Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 13.08.2008, Az.: 6 B 1768/08

Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe im Schuldienst des Landes Niedersachsen; Begriff der Dienstunfähigkeit; Verhältnis von amtsärztlichen Gutachten und privatärztlichen Stellungnahmen

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
13.08.2008
Aktenzeichen
6 B 1768/08
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2008, 28621
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGOLDBG:2008:0813.6B1768.08.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
OVG Niedersachsen - 24.10.2008 - AZ: 5 ME 351/08

Verfahrensgegenstand

Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe gemäß § 37 Abs. 1 Nr. 2 NBG ist rechtswidrig, wenn nicht die Dienstunfähigkeit des Beamten vorliegt. Nach § 54 Abs. 1 NBG ist der Beamte dienstunfähig, wenn er wegen seines körperlichen Zustandes oder aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig ist. Als dienstunfähig gilt der Beamte nach § 54 Abs. 1 S. 2 NBG auch dann, wenn er wegen Krankheit innerhalb von sechs Monaten mehr als drei Monate keinen Dienst getan hat und keine Aussicht besteht, dass er innerhalb weiterer sechs Monate wieder voll dienstfähig wird.

  2. 2.

    Grundsätzlich kommt dem amtsärztlichen Gutachten bei der Beurteilung der Frage der Dienstfähigkeit oder Dienstunfähigkeit eines Beamten der Vorrang vor privatärztlichen Stellungnahmen zu. Weicht die Beurteilung des Amtsarztes hinsichtlich desselben Krankheitsbildes von der Beurteilung eines behandelnden Privatarztes ab, kommt den amtsärztlichen Ausführungen nur dann ein Vorrang zu, wenn der Amtsarzt auf die Erwägungen des Privatarztes, wenn dieser seinen medizinischen Befund näher erläutert hat, eingeht und nachvollziehbar darlegt, warum er ihnen nicht folgt.

In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Oldenburg - 6. Kammer -
am 13. August 2008
beschlossen:

Tenor:

Die aufschiebende Wirkung der gegen die Verfügung vom 14. Mai 2008 erhobenen Klage (Az.: 6 A 1767/08) wird wieder hergestellt.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.

Gründe

1

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 80 Abs. 5 VwGO hat Erfolg.

2

Die Antragsgegnerin entließ den Antragsteller mit der am 15. Mai 2008 zugestellten Verfügung vom 14. Mai 2008 mit Ablauf des 30. Juni 2008 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe im Schuldienst des Landes Niedersachsen. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass der Antragsteller unter einer ... leide und aufgrund dieser Erkrankung dauerhaft dienstunfähig sei. Der Antragsteller sei seit dem 13. Februar 2008 dienstunfähig erkrankt und die Dienstunfähigkeit werde nach der Aussage des Amtsarztes noch einen Zeitraum von über sechs Monaten andauern. Der Wiedereintritt der Dienstfähigkeit hänge im Wesentlichen vom weiteren Verlauf und einer Behandlung der Erkrankung ab. Nach § 37 Abs.1 Nr. 2 NBG sei der Beamte auf Probe zu entlassen, wenn er dienstunfähig sei und das Beamtenverhältnis nicht durch Versetzung in den Ruhestand ende. Der Entlassungsgrund liege aufgrund der am 23. April 2008 festgestellten Dienstunfähigkeit des Antragstellers vor. Die Voraussetzungen für eine Versetzung in den Ruhestand lägen nicht vor, da die Erkrankung nicht bei Ausübung oder aus Veranlassung des Dienstes verursacht worden sei und der Antragsteller noch keine fünf Dienstjahre absolviert habe. Die sofortige Vollziehung der Entlassung liege im besonderen öffentlichen Interesse, da jede weitere Unterrichtstätigkeit sowie eine Vergütung des Antragstellers zu vermeiden seien. Weder den Schülerinnen und Schülern noch den Eltern sei es zu vermitteln, dass eine dienstunfähige Lehrkraft weiterhin Dienst verrichte und Dienstbezüge erhalte. Der Verbleib des Antragstellers im Schuldienst würde die Einstellung einer Ersatzkraft aus haushaltsrechtlichen Gründen unmöglich machen. Hinter diesem öffentlichen Interesse trete das persönliche Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs zurück.

3

Am Montag, dem 16. Juni 2008, hat der Antragsteller dagegen Klage erhoben und einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gestellt.

4

Die unter dem 14. Mai 2008 verfügte Entlassung des Antragstellers aus dem Beamtenverhältnis auf Probe gemäß § 37 Abs. 1 Nr. 2 NBG ist voraussichtlich rechtswidrig, weil derzeit von der Dienstunfähigkeit des Antragstellers voraussichtlich nicht ausgegangen werden kann und deshalb die sofortige Vollziehung der Entlassungsverfügung nicht im öffentlichen Interesse liegt.

5

Ausweislich des amtsärztlichen Gutachtens vom 14. April 2008, dem eine amtsärztliche Untersuchung des Antragstellers am 19. Februar 2008, Unterlagen der Antragsgegnerin, ein..., eine ambulante Untersuchung des Antragstellers durch den Facharzt Dr. ... am 4. März 2008 und dessen ... Zusatzgutachten zugrunde liegen, ist der Antragsteller aktuell nicht dienstfähig und die Möglichkeit des Eintritts einer dauernden Dienstunfähigkeit schon vor Erreichen der Altersgrenze nicht mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit auszuschließen. Aufgrund dieses Gutachtens hat die Antragsgegnerin am 23. April 2008 die dauernde Unfähigkeit des Antragstellers, seine Dienstpflichten zu erfüllen, also seine Dienstunfähigkeit, festgestellt. Auf Nachfrage der Antragsgegnerin vom 14. Mai 2008 hat der Amtsarzt unter dem 28. Mai 2008 auf der Grundlage eines mit Dr. ... geführten Telefongesprächs festgestellt, dass beim Antragsteller aus amtsärztlicher Sicht in Übereinstimmung mit der ... fachärztlichen Einschätzung aller Erfahrung nach bei dem langen und chronifizierten Verlauf nicht mit einer Wiederherstellung der Dienstfähigkeit in den nächsten sechs Monaten zu rechnen ist.

6

Der Amtsarzt hat in seinem Gutachten vom 14. April 2008 ausgeführt, dass der Antragsteller bei der Untersuchung ....

7

Der für die amtsärztliche Begutachtung zugezogene Facharzt für ... gelangt in seinem .... Zusatzgutachten vom 3. April 2008 aufgrund seiner ambulanten Untersuchung des Antragstellers vom 4. März 2008 zu der Einschätzung, ... Aus gutachterlicher Sicht sei er zum jetzigen Zeitpunkt als Lehrer nicht dienstfähig, ... Nach jetzigem Kenntnisstand sei die Möglichkeit des Eintritts einer dauernden Dienstunfähigkeit schon vor Erreichen der Altersgrenze nicht mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit auszuschließen. Ob der Antragsteller innerhalb von sechs Monaten und einer durchgeführten Behandlung wieder voll dienstfähig sein werde, könne aufgrund des langjährigen chronischen Verlaufes erst im Rahmen einer Nachuntersuchung beurteilt werden. Eine derartige Nachuntersuchung hat bislang nicht stattgefunden.

8

Das amtsärztliche Gutachten vom 14. April 2008/28. Mai 2008 trägt die Entscheidung, dass der Antragsteller dienstunfähig ist, voraussichtlich nicht. Nach § 54 Abs. 1 NBG ist der Beamte dienstunfähig, wenn er wegen seines körperlichen Zustandes oder aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig ist. Als dienstunfähig kann der Beamte nach § 54 Abs. 1 Satz 2 NBG auch dann angesehen werden, wenn er wegen Krankheit innerhalb von sechs Monaten mehr als drei Monate keinen Dienst getan hat und keine Aussicht besteht, dass er innerhalb weiterer sechs Monate wieder voll dienstfähig wird. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift für die Annahme der ...

9

Dienstunfähigkeit des Antragstellers sieht die Kammer bei der im Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes lediglich gebotenen summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage derzeit nicht für gegeben an.

10

Die Dienstunfähigkeit nach § 54 Abs. 1 Satz 1 NBG ist nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht gegeben, weil nicht ersichtlich ist, dass der Antragsteller wegen ... zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig ist. Diesen Schluss lässt das amtsärztliche Gutachten nicht zu, denn der Amtsarzt empfiehlt ... und er meint, der weitere Verlauf bleibe abzuwarten. Er meint also nicht, dass sich an der gesundheitlichen Verfassung des Antragstellers auch infolge einer Behandlung nichts ändern wird und er voraussichtlich nicht wieder dienstfähig werden wird. Die Voraussetzungen des § 54 Abs. 1 Satz 2 NBG liegen voraussichtlich auch nicht vor. Der Antragsteller hat seit dem 13. Februar 2008 zwar seinen Dienst nicht versehen, aber das geschah nicht wegen Krankheit und dauerte im Zeitpunkt der Feststellung der Dienstunfähigkeit am 23. April 2008 nicht mehr als drei Monate. Nach einem Vorfall am 6. Februar 2008, bei dem der Antragsteller während des Musikunterrichts mit Schülerinnen und Schülern der 10. Klasse des Gymnasiums an der ...straße in ... aufrecht stehend und mit ausgestrecktem rechten Arm das von Baldur v. Schirach getextete sogenannte Fahnenlied der Hitlerjugend "Vorwärts, Vorwärts" gesungen hat, wurde der Antragsteller von der Antragsgegnerin zu einem Dienstgespräch am 12. Februar 2008 geladen, in dem der Vorfall erörtert werden und der Antragsteller die Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten sollte, bevor über Konsequenzen entschieden werden sollte. Im Anschluss an das Gespräch veranlasste die Antragsgegnerin die amtsärztliche Untersuchung des Antragstellers. Der Umstand, dass der Antragsteller seit dem 13. Februar 2008 keinen Dienst versehen hat, beruht nach seinen Angaben, denen die Antragsgegnerin nicht widersprochen hat, darauf, dass ihm im Dienstgespräch am 12. Februar 2008 sehr deutlich nahe gelegt worden ist, sich zunächst krank zu melden. Ausweislich des über das Dienstgespräch gefertigten Vermerks hat der Antragsteller keine Probleme gesehen, weiterhin zu unterrichten und er hat nicht gemeint, krank zu sein und deshalb nicht den Dienst versehen zu können oder bereits am 6. Februar 2008 und seither krankheitsbedingt nicht in der Lage gewesen zu sein, verantwortlichen guten Unterricht zu erteilen. In einem Telefonat am 15. Februar 2008 erklärte die Antragsgegnerin ausweislich eines darüber gefertigten Vermerks, es aus Fürsorgegründen für wichtig zu halten, dass der Antragsteller derzeit nicht in ... unterrichte und auch sonst in der Schule nicht in Erscheinung trete, um dort die Wogen zu glätten. Sollte er sich nicht selbst krankmelden, sondern in der Schule erscheinen, müsse er unverzüglich an eine andere Schule abgeordnet werden. Ein Fernbleiben von der Schule werde nicht als ein Schuldeingeständnis angesehen, er bleibe sozusagen auf Wunsch der Antragsgegnerin zuhause.

11

Gleichwohl hat die Antragsgegnerin die Dienstunfähigkeit des Antragstellers festgestellt, weil er seit dem 13. Februar 2008 dienstunfähig erkrankt sei und die Dienstunfähigkeit einen Zeitraum von 6 Monaten andauern werde. Demgegenüber hält Prof. Dr... den Antragsteller für dienstfähig. Er sieht bei ihm ... Er meint, der Antragsteller habe eine die Dienstfähigkeit nicht beeinträchtigende, behandelbare ...

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Grundsätzlich kommt dem amtsärztlichen Gutachten bei der Beurteilung der Frage der Dienstfähigkeit oder Dienstunfähigkeit eines Beamten aufgrund der besonderen Fachkenntnisse in Bezug auf die dienstbezogenen Anforderungen der Vorrang vor privatärztlichen Stellungnahmen zu. Das setzt aber voraus, dass das amtsärztliche Gutachten auf einer zutreffenden Tatsachengrundlage beruht, in sich stimmig und nachvollziehbar ist und keine begründeten Zweifel an der Sachkunde des Amtsarztes bestehen. Weicht die Beurteilung des Amtsarztes hinsichtlich desselben Krankheitsbildes von der Beurteilung eines behandelnden Privatarztes ab, kommt den amtsärztlichen Ausführungen im Übrigen nur dann ein Vorrang zu, wenn der Amtsarzt auf die Erwägungen des Privatarztes, wenn dieser seinen medizinischen Befund näher erläutert hat, eingeht und nachvollziehbar darlegt, warum er ihnen nicht folgt. Diese Grundsätze beanspruchen in gleicher Weise Geltung, wenn der Amtsarzt einen Facharzt einschaltet, um die medizinische Sachkunde zu gewährleisten, und sich dessen medizinischer Beurteilung anschließt. Die Stellungnahme des Facharztes wird dann dem Amtsarzt zugerechnet (so OVG Lüneburg, Beschluss vom 24. Juli 2008, Az.: 5 PA 93/08, zitiert nach [...] unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts). Hieraus folgt, dass das Gericht angesichts eines anders lautenden privatärztlichen Gutachtens die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens für erforderlich halten muss, wenn sich nach den vorgenannten Maßstäben eine weitere Sachverhaltsaufklärung aufdrängt, weil der Amtsarzt gerade nicht auf die Erwägungen des privatärztlichen Gutachtens eingegangen ist und nicht nachvollziehbar dargelegt hat, warum er ihnen nicht folgt. Denn dann vermag das amtsärztliche Gutachten den mit ihm verfolgten Zweck nicht zu erfüllen bzw. dem Gericht die zur Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts erforderliche Sachkunde nicht zu vermitteln und ihm dadurch die Bildung der für die Entscheidung notwendigen Überzeugung nicht zu ermöglichen (vgl. dazu OVG Lüneburg, Beschluss vom 24. Juli 2008, Az.: 5 PA 93/08 m.w.N.). Das wird in einem späteren Stadium im Klageverfahren zu klären sein.

13

Anhand dieses Maßstabes erweisen sich die Ausführungen des zuständigen Amtsarztes in seinem Gutachten vom 14. April 2008/28. Mai 2008 als nicht nachvollziehbar bzw. als unzureichende Grundlage für die Feststellung der Dienstunfähigkeit des Antragstellers. Der Amtsarzt beschreibt...

14

Beim Dienstgespräch am 12. Februar 2008 gewann aber die zuständige dienstrechtliche Dezernentin der Antragsgegnerin den Eindruck, beim Antragsteller könnte eine gesundheitliche Beeinträchtigung vorliegen, er könnte gesundheitliche Schwierigkeiten haben, die Auswirkungen auf seine Dienstfähigkeit haben könnten. Deshalb veranlasste sie die Einholung des amtsärztlichen Gutachtens...

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Kann nach alledem nicht mit hinreichender Sicherheit bei summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage die Dienstunfähigkeit des Antragstellers festgestellt werden, und ist gem. § 37 Abs. 1 Nr. 2 NBG die Entlassung nur rechtmäßig, wenn der Antragsteller als Beamter auf Probe dienstunfähig ist, hat der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Entlassungsverfügung Erfolg, denn es liegt nicht im besonderen öffentlichen Interesse, eine nach derzeitigem Erkenntnisstand rechtswidrige Entlassungsverfügung sofort zu vollziehen.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.