Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 12.06.2018, Az.: 1 B 323/18

selbstständige Erwerbstätigkeit; gewerbliches Fahrzeug; selbstständiges Gewerbe; Gewerbe; Pfändung; Verwaltungsvollstreckung

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
12.06.2018
Aktenzeichen
1 B 323/18
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2018, 74335
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Die Pfändung eines Transportfahrzeugs verstößt gegen § 31 Abs. 5 NVwVG i. V. m. § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO, soweit das Fahrzeug zur Beförderung von Materialien im Rahmen eines ausgeübten Gewerbebetriebs benötigt wird.
2. Ein Schuldner muss sich von der Vollstreckungsbehörde nicht darauf verweisen lassen, er könne die Pfändung oder Verwertung eines unpfändbaren Gegenstands durch Herausgabe eines pfändbaren Gegenstands verhindern.

Gründe

Der sinngemäß gestellte Antrag,

die aufschiebende Wirkung seiner am 09.05.2018 erhobenen Klage anzuordnen,

ist nach § 80 Abs. 5 S. 1 Alt. 1 VwGO statthaft und auch sonst zulässig. Seiner gegen die im Rahmen der Verwaltungsvollstreckung erfolgten Pfändung eines Fahrzeugs gerichtete Anfechtungsklage kommt gem. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 66 Nds. Verwaltungsvollstreckungsgesetz (NVwVG) keine aufschiebende Wirkung zu.

Der Antrag ist auch begründet. Das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegt hier das öffentliche Vollzugsinteresse, da die Pfändung des Kraftfahrzeugs, eines Transporters, nach summarischer Prüfung rechtswidrig ist. Die Pfändung verstößt gegen die Pfändungsschutzvorschrift des über § 31 Abs. 5 NVwVG anzuwendenden § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO. Danach sind bei Personen, die aus ihrer körperlichen oder geistigen Arbeit oder sonstigen persönlichen Leistungen ihren Erwerb ziehen, die zur Fortsetzung dieser Erwerbstätigkeit erforderlichen Gegenstände unpfändbar. Der Antragsteller hat – entgegen der Annahme der Antragsgegnerin – substantiiert dargelegt, dass er im Rahmen des von ihm ausgeübten Gewerbes „Lieferung und Einbau von Bauelementen, Verleih von Baugeräten, Bauberatung“ auf den gepfändeten Transporter angewiesen ist. So hat er vorgetragen, das Fahrzeug insbesondere für den Transport von Geräten, Werkzeug und Materialien sowie für die Entsorgung von Bauabfällen und Verpackungsmaterial zu benötigen. Dass er dieses Gewerbe tatsächlich ausübt und hieraus auch einen Erwerb zieht, hat er durch Vorlage von ihm gefertigter Rechnungen und Kontoauszügen glaubhaft gemacht. Aus diesen Rechnungen ergibt sich, dass der Antragsteller unter anderem Wandprofile und Dachlatten befördert sowie Abbrucharbeiten durchgeführt und die Entsorgung übernommen hat. Für diese Tätigkeiten bedarf es eines größeren Fahrzeugs wie dem gepfändeten Transporter. Ein durchschnittlicher Pkw, den sich der Antragsteller nach eigenem Vorbringen zumindest stundenweise leihen könnte, reicht nach Ansicht der Kammer nicht aus.

Deshalb steht der Annahme, der gepfändete Transporter sei notwendig zur Fortführung der Erwerbstätigkeit, auch nicht entgegen, dass der Antragsteller nach Angaben der Antragsgegnerin über ein zweites Kfz, einen Pkw der Marke Toyota mit dem Kennzeichen I. verfüge. Der Antragsteller hat auf gerichtliche Nachfrage telefonisch erklärt, dass es sich hierbei um einen Kleinwagen des Typs „Toyota Starlet“ handele, den er vor vielen Jahren seiner ehemaligen Vermieterin aufgrund von Mietschulden überlassen habe. Diese nutze seither das Fahrzeug und komme für sämtliche Ausgaben auf, auch wenn es weiter auf ihn angemeldet sei. Das Fahrzeug befinde sich in J., er könne darauf nicht zugreifen. Auch wenn es für die Kammer nicht nachvollziehbar ist, dass der Antragsteller keine Ab- bzw. Ummeldung vorgenommen haben will, ist das Fahrzeug als Personenkraftwagen jedenfalls von seiner Beschaffenheit nicht für die oben beschriebenen Tätigkeiten geeignet.

Der Anwendung von § 811 Abs. 1 ZPO steht auch nicht entgegen, dass der Antragsteller nach eigenem Vorbringen nicht Eigentümer des Transporters ist. So schützt § 811 Abs. 1 ZPO nicht das Eigentum, sondern Besitz und Gebrauchsmöglichkeit. Dem Schutz unterfallen daher alle Sachen, gleich ob sie im Gewahrsam des Schuldners, des Gläubigers oder eines zustimmenden Dritten stehen (vgl. Herget in: Zöller, Zivilprozessordnung, 32. Aufl. 2018, § 811 ZPO, Rn. 7).

Soweit die Antragsgegnerin meint, der Pfändungsschutz greife vorliegend nicht, weil der Antragsteller über ausreichend Einkommen durch Rente, Aufwandsentschädigungen für seine Ratstätigkeit und Sozialleistungen verfüge, überzeugt dies die Kammer nicht. Wäre der Antragsteller durch den Verlust des Transporters daran gehindert, seine Arbeitskraft zur Beschaffung (eines Teils) seines Lebensunterhalts einzusetzen, würde dies im Gegenzug zu höheren Grundsicherungsleistungen nach den Vorschriften des SGB XII führen. Dem Sinn und Zweck der Pfändungsschutzvorschriften entspricht es aber, dass die Organe des Staates dem Schuldner bei Zwangsvollstreckungen zugunsten des Gläubigers nicht wegnehmen dürfen, was der Staat mit Leistung von Sozialhilfe zur sozialen Sicherung wiedergeben müsste (Herget in: Zöller, Zivilprozessordnung, 32. Aufl. 2018, § 811 ZPO, Rn. 1).

Auch soweit die Antragsgegnerin vorträgt, dem Antragsteller sei vergeblich angeboten worden, „als milderes Mittel“ den Pkw des Typs Toyota zu pfänden, steht dies der Anwendung des § 811 Abs. 1 ZPO nicht entgegen. Ein Schuldner muss sich von der Vollstreckungsbehörde nicht darauf verweisen lassen, er könne die Pfändung oder Verwertung eines unpfändbaren Gegenstands durch Herausgabe eines pfändbaren Gegenstands verhindern. Ein solches Vorgehen unterläuft den Pfändungsschutz des § 811 ZPO und lässt sich auf keine Grundlage stützen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG sowie in Anlehnung an Ziff. 1.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ-Beilage 2013, 57 ff.). Danach entspricht in selbstständigen Vollstreckungsverfahren der Streitwert der Höhe des festgesetzten Zwangsgeldes oder der geschätzten Kosten der Ersatzvornahme, im Übrigen beträgt er ¼ des Streitwertes der Hauptsache. Da hier die Vollstreckung von Forderungen im Wert von 370,49 Euro Gegenstand ist, beträgt der Streitwert hiervon ein Viertel (92,62 Euro). Eine Reduzierung nach Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kommt wegen einer Vorwegnahme der Hauptsache nicht in Betracht.

Da der Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann und die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus obigen Gründen hinreichende Erfolgsaussichten bietet und nicht mutwillig erscheint, wird ihm gem. § 166 VwGO i. V. m. § 114 ff. ZPO antragsgemäß Prozesskostenhilfe bewilligt.

Die Kostenentscheidung bzgl. der Bewilligung von Prozesskostenhilfe folgt aus § 166 VwGO i. V. m. § 118 Abs. 1 S. 4 ZPO.