Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 21.06.2018, Az.: 2 B 242/18
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 21.06.2018
- Aktenzeichen
- 2 B 242/18
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2018, 73948
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Gründe
Der Antrag des Antragstellers,
die aufschiebende Wirkung seiner am 06.06.2018 erhobenen Klage (2 A 241/18) gegen die im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 29.05.2018 enthaltene Abschiebungsandrohung anzuordnen,
hat keinen Erfolg.
Der Antrag ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO statthaft, weil die Klage gegen die Androhung der Abschiebung nach Georgien nach Bescheidung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet keine aufschiebende Wirkung hat (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. §§ 75 Abs. 1, 34, 36 AsylG). Der Antrag ist auch im Übrigen zulässig. Er ist jedoch nicht begründet.
Ein Asylantrag ist gemäß § 30 Abs. 1 AsylG offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter (i. S. v. Art. 16a GG, § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes (i. S. v. §§ 3 bzw. 4 AsylG, § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG) offensichtlich nicht vorliegen. Hat das Bundesamt in Anwendung der Vorschriften der §§ 34, 36 AsylG aufenthaltsbeendende Maßnahmen ergriffen, ist auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen, wenn sich entweder dem Gericht ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Einschätzung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet aufdrängen oder wenn die Verfügung des Bundesamts für sich genommen, d. h. unbeschadet der Beurteilung des Asylgesuchs, offensichtlich unter Rechtsfehlern leidet. In diesem Rahmen muss die Richtigkeit des Offensichtlichkeitsurteils erschöpfend, wenngleich mit Verbindlichkeit allein für das Eilverfahren, geklärt werden. Insoweit hat die gerichtliche Prüfung über die sonst im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO übliche summarische Prüfung hinauszugehen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darf die Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet nur erfolgen, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und sich die Ablehnung des Antrags geradezu aufdrängt (vgl. zu alledem z. B. BVerfG, Beschlüsse vom 20.09.2001 - 2 BvR 1392/00 -, InfAuslR 2002, 146; vom 21.07.2000 - 2 BvR 1429/98 -, NVwZ-Beilage I 2000, 145; vom 04.10.1994 - 2 BvR 2838/93 -, NVwZ-Beilage I 1995, 2; vom 19.06.1990 - 2 BvR 369/90 -, InfAuslR 1991, 81; vom 10.01.1990 - 2 BvR 1434/89 -, InfAuslR 1990, 202 [BVerfG 27.02.1990 - 2 BvR 186/89]).
Nach diesen Maßstäben begegnet die Entscheidung des Bundesamts, den Antrag des Antragstellers auf Anerkennung als Asylberechtigter, auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf Gewährung subsidiären Schutzes als offensichtlich unbegründet abzulehnen, keinen rechtlichen Bedenken. Auch das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG hat die Antragsgegnerin zutreffend verneint.
Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt das Gericht gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die zutreffenden Ausführungen der Antragsgegnerin im angegriffenen Bescheid Bezug, denen es folgt. Klage- und Antragsbegründung geben keine Veranlassung zu anderer Beurteilung.
Insbesondere steht der Abschiebung des Antragstellers nach Georgien im Hinblick auf seine gesundheitliche Situation kein Abschiebungshindernis gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG entgegen. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Sätze 2 bis 4 AufenthG liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist.
Unter diesen Voraussetzungen kann sich eine krankheitsbedingte zielstaatsbezogene Gefahr zum einen dann ergeben, wenn eine notwendige ärztliche Behandlung oder die Versorgung mit Arzneimitteln für die betreffende Krankheit in dem Herkunftsstaat wegen des geringen medizinischen Standards generell nicht verfügbar ist, oder im Einzelfall auch daraus, dass der erkrankte Ausländer aus finanziellen oder sonstigen Gründen eine an sich im Zielstaat verfügbare medizinische Behandlung tatsächlich nicht erlangen kann (vgl. BVerwG, Urteile vom 17.10.2006 - 1 C 18.05 -, BVerwGE 127, 33 und vom 29.10.2002 - 1 C 1/02 - NVwZ-Beil. 2003, 53). Für die Bestimmung der Gefahr gilt der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, d. h. die drohende Rechtsgut-verletzung darf nicht nur im Bereich des Möglichen liegen, sondern muss mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein (BVerwG, Beschluss vom 02.11.1995 - 9 B 710/94 -, juris). Konkret ist diese Gefahr, wenn sie alsbald nach der Rückkehr in den Heimatstaat droht (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.10.2006, a. a. O.).
Gemessen an den vorgenannten Grundsätzen kann sich der Antragsteller auf eine derartige Gefahr nicht berufen. Er leidet zwar an einer schwerwiegenden Erkrankung, diese ist jedoch in Georgien behandelbar und der Antragsteller hat Zugang zu der Behandlung.
Er leidet laut Diagnose der Medizinischen Hochschule D. vom 25.01.2018 und des Evangelischen Krankenhauses E. F. vom 01.03.2018 an einem akut-auf-chronischen Nierenversagen. Bei einer Nierenbiopsie im Januar 2018 wurden chronische Veränderungen der Nieren festgestellt (18 von 27 Glomeruli komplett sklerosiert, ausgeprägte tubulo-interstitielle Vernarbung). Laut Laboruntersuchung vom 18.01.2018 lag die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) bei 10 ml/min., vom 22. bis 27.02.2018 zwischen 11,1 und 19,9 ml/min. Dies entspricht der letzten und vorletzten Stufe der Niereninsuffizienz, sog. terminale bzw. präterminale Niereninsuffizienz. Der Referenzbereich liegt bei über 90 ml/min bei 1,73 m² Körperoberfläche. Die fünf Stadien der chronischen Niereninsuffizienz gehen fließend ineinander über und können je nach Art der Nierenerkrankung in Monaten oder Jahren durchlaufen werden mit terminalem (endgültigem) Übergang zur Harnvergiftung, sog. Urämie. Unbehandelt führt die Urämie zum Tod (Pschyrembel online, Stand 20.03.2018, Niereninsuffizienz, Urämie). Im Krankenhaus F. wurde dem Antragsteller eine Dauerdialyse, drei Mal wöchentlich, empfohlen, zur Medikation ergänzend Nifedipin 20mg und Captopril 50 mg. Seit dem 03.03.2018 besucht der Antragsteller regelmäßig die Hämodialyse im Nephrologischen Zentrum E. GbR. In den ärztlichen Bescheinigungen des Zentrums vom 07. und 31.05.2018 heißt es, über die Dialyse hinaus erfordere die dialysepflichtige Niereninsuffizienz als chronische Krankheit eine dauerhafte medikamentöse Therapie der Begleiterkrankungen der Nieren (renale Begleiterkrankungen).
Das Gericht geht weiterhin (vgl. das Urteil der Kammer vom 22.06.2016 - 2 A 136/14 -) davon aus, dass eine medizinische Grundversorgung in Georgien gewährleistet ist und fast alle medizinischen Behandlungen bzw. Eingriffe möglich sind (Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 11.12.2017, S. 13; BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 22.03.2017, zuletzt aktualisiert am 15.11.2017, S. 57 ff.; Bundesamt, Länderinformationsblatt vom Juni 2014, S. 18 ff.; D-A-CH, „Das georgische Gesundheitswesen im Überblick“ vom Juni 2011; D-A-CH, „Medizinische Versorgung in Georgien“ vom Juni 2011; D-A-CH, „Bericht zur D-A-CH Fact Finding Mission unter besonderer Berücksichtigung rückkehrrelevanter Themen“ vom April 2011; VG Ansbach, Urteil vom 07.07.2015 - AN 4 K 15.30182 -; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 30.08.2011 - 6a K 2822/10.A -, jeweils bei juris). Danach hat die medizinische Versorgung in Georgien gerade in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht; unter anderem gibt es auch eine kostenlose staatliche Krankenversicherung sowie gewisse Vergünstigungen. Zudem sind dort zahlreiche karitative und Nichtregierungsorganisationen tätig, die zu einer Milderung von Notlagen beitragen. Insbesondere in Tiflis sind umfassende und den modernen medizinischen Standards entsprechende Behandlungen möglich.
Auch die Dialyse ist durch „Universal Health Care“ gewährleistet (BFA, S. 57, 60). Nach Auskunft der deutschen Botschaft in Tiflis vom 15.12.2017 (RK-10-511.02 E Dialyse/Nierenversagen) ist eine dreimal wöchentliche, jeweils sechsstündige Dialysebehandlung einer an terminaler Niereninsuffizienz erkrankten Person in der Region Tiflis möglich. Die Kosten der Dialyse-Behandlung würden bei chronisch leidenden Patienten zu 100 % durch die staatliche Gesundheitsversorgung übernommen. Bei anderen Patienten nur anteilig, die Restbehandlungskosten müssten sie selbst aufbringen. Chronisch und nicht chronisch erkrankte Patienten müssten jeweils die (Gesamt)Kosten für Medikamente tragen. In einer ergänzenden Auskunft vom 16.02.2018 heißt es, die Restbehandlungskosten beliefen sich pro Dialyseeinheit auf 200 bis 300 GEL (georgische Lari), maximal 600 GEL pro Woche. Neben der Hauptstadt Tiflis sind Dialyse-Behandlungen auch in weiteren Regionen Georgiens verfügbar (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche vom 25.02.2016 zur Dialyse-Behandlung, S.3). Ausweislich der ärztlichen Bescheinigungen des Nephrologischen Zentrums E. vom 07. und 31.05.2018 erfordert die Behandlung der Niereninsuffizienz des Antragstellers auch die medikamentöse Behandlung. Ob die Erkrankung des Antragstellers nur dann keinen lebensbedrohlichen Verlauf nimmt, wenn Dialyse und medikamentöse Behandlung kumulativ erfolgen, oder ob die Dialyse für sich allein genommen eine wesentliche Verschlimmerung des Gesundheitszustands ausschließt, vermag das Gericht nicht zu beurteilen. Selbst wenn diese Ungewissheit im Rahmen der nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen Interessenabwägung zu Gunsten des Antragstellers eingestellt wird, weil die Rechtsgüter Leib und Leben betroffen sind, führt dies noch nicht zur Annahme eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Denn es ist anzunehmen, dass der Antragsteller auch unter Berücksichtigung seiner individuellen Verhältnisse Zugang zu den erforderlichen Medikamenten hat, ohne durch deren Bezahlung in existenzielle Not zu geraten. Zwar sind die Kosten der Medikamente Nifedipin und Captopril bzw. wirkstoffidentischer Präparate in Georgien dem Gericht nicht bekannt. Nach der Schnellrecherche der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 25.02.2016 (S. 6) kann die finanzielle Belastung von Dialyse-Patienten für Medikamente und Labortests bei rund 200 bis 500 US-Dollar monatlich liegen. Der Antragsteller hat im Rahmen seiner Anhörung beim Bundesamt am 26.03.2018 jedoch angegeben, er habe Georgien im Jahr 2017 aus gesundheitlichen Gründen verlassen. An einer Erkrankung der Nieren leide er seit ungefähr 10-12 Jahren. In Georgien habe er regelmäßig Blut abgegeben und sehr viele Medikamente genommen - darunter auch die beiden derzeit verordneten. Dialysepatient sei er in Georgien nicht gewesen. Er habe Teile seines Weinanbaugebietes verkauft, sein Haus und das seines Vaters mit einer Hypothek belastet, um seine Behandlung zu bezahlen. Irgendwann habe er kein Geld mehr gehabt und sei auch nicht gesund geworden. Der Antragsteller wird künftig deutlich weniger Medikamente zu bezahlen haben als vor seiner Ausreise. Er wird im Falle seiner Rückkehr nach Georgien zwar durch die Krankheit und die Dialyse-Behandlung in seinen Erwerbsmöglichkeiten spürbar eingeschränkt sein, seine Erwerbsfähigkeit ist jedoch nicht vollständig aufgehoben. Nach eigenen Angaben gegenüber dem Bundesamt verfügt der Antragsteller über einen Mittelschulabschluss, war von 2012 bis 2014 als Fahrer eines Geldtransports tätig und hat bis zu seiner Ausreise Wein angebaut sowie damit gehandelt. Seine Lebensgefährtin arbeite im Kindergarten als Erzieherin, sein 1998 geborener Sohn sei georgischer Meister im Ringen geworden und erhalte hin und wieder eine finanzielle Unterstützung von der georgischen Regierung. Sein jüngerer Sohn sei 2003 geboren. Daneben würden in Georgien noch seine Eltern (70 und 67-jährig), sein Bruder und die Großfamilie wohnen.
In Georgien bietet der Familienverband traditionell eine soziale Absicherung (Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 11.12.2017, S. 4, 12). Das Gericht geht deshalb davon aus, dass der Antragsteller auch auf (finanzielle) Unterstützung durch seine Familienangehörigen in Georgien zählen kann. Neben ihm sind jedenfalls seine Partnerin, sein Bruder und sein älterer Sohn erwerbsfähig.
Überdies ist die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln in Georgien gewährleistet. Internationale Organisationen und Projekte bieten Beratung und finanzielle Unterstützung für Rückkehrer zur Reintegration in Georgien an. Ein Mobilitätszentrum wurde bei dem Ministerium für Flüchtlinge eingerichtet. Hier wird Beratung und auch finanzielle Hilfe zur Reintegration in den Arbeitsmarkt zur Verfügung gestellt, bei Bedarf auch Erst- bzw. Zwischenunterkunft. Seit 2014 unterstützt die georgische Regierung Reintegrationsprojekte zivilgesellschaftlicher Organisationen (Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 12 f.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b AsylG.