Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 04.09.2003, Az.: 5 AR 44/03

Entscheidungskompetenz des Landgerichts über sofortige Beschwerden in Zwangsvollstreckungssachen; Partei mit allgemeinem Gerichtsstand im Ausland; Abnahme der eidesstattlichen Versicherung

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
04.09.2003
Aktenzeichen
5 AR 44/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 24664
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:2003:0904.5AR44.03.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Oldenburg - AZ: 6 T 718/03

Fundstellen

  • InVo 2004, 158-159 (Volltext mit amtl. LS)
  • MDR 2004, 534 (Volltext mit red. LS)
  • NJW-RR 2004, 499-500 (Volltext mit amtl. LS)
  • OLGReport Gerichtsort 2004, 47-48
  • Rpfleger 2004, 171-172 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

In Zwangsvollstreckungssachen hat das Landgericht auch dann über sofortige Beschwerden zu entscheiden, wenn eine Partei ihren allgemeinen Gerichtsstand im Ausland hat.

In dem Zwangsvollstreckungsverfahren
hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... ,
den Richter am Oberlandesgericht ... und
den Richter am Oberlandesgericht ...
am 04. September 2003
beschlossen:

Tenor:

Zuständig ist das Landgericht Oldenburg.

Gründe

1

I.

Mit Beschluss vom 29.04.2003 hat das Amtsgericht Westerstede einen Widerspruch der Schuldnerin gegen die Abnahme der eidesstattlichen Versicherung zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde hat das Amtsgericht dem Landgericht Oldenburg zur Entscheidung vorgelegt. Dieses hat das Verfahren an das Amtsgericht mit der Begründung zurückgegeben, dass das Oberlandesgericht gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 1b) GVG zur Entscheidung berufen sei, weil die Schuldnerin ihren allgemeinen Gerichtsstand in England habe. Das daraufhin mit der Sache befasste Oberlandesgericht Oldenburg hat sich mit Beschluss vom 24.06.2003 ebenfalls für unzuständig gehalten. Es hat sich an der Entscheidung über das Rechtsmittel gehindert gesehen, weil § 119 Abs. 1 GVG als Ausnahmevorschrift eng auszulegen und im Zwangsvollstreckungsverfahren nicht einschlägig sei. Mit Beschluss vom 14.08.2003 hat das Landgericht die Angelegenheit dem Oberlandesgericht Oldenburg zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

2

II.

1.)

Die Entscheidung stützt sich auf § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO. Diese Vorschrift ist auch dann anwendbar, wenn zwei Gerichte unterschiedliche Ansichten über die Zuständigkeit im Rechtsmittelverfahren vertreten (BGH NJW 1985, S. 2537; NJW 1979, S. 719; NJW 1972, S. 111; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 24.A., § 36 Rdnr. 21).

3

2.)

Die Zuständigkeit des Senats zur Bestimmung des zuständigen Gerichts folgt aus § 36 Abs. 2 ZPO i.V.m. dem Geschäftsverteilungsplan A I 5. ZS Buchstabe d). Dem steht nicht entgegen, dass ein anderer Senat des Oberlandesgerichts an dem Kompetenzstreit beteiligt ist (vgl. BGH NJWRR 1999, S. 1081; NJW 2001, S. 1499, 1500) [BGH 07.03.2001 - XII ARZ 2/01].

4

3.)

Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen ebenfalls vor: Beide beteiligten Gerichte haben sich "rechtskräftig für unzuständig erklärt": Das Landgericht Oldenburg hat die Angelegenheit mangels Zuständigkeit mit Beschluss vom 03.06.2003 an das erstinstanzliche Amtsgericht Westerstede zurückgegeben; das Oberlandesgericht hat sich mit Beschluss vom 24.06.2003 für unzuständig erklärt. Beide Gerichte haben den Parteien ihre Entscheidungen auch bekannt gemacht.

5

4.)

Zuständig ist das Landgericht Oldenburg, §§ 72, 119 GVG.

6

a.)

Die Neuregelung des Beschwerderechts durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom 27.07.2001 (BGBl.. I, S. 1887) hat an der grundsätzlichen Zuständigkeit der Landgerichte als Beschwerdeinstanz für die beim Amtsgericht geführten Verfahren nichts geändert, § 72 GVG, sofern nicht ausnahmsweise eine Zuständigkeit des Oberlandesgerichts nach § 119 GVG gegeben ist (Oberlandesgericht Hamm, Rpfleger 2002, S. 638, 639; Zöller/Gummer, ZPO, 23.A., Vorb. § 567 Rdnr. 3): Denn die ursprüngliche Konzeption, die Beschwerdeverfahren - wie die Berufungsverfahren - auf die Oberlandesgerichte zu konzentrieren, ist im Gesetzgebungsverfahren gescheitert; als Kompromisslösung ist lediglich die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts durch die Neufassung von § 119 GVG erweitert worden (Zöller/Gummer, a.a.O.; MünchenerKommentarWolf, ZPO, 2.A., Aktualisierungsband, § 119 GVG Rdnr. 1).

7

b.)

Die hier nur in Betracht kommende Regelung in § 119 Abs. 1 Nr. 1b) GVG weist den Oberlandesgerichten die Zuständigkeit für Beschwerden gegen die Entscheidungen der Amtsgerichte in Streitigkeiten über Ansprüche zu, die von einer oder gegen eine Partei erhoben werden, die ihren allgemeinen Gerichtsstand im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit in erster Instanz außerhalb des Geltungsbereiches dieses Gesetzes hatte.

8

Maßgebend für die Auslegung einer Rechtsnorm sind der Wortsinn, der Bedeutungszusammenhang, die Entstehungsgeschichte und der Zweck der Norm (Palandt/Heinrichs, BGB, 62.A., Einl. Rdnr. 35). Danach sind sofortige Beschwerden in Zwangsvollstreckungssachen den Oberlandesgerichten nicht zur Entscheidung übertragen, auch wenn eine Partei ihren allgemeinen Gerichtsstand im Ausland hat.

9

aa.)

§ 119 Abs. 1 Nr. 1b) GVG begründet die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts nach dem Wortlaut der Bestimmung nicht etwa ganz allgemein für den Fall, dass eine Streitigkeit vorliegt, bei der eine Partei ihren allgemeinen Gerichtsstand im Ausland hat; vielmehr ist zusätzlich erforderlich, dass eine Streitigkeit über Ansprüche vorliegt, die von einer oder gegen eine Partei erhoben werden. Diese Voraussetzung ist sicher für das Erkenntnisverfahren gegeben. Im Zwangsvollstreckungsverfahren geht es hingegen nicht um das Recht einer Partei, von der anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen (vgl. § 194 BGB), sondern um die Durchsetzung des erkannten Rechts zum Zwecke der Befriedigung des Gläubigers unter Mithilfe des Staates: also um einen Vollstreckungsanspruch des Gläubigers gegen den Staat, der von dem privatrechtlichen Anspruch des Gläubigers gegen den Schuldner zu unterscheiden ist (vgl. dazu nur Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 7.A., § 1 Rdnr. 2; Jauernig, Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht, 21. A., § 1 Abschn. IV; Rosenberg/Gaul/Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht, 11.A., § 2 Abschn. I.).

10

bb.)

Diese Auslegung wird gestützt durch den Vergleich der Regelungen in § 119 Abs. 1 Nr. 1b) GVG und § 119 Abs. 1 Nr. 1c) GVG: Letztere Bestimmung enthält eine Beschränkung auf Streitigkeiten über Ansprüche , die von einer oder gegen eine Partei erhoben werden, nicht, sondern überträgt die Rechtsmittelzuständigkeit ganz allgemein für alle Entscheidungen des Amtsgerichts auf das Oberlandesgericht, sofern nur das Amtsgericht die Anwendung ausländischen Rechts in den Entscheidungsgründen ausdrücklich festgestellt hat.

11

cc.)

Die Entstehungsgeschichte der Bestimmung lässt ebenfalls den Schluss nicht zu, dass neben Beschwerden im Erkenntnisverfahren auch solche im Zwangsvollstreckungsverfahren § 119 Abs. 1 Nr. 1b) GVG unterfallen sollten. Wie bereits o.a., hat das Gesetzgebungsverfahren zum Ergebnis gehabt, dass an der grundsätzlichen Zuständigkeit der Landgerichte festgehalten werden soll, über Beschwerden gegen amtsgerichtliche Entscheidungen zu befinden. Selbst in Fällen mit Auslandsberührung ist nicht stets die Rechtsmittelzuständigkeit der Oberlandesgerichte begründet worden. Nach der gesetzlichen Regelung sind vielmehr weiterhin durchaus komplizierte Fälle mit internationalem Bezug von den Landgerichten in zweiter Instanz zu entscheiden (dazu Zöller/Gummer, a.a.O., § 119 GVG Rdnr. 13).

12

dd.)

Sinn und Zweck der Vorschrift sprechen ebenfalls nicht für die vom Landgericht vertretene Auffassung, das Vollsteckungsverfahren in den Anwendungsbereich von § 119 Abs. 1 Nr. 1b) GVG einzubeziehen. Denn der Sonderzuweisung von Sachen mit Auslandsberührung an das Oberlandesgericht hat die Erwägung zu Grunde gelegen, dass durch die Internationalisierung des Rechts ein großes Bedürfnis nach Rechtssicherheit durch eine obergerichtliche Rechtsprechung besteht. Die Regelung in § 119 Abs. 1 Nr. 1b) GVG hat sich nach den Vorstellungen des Gesetzgebers dadurch gerechtfertigt, dass das Gericht in diesen Fällen regelmäßig die Bestimmungen des Internationalen Privatrechts anzuwenden hat, um zu entscheiden, welches materielle Recht es seiner Entscheidung zu Grunde legt (BTDrucksache 14/6036, S. 118, 119). Diese Problematik tritt aber im Vollstreckungsverfahren nicht auf, weil die Vollstreckungsorgane bei der Durchsetzung titulierter Ansprüche stets deutsches Recht anzuwenden haben (dazu nur Nagel/Gottwald, Intern. Zivilprozessrecht, 5.A., § 17 Rdnr. 2 ff.).

13

ee.)

Die in § 119 Abs. 1 GVG erfolgte Angleichung des Beschwerderechtszugs mit dem Rechtszug in der Hauptsache (vgl. MünchenerKommentarLipp, a.a.O., Vor § 567 Rdnr. 5) schließlich lässt es ebenfalls nicht als erforderlich erscheinen, Erkenntnis und Vollstreckungsverfahren im Rahmen von § 119 Abs. 1 Nr. 1 b) GVG gleich zu behandeln, da beide Verfahren organisatorisch und verfahrensmäßig getrennt sind (Rosenberg/Gaul/Schilken, a.a.O., § 5 Abschn. I.2).