Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 28.05.2018, Az.: 3 A 357/17

Aufenthaltstitel; Aufnahmegesuch; Dublin III Verordnung; Dublin-III-VO; Dublin-Verfahren; Keine Aufnahmebereitschaft; Unzulässiger Asylantrag; Verspätetes Aufnahmegesuch; Zuständigkeitsübergang

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
28.05.2018
Aktenzeichen
3 A 357/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 74170
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Für den Beginn der Frist nach Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO ist allein der Zeitpunkt der Antragstellung im Sinne von Art. 20 Abs. 2 Dublin III-VO maßgeblich und nicht die Kenntnis der die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates begründenden Umstände (hier: vorherige Ausstellung eines Aufenthaltstitels durch Spanien, Art. 12 Abs. 1 Dublin III-VO).
2. Art. 19 Abs. 1 Dublin III-VO ist auf vor der erstmaligen Asylantragstellung in einem Mitgliedstaat erteilte Aufenthaltstitel nicht anwendbar.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen ihre Überstellung nach Spanien.

Die Klägerin ist syrische Staatsangehörige. Nach ihren Angaben gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 16.06.2016 reiste sie nach dem Verlassen ihrer Heimat über den Libanon, die Türkei und die sog. Balkanroute am 11.07.2015 mit einem PKW in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 16.06.2016 einen Asylantrag. Das Bundesamt erhielt Ende August 2016 Kenntnis davon, dass die Klägerin auch in Barcelona Sozialleistungen beziehe und in Besitz eines Daueraufenthaltsrechts in Spanien sei. Bezüglich des Aufenthaltsrechts wurde ein bis zum 23.10.2016 gültiger Nachweis vorgelegt. Nachdem die Klägerin in der Anhörung beim Bundesamt am 26.09.2016 zunächst leugnete jemals in Spanien gewesen zu sein, stand sie auf Nachfrage zu, dort mit Ihrem (jedenfalls noch damaligen) Ehemann zusammengelebt zu haben, der dort ein Aufenthaltsrecht habe und vom dem Sie ihres abgeleitet habe. Dieser sei spielsüchtig und sie habe ihn verlassen und sei – vor Ihrer Flucht nach Deutschland – nach Syrien zurückgekehrt. In Syrien sei die Scheidung eingereicht.

Am 28.09.2016 richtete das Bundesamt ein Informationsersuchen nach Art. 34 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-VO) an Spanien. Das spanische Innenministerium führte im Antwortschreiben vom 17.11.2016 auf das Informationsersuchen des Bundesamtes u. a. aus, die Klägerin habe in Spanien nie einen Asylantrag gestellt und für sie sei ein dauerhafter Aufenthaltstitel in Spanien ausgestellt, weil sie Familienangehörige eines Bürgers der Europäischen Union sei; Spanien sei aber wegen Fristablaufs nach § 21 Abs. 1 Dublin III-VO auch nicht nach der Dublin-VO für die Klägerin zuständig.

Mit Bescheid vom 13.04.2017 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Aufenthaltsgesetz nicht vorliegen (Ziffer 2), forderte die Klägerin auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen und drohte die Abschiebung nach Spanien oder einen anderen aufnahmebereiten oder -verpflichteten Staat an (Ziffer 3 Sätze 1 bis 3), gleichzeitig wurde die Feststellung getroffen, dass die Klägerin nicht nach Syrien abgeschoben werden darf (Ziffer 3 Satz 4). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Tage ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4). Das Bundesamt hat die Unzulässigkeitsentscheidung des Asylantrags auf § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG gestützt und dies im Bescheid damit begründet, dass die Klägerin über ein Daueraufenthaltsrecht in Spanien verfüge und über diesen Umstand versuchte habe zu täuschen.

Die Klägerin hat am 27.04.2017 Klage erhoben und gleichzeitig um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen angeführt, sie habe ihren über vier Jahre zurückliegenden Aufenthalt in Spanien versucht zu verbergen, da sie Angst gehabt habe, zu ihrem Ehemann zurückzumüssen. Ihr einst in Spanien gewährtes Aufenthaltsrecht bestehe nicht mehr, da die Aufenthaltserlaubnis nur bis zum 23.10.2016 Gültigkeit gehabt habe. Außerdem leide sie an einer depressiven Episode und Diabetes Mellitus Typ 2.

Mit Beschluss vom 07.06.2017 (3 B 358/17) hat das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die in Ziffer 3 des Bescheides vom 13.04.2017 enthaltene Abschiebungsandrohung angeordnet. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf diesen Beschluss Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

die Beklagte unter entsprechender Aufhebung ihres Bescheides vom 13.04.2017 – mit Ausnahme von Ziffer 3 Satz 4 – zu verpflichten,

der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,

hilfsweise der Klägerin den subsidiären Schutz zuzuerkennen,

(äußerst) hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. 7 Satz 1 vorliegen.

Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf die Gründe des angefochtenen Bescheides,

die Klage abzuweisen.

Der Rechtsstreit ist mit Beschluss der Kammer vom 02.08.2017 auf den Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen worden.

Die Klägerin hat mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 13.09.2017 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet. Die Beklagte hat gegenüber dem Gericht durch allgemeine Prozesserklärung das Einverständnis mit dem Verzicht auf mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den Inhalt der Gerichtsakte im Übrigen, die Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes sowie die Ausländerakte Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe

Das Gericht entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung.

Die Klage ist nur teilweise, nämlich soweit sie als Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1, 1. Alt. VwGO erhoben ist, zulässig. Soweit die Klägerin darüber hinaus auch die Verpflichtung zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. hilfsweise des subsidiären Schutzes und äußerst hilfsweise die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG begehrt, stellt sich dies als unstatthaft dar. Denn nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Urteil vom 14.12.2016 - 1 C 4.16 -, juris, Rn. 17 ff.) sind, jedenfalls seit der Zusammenfassung der verschiedenen Unzulässigkeitsgründe in § 29 Abs. 1 AsylG, Bescheide, die einen Asylantrag ohne Prüfung der materiell-rechtlichen Anerkennungsvoraussetzungen, also ohne weitere Sachprüfung, als unzulässig ablehnen, allein mit der Anfechtungsklage anzugreifen; insoweit kommt auch kein eingeschränkter, auf die Durchführung eines Asylverfahrens beschränkter Verpflichtungsantrag in Betracht. Das Gericht hat vor der Aufhebung einer rechtswidrigen Unzulässigkeitsentscheidung lediglich zu prüfen, ob diese auf der Grundlage eines anderen, auf gleicher Stufe stehenden Unzulässigkeitstatbestandes aufrechterhalten bleiben kann. Dies gilt auch für die Klage gegen eine auf § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 26a AsylG gestützte Unzulässigkeitsentscheidung wegen der Einreise aus einem sicheren Drittstaat (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.06.2017 - 1 C 9/17 -, juris, Rn. 15; VG Göttingen, Urteil vom 27.02.2018 - 3 A 26/17 -, UA, S. 3). Nach der Aufhebung einer Unzulässigkeitsentscheidung hat das Bundesamt das Verfahren fortzuführen und eine erneute Entscheidung über den Asylantrag zu treffen (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 21.11.2017 - BVerwG 1 C 39.16 -, juris, Rn. 16 m. w. N.). Eine etwaige zu Unrecht verweigerte sachliche Prüfung ist vorrangig von der mit besonderem Sachverstand ausgestatteten Fachbehörde nachzuholen (siehe BVerwG, Urteil vom 14.12.2016, a. a. O., Rn. 19 m. w. N.). Selbst eine Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen von Abschiebungshindernissen gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG, wie sie hier im Klageantrag (höchst) hilfsweise begehrt wird, ist grundsätzlich ausgeschlossen (vgl. VG Berlin, Urteil vom 23.03.2018 – 23 K 117.17 A –, juris, Rn. 21), eine Entscheidung hierzu ist derzeit „verfrüht“ (vgl. nochmals BVerwG, Urteil vom 14.12.2016, a. a. O., Rn. 21 m. w. N.) und stünde in Konflikt zum verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gewaltenteilung. In zulässiger Weise kann ein solches Verpflichtungsbegehren nur hilfsweise zur Anfechtungsklage gegen die Unzulässigkeitsentscheidung zur verwaltungsgerichtlichen Prüfung gestellt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 14.12.2016 - BVerwG 1 C 4.16 -, juris Rn. 20 a. E.; vgl. aber auch zu einer weiteren Ausnahmekonstellation VG Göttingen, Urteil vom 11.12.2017 - 3 A 186/17 -, juris, Rn. 31 f.).

Soweit die Klage zulässig ist, ist sie auch begründet. Der angefochtene Bescheid ist – soweit er angegriffen ist – im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 AsylG) rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Das Bundesamt hat zu Unrecht in Ziffer 1 des Bescheids den Asylantrag der Klägerin als unzulässig abgelehnt. Die Voraussetzungen für eine Ablehnung ihres in der Bundesrepublik Deutschland geäußerten Schutzbegehrens als unzulässig nach § 29 AsylG liegen nicht vor. Die Klägerin hat ein Recht darauf, dass die Bundesrepublik Deutschland die Prüfung ihres Antrags auf internationalen Schutz durchführt.

Als Rechtsgrundlage der Entscheidung gibt das Bundesamt im angefochtenen Bescheid § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG in der seit dem 06.08.2016 geltenden Fassung an. Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein Staat, der bereit ist, den Ausländer wiederaufzunehmen, als für den Ausländer sicherer Drittstaat gemäß § 26a betrachtet wird. § 29 AsylG n.F. fasst zur besseren Übersichtlichkeit und Vereinfachung der Rechtsanwendung die möglichen Gründe für die Unzulässigkeit in einem Katalog zusammen (vgl. BT-Drs. 18/8612, S. 51). Mit ihm wird ferner Art. 33 Richtlinie 2013/32/EU (Verfahrensrichtlinie) umgesetzt, der in Absatz 2 abschließend regelt, wann die Mitgliedstaaten einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig betrachten dürfen. Hierzu gehört nach Art. 33 Abs. 2 lit. c) Verfahrensrichtlinie auch, dass ein Staat, der kein Mitgliedstaat ist, als für den Antragsteller sicherer Drittstaat gemäß Artikel 38 Verfahrensrichtlinie betrachtet wird. Die neben der Einreise aus einem sicheren Drittstaat gem. § 26a AsylG zwingend zu erfüllende weitere Voraussetzung, wonach der Drittstaat aufnahmebereit sein muss, beruht auf Art. 38 Abs. 4 Verfahrensrichtlinie (vgl. auch Funke-Kaiser, in: GK-AsylG, Stand: April 2017, § 29 Rn. 15). Hiernach müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass im Einklang mit den Grundsätzen und Garantien nach Kapitel II Zugang zu einem Verfahren gewährt wird, wenn der Drittstaat dem Antragsteller nicht erlaubt, in sein Hoheitsgebiet einzureisen. Mit der Aufnahme des § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG in den Katalog der Unzulässigkeitsgründe sollte die zuvor bestehende Möglichkeit, einen Asylantrag nach § 26a AsylG abzulehnen, inhaltlich nicht verändert werden (vgl. hierzu und zum Folgenden BVerwG, Urteil vom 14.12.2016, a. a. O., Rn. 42). In § 31 Abs. 4 AsylG ist weiterhin von einer Ablehnung "nach § 26a" – jetzt – als unzulässig die Rede. Im Gesetzgebungsverfahren hat die Bundesregierung zudem betont, durch den expliziten Verweis im künftigen § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG auf § 26a AsylG komme zum Ausdruck, dass die dort geregelten Anforderungen auch weiterhin – im Rahmen der Entscheidung über die Zulässigkeit des Asylantrags – zu beachten sind. Wie im geltenden Recht setze der künftige § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG daher voraus, dass der Drittstaat die – unverändert gebliebenen – Voraussetzungen des § 26a AsylG erfülle und durch Aufnahme in Anlage I des Asylgesetzes als sicherer Drittstaat eingestuft worden sei (BT-Drs. 18/8883 S. 10).

Die Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG sind nicht erfüllt.

Spanien ist vorliegend schon nicht bereit, die Klägerin wiederaufzunehmen. Das spanische Innenministerium führt im Antwortschreiben vom 17.11.2016 auf das Informationsersuchen des Bundesamtes nach Art. 34 Dublin III-VO u. a. aus, die Klägerin habe in Spanien nie einen Asylantrag gestellt und Spanien sei wegen Fristablaufs nach § 21 Abs. 1 Dublin III-VO auch nicht nach der Dublin VO für die Klägerin zuständig. Eine Bereitschaft Spaniens zur Aufnahme der Klägerin ergibt sich auch aus dem sonstigen Akteninhalt nicht.

Die Unzulässigkeitsentscheidung lässt sich auch nicht in eine Entscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG umdeuten, da bereits die Voraussetzungen der Norm nicht vorliegen. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Dublin III-VO oder auf Grund von anderen Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.

Gem. Art. 3 Abs. 1, 2 sowie Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 3 Dublin III-VO ist die Beklagte für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Selbst wenn zwischenzeitlich eine Zuständigkeit Spaniens nach Art. 12 Dublin III-VO bestanden haben mag, ist die Zuständigkeit zwischenzeitlich nach den Vorschriften über das Aufnahmeverfahren auf die Beklagte übergegangen. Dies folgt aus Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 3 Dublin III-VO (vgl. zur Anwendbarkeit des Art. 21 Abs. 1 Dublin III-VO auf die Fälle des Art. 12 Dublin III-VO etwa OVG NRW, Beschluss vom 06.09.2017 - 11 A 1810/15.A -, juris, Rn. 12 ff.; VG Minden, Urteil vom 11.12.2015 - 10 K 2696/15.A -, juris, Rn. 22). Danach ist der Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für die Prüfung des Antrags zuständig, wenn das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers nicht innerhalb der in den Unterabsätzen 1 und 2 der Norm niedergelegten Fristen unterbreitet wird. In Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO ist geregelt, dass dann, wenn der Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, einen anderen Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags für zuständig hält, er so bald wie möglich, auf jeden Fall aber innerhalb von drei Monaten nach Antragstellung im Sinne von Artikel 20 Abs. 2 Dublin III-VO, diesen anderen Mitgliedstaat ersuchen kann, den Antragsteller aufzunehmen. Nach Art. 20 Abs. 2 Dublin III-VO gilt ein Antrag auf internationalen Schutz als gestellt, wenn den zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats ein vom Antragsteller eingereichtes Formblatt oder ein behördliches Protokoll zugegangen ist. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union gilt ein solcher Antrag nach dieser Vorschrift als gestellt, wenn der mit der Durchführung der sich aus der Dublin III-VO ergebenden Verpflichtungen betrauten Behörde ein Schriftstück zugegangen ist, das von einer Behörde erstellt wurde und bescheinigt, dass ein Staatsangehöriger eines Nicht-EU-Landes um internationalen Schutz ersucht hat, oder, gegebenenfalls, wenn ihr nur die wichtigsten in einem solchen Schriftstück enthaltenen Informationen, nicht aber das Schriftstück selbst oder eine Kopie davon, zugegangen sind (vgl. EuGH, Urteil vom 26.07.2017 - C-670/16 Mengesteab -, juris, Rn. 75 ff., 103). Die zuvor insbesondere in der Rechtsprechung umstrittene Frage, ob auch die Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender (BÜMA) unter die Definition des Art. 20 Abs. 2 Dublin III-VO fällt, ist damit in bejahender Weise beantwortet worden (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 06.09.2017, a. a. O., Rn. 15; zum Meinungsstand vor der Entscheidung des EuGH: VG Minden, Vorlagebeschluss vom 22.12.2016 - 10 K 5476/16.A -, juris, Rn. 51 ff.). Die Klägerin stellte am 16.06.2016 einen entsprechenden Asylantrag. Ein Informationsersuchen wurde durch das Bundesamt aber erst am 28.09.2016 an Spanien gerichtet, d. h. über drei Monate nach der Asylantragstellung. Ein Eurodac-Treffer, der zumindest nach teilweise vertretener Ansicht eine neue zweimonatige Frist gem. Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 2 Dublin III-VO hätte in Gang setzten können, die von der Frist des Abs. 1 Unterabs. 1 unabhängig wäre (vgl. zum Problemkreis VG Minden, Vorlagebeschluss vom 22.12.2016, a. a. O., Rn. 87 ff. m. w. N.), ist den Verwaltungsvorgängen nicht zu entnehmen. Das deckt sich insoweit mit dem Vortrag der Klägerin in der Erstbefragung vom 16.06.2016, wo sie angab, vor ihrer Einreise in Deutschland keine Fingerabdrücke in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union abgegeben zu haben.

Rechtlich unschädlich ist auch, dass das Bundesamt wohl erst Ende August vom möglicherweise bestehenden Aufenthaltstitel in Spanien erfuhr und sich deswegen erst dann zum Informationsgesuch an Spanien veranlasst sah. Denn Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO stellt eine absolute Ausschlussfrist dar und stellt nicht auf die Kenntnis des ersuchenden Mitgliedstaates ab, was sich aus dem Wortlaut des Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO („auf jeden Fall aber innerhalb von drei Monaten nach Antragstellung“) ergibt und dem Anliegen der Verordnung nach Straffung des Zuständigkeitsbestimmungsverfahrens entspricht (vgl. Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, Stand: 01.02.2014, Art. 21 Rn. K3 f.). Dieser mit der vergleichsweise kurzen Anfragefrist verfolge Zweck könnte sehr leicht kontaktiert werden, da ohne weiteres Fälle denkbar sind, in denen der ersuchende Staat erst lange Zeit später Hinweise auf z. B. anderweitig bestehende Aufenthaltstitel erlangt.

Darüber hinaus ist auch nicht nach Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO davon auszugehen, dass Spanien einem Aufnahmegesuch stattgegeben hat, da das spanische Innenministerium am 17.11.2016 und damit innerhalb von zwei Monaten auf die am 28.09.2016 gestellte Anfrage reagierte, indem es ausdrücklich darauf hinwies, das Rücknahmeersuchen der Bundesrepublik Deutschland sei im Sinne von Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO verspätet erfolgt. Ferner hat das Bundesamt auch nicht von der Möglichkeit eines Remonstrationsverfahrens gem. Art. 5 Abs. 2 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 118/2014 zur Dublin III-VO Gebrauch gemacht.

Die Vorschriften über das Aufnahmeverfahren und die darin enthaltene Fristbestimmung in Art. 21 Abs. 1 Dublin III-VO werden auch nicht durch Art. 19 Abs. 1 und 2 Dublin III-VO als lex specials verdrängt. In Art. 19 Abs. 1 Dublin III-VO ist geregelt, dass, wenn ein Mitgliedstaat einem Antragsteller einen Aufenthaltstitel erteilt, diesem Mitgliedstaat die Pflichten nach Artikel 18 Abs. 1 Dublin III-VO obliegen. Zudem regelt Art. 19 Abs. 2 Dublin III-VO, dass die Pflichten nach Art. 18 Abs. 1 Dublin III-VO erlöschen, wenn der zuständige Mitgliedstaat nachweisen kann, dass der Antragsteller oder eine andere Person im Sinne von Artikel 18 Abs. 1 Buchstabe c oder d Dublin III-VO, um dessen/deren Aufnahme oder Wiederaufnahme er ersucht wurde, das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate verlassen hat, es sei denn, die betreffende Person ist im Besitz eines vom zuständigen Mitgliedstaat ausgestellten gültigen Aufenthaltstitels. Art. 19 Abs. 1 Dublin III-VO ist schon nicht auf den vorliegenden Fall anwendbar. Denn bei dieser Regelung handelt es sich um ein besonderes Zuständigkeitskriterium für den Fall, dass einem Drittstaatsangehörigen nach erstmaliger Stellung des Antrags auf internationalen Schutz in einem Mitgliedstaat, in einem anderen ein Aufenthaltstitel (nicht darunter fallen freilich vorläufige Aufenthaltsberechtigungen im Zuge des Asylverfahrens) erteilt wird (vgl. Filzwieser/Sprung, a. a. O., Art. 19 Rn. K1.). Dafür spricht schon der Wortlaut des Art. 19 Abs. 1 Dublin III-VO, der von „Antragsteller“ spricht, also einer Person, die bereits vor der Erteilung des Aufenthaltstitels einen Asylantrag gestellt hatte (vgl. Filzwieser/Sprung, a. a. O.). Dies ergibt sich auch aus der systematischen Stellung der Regelung im Kapitel V. der Dublin III-VO nach Kapitel III., welches im Grundsatz die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates regelt und als zeitlichen Ausgangspunkt von der sog. Sachverhaltsversteinerungsregel in Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO ausgeht. Im Rahmen des Kapitel III. wird für die Zuständigkeitsbestimmung also auf den Zeitpunkt der erstmaligen Asylantragstellung abgestellt. Davon macht Art. 19 Abs. 1 Dublin III-VO in Kapitel V. eine Ausnahme, weil auch nach der erstmaligen Asylantragstellung erteilten Aufenthaltstiteln Relevanz beigemessen wird. Unschädlich ist auch der Umstand, dass der Aufenthaltstitel der Klägerin zum Zeitpunkt der Asylantragstellung in der Bundesrepublik Deutschland noch gültig war. Denn auch Art. 19 Abs. 2 Dublin III-VO vermag Art. 21 Abs. 1 Dublin III-VO nicht zu verdrängen, da Art. 19 Abs. 2 allein den Sonderfall des Verlassens des Hoheitsgebiets der Mitgliedstaaten insgesamt in den Blick nimmt.

Die Klägerin kann sich auf den Ablauf der Frist für die Stellung des Aufnahmegesuchs mit der Folge des Zuständigkeitsübergangs auf die Beklagte auch berufen (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 06.09.2017, a. a. O., Rn. 25 ff.). Art. 27 Abs. 1 Dublin III-VO garantiert einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz, der u. a. die Möglichkeit beinhaltet, einen Rechtsbehelf gegen eine Überstellungsentscheidung einzulegen und die Einhaltung der zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats maßgeblichen Vorschriften der Dublin III-VO zur gerichtlichen Überprüfung zu stellen. Darauf hat der Gerichtshof der Europäischen Union jüngst in Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung (vgl. Urteile vom 07.06.2016 - C-63/15 Ghezelbash - und - C-155/15 Karim -, beide juris) hingewiesen und betont, dass sich ein Asylsuchender im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen eine ihm gegenüber ergangene Überstellungsentscheidung auf den Ablauf der Frist für die Stellung des (Wieder)Aufnahmegesuchs berufen kann, wobei dies auch dann gilt, wenn der ersuchte Mitgliedstaat zur Aufnahme des Asylbewerbers bereit ist (vgl. EuGH, Urteil vom 26.07.2017, a. a. O., Rn. 41 ff., 62).

Die Entscheidung kann auch nicht auf Grundlage eines anderen auf gleicher Stufe stehenden Unzulässigkeitstatbestandes aufrechterhalten bleiben (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 14.12.2016, a. a. O., Rn. 21). Denn eine andere Rechtsgrundlage für die Unzulässigkeitsentscheidung in Ziffer 1 des angefochtenen Bescheides ist nicht ersichtlich.

Die ergangene Feststellung in Ziffer 2, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen, sowie die Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 sind ebenfalls aufzuheben, da die Unzulässigkeitsentscheidung in Ziffer 1 aufgehoben wird. Denn beide Entscheidungen sind jedenfalls verfrüht ergangen (vgl. BVerwG, Urteil vom 07.03.1995 - 9 C 264.94 - juris, Rn. 19; Urteil vom 14.12.2016 - 1 C 4/16 -, juris, Rn. 21). Außerdem liegen mangels eines unzulässigen Asylantrags die Tatbestandsvoraussetzungen für den Erlass der Ziffern 2 und 3 des angefochtenen Bescheides nicht mehr vor. Denn die in Ziffer 2 des Bescheides getroffene Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, findet keine Rechtsgrundlage in § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG. Nach dieser Vorschrift ist in den Fällen des § 31 Abs. 2 AsylG und in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen. Ein solcher Fall ist hier nicht gegeben, da kein unzulässiger Asylantrag vorliegt. Die Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des Bescheides kann zudem ohnehin nicht auf § 35 AsylG gestützt werden, wie das Bundesamt im angefochtenen Bescheid annimmt. Nach § 35 AsylG droht das Bundesamt nur in den Fällen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 und 4 AsylG dem Ausländer die Abschiebung in den Staat an, in dem er vor Verfolgung sicher war. Ein Fall des § 29 Abs. 1 Nr. 2 und 4 AsylG lag aber nicht vor und wurde selbst im Bescheid des Bundesamts nicht angekommen. Bei konsequenter Zugrundlegung eines Falls nach § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG hätte das Bundesamt grundsätzlich eine Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. AsylG erlassen müssen.

Auch die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG in Ziffer 4 des angefochtenen Bescheides ist aufzuheben. Das Bundesamt ist für diese Entscheidung gemäß § 75 Nr. 12 AufenthG nur in Fällen einer Abschiebungsandrohung oder -anordnung nach dem AsylG zuständig. An einer solchen fehlt es jedoch, nachdem die in Ziffer 3 des Bescheides verfügte Abschiebungsandrohung aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11711 Satz 1 und 2 ZPO.