Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 12.11.2004, Az.: 6 A 77/04

Albaner; Asylanerkennung; erheblich geändert; Familienasyl; Jahresfrist; Kosovo; nachträgliche Änderung; politische Verfolgung; unverzüglich; Unzumutbarkeit; Verfolgungslage; Verfolgungsschicksal; Widerruf; öffentliches Interesse

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
12.11.2004
Aktenzeichen
6 A 77/04
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 50212
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Auch für den Widerruf einer allein auf die Vorschriften über das Familienasyl nach § 26 AsylVfG gestützten Anerkennung als Asylberechtigter ist die Regelung des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG anwendbar. Satz 2 der Vorschrift kommt in diesen Fällen ergänzend zur Anwendung.

Tatbestand:

1

Die Kläger sind serbisch-montenegrinische Staatsangehörige albanischer Volkszugehörigkeit aus dem Kosovo. Sie wenden sich dagegen, dass die Beklagte die Anerkennung als Asylberechtigte widerrufen hat.

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Der Kläger zu 1. reiste nach eigenen Angaben im Jahre 1991 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte einen Asylantrag. Mit Urteil vom 1. Februar 1995 (8 A 8201/94) verpflichtete das VG Braunschweig die Beklagte dazu, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass für ihn ein Abschiebungsverbot nach § 51 Abs. 1 AuslG vorliege. Dieser Verpflichtung kam die Beklagte mit Bescheid vom 7. April 1995 nach. Mit Bescheid vom 25. März 1999 erkannte sie auch den Kläger zu 2. - den im Bundesgebiet geborenen Sohn des Klägers zu 1. - auf der Grundlage der Vorschriften über das Familienasyl (§ 26 AsylVfG) als Asylberechtigten an.

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Unter dem 24. September 2004 gab die Beklagte den Klägern Gelegenheit, zum eingeleiteten Widerrufsverfahren Stellung zu nehmen. Die Kläger machten daraufhin geltend, sie könnten nicht in ihr Haus im Kosovo zurückkehren, weil dieses im serbischen Teil der Stadt Mitrovica liege. Mit Bescheid vom 23. Dezember 2003 widerrief das Bundesamt bezogen auf den Kläger zu 1. die Anerkennung als Asylberechtigter sowie die Feststellung zu § 51 AuslG und stellte außerdem fest, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Zur Begründung führte sie unter anderem aus, wegen unterschiedlicher Angaben des Klägers zu seiner letzten Wohnungsadresse im Kosovo sei zweifelhaft, ob die Familie tatsächlich im serbischen Teil Mitrovicas gelebt habe. Mit Bescheid vom 1. März 2004 widerrief die Beklagte auch für den Kläger zu 2. die Anerkennung als Asylberechtigter und stellte fest, dass Abschiebungshindernisse nicht gegeben sind.

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Gegen den ausweislich des Eingangsstempels des Klägervertreters am 31. Dezember 2003 zugestellten Bescheid für den Kläger zu 1. ist am 16. Januar 2004 und gegen den am 3. März 2004 zugestellten Bescheid für den Kläger zu 2. am 11. März 2004 Klage erhoben worden. Die Kläger machen geltend, die Straße in Mitrovica, in der ihr Haus stehe, habe wiederholt den Namen gewechselt; das Haus liege am Fluss Luschta im Süden der Stadt. Im Übrigen nehmen sie auf ihre Ausführungen im Verwaltungsverfahren Bezug.

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Die Kläger beantragen,

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die Bescheide der Beklagten vom 23. Dezember 2003 und 1. März 2004 aufzuheben,

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hilfsweise die Beklagte unter entsprechender teilweiser Aufhebung der Bescheide zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungshindernisse gemäß § 53 AuslG vorliegen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen, und bezieht sich zur Begründung auf die Ausführungen in den angegriffenen Bescheiden.

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Das Gericht hat eine Auskunft des Deutschen Verbindungsbüros Pristina zu der Frage eingeholt, ob die Kläger tatsächlich aus dem Nordteil der Stadt Mitrovica stammen. Wegen des Ergebnisses wird auf die Auskunft vom 23. August 2004 Bezug genommen (Bl. 53 der Gerichtsakte). Die Kläger haben dazu eine Lageskizze eingereicht, auf die ebenfalls verwiesen wird (Bl. 55 der Gerichtsakte).

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.

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I. Der Zulässigkeit der gegen den Bescheid vom 23. Dezember 2003 gerichteten Klage steht nicht entgegen, dass diese Klage erst nach Ablauf der Klagefrist bei Gericht eingegangen ist. Dem Kläger zu 1. ist gemäß § 60 VwGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil von einem unverschuldeten Fristversäumnis auszugehen ist. Er hat glaubhaft gemacht, dass sein Prozessbevollmächtigter den Brief zu einem Zeitpunkt abgesandt hat, in dem bei üblicher Beförderungsdauer mit dem rechtzeitigen Eingang bei Gericht gerechnet werden konnte.

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II. Die Klage ist jedoch weder mit dem Hauptantrag (1) noch mit dem Hilfsantrag (2) begründet.

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1. Die angegriffenen Bescheide vom 23. Dezember 2003 (a) und vom 1. März 2004 (b) sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten.

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a) Der den Kläger zu 1. betreffende Bescheid des Bundesamtes vom 23. Dezember 2003 ist rechtlich nicht zu beanstanden. Rechtsgrundlage für den mit diesem Bescheid ausgesprochenen Widerruf ist die Regelung in § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. Danach sind die Anerkennung als Asylberechtigter und die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 erfüllt sind, unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen hierfür nicht mehr vorliegen. Dies ist der Fall, wenn sich die für die Beurteilung der Verfolgungslage maßgeblichen Verhältnisse erheblich geändert haben und die Anerkennung als Asylberechtigter bzw. die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG deshalb nunmehr ausgeschlossen ist (BVerwG, Urt. vom 19.09.2000, NVwZ 2001, 335 m.w.N.). Hat das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in eigener Verantwortung einen Bescheid über die Asylberechtigung oder die Feststellung nach § 51 Abs. 1 AuslG erlassen, so muss die Änderung der für die Beurteilung der Verfolgungslage maßgeblichen Verhältnisse nach dem Ergehen des Bescheides eingetreten sein (BVerwG, Urt. vom 19.09.2000, aaO.). Ist dagegen das Bundesamt durch ein verwaltungsgerichtliches Urteil zum Erlass eines solchen Bescheides verpflichtet worden, kommt es darauf an, ob sich die für die Verfolgungslage maßgeblichen Verhältnisse nach dem Erlass des Verpflichtungsurteils erheblich verändert haben (BVerwG, Urt. vom 18.09.2001, NVwZ 2002, 355; Urt. vom 24.11.1998, BVerwGE 108, 30; Niedersächsisches OVG, Beschl. vom 03.05.2001, 13 A 1619/01; VGH Baden-Württemberg, Urt. vom 23.11.1999, DVBl. 2000, 435; Urt. vom 19.09.2002 - A 14 457/02 - <juris>; Hessischer VGH, Urt. vom 02.04.1993, DVBl. 1993, 1026; a.A. Bayerischer VGH, Beschl. vom 16.11.2000, AuAS 201, 23). Das ist hier der Fall.

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Die der widerrufenen Entscheidung zu Grunde liegende Sachlage hat sich nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig wesentlich geändert. Nach der gegenwärtigen Sach- und Rechtslage ist davon auszugehen, dass die für die Schutzansprüche aus Art. 16a Abs. 1 GG und § 51 Abs. 1 AuslG erforderliche Gefahr politischer Verfolgung für Albaner aus dem Kosovo nicht gegeben oder zu erwarten ist. Seit der Beendigung des Kosovo-Konflikts im Juni 1999 auf Grund des am 9. Juni 1999 unterzeichneten Militärabkommens zwischen der NATO und der Bundesrepublik Jugoslawien sowie der UN-Resolution 1244 vom 10. Juni 1999 und nach dem Abzug der letzten serbischen Einheiten aus dem Kosovo sowie der Übernahme der alleinigen Gebietsgewalt durch die KFOR-Truppen findet im Kosovo eine staatliche oder staatsähnliche Verfolgung nicht mehr statt. Vereinzelt vorkommende Übergriffe auf Privatpersonen können der internationalen Verwaltung nicht zugerechnet werden (Niedersächsisches OVG, Beschl. vom 21.02.2002

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- 8 LB 13/02 -; Urt. vom 12.06.2001 - 8 L 516/97 -; OVG Rheinland-Pfalz, Urt. vom 30.10.2001 - 7 A 11967/98.OVG -; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. vom 28.12.2001 - 13 A 4338/94 -; OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. vom 19.02.2002 - A 3 S 673/98 -; Thüringer OVG, Urt. vom 25.04.2002 -3 KO 264/01 -; Bayerischer VGH, Urt. vom 22.10.2002

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- 22 B 01.30735 -). Das gilt auch für die Übergriffe, zu denen es im Rahmen der Unruhen vom 18. und 19. März 2004 gekommen ist. Im Übrigen richteten sich diese Übergriffe vor allem gegen Angehörige der serbischen Minderheit. Dass sich aus den Ereignissen, die auf einen begrenzten Zeitraum beschränkt waren, für Angehörige der albanischen Bevölkerungsmehrheit in Zukunft die Gefahr einer gebietsweiten politischen Verfolgung im Kosovo ergeben könnte, ist nicht ersichtlich (vgl. auch VG Braunschweig, Urt. vom 19.03.2004 - 6 A 129/04 -).

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Ob der Widerruf nach Eintritt erheblicher Veränderungen „unverzüglich“ erfolgt, braucht im Widerrufsrechtsstreit nicht beurteilt zu werden, da diese Verpflichtung ausschließlich im öffentlichen Interesse steht und subjektive Rechte der vom Widerruf Betroffenen insoweit nicht bestehen können (BVerwG, Beschl. vom 27.06.1997, NVwZ-RR 1997, 741 [BVerwG 27.06.1997 - BVerwG 9 B 280/97]; Niedersächsisches OVG, Urteil vom 10.01.97 -1 L 3062/96 -; Beschl. vom 26.09.2003 - 13 LA 365/03 -; Hamburgisches OVG, Beschl. vom 30.09.1997 - Bf IV 49/97 -; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. vom 13.05.1996 -19 A 1770196.A -; VGH Baden-Württemberg, Urt. vom 27.11.1996, VBlBW 1997, 151; OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. vom 20.01.2000, InfAuslR 2000, 468; a.A. VG Frankfurt/M. Urt. vom 20.03.2000, InfAuslR 2000, 469; VG Stuttgart, Urt. vom 07.01.2003, AuAS 2003, 82). Die Einfügung des Verfahrensgebots der Unverzüglichkeit (des Widerrufs) begründete der Regierungsentwurf zur geltenden Vorschrift unter dem Eindruck steigender Zahlen der Asylbewerber mit der Notwendigkeit einer Verfahrensbeschleunigung: "Die erhebliche Zunahme der Zahl der Asylbewerber im Bundesgebiet macht es erforderlich, alle legislatorischen und administrativen Möglichkeiten zur Verfahrensbeschleunigung auszuschöpfen" (BT-Drucks. 12/2062, S. 1). Die individuelle Rechtsposition der vom Widerruf betroffenen Person sollte damit nicht gestärkt werden, zumal bereits die Vorgängervorschrift des § 16 AsylVfG i. d. F. des Gesetzes vom 09.07.1990 (BGBl. I S. 1354) abweichend von § 49 VwVfG eine Pflicht zum Widerruf begründet hatte, die in zeitlicher Hinsicht nicht eingeschränkt war. Es ist auch unter grundrechtlichen Gesichtpunkten nicht ersichtlich, dass den vom Widerruf betroffenen Personen ein rechtserheblicher Nachteil dadurch entstanden sein könnte, dass sie einige Jahre länger eine gesicherte Rechtsposition in Deutschland besessen haben, die sie zudem freiwillig hätten aufgeben können. Soweit das VG Stuttgart im Urteil vom 07.01.2003 (a.a.O.) meint, die „Auffangfunktion“ des Art. 2 Abs. 1 GG gewährleiste auch die Freiheit, die einmal gewährte Rechtsposition beibehalten zu dürfen, sofern sie nicht dem objektiven Recht gemäß (unverzüglich) widerrufen werde, kann dem nicht gefolgt werden. Der Auffangfunktion des Art. 2 Abs. 1 GG darf eine rechtskreiserweiternde Bedeutung nicht zugeschrieben werden, sofern sie dem geltenden Recht widerspricht, das zwischen objektivem und subjektivem Recht unterscheidet (vgl. auch § 113 Abs. 1 VwGO). Art. 2 Abs. 1 GG garantiert die allgemeine Handlungsfreiheit (nur) im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung und lässt ihre Einschränkung insbesondere durch oder auf Grund förmlicher Gesetze zu. Der Erlass von Rechtsvorschriften, die lediglich öffentlichen Interessen zu dienen bestimmt sind, wird durch Art. 2 Abs. 1 GG nicht gehindert und kann nicht durch eine „Auffangfunktion“ in sein Gegenteil verkehrt werden.

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Die nach allgemeinem Verwaltungsverfahrensrecht für den Widerruf von Verwaltungsakten geltende Jahresfrist nach § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG i.V.m. § 49 Abs. 2 Satz 2 VwVfG kommt entgegen einer in Teilen der Rechtsprechung vertretenen Auffassung (vgl. dazu etwa VG Stuttgart, Urt. vom 19.03.2003 - A 3 K 13507/02 - <juris>) im Falle eines Widerrufs nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nicht zur Anwendung, weil § 73 Abs. 1 AsylVfG insoweit eine abschließende Regelung trifft (ebenso z.B. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. vom 18.04.2002, AuAS 2002, 141; VGH Baden-Württemberg, Urt. vom 12.08.2003, AuAS 2003, 274 f, OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. vom 20.01.2000, InfAuslR 2000, 468; jew. zit. nach juris und m. w. N.; VG Braunschweig, Urt. vom 12.09.2003 - 5 A 329/03 -). Im Übrigen wäre sie eingehalten. Denn für den Fall einer Anwendbarkeit der in § 49 Abs. 2 Satz 2 und § 48 Abs. 4 VwVfG normierten Jahresfrist ist höchstrichterlich geklärt, dass diese Frist frühestens nach einer Anhörung der Betroffenen mit einer angemessenen Frist zur Stellungnahme zu laufen begonnen hätte (BVerwG, Urt. vom 08.05.2003, DVBl. 2003, 1280, Urt. vom 20.09.2001, NVwZ 2002, 485; Niedersächsisches OVG, Beschl. vom 10.02.2004 - 8 LA 11/04 -). Diese Frist wäre hier bei Erlass des angefochtenen Bescheides eingehalten.

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Der Widerruf scheitert auch nicht an § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG. Nach dieser Vorschrift ist von einem Widerruf abzusehen, wenn sich der Ausländer auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in den Staat abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Mit dieser Regelung, die dem Art. 1 C Nrn. 5 und 6 der Genfer Flüchtlingskonvention nachgebildet ist und den Regelungsgehalt dieser Vorschriften in sich aufnimmt, wird die gesetzliche Pflicht zum Widerruf durchbrochen. Der unbestimmte, gerichtlich voll überprüfbare Rechtsbegriff der „zwingenden, auf früheren Verfolgungen beruhender Gründe" lässt die Berücksichtigung humanitärer Gründe zu. In Betracht kommen ausschließlich Gründe, die ihre Ursache in einer früheren Verfolgung haben. Damit soll der psychischen Sondersituation Rechnung getragen werden, in der sich ein Asylbewerber befindet, der ein besonders schwer wiegendes, nachhaltig wirkendes Verfolgungsschicksal erlitten hat und dem es deshalb selbst lange Jahre danach ungeachtet der veränderten Verhältnisse nicht zumutbar ist, in den früheren Verfolgerstaat zurückzukehren (vgl. Niedersächsisches OVG, Urt. vom 28.06.2002 - 8 LB 10/02 -; Hessischer VGH, Beschl. vom 28.05.2003, InfAuslR 2003, 400; Marx, AsylVfG, 5. Aufl., § 73 Rn.109; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: September 2004, § 73 AsylVfG, Rn. 29, 32; Renner, Ausländerrecht, 7. Aufl., § 73 AsylVfG Rn. 10; ebenso bereits zum inhaltsgleichen § 16 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG a. F.: VGH Baden-Württemberg, Urt. vom 12.02.1986, NVwZ 1986, 957). Ob dem Widerruf daneben oder als Unterfall humanitärer Unzumutbarkeitserwägungen auch wirtschaftliche Gründe entgegenstehen können, braucht hier nicht abschließend geklärt zu werden. Denn auch die Befürworter der Berücksichtigungsfähigkeit wirtschaftlicher Gründe (etwa Marx, aaO., Rn. 108 unter Bezugnahme auf VG Frankfurt a. M., Urt. vom 22.02.2002, InfAuslR 2002, 371) stellen insoweit allein auf individuelle Gründe ab, die sich von der allgemeinen wirtschaftlichen Situation der Bevölkerung des Herkunftsstaates abheben. Das entspricht der grundsätzlich individuellen Konzeption des Asylrechts (BVerfG, Beschl. vom 10.07.1989, BVerfGE 80, 315, 334 ff.). Dementsprechend kann es auch bei § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG grundsätzlich nur um individuelle Gründe und nicht generell darum gehen, die im Allgemeinen schlechte wirtschaftliche Lage für die Bevölkerung und Probleme bei der Unterbringung im Heimatstaat als hinreichenden Grund für eine Rückkehrverweigerung anzuerkennen; der Wiederaufbau einer wirtschaftlichen Existenz im Heimatland ist nicht von vornherein unzumutbar (so zutreffend Renner, Ausländerrecht, 7. Aufl., § 73 AsylVfG Rn. 13). Ob ausnahmsweise etwas anderes anzunehmen wäre, wenn von vornherein feststünde, dass die wirtschaftlichen Mindestbedingungen für ein Überleben nicht gesichert wären, mithin die aus Verfassungsgründen beachtliche Grenze zu einer extremen Bedrohung (auch im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG) überschritten wäre (vgl. dazu etwa BVerwG, Urt. vom 27.04.1998 - 9 C 13/97 - m. w. N.), braucht hier nicht entschieden zu werden. Eine existenzielle Ungesichertheit der wirtschaftlichen Lebensgrundlage, die es gleichsam jedem unzumutbar machen würde, in das Kosovo zurückzukehren, liegt nicht vor; die internationale Verwaltung und zahlreiche Hilfsorganisationen sind zudem nach wie vor um eine weitere Verbesserung der Existenzgrundlagen und der Unterbringungsmöglichkeiten der Bevölkerung bemüht.

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Besondere Gründe in der Person des Klägers zu 1., die die Annahme eines besonders schwer wiegenden, nachhaltig wirkenden und zur Unzumutbarkeit der Rückkehr in das Kosovo führenden Verfolgungsschicksals rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich. Zwar kann sich bei einer Gesamtschau aller Umstände des konkreten Einzelfalls ein besonders schwer wiegendes Verfolgungsschicksal für albanische Volkszugehörige auch deswegen ergeben, weil sie vor ihrer Ausreise aus dem Kosovo im Nordteil der Stadt Mitrovica gelebt haben (vgl. VG Braunschweig, Urt. vom 23.09.2004 - 6 A 38/04 -). Das Gericht hat jedoch nicht die Überzeugung gewinnen können, dass die Angabe des Klägers, er habe zuletzt mit seiner Familie im Nordteil der Stadt gewohnt, der Wahrheit entspricht. Der Kläger hat selbst vorgetragen, das Wohnhaus stehe am Fluss Luschta. Dieser Fluss liegt nach der eingeholten Auskunft des Deutschen Verbindungsbüros Pristina vom 23. August 2004 allerdings im Süden der Stadt. Das Gericht hat keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte dafür, dass diese Auskunft unzutreffend oder unvollständig ist. Solche Anhaltspunkte ergeben sich insbesondere nicht aus der von dem Kläger gefertigten Lageskizze, nach der das Haus unmittelbar an dem fraglichen Fluss liegt. Die Gelegenheit, die durchgreifenden Zweifel an der Richtigkeit seiner Behauptung auszuräumen, hat der Kläger nicht genutzt. Er ist trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht persönlich zur mündlichen Verhandlung erschienen. Auch der Vortrag des Klägers in seinem früheren Asylverfahren rechtfertigt nicht die Annahme eines besonders schwer wiegenden Verfolgungsschicksals. Eine Konfrontation mit Elementen der nach dem Klägervortrag fluchtauslösenden Strukturen ist objektiv im Kosovo nicht mehr zu befürchten. Darüber hinaus teilt der Kläger das dargestellte Verfolgungsschicksal mit einer Vielzahl anderer Kosovoflüchtlinge, sodass er sich objektiv nicht in einer besonderen Situation befindet. Dass bei ihm gleichwohl wegen der vorgetragenen Ausreisegründe besondere psychische Belastungen fortbestehen, die als zwingende Gründe eine Rückkehr unzumutbar machen, ist nicht ersichtlich.

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Das Asylgrundrecht und die Regelung in § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG gewähren auch keinen (Vertrauens-) Schutz, der sich (allein) auf die (nun widerrufene) Asylanerkennung oder die Gewährung des Flüchtlingsstatus gründet (vgl. dazu BVerwG, Beschl. vom 17.08.1988, Buchholz 402.25 § 16 AsylVfG Nr. 1; Urt. vom 24.11.1992, Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG 1992 Nr. 1; s. auch VGH Baden-Württemberg, Urt. vom 12.02.1986 - A 13 S 77/85 -). Für den Schutz der sich aus dem längeren Aufenthalt in Deutschland herleitenden individuellen Belange des Klägers ist Raum im ausländerrechtlichen Verfahren, in dem regelmäßig nach pflichtgemäßem Ermessen gemäß § 43 Abs. 1 Nr. 4 AuslG darüber zu entscheiden ist, ob die auf Grund der nun widerrufenen asylrechtlichen Entscheidung gewährte Aufenthaltsgenehmigung zu widerrufen ist (vgl. BVerwG, Urt. vom 20.02.2003, EzAR 019, Nr. 19).

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b) Auch der den Kläger zu 2. betreffende Bescheid vom 1. März 2004 ist rechtmäßig. Rechtsgrundlage für den in diesem Bescheid ausgesprochenen Widerruf ist die Regelung in § 73 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 Satz 2 AsylVfG. Die Regelung des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist auch dann anwendbar, wenn die zu widerrufende Anerkennung als Asylberechtigter - wie hier - allein auf die Vorschriften über das Familienasyl nach § 26 AsylVfG gestützt war. § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG enthält für diesen Fall keine speziellere Regelung, die die Anwendung anderer Vorschriften verdrängt (ebenso VGH Baden-Württemberg, Urt. vom 10.08.2000 - 12 S 129/00 - <juris>; Renner, aaO., § 73 AsylVfG Rn. 7; a.A. Marx, aaO., § 73 Rn. 126).

26

Schon der Wortlaut des Satzes 2 deutet darauf hin, dass damit nur ein weiterer Widerrufsgrund für die Fälle des Familienasyls bestimmt werden soll („ferner“), die im Übrigen dem Grundtatbestand des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG unterfallen. Diese Auslegung findet ihre Bestätigung auch in den Gesetzgebungsmaterialien (dazu im Einzelnen VGH Baden-Württemberg, aaO.). Dem § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG kommt demnach nur die Bedeutung zu, auf den in diesen Fällen zu beachtenden „Grundsatz der doppelten Deckung" hinzuweisen: Das Bundesamt soll beim Widerruf einer auf § 26 AsylVfG gestützten Asylanerkennung stets in den Blick nehmen, dass in dieser Konstellation auch ein eigener (originärer) Asylanspruch des bislang „nur" Familienasylberechtigten gegeben sein kann.

27

Die Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG für einen Widerruf der für den Kläger zu 2. ausgesprochenen Asylberechtigung nach § 26 AsylVfG sind erfüllt. Maßgeblich dafür ist, ob eine nachträgliche Änderung der Sach- oder Rechtslage die Voraussetzungen für das Familienasyl hat entfallen lassen (VGH Baden-Württemberg, aaO.). Dies ist hier der Fall. Auf Grund der veränderten Verhältnisse im Kosovo ist die Anerkennung des Klägers zu 1. als Asylberechtigter, auf deren Grundlage dem Kläger zu 2. Familienasyl gewährt worden war, nunmehr aus den dargelegten Gründen zu widerrufen. Damit ist eine der Voraussetzungen für das Familienasyl nicht mehr gegeben (vgl. § 26 Abs. 1 Nr. 4 AsylVfG).

28

Anhaltspunkte für eine politische Verfolgung des Klägers zu 2. und ein sich daraus ergebendes eigenständiges Asylrecht (§ 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG) sind wegen der dargelegten allgemeinen Lage im Kosovo nicht ersichtlich. Es sind auch keine individuellen Gründe vorgetragen oder ersichtlich, die den Widerruf nach § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG ausschließen würden. Die für die Familie des Klägers zu 2. vorgetragenen Umstände rechtfertigen es nicht, von dem Widerruf abzusehen (siehe oben).

29

2. Auch mit dem Hilfsantrag hat die Klage keinen Erfolg. Die Kläger haben keinen Anspruch auf die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 53 AuslG. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid vom 23. Dezember 2003 verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylVfG). Lediglich ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass auch die Ereignisse vom 18. und 19. März 2004 für die albanische Bevölkerungsmehrheit keine extreme Gefahrenlage begründen, die dazu führen würde, dass die Kläger bei einer Rückkehr gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert wären (vgl. auch Niedersächsisches OVG, Beschl. vom 24.05.2004 - 8 LA 120/04 -; VG Braunschweig, Urt. vom 19.03.2004 - 6 A 129/04 -).

30

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 167 VwGO, 711, 708 Nr. 11 ZPO.