Verwaltungsgericht Hannover
v. 06.04.2009, Az.: 13 A 1655/08
Abschiebung; Abschiebungsverbot; Asylanerkennung; Asylberechtigung; bestandskräftiger Verwaltungsakt; Ehefrau; Ehegatte; Ehemann; Eheschließung; falsche Angabe; Familienasyl; Heirat; kurdische Volkszugehörigkeit; politische Verfolgung; Rücknahme; Stammberechtigter; Täuschung; Türkei; Umdeutung; Verpflichtungsurteil; Vorverfolgung; Widerruf
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 06.04.2009
- Aktenzeichen
- 13 A 1655/08
- Entscheidungsform
- Gerichtsbescheid
- Referenz
- WKRS 2009, 50473
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 73 Abs 1 AsylVfG
- § 60 AufenthG
- § 26 AsylVfG
- § 47 VwVfG
- § 48 VwVfG
- § 49 VwVfG
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckungsschuldnerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen den Widerruf ihrer Asylanerkennung.
Sie ist türkische Staatsbürgerin und nach eigenen Angaben kurdischer Volkszugehörigkeit.
Ende November 1994 beantragte sie gemeinsam mit einem gewissen D. ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Sie gab sich als die Ehefrau des D. aus. Die Klägerin trug keine eigene Verfolgungsgeschichte vor, sondern erwähnte lediglich, dass Soldaten sie nach ihrem „Mann“ gefragt hätten. Zwar lehnte das damalige Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 06.02.1995 zunächst ab, das Verwaltungsgericht Minden verpflichtete jedoch die Beklagte, den D. als Asylberechtigten anzuerkennen und seiner vermeintlichen Ehefrau, der Klägerin, die Rechtsstellung im Rahmen des § 26 AsylVfG (Familienasyl) zuzuerkennen. Das Urteil ist rechtskräftig und mit Bescheid vom 0512.1996 des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge erkannte die Beklagte die Klägerin im Rahmen des Familienasyls als Asylberechtigte an.
Im Sommer 2006 erklärte die Klägerin gegenüber der zuständigen Ausländerbehörde, dass sie mit D. zu keinem Zeitpunkt verheiratet gewesen sei. Dies teilte die Ausländerbehörde dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit und bat um Mitteilung, ob ein Widerrufsverfahren eingeleitet werde.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge fand dann heraus, dass der D. in Wirklichkeit mit einer gewissen E. verheiratet ist und leitete Mitte Januar 2008 ein Widerrufsverfahren sowohl gegenüber dem D. als auch gegenüber der Klägerin ein. Im Laufe dieses Verfahrens wurde die Klägerin angehört. Mit Schriftsatz ihrer jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 16.01.2008 trug die Klägerin dann vor, aufgrund der Nähe zu D. sei sie in der Türkei auch Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt gewesen.
Mit Bescheid vom 19.02.2008 widerrief die Beklagte die Asylanerkennung der Klägerin und verneinte sowohl die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufEnthG als auch Abschiebehindernisse nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufEnthG. Der Bescheid wurde als Einschreiben am 21.02.2008 zur Post gegeben. Die Beklagte widerrief ebenfalls die Asylanerkennung des D.. Die Klage dagegen ist vor dem Verwaltungsgericht Hannover unter dem Az. 13 A 1659/08 anhängig.
Die Klägerin hat am 06.03.2008 Klage erhoben.
Sie trägt vor, sie sei mit dem D. religiös verheiratet. Zur weiteren Begründung ihrer Klage nehme sie auf die Gründe des Schreibens vom 16.01.2008 Bezug.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 19.02.2008 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen
Sie tritt der Klage entgegen.
Die Kammer hat die Sache mit Beschluss vom 24.02.2009 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
Zu der Entscheidungsform Gerichtsbescheid wurden die Beteiligten gehört.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Voraussetzungen zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid liegen vor, § 84 VwGO. Das Einverständnis der Klägerin ist hierzu nicht Voraussetzung.
Die Entscheidung ergeht gemäß § 76 Abs. 1 AsylVfG durch den Einzelrichter.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Anerkennung der Klägerin war nach § 73 Abs. 2 AsylVfG zu widerrufen. Da die Klägerin nie mit Y. D. verheiratet war, wurde ihr damals zu Unrecht der Schutz nach § 26 AsylVfG zu gesprochen. Familienasyl hätte sie nur als tatsächliche Ehefrau des Stammberechtigten erhalten können.
Gleichwohl kann zwar auch ein Widerruf nach § 73 Abs. 1 AsylvfG ausgesprochen werden, wenn sich im Nachhinein die Tatsachengrundlage ändert, hier insbesondere, wenn die Asylanerkennung des (vermeintlich) Stammberechtigten durch Widerruf entfällt. Dass die Zuerkennung des Familienasyls seinerzeit rechtswidrig war, steht dem Widerruf nicht entgegen. Voraussetzung hierfür wäre allerdings, dass der Widerruf der Asylanerkennung des stammberechtigten D. rechtskräftig wird. Im Fall, dass die Klage des D. Erfolg hat, würde demgegenüber auch ein Widerruf bei der Klägerin nicht möglich sein. Wann über die Sache 13 A 1659/08 entschieden wird, ist derzeit noch offen. Gleichwohl kann das Gericht bereits jetzt über die Klage der Klägerin entscheiden. Denn die Anerkennung der Klägerin war auch nach § 73 Abs. 2 AsylVfG zu widerrufen.
Da auch im Zeitpunkt der Zuerkennung von Asylrechtsschutz nach § 26 AsylVfG die Klägerin tatsächlich nicht mit dem Stammberechtigten verheiratet gewesen war, sondern diese Entscheidung lediglich aufgrund der falschen Angaben der Klägerin und des Stammberechtigten zu Stande kam, war der Bescheid von Anfang an aufgrund der falschen Angaben der Klägerin rechtswidrig und ist nach § 73 Abs. 2 AsylvfG zu widerrufen. Zwar hat die Beklagte wohl im angefochtenen Bescheid deutlich gemacht, dass das Familienasyl nur wegen der falschen Angaben zugesprochen wurde, im Tenor des Bescheides dann jedoch nur den Widerruf ausgesprochen. Zumindest eine Umdeutung dahingehend, dass der Bescheid zurückgenommen werden sollte, ist aber im Gegensatz zum „normalen“ Verwaltungsverfahrensrecht hier möglich, weil § 73 Abs. 1 und Abs. 2 AsylVfG gebundene Entscheidungen darstellen (die Voraussetzungen für einen Ermessenswiderruf liegen noch nicht vor) und die Rechtsfolgen sowohl beim Widerruf als auch bei der Rücknahme die selben sind (vgl. im Übrigen auch Hailbronner, AsylVfG, Loseblattwerk, § 73 RdNr. 38).
Das Verpflichtungsurteil des VG Minden vom 19.09.1996 steht dem nicht entgegenstehen.
Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob die Beklagte nicht insoweit nach § 173 ZPO iVm. §580 Nr. 4 ZPO auch Restitutionsklage hätte erheben können. Die falschen Angaben der Klägerin im damaligen Rechtsstreit vor dem Verwaltungsgericht Minden dürften jedenfalls den Tatbestand eines Prozessbetruges erfüllen. Eine Restitutionsklage wäre allerdings nach § 581 ZPO nur möglich, wenn zuvor die Klägerin deshalb rechtskräftig verurteilt worden ist. Hier ist nicht bekannt, ob diesbezüglich überhaupt ein Strafverfahren läuft bzw. ob die Beklagte schon Strafanzeige gestellt hat. Darauf kommt es allerdings wohl auch nicht an.
Denn eine Rücknahme ist nicht schon allein deswegen ausgeschlossen, weil das VG Minden die Beklagte verpflichtet hatte, die Klägerin als Asylberechtigte im Rahmen des Familienasyls anzuerkennen.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (Beschl. v. 07.05.1997 - 24 B 96.32589 -, zit. n. juris) hat zu dieser Frage u.a. ausgeführt:
„Eine Rücknahme ist nicht schon allein deswegen ausgeschlossen, weil das Verwaltungsgerichts Ansbach mit Urteil vom 18. Januar 1993 Az. AN 5 K 92.39276, das rechtskräftig ist, das Bundesamt verpflichtet hat, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass beim Kläger die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Dieses Urteil entfaltet insoweit keine erweiterte Rechtskraftwirkung im Sinne § 121 VwGO, dass es dem Bundesamt verwehrt ist, seine Entscheidung vom 9. Juni 1993 zurückzunehmen. Nach § 121 VwGO binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten so weit, als darin über den Streitgegenstand entschieden ist. Im Falle der vom Kläger erhobenen Verpflichtungsklage zum Verwaltungsgericht Ansbach Az. AN 5 K 92.39276 war Streitgegenstand der ablehnende Bescheid des Bundesamt vom 13. Mai 1992 sowie der Anspruch des Klägers, den Beklagten zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass in seinem Falle die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG gegeben sind. Für den Umfang der Rechtskraftwirkung sind notwendigerweise die Entscheidungsgründe des Urteils vom 18. Januar 1993 heranzuziehen. Diese ergeben, dass bindend im Sinne des § 121 VwGO nur über die geltend gemachten Asylgründe und die Feststellungen nach § 51 Abs. 1 AuslG entschieden wurde. Der Streitgegenstand im vorliegenden Verfahren, die Rechtmäßigkeit des Rücknahmebescheids vom 19. Juli 1995 ist mit dem Streitgegenstand jenes Verfahrens, in dem es um die materielle Asylberechtigung des Klägers ging, nicht identisch (vgl. BVerwG v. 21.3.1990 - BVerwG 9 B 276.89 InfAuslR 1990,245; BVerwG v. 22.9.1983 - BVerwG 3 C 71.82 Buchholz 427.6 zu § 15 BVG).“
Dem schließt sich das Gericht an. Entschieden wurde seinerzeit lediglich vom Verwaltungsgericht darüber, dass die Ehefrau des anerkannten Stammberechtigten Familienasyl zuzusprechen ist. Denn es muss berücksichtigt werden, dass auch das Verwaltungsgericht Minden von einer tatsächlich bestehenden Ehe ausging und von der nur religiös geschlossenen Ehe nichts wusste und diese Tatsache somit bei der Entscheidungsfindung auch nicht bewerten konnte.
Soweit gegenteiligere Auffassungen vertreten werden (vgl. das in vgl. Hailbronner, a.a.O., Rdnr. 36, zitierte VG Gießen) überzeugen diese nicht. Darin wird verkannt, dass eine Rücknahme die gerichtliche Verpflichtung zur Anerkennung nicht negiert, sondern geradezu Voraussetzung ist. Zurückgenommen werden kann nämlich nur eine bereits erfolgte Anerkennung. Liegt aber eine Anerkennung vor, so kann es für die Anwendung des § 73 keinen Unterschied machen, ob die Anerkennung auf der Bestandskraft des Bescheides des Bundesamtes oder auf einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung beruht (so auch Hailbronner, a.a.O., Rdnr. 37).
Eine eigene Verfolgung in der Türkei hat die Klägerin nach ihrer Anhörung im ersten Asylverfahren nicht erlitten. Der völlig unsubstantiierte Vortrag im Schreiben vom 16.01.2008 ist - abgesehen davon, dass er bereits im ersten Asylverfahren hätte vorgebracht werden können - nicht geeignete, das Gericht davon zu überzeugen, dass der Klägerin bei einer Rückkehr in ihre Heimat eine irgendwie geartete Verfolgung droht. Dies kann mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.