeststellungsverfahren könnte dem Zeugen strafrechtlich vorgehalten werden, insbesondere da es im Ermittlungsverfahren auch um Begehen durch Unterlassen gehe (§ 13 StGB), also den Vorwurf, der Zeuge habe trotz seiner Position im Unternehmen bestimmte Handlungen nicht verhindert.

Außerdem lebe der Zeuge seit längerem nicht mehr in Deutschland und habe auch keine deutsche Staatsangehörigkeit, so dass er nicht verpflichtet sei, einer Zeugenladung Folge zu leisten.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze vom 16. August 2023 nebst Anlage und vom 1. November 2023 (Bl. 4563 f. Bd. XIX und Bl. 5216 f. Bd. XXIII d. A.) Bezug genommen.

Dem sind die Musterparteien entgegengetreten.

Die Musterklägerin hatte zunächst beantragt,

im Wege des Zwischenurteils festzustellen, dass sich der Zeuge in Bezug auf die Beweisthemen ... des Beweisbeschlusses vom 7. Juli 2023 nicht mit Erfolg auf ein umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht berufen könne.

Die Musterklägerin ist der Ansicht, es sei nicht glaubhaft gemacht, dass der Zeuge ins Ausland verzogen sei. Da der Zeuge nach wie vor bei der Musterbeklagten zu 1) beschäftigt sei, habe diese den aktuellen Wohnort des Zeugen mitzuteilen. Der Zeuge sei zu laden, hilfsweise im Ausland zu vernehmen. Der Vortrag des Zeugen zu seinem angeblichen Zeugnisverweigerungsrecht sei unsubstantiiert; die Berechtigung der Weigerung müsse auf der Grundlage der vom Zeugen geschilderten Tatsachen nachgeprüft werden können; der alleinige Hinweis auf ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft ... ohne Benennung der genauen Tatvorwürfe und Zeiträume genüge diesen Anforderungen nicht.

Zudem wiederspreche die Berufung auf ein umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht der Tatsache, dass der Zeuge sich in dem Ermittlungsverfahren umfassend eingelassen habe.

Auch sei zwischenzeitlich strafrechtliche Verjährung eingetreten. Soweit ersichtlich gehe es vorliegend nicht um Straftaten, die mit einer Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren bedroht seien, so dass die Verjährungsfrist allenfalls fünf Jahre betrage, § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB. Alle vom Beweisbeschluss betroffenen Vorgänge lägen aber in den Jahren 2006 bis 2015 und damit länger als fünf Jahre zurück. Selbst wenn die Verjährung unterbrochen worden sei, sei die absolute Grenze der Verjährung nach längstens zehn Jahren überschritten, § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB.

Ferner ergebe sich aus § 384 ZPO grundsätzlich nicht das Recht, das Zeugnis insgesamt zu verweigern, sondern nur, solche Fragen nicht zu beantworten, die den Zeugen in die vom Gesetz umschriebene Konfliktlage bringen könnten. Das setze voraus, dass dem Zeugen zunächst einmal Fragen gestellt würden; es liege dann bei ihm, sich auf sein Recht, die Frage nicht zu beantworten, zu berufen.

Mit Schriftsatz vom 24. November 2023 hat die Musterklägerin erklärt,

sie halte an ihrem Antrag, das Nichtbestehen eines umfassenden Zeugnisverweigerungsrechts des Zeugen A. im Wege des Zwischenurteils festzustellen, nicht weiter fest.

Da die Beurteilung des Zeugnisverweigerungsrechts stets nur eine Momentaufnahme sei, werde rein vorsorglich klargestellt, dass auf das Zeugnis des Zeugen im Rechtsstreit nicht auf Dauer verzichtet werde, denn sein derzeit (möglicherweise) bestehendes umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht könne wieder entfallen, etwa wenn keine Gefahr der Strafverfolgung mehr bestehe.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz der Musterklägerin vom 12. September 2023 und 24. November 2023 (Bl. 4792-4799 Bd. XX d. A. und Bl. 5550 f. Bd. XXIV d. A.) Bezug genommen.

Die Musterbeklagten beantragen,

durch Zwischenurteil zu entscheiden, dass der Zeuge zu einer umfassenden Verweigerung des Zeugnisses in Bezug auf die Beweisthemen ... des Beweisbeschlusses vom 7. Juli 2023 nicht berechtigt sei.

Die Musterbeklagten sind der Ansicht, der Zeuge könne auch als ausländischer Staatsangehöriger - nicht-förmlich und ohne Androhung von Ordnungsmitteln - geladen oder im Ausland vernommen werden. Ein umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht bestehe nicht, es sei im Laufe der Befragung des Zeugen zu klären, ob dieser sich zu konkret gestellten Fragen im Einzelfall auf ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 384 Nr. 2 Alt. 2 ZPO berufen könne.

Die angekündigte Zeugnisverweigerung sei unzulässig, da der Zeuge diejenigen Tatsachen, auf die er die Weigerung stütze, weder hinreichend vorgetragen noch glaubhaft gemacht habe. Der Schriftsatz vom 16. August 2023 genüge den Anforderungen des § 386 Abs. 1 ZPO nicht; er enthalte lediglich einen pauschalen Hinweis auf ein laufendes Ermittlungsverfahren, ohne dass ersichtlich sei, welche der Beweisthemen, zu denen der Zeuge aussagen solle, im Zusammenhang mit dem Ermittlungsverfahren stünden. Es sei nicht Aufgabe des Senats, sich diese Informationen selbst zu beschaffen. Eine weitere Substantiierung sei dem Zeugen auch zumutbar, da die Gegenstände des Ermittlungsverfahrens den Strafverfolgungsbehörden ohnehin bekannt seien.

Die Geltendmachung eines pauschalen Zeugnisverweigerungsrechts sei zudem unbegründet; das Zeugnisverweigerungsrecht beschränke sich auf (solche) Fragen, die den Zeugen der Gefahr einer Strafverfolgung aussetzen könnten, so dass ein Zeuge nicht berechtigt sei, die Aussage insgesamt zu verweigern. Es sei zunächst erforderlich, die jeweilige Frage zu stellen; erst dann lasse sich entscheiden, ob sie von einem Zeugnisverweigerungsrecht nach § 384 Nr. 2 ZPO erfasst sei. Selbst bei einem eng begrenzten Beweisthema, das nur wenig Raum für Fragen lasse, die der Zeuge beantworten müsse, lasse sich nicht völlig ausschließen, dass der Zeuge die eine oder andere Frage doch beantworte; dies sei im Wege einer Einzelfallbetrachtung für jede Frage gesondert zu entscheiden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Musterbeklagten vom 7. September 2023 und 15. November 2023 (Bl. 4775-4780 Bd. XX d. A. und Bl. 5511 f. Bd. XXIV d. A.) Bezug genommen.

II.

Der Zeuge ist berechtigt, bezüglich der aus dem Tenor ersichtlichen Beweisthemen das Zeugnis gemäß § 384 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zu verweigern; dies führt hier ausnahmsweise zu einem umfassenden Zeugnisverweigerungsrecht.

1. Ein Zeuge kann das Zeugnis - unter anderem - verweigern über Fragen, deren Beantwortung ihm die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden, § 384 Nr. 2 Alt. 2 ZPO. Dazu muss er Tatsachen vortragen, aus denen sich die Gefahr einer Strafverfolgung im Zeitpunkt der Zeugnisverweigerung ergibt (a) und diese gegebenenfalls glaubhaft machen (b). Das Zeugnisverweigerungsrecht kann ausnahmsweise zu einem umfassenden Zeugnisverweigerungsrecht erstarken (c).

a) Ein Zeuge, der sich auf § 384 Nr. 2 Alt. 2 ZPO beruft, muss die Tatsachen angeben, auf die er die Weigerung gründet (§ 386 Abs. 1 ZPO). Das Gericht muss sich auf der Grundlage der Sachverhaltsangaben, ohne dass das Geheimnis aufzudecken ist, ein Bild davon machen können, um was es geht; die Angaben des Zeugen müssen so weit ins Einzelne gehen, dass das Gericht beurteilen kann, ob das Zeugnisverweigerungsrecht zu Recht in Anspruch genommen wird (BGH, Urteil vom 17. Mai 2018 - IX ZR 243/17 -, juris, Rn. 19; Damrau/Weinland, in: MüKo ZPO, 6. Auflage 2020, § 386, Rn. 2; Scheuch, in: BeckOK ZPO, 50. Edition, Stand 1. September 2023, § 386, Rn. 2). Der Zeuge muss aber nur die Umstände, aus denen sich das Zeugnisverweigerungsrecht ergibt, angegeben, nicht seine Beweggründe und Motive, sich auf dieses Recht zu berufen (vgl. Huber, in: Musielak/Voit ZPO, 20. Auflage 2023, § 386, Rn. 1).

Für ein Zeugnisverweigerungsrecht genügt, dass Tatsachen, die sich aus der Aussage des Zeugen ergeben, auch nur mittelbar, gegebenenfalls auch nur als "Teilstücke in einem mosaikartig zusammengesetzten Beweisgebäude" einen Tatverdacht begründen können und sich das Zeugnisverweigerungsrecht materiell daher auf solche Angaben erstreckt (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 21. April 2010 - 2 BvR 504/08 -, juris, Rn. 19 und vom 6. Februar 2002 - 2 BvR 1249/01 -, juris, Rn. 25; BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2012 - StB 16/12 -, juris, Rn. 9 zu § 55 Abs. 1 StPO; OLG Celle, Urteil vom 14. Juni 2010 - 8 U 21/09 -, juris, Rn. 16; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 22. April 2014 - 4 W 3/14 -, juris, Rn. 139; jeweils m. w. N.; Scheuch, in: BeckOK ZPO, 49. Edition, Stand 1. Juli 2023, § 384, Rn. 8; die insoweit zu § 55 StPO ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung gilt auch für § 384 Nr. 2 Alt. 2 ZPO, vgl. BGH, Beschluss vom 8. April 2008 - VIII ZB 20/06 -, juris, Rn. 14 a. E.; OLG Celle, Urteil vom 14. Juni 2010 - 8 U 21/09 -, juris, Rn. 16). Dieser Grundsatz gilt bereits bei der Darlegung und Glaubhaftmachung des Weigerungsgrundes; es darf nicht die Angabe von Anhaltspunkten für die Berechtigung zur Berufung auf das Zeugnisverweigerungsrecht gefordert werden, wenn diese Anhaltspunkte selbst ein Teilstück in einem "mosaikartig" zusammengesetzten Strafverdacht sein könnten (LAG Düsseldorf, Zwischenurteil vom 2. November 2015 - 14 Sa 800/15 -, juris, Rn. 70).

Eine Gefahr der Strafverfolgung besteht, wenn eine Ermittlungsbehörde aus einer wahrheitsgemäßen Aussage Tatsachen entnehmen könnte (nicht müsste), die sie zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens oder auch zur Aufrechterhaltung oder Verstärkung eines Tatverdachts veranlassen könnten (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 6. Februar 2002 - 2 BvR 1249/01 -, juris, Rn. 20 und vom 21. April 2010 - 2 BvR 504/08 -, juris, Rn. 19; jeweils m. w. N. zum insofern wortgleichen § 55 Abs. 1 StPO). Völlig entfernte beziehungsweise nur theoretische Möglichkeiten der Strafverfolgung bleiben jedoch außer Betracht (Scheuch, in: BeckOK ZPO, 50. Edition, Stand 1. September 2023, § 384, Rn. 8).

Einer Zeugnisverweigerung nach § 384 Nr. 2 Alt. 2 ZPO steht nicht entgegen, dass ein Ermittlungsverfahren bereits unabhängig von etwaigen Angaben des Zeugen im Rahmen einer Beweisaufnahme in diesem Verfahren eingeleitet worden ist, denn es genügt auch die Gefahr der Beweiserleichterung für ein bereits anhängiges Strafverfahren (OLG Celle, Urteil vom 14. Juni 2010 - 8 U 21/09 -, juris, Rn. 13). Ausreichend ist schließlich sogar auch nur die Gefahr, dass sich die Aussage bezüglich des Strafmaßes in dem betreffenden Strafverfahren ungünstig auswirken könnte (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 11. Januar 2016 - 13 W 58/15 -, juris, Rn. 17). Wenn eine Strafverfolgungsbehörde bereits eine Ermittlungstätigkeit aufgenommen hat, reicht dies regelmäßig aus, um ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 384 Nr. 2 ZPO zu begründen, sofern die Gefahr einer Strafverfolgung nicht - etwa auf Grund des Doppelverfolgungsverbots - ausgeschlossen ist (OLG Saarbrücken, Beschluss vom 22. April 2014 - 4 W 3/14 -, juris, Rn. 105).

b) Entgegen dem Wortlaut des § 386 Abs. 1 ZPO braucht der Zeuge seine Angaben dann nicht glaubhaft zu machen, wenn das Gericht den behaupteten Tatsachen in freier Würdigung Glauben schenkt (vgl. Huber, in: Musielak/Voit, ZPO, 20. Auflage 2023, § 386, Rn. 1; Scheuch, in: BeckOK ZPO, 50. Edition, Stand 1. September 2023, § 386, Rn. 2). Falls das Gericht Zweifel hat und eine Glaubhaftmachung daher als erforderlich ansieht, hat der Zeuge seine Angaben aber gemäß §§ 386 Abs. 1, 294 ZPO glaubhaft zu machen (BGH, Urteil vom 30. Mai 1972 - 4 StR 180/72 -, juris, Rn. 3; Huber, in: Musielak/Voit, ZPO, 20. Auflage 2023, § 386, Rn. 1; Scheuch, in: BeckOK ZPO, 50. Edition, Stand 1. September 2023, § 386, Rn. 2). Etwas anderes gilt, wenn sich der Weigerungsgrund unmittelbar aus dem Inhalt der Beweisfrage ergibt; dann ist eine Glaubhaftmachung des Grundes nicht erforderlich (Huber, in: Musielak/Voit ZPO, 20. Auflage 2023, § 386, Rn. 1).

c) Grundsätzlich ist ein Zeuge gemäß § 384 Nr. 2 ZPO nicht berechtigt, das Zeugnis insgesamt zu verweigern. Das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 384 Nr. 2 ZPO gestattet es dem Zeugen nur, solche Fragen nicht zu beantworten, die ihn in die vom Gesetz umschriebene Konfliktlage bringen (BGH, Urteil vom 18. Oktober 1993 - II ZR 255/92 -, juris, Rn. 9). Dazu ist zunächst erforderlich, dass dem Zeugen Fragen gestellt werden. Es liegt dann bei ihm, sich auf sein Recht, eine Frage nicht zu beantworten, zu berufen (LAG Köln, Urteil vom 22. Mai 2020 - 4 Sa 5/20 -, juris, Rn. 109; BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 1974 - 2 BvR 747/73 -, BVerfGE 38, 105-120, Rn. 19). Erst dann lässt sich entscheiden, ob eine konkret einem Zeugen gestellte Frage von einem Zeugnisverweigerungsrecht nach § 384 Nr. 2 ZPO erfasst ist. Es ist grundsätzlich prozessordnungswidrig, den Zeugen im Hinblick auf eine möglicherweise eintretende Konfliktlage erst gar nicht zu befragen; dabei ist es unerheblich, wenn das Beweisthema eng begrenzt ist und nur wenig Raum für Fragen lässt, die der Zeuge beantworten müsste. Denn es lässt sich meist nicht völlig ausschließen, dass der Zeuge die eine oder andere Frage doch beantworten würde (BGH, Urteil vom 18. Oktober 1993 - II ZR 255/92 -, juris, Rn. 9 f.).

Die in § 384 Nr. 2 Alt. 2 ZPO beschriebene Konfliktlage kann jedoch im Einzelfall dazu führen, dass ein Zeuge gar nichts zur Sache auszusagen braucht (BGH, a. a. O., Rn. 9; BGH, Beschluss vom 8. April 2008 - VIII ZB 20/06 -, juris, Rn. 17). Ein umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht liegt jedenfalls dann vor, wenn alle Umstände, die der Zeuge schildern würde, und alle Fragen, die an ihn gerichtet würden, selbst wenn sie nur das Randgeschehen beträfen, in einem unmittelbaren und untrennbaren Zusammenhang mit einem möglicherweise strafbaren oder ordnungswidrigen Verhalten stehen, sodass im Umfang der vorgesehenen Vernehmungsgegenstände nichts übrig bleibt, wozu er ohne die Gefahr der Verfolgung wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit wahrheitsgemäß aussagen könnte (BGH, Beschluss vom 8. April 2008 - VIII ZB 20/06 -, juris, Rn. 17; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 21. April 2010 - 2 BvR 504/08 -, juris, Rn. 19; OLG Celle, Beschluss vom 11. Januar 2016 - 13 W 58/15 -, juris, Rn. 44). Maßgeblich sind insoweit nicht beliebige denkbare, sondern nur für das vorliegende Verfahren bedeutsame bzw. sachdienliche Fragen (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juni 2002 - 4 StR 28/02 -, juris, Rn. 7; BGH, Urteil vom 28. November 1997 - 3 StR 114/97 -, BGHSt 43, 321-335, juris, Rn. 13; OLG Celle, Urteil vom 14. Juni 2010 - 8 U 21/09 -, juris, Rn. 15).

2. Vor diesem Hintergrund ist der Zeuge derzeit berechtigt, bezüglich der aus dem Tenor ersichtlichen Beweisthemen das Zeugnis gemäß § 384 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zu verweigern (a); dies führt hier ausnahmsweise zu einem umfassenden Aussageverweigerungsrecht (b); dem steht weder die Einlassung des Zeugen im Rahmen des Ermittlungsverfahrens entgegen (c), noch der Gesichtspunkt der Verjährung (d).

a) Hier bestünde im Falle einer Zeugenaussage zu den aus dem Tenor ersichtlichen Beweisthemen die Gefahr einer Strafverfolgung des Zeugen im oben genannten Sinne, denn aus einer wahrheitsgemäßen Aussage könnten Tatsachen hervorgehen, die jedenfalls zur Aufrechterhaltung oder Verstärkung eines Tatverdachts führen könnten, wie er Gegenstand des Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft ... gegen den Zeugen ist, oder die einen weiteren bzw. darüber hinausgehenden Tatverdacht begründen könnten.

Dabei ist den Musterparteien durchaus darin zuzustimmen, dass der Zeuge zu den Tatsachen, auf die er die Weigerung stütze, recht wenig vorgetragen hat. Es ist jedoch unstreitig, dass die Staatsanwaltschaft ... im Zusammenhang mit dem sogenannten "Dieselskandal" ein Ermittlungsverfahren gegen den Zeugen führt (Az. ...), der Zeuge sich also bereits einem Ermittlungsverfahren ausgesetzt sieht, dass in unmittelbarem Zusammenhang mit den aus dem Tenor ersichtlichen Beweisthemen steht.

Zudem sind - ohne dass es vor diesem Hintergrund noch entscheidend darauf ankäme - weitere Details zum vorgenannten Ermittlungsverfahren allgemeinkundig im Sinne von § 291 ZPO, namentlich, dass dem Zeugen von der Staatsanwaltschaft ... vorgeworfen wird "im Dieselskandal ... für millionenfachen Kundenbetrug mitverantwortlich zu sein. Er soll daran mitgewirkt haben, dass Fahrzeuge nur auf dem Prüfstand die Abgaswerte einhielten, nicht aber auf der Straße" (...).

Sollte sich aus der Zeugenvernehmung ergeben, dass der Zeuge während seiner Tätigkeit bei der Musterbeklagten zu 1) Kenntnisse von den dortigen Vorgängen im Zusammenhang mit einem Defeat Device gehabt hat, könnte dies den Tatverdacht, dass er auf strafbare Weise in diese Vorgänge bei der Musterbeklagten zu 1) involviert gewesen ist, zumindest verstärken. Solche Kenntnisse könnten einen "Mosaikstein" darstellen, der - jedenfalls zusammen mit weiteren "Mosaiksteinen" - Rückschlüsse auf die Beteiligung des Zeugen an den entsprechenden Vorgängen bei der Musterbeklagten zu 1) zulassen könnte.

b) Dieses Zeugnisverweigerungsrecht erwächst hier ausnahmsweise zu einem umfassenden Zeugnisverweigerungsrecht, da keine für das vorliegende Verfahren bedeutsamen bzw. sachdienlichen Fragen im Zusammenhang mit den im Tenor genannten Beweisthemen ersichtlich sind, auf die der Zeuge ohne die Gefahr der Verfolgung wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit wahrheitsgemäß aussagen könnte. Die Beweisthemen, zu denen der Senat die Vernehmung des Zeugen auf Antrag der Musterparteien angeordnet hat, decken sich mit dem Gegenstand der Vorwürfe, die ihm gegenüber im Rahmen der oben genannten Anklage erhoben werden.

Selbst auf den ersten Blick unverfängliche Fragen können sich zu einem "Mosaikstein" im obigen Sinne entwickeln - etwa Fragen danach, ob der Zeuge an einer bestimmten Besprechung teilgenommen hat, in dem Augenblick, in dem ein anderer Zeuge aussagt, dass in dieser Besprechung Vorgänge im Zusammenhang mit den Defeat Devices thematisiert worden seien. Dasselbe gilt für etwaige Kenntnisse des Zeugen vom Hören-Sagen in Kombination mit der Aussage der Person, von der der Zeuge diese Kenntnisse erlangt zu haben angibt.

Auch Fragen aus dem oder jenseits des absoluten Randbereichs der im Beweisbeschluss enthalten Beweisthemen - etwa abstrakte Fragen zum Informationsfluss bei der Musterbeklagten zu 1) - fallen danach unter das Zeugnisverweigerungsrecht, denn auch die etwaige Aussage des Zeugen, dass Informationen üblicherweise auf ein bestimmte Art und Weise weitergegeben worden sind (oder eben nicht), kann die Gefahr einer Strafverfolgung im obigen Sinne bergen, da aus einer ständigen oder üblichen Praxis unter Umständen geschlossen werden kann, dass auch im Einzelfall in der üblichen Art und Weise gehandelt worden ist (vgl. etwa BGH, Urteil vom 2. September 2021 - III ZR 63/20 -, NJW 2021, S. 3528 [Rn. 12] m. w. N.). Dies allein mag für eine strafrechtliche Verurteilung nicht ausreichen, kann aber jedenfalls einen "Mosaikstein" im obigen Sinne darstellen, der einen Tatverdacht bestätigen, vertiefen oder erweitern kann.

c) Einem Zeugnisverweigerungsrecht steht auch nicht entgegen, dass sich der Zeuge - nach dem unstreitigen Vortrag der Musterparteien - in dem gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft ... umfassend als Beschuldigter eingelassen hat. Dies widerspricht einer jetzigen Zeugnisverweigerung nicht:

aa) Zum einen sind die Beweggründe und Motive des Zeugen, sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht zu berufen, für die Frage des Bestehens dieses Rechts nicht relevant (siehe oben, Abschnitt 1.a).

bb) Hinzu kommt, dass es sich bei einer Einlassung in einem Ermittlungsverfahren und der hier in Rede stehenden Zeugenaussage vor dem Senat um zwei unterschiedliche Arten der Aussage handelt (vgl. OLG Braunschweig, Zwischenurteil vom 14. November 2023 - 3 Kap 1/16 - betreffend den Zeugen C., Ziffer II.2 lit. c):

Der Zeuge unterliegt bei seiner Aussage im hiesigen Verfahren - namentlich bei seiner Aussage vor einem Gericht im Sinne des § 153 StGB - einer strafbewehrten Wahrheitspflicht, die sowohl während einer polizeilichen oder staatsanwaltlichen Zeugenvernehmung nicht gilt (§ 153 StGB i. V. m. § 161 Abs. 1 Satz 3 StPO bzw. § 163 Abs. 3 Satz 3 StPO; vgl. Müller, in: MüKo StGB, 4. Auflage 2021, § 153, Rn. 64) als auch für eine Einlassung eines Beschuldigten, solange er nicht durch unwahre Angaben die allgemeinen Strafgesetze verletzt (BGH, Urteil vom 15. August 1952 - 3 StR 267/52 -, NJW 1952, S. 1265 [1266]; Diemer, in: KK-StPO, 9. Auflage 2023, § 136, Rn. 20 m. w. N.); auch eine dem § 138 Abs. 1 ZPO entsprechende Norm gibt es in der Strafprozessordung nicht.

Außerdem kann das Ergebnis eines Strafverfahrens davon abhängen, ob das Protokoll einer früheren Vernehmung in das Strafverfahren eingeführt werden kann. Bezüglich früherer Angaben besteht zwar kein allgemeines Verwertungsverbot (vgl. etwa BGH, Urteil vom 31. Mai 1968 - 4 StR 19/68 -, NJW 1968, S. 1838 [Ziff. I.1 lit. a]); aufgrund des Unmittelbarkeitsgrundsatzes ist aber die Verlesung eines Vernehmungsprotokolls in der Regel unzulässig, § 250 Abs. 2 StPO. Danach dürfen polizeiliche oder staatsanwaltliche Vernehmungsprotokolle im Strafprozess nicht als Urkunde verlesen werden, während § 254 Abs. 1 StPO eine Ausnahme von diesem Grundsatz für solche Erklärungen des Angeklagten statuiert, die in einem richterlichen Protokoll enthalten sind (siehe z. B. BGH, Urteil vom 31. Mai 1960 - 5 StR 168/60 -, NJW 1960, S. 1630; Urteil vom 28. Juli 1967 - 4 StR 243/67 -, NJW 1967, S. 2020 a. E.). Dies gilt unabhängig vom Gerichtszweig und der damaligen Prozesseigenschaft des späteren Angeklagten (RG, Urteil vom 1. November 1889 - 2108/89 -, RGSt 20, 23 [25]; Urteil vom 15. Dezember 1921 - 1095/21 -, RGSt 56, 257 [258]; Bär/Julius, in: Gercke/Julius/Temming/Zöller, StPO, 6. Auflage 2018, § 254, Rn. 5 m.w.N.; Kreicker, in: MüKo StPO, 1. Auflage 2016, § 254, Rn. 11; a. A. Diemer, in: KK-StPO, 9. Auflage 2023, § 254, Rn. 3). Erfasst sind also grundsätzlich auch Protokolle über Angaben des Angeklagten, die dieser in einem früheren Zivilprozess als Zeuge gemacht hat (BGH, Beschluss vom 3. Juli 1996 - 5 StR 179/96 -, NStZ 1996, S. 612 [obiter dictum]; Ganter, in: BeckOK StPO, 48. Edition, Stand 1. Juli 2023, § 254, Rn. 4). Vor diesem Hintergrund könnte der Zeuge hier Gefahr laufen, durch eine Aussage vor dem Senat ein richterliches Geständnis im Sinne des § 254 StPO abzulegen, das in dem Strafverfahren gegen ihn verlesen werden könnte; für etwaige polizeiliche oder staatsanwaltliche Vernehmungsprotokolle besteht die Möglichkeit einer Verlesung dagegen nicht, so dass diesbezüglich nur die zeugenschaftliche Vernehmung der damaligen Vernehmungspersonen bleibt - mit allen damit einhergehenden Unsicherheiten bezüglich ihrer Erreichbarkeit und ihres Erinnerungsvermögens.

cc) Letztlich kann die Gefahr einer Strafverfolgung im Sinne des § 384 Nr. 2 Alt. 2 ZPO bezüglich der anstehenden Aussage aber grundsätzlich nicht dadurch "entfallen", dass aufgrund einer früheren Aussage des Zeugen - und sei diese ebenfalls vor einem Richter geschehen - ohnehin schon eine Gefahr der Strafverfolgung besteht (vgl. OLG Braunschweig, Zwischenurteil vom 14. November 2023 - 3 Kap 1/16 - betreffend den Zeugen D., Ziffer II.2 lit. c):

Für die Frage des Bestehens eines Zeugnisverweigerungsrechts ist es unerheblich, ob und welche Angaben ein Zeuge bereits gemacht hat, denn der Zeuge kann die Entscheidung, im Rahmen einer Vernehmung nicht von einem ihm zustehenden Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch zu machen, jederzeit widerrufen bzw. sich im Falle einer weiteren Vernehmung erstmals auf sein Zeugnisverweigerungsrecht berufen (BGH, Beschluss vom 18. Juni 1982 - 2 StR 234/82 -, juris, Rn. 7; BGH, Urteil vom 26. August 1998 - 3 StR 256/98 -, juris, Rn. 12; OLG Schleswig, Beschluss vom 22. November 1990 - 2 Ws 462/90 -, juris; Maier, in: MüKo StPO, 2. Auflage 2023, § 55, Rn. 5, 81; Ignor/Bertheau, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Auflage 2017, § 55, Rn. 5, 19; Eschelbach, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, 5. Auflage 2023, § 55, Rn. 4; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 55, Rn. 11; vgl. auch VGH München, Urteil vom 11. Juni 2013 - 10 B 12.1493 -, juris, Rn. 25; Damrau/Weinland, in: MüKo ZPO, 6. Auflage 2020, § 386, Rn. 2 a. E.; Scheuch, in: BeckOK ZPO, 49. Edition, Stand 1. Juli 2023, § 386, Rn. 17).

Dem steht auch nicht entgegen, dass ein Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 383 Abs. 1 Nr. 5 ZPO entfallen kann, wenn ein Pressevertreter seine Beziehung zu einem Informanten, über die er als Zeuge bekunden soll, namentlich und inhaltlich bereits offengelegt hat: § 383 Abs. 1 Nr. 5 ZPO schützt die Anonymität des Informanten zugunsten des Vertrauensverhältnisses zwischen diesem und der Presse, damit letztere ihre Kontrollfunktion unter Einschaltung verlässlicher Informanten unter Wahrung des Redaktionsgeheimnisses wahrnehmen kann; nach einer Offenlegung besteht diese Anonymität, die geschützt werden könnte, aber nicht mehr (BGH, Beschluss vom 4. Dezember 2012 - VI ZB 2/12 -, NJW-RR 2013, S. 159 [160 Rn. 12 f. und 16 f.]). Die eine geschützte Information ist entweder geheim (und damit weiterhin schützenswert) oder preisgegeben.

Die Gefahr der Strafverfolgung im Sinne des § 384 Nr. 2 Alt. 2 ZPO stellt sich dagegen nicht als ein reines Entweder- oder dar: Der Zweck des § 384 Nr. 2 Alt. 2 ZPO liegt nicht nur darin, eine Strafverfolgung gänzlich zu verhindern, sondern eine Gefahr der Strafverfolgung im Sinne dieser Vorschrift ist bereits dann gegeben, wenn sich aus einer wahrheitsgemäßen Aussage Tatsachen ergeben könnten, die zur Aufrechterhaltung oder Verstärkung eines Tatverdachts führen könnten oder sich ungünstig auf das Strafmaß auswirken könnten (siehe oben, Abschnitt 1.a). Selbst, wenn eine frühere Aussage schon einen Tatverdacht begründet hätte, könnte eine erneute Aussage diesen bestätigen, vertiefen oder - bei geringsten Abweichungen - sogar erweitern. Der Zweck einer Zeugnisverweigerung gemäß § 384 Nr. 2 ZPO, das Vorgenannte zu vermeiden, kann deshalb auch nach einer bereits erfolgten Aussage oder Einlassung noch erreicht werden. Daran ändert sich im Falle des § 384 Nr. 2 Alt. 2 ZPO auch nicht deshalb etwas, weil die frühere Aussage im Zivilprozess gegebenenfalls im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden kann (anders zu § 383 Abs. 1 Nr. 5 ZPO: BGH, Beschluss vom 4. Dezember 2012 - VI ZB 2/12 -, NJW-RR 2013, S. 159 [160 Rn. 17] m. w. N.), denn auch ein sich daraus ergebender Tatverdacht könnte durch eine erneute Aussage bestätigt, vertieft oder erweitert werden.

d) Einem Zeugnisverweigerungsrecht steht auch nicht entgegen, dass etwaige Straftaten verjährt seien, denn jedenfalls bezüglich der Taten, die Gegenstand des Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft ... sind, ist die Verjährung durch die Vernehmung des Zeugen als Beschuldigten und die Bekanntgabe, dass gegen ihn das Ermittlungsverfahren eingeleitet ist, unterbrochen worden, § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB. Die Staatsanwaltschaft ... geht offensichtlich von einer Verjährungsunterbrechung aus und hat das Ermittlungsverfahren nicht eingestellt; dies reicht für die Gefahr einer Strafverfolgung im obigen Sinne aus, denn eine solche Strafverfolgung findet in Gestalt des Ermittlungsverfahrens de facto statt.

e) Weiteren Vortrags des Zeugen oder einer weiteren Glaubhaftmachung gemäß §§ 386 Abs. 1, 294 ZPO bedarf es hier nicht, da sich bereits in freier Würdigung der vorgetragenen Tatsachen ergibt, dass dem Zeugen ein (hier: ausnahmsweise umfassendes) Zeugnisverweigerungsrecht zusteht (vgl. BGH, Urteil vom 30. Mai 1972 - 4 StR 180/72 -, juris, Rn. 3; Huber, in: Musielak/Voit, ZPO, 20. Auflage 2023, § 386, Rn. 1; Scheuch, in: BeckOK ZPO, 50. Edition, Stand 1. September 2023, § 386, Rn. 2).

III.

Die Kostenentscheidung beruht bezüglich der Musterklägerin auf § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO sowie bezüglich der Musterbeklagte zu 1) und der Musterbeklagte zu 2) auf § 91 ZPO (vgl. Greger, in: Zöller, ZPO, 35. Auflage 2024, § 387 ZPO, Rn. 5), jeweils in Verbindung mit § 100 Abs. 1 ZPO; nach dem Ausscheiden der Musterklägerin aus dem Zwischenstreit sind keine weiteren Kosten entstanden.

Der Zwischenstreit über die Zeugnisverweigerung in einer vermögensrechtlichen Hauptsache ist ebenfalls eine vermögensrechtliche Angelegenheit, so dass der Streitwert nach § 1 GKG, § 3 ZPO zu schätzen ist. Maßgeblich ist dabei die Bedeutung, welche die Aussage des Zeugen für die Hauptsache hat. Ist die Aussage des Zeugen von zentraler Bedeutung für den Ausgang des Rechtsstreits, so kann der Wert seiner Aussage den Wert der Hauptsache erreichen (vgl. BGH, Beschluss vom 25. März 1991 - II ZA 9/90 -, juris, Rn. 1; KG, Beschluss vom 25. April 1968 - 1 W 373/68 -, NJW 1968, S. 1937 [1938]; Greger, in: Zöller, ZPO, 35. Auflage 2024, § 387 ZPO, Rn. 5); andernfalls ist sie mit einem Bruchteil der Hauptsache zu bewerten (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 9. Februar 2011 - 3 W 73/10 -, juris, Rn. 21 [dort 1/4]; LAG Düsseldorf, Zwischenurteil vom 2. November 2015 - 14 Sa 800/15 -, juris, Rn. 83 [dort 1/5]; vgl. auch OLG Jena, Beschluss vom 22. November 2019 - 4 W 53/19 -, juris, Rn. 1 [Interesse des Zeugen an der Beschwerdeentscheidung, § 47 Abs. 1 Satz 1 GKG]).

Hier ist zu berücksichtigen, dass die Aussage des Zeugen nur ein Baustein im Rahmen zahlreicher zu würdigender Beweismittel wäre, dass die Bedeutung der Aussage des Zeugen für den Ausgang des Rechtsstreits auch von dem Inhalt seiner Aussage und seiner Glaubwürdigkeit abhängt, und dass die Entscheidung im Zwischenstreit keinen vollstreckbaren Titel schafft (vgl. OLG Köln, Urteil vom 10. April 2019 - 13 U 231/17 -, juris, Rn. 43). Daneben ist zu berücksichtigen, dass es dem Wesen des Kapitalanleger-Musterverfahren geschuldet ist, dass sich zwar die Streitwerte der (hier: mehreren tausend) Ausgangsverfahren addieren, dass aber die hier durchgeführte Beweisaufnahme nicht für alle Ausgangsverfahren gleichermaßen relevant ist, etwa, weil die Ausgangsverfahren hier zahlreiche unterschiedliche Zeiträume betreffen. Auch sieht sich der Zeuge in einem Zwischenstreit in einem Kapitalanleger-Musterverfahren einem Kostenrisiko ausgesetzt, das ihn in dieser Höhe in (hier: mehreren tausend) Ausgangsverfahren kaum treffen könnte, da eine Aussage in mehreren tausend Verfahren schon faktisch kaum möglich wäre.

Vor diesem Hintergrund sowie unter Berücksichtigung der Ausführungen der Musterklägerin im Schriftsatz vom 1. Dezember 2023 und der Musterbeklagten im Schriftsatz vom 28. November 2023 zum Streitwert in den vorangegangenen drei Zwischenverfahren ist der Gegenstandswert hier mit einem Bruchteil von 1/20 der Hauptsache zu bewerten. Die Größe dieses Bruchteils mag bei anderen Zeugen - je nach Bedeutung der in ihr Wissen gestellten Tatsachen - abweichend zu beurteilen sein.

Gegen Zwischenurteile der Oberlandesgerichte nach § 387 ZPO ist ein Rechtsmittel nicht gegeben (BGH, Beschluss vom 31. Juli 2018 - X ZB 9/17 -, NJOZ 2019, S. 294 [Rn. 3 -5]; OLG Köln, Urteil vom 10. April 2019 - 13 U 231/17 -, juris, Rn. 1; Damrau/Weinland, in: MüKo ZPO, 6. Auflage 2020, § 384, Rn. 16; Greger, in: Zöller, ZPO, 35. Auflage 2024, § 387 ZPO, Rn. 6).

Dr. Jäde
Stephan
Dr. Otto