Finanzgericht Niedersachsen
v. 22.01.2015, Az.: 1 K 218/14
Möglichkeit der Umdeutung eines vom Steuerberater eingelegten Einspruchs gegen einen Einkommensteuerbescheid als Einspruch gegen einen geschätzten Feststellungsbescheid
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 22.01.2015
- Aktenzeichen
- 1 K 218/14
- Entscheidungsform
- Teilurteil
- Referenz
- WKRS 2015, 18019
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2015:0122.1K218.14.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 14.06.2016 - AZ: IX R 11/15
Rechtsgrundlagen
- § 357 Abs. 1 S. 4 AO
- § 133 BGB
- § 140 BGB
Fundstellen
- EFG 2015, 786-788
- GStB 2015, 201-202
Amtlicher Leitsatz
Auch Willenserklärungen eines Angehörigen der steuerberatenden Berufe können umgedeutet werden.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 2010 vom 5. Dezember 2012 (Steuernummer 1) bestandskräftig geworden ist, die Eheleute EM und EF die festgestellten Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung gemeinsam erzielt haben und wie hoch die Einkünfte anzusetzen sind.
Die Klägerin ist eine aus den Eheleuten EM und EF bestehende Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Die Eheleute werden vom beklagten Finanzamt X (das Finanzamt) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt (Steuernummer 2). Sie werden von dem Prozessbevollmächtigten, einem Steuerberater und Rechtsbeistand, steuerlich beraten. Auf den Prozessbevollmächtigten lautende Empfangsvollmachten der Eheleute u.a. für die Einkommensteuer wie auch für das Verfahren der gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte aus der Vermietung des Wohn- und Geschäftshauses Y-straße (Steuernummer 1) sind dem Finanzamt im Jahr 2010 zugegangen. Für die Bearbeitung der Einkommensteuer- und Feststellungserklärungen sind unterschiedliche Dienststellen des Finanzamts zuständig.
Da die Eheleute keine Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2010 abgegeben hatten, erließ das Finanzamt den Einkommensteuerbescheid 2010 vom 13. Juni 2012, der auf geschätzten Besteuerungsgrundlagen beruhte. Das Finanzamt setzte u.a. "Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung aus Grundstücksgemeinschaften" in Höhe von 9.525 € (Ehemann) und 37.962 € (Ehefrau) an. Die Grundstücksgemeinschaften waren nicht näher bezeichnet. Wie sich die Beträge zusammensetzten, erläuterte das Finanzamt nicht. In dem Aktenvermerk zu den Schätzungsgrundlagen finden sich folgende Angaben:
Ehemann | Ehefrau | |
---|---|---|
V und V, Steuernummer 1, o. M., wie Vorj. | 9.525 EUR | 9.525 EUR |
Der Einkommensteuerbescheid wurde dem Prozessbevollmächtigten für die Eheleute bekanntgegeben. Er legte am 11. Juli 2012 Einspruch ein und beantragte vergeblich Aussetzung der Vollziehung des Bescheids.
Die Einkommensteuererklärung ging am 25. September 2012 beim Finanzamt ein. Beigefügt war eine Anlage V, in der die Ehefrau allein Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung für das Objekt Y-straße in Höhe von ./. 26.401 € erklärte. Das Finanzamt schrieb dem Prozessbevollmächtigten am 18. Oktober 2012:
"...Die Grundstücksgemeinschaft EM und EF (Steuernummer 1) wurde am 31.10.2010 beendet. Die Einkünfte sind daher für die Monate Januar bis Oktober gesondert und einheitlich festzustellen. Reichen Sie bitte eine korrigierte Anlage V für die Monate November bis Dezember 2010 ein..."
Der Prozessbevollmächtigte antwortete zunächst nicht.
Die Eheleute hatten für die Vorjahre 1993 bis 2009 Erklärungen zur gesonderten und einheitlichen Feststellung der mit dem Objekt erzielten Einkünfte abgegeben. Die Einkünfte wurden unter der Steuernummer 1 festgestellt, u.a. für das Vorjahr 2009 erklärungsgemäß mit 19.050 €, und den Eheleuten jeweils hälftig zugewiesen.
Da für das Streitjahr 2010 keine Feststellungserklärung abgegeben worden war, erließ das Finanzamt den Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 2010 vom 5. Dezember 2012, einem Mittwoch, in dem es die Einkünfte auf 20.000 € schätzte und jedem Ehegatten 10.000 € zuordnete. Der Bescheid war inhaltlich an die Grundstücksgemeinschaft EM und EF GbR gerichtet und wurde dem Prozessbevollmächtigten für die Klägerin bekanntgegeben. Die Beteiligungseinkünfte wurden der für die Einkommensteuerveranlagung der Eheleute zuständigen Dienststelle mitgeteilt.
Am Donnerstag, den 3. Januar 2013, faxte der Prozessbevollmächtigte seine Antwort auf das Schreiben vom 18. Oktober 2012 an das Finanzamt. Im Betreff ist die Steuernummer 2 der Einkommensteuerveranlagungen angegeben. Ferner sind dort der Einkommensteuerbescheid 2010 mit Datum, der Einspruch vom 11. Juli 2012 und "Ihr Schreiben" vom 18. Oktober 2012 erwähnt. Die Unterzeichnerin des Schreibens wird in der Anrede namentlich angesprochen. In dem Fax heißt es u.a.:
"Die sogen. "Grundstücksgemeinschaft EM und EF" hat in der Vergangenheit nicht bestanden. Sie besteht auch heute nicht.
Eigentümerin des betroffenen Grundstücks Y-straße war und ist EF. Ein Rechtsverhältnis zwischen der Eigentümerin und dieser sogen. Grundstücksgemeinschaft bestand und besteht nicht.
Die zur Einkommensteuererklärung 2010 vorgelegte Anlage V enthält die Einnahmen und Werbungskosten für das betroffene Grundstück.
Sobald in dieser Angelegenheit Einvernehmen besteht, werde ich die Umsatzsteuererklärung für EF nachreichen."
Auf der Rückseite des am Montag, dem 7. Januar 2013, beim Finanzamt eingegangenen Originals des Schriftsatzes vom 3. Januar 2013 finden sich folgende Bearbeitervermerke:
"für die Grdst.gem (Steuernummer 1) wurde für den Veranlagungszeitraum 2010 am 05.12.12 eine Schätzung durchgeführt. Ein Einspruch liegt z. Zt. noch nicht vor. Nach Ablauf der Rb-Frist entscheiden.
Wv 21.01.13
Ein Einspruch liegt nicht vor."
Die Vermerke sind nicht datiert und nicht abgezeichnet.
Das Finanzamt setzte die Einkommensteuer mit Teil-Einspruchsbescheid vom 19. November 2013 höher fest. Dabei berücksichtigte es bei den Einkünften aus Grundstücksgemeinschaften die für das Objekt Y-straße mitgeteilten Einkünfte laut Feststellungsbescheid vom 5. Dezember 2012 in Höhe von 10.000 € für jeden Ehegatten. Hiergegen richtet sich die unter dem Aktenzeichen 1 K .../13 geführte Klage. Das Verfahren ist ausgesetzt bis zur rechtskräftigen Entscheidung, ob der Feststellungsbescheid vom 5. Dezember 2012 bestandskräftig geworden ist.
Die Klägerin machte nach einem richterlichen Hinweis gegenüber dem Finanzamt geltend, mit dem Schriftsatz vom 3. Januar 2013 Einspruch gegen den Feststellungsbescheid vom 5. Dezember 2012 eingelegt zu haben. Darüber hinaus sei der Bescheid nichtig, weil das Finanzamt weder die gegenüber den Vorjahren nahezu unveränderten wichtigsten Positionen der Werbungskosten in Höhe von 85.000 € noch die dem Finanzamt bekannten Umsatzsteuerzahlungen nebst Nebenleistungen für Vorjahre in Höhe von 32.000 € berücksichtigt habe.
Das Finanzamt verwarf den Einspruch der Klägerin mit Bescheid vom 12. August 2014 wegen Versäumung der Einspruchsfrist als unzulässig. Es ist der Auffassung, mit der Stellungnahme vom 3. Januar 2013 sei kein Einspruch gegen den Feststellungsbescheid eingelegt worden. Die Stellungnahme sei eindeutig und damit nicht auslegungsbedürftig. Lege z. B. ein Steuerberater "gegen den Körperschaftsteuerbescheid" Einspruch ein, werde damit nicht auch Einspruch gegen den Bescheid über die Festsetzung von Zinsen zur Körperschaftsteuer eingelegt (BFH-Urteil vom 28. November 2001 I R 93/00, BFH/NV 2002, 613). So liege der Fall hier. Aus dem klaren Wortlaut der Stellungnahme ergebe sich, dass der Prozessbevollmächtigte, als Steuerberater ein Angehöriger der steuerberatenden Berufe, eine Gegenäußerung auf eine Rückfrage des Finanzamts zu dem Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 2010 abgegeben habe.
Der Prozessbevollmächtigte habe mit dem Schriftsatz vom 3. Januar 2013 nur eine Stellungnahme zu seinem Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 2010 abgeben wollen. Erst nach einem Hinweis des Niedersächsischen Finanzgerichts in dem Verfahren wegen Einkommensteuer 2010 hätte die Klägerin mit Schriftsatz vom 10. Juli 2014 vorgetragen, sie hätten mit der Stellungnahme auch ein Rechtsmittel gegen den Feststellungsbescheid vom 5. Dezember 2012 einlegen wollen. Dies zeige, dass dieser Wille beim ursprünglichen Verfassen der Stellungnahme nicht vorhanden gewesen sei.
Die Stellungnahme sei damit nicht objektiv mehrdeutig, sondern äußerst konkret und bestimmt in ihrem gesamten Aufbau und Inhalt gewesen. Sie sei von Erklärendem und Empfänger identisch - als formlose Stellungnahme zum Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 2010 - gedeutet worden. Sie sei nicht auslegungsbedürftig gewesen. Infolgedessen habe keine Notwendigkeit für eine Nachfrage des Finanzamts bestanden, ob der Schriftsatz als Einspruch gegen den Grundlagenbescheid behandelt werden solle.
Die Stellungnahme könne auch nicht gemäß § 140 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in einen Einspruch gegen den Feststellungsbescheid umgedeutet werden. Eine Erklärung "umdeuten" heißt, sie entgegen ihrem Wortlaut so aufzufassen, dass sie dem - erkennbar - wirklich Gewollten entspricht. Das sei hier nicht möglich, da die Klägerin durch einen Angehörigen der steuerberatenden Berufe vertreten würden, der die Stellungnahme selbst gefertigt und beim Finanzamt eingereicht habe. Eine Umdeutung der Verfahrenserklärungen von Angehörigen der steuerberatenden Berufe scheide regelmäßig aus.
Mit dem Schriftsatz vom 10. Juli 2014 sei erstmalig Einspruch gegen den Feststellungsbescheid eingelegt worden. Dies sei aber nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist geschehen.
Die Grundstücksgemeinschaft habe unzweifelhaft bestanden. Die Eheleute seien für das Objekt immer gemeinsam nach außen hin aufgetreten. Sie hätten seit 1993 für die Grundstücksgemeinschaft Erklärungen für eine einheitliche und gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen abgegeben. Rechnungen seien immer an die Eheleute adressiert worden. Leistungsempfänger sei die Grundstücksgemeinschaft gewesen und nicht EF. Im Rahmen der Schätzung seien Abschreibungen in Höhe von 22.316 € und sonstige Kosten in Höhe von 28.195 € als Werbungskosten berücksichtigt worden. Der Feststellungsbescheid gebe keine Anhaltspunkte für einen rechtswidrigen oder nichtigen Bescheid.
Hiergegen richtet sich die Klage.
Die Klägerin meint, die Stellungnahme vom 3. Januar 2013 sei als Einspruch gegen den Feststellungsbescheid zu werten.
Hilfsweise trägt sie vor, der Bescheid sei nichtig. Es habe keinen Anlass für eine Schätzung gegeben. Zum Zeitpunkt der Schätzung seien dem Finanzamt die erzielten Einkünfte durch die das Objekt betreffende Anlage V der Einkommensteuererklärung bekannt gewesen. Zudem habe das Finanzamt § 162 Abs. 1 Satz 2 Abgabenordnung (AO) nicht beachtet. Danach seien bei der Schätzung alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung seien. Die Werte des Vorjahrs hätten nicht übernommen werden dürfen. Aus der Buchhaltung des Finanzamts habe sich ergeben, dass im Streitjahr Umsatzsteuerzahlungen für Vorjahre in Höhe von ca. 32.000 € geleistet worden seien, die als Werbungskosten hätten berücksichtigt werden müssen.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid dadurch zu ändern, dass sowohl die von den Klägern eingereichten wie auch die aus der Buchhaltung des Beklagten ersichtlichen Besteuerungsgrundlagen der Feststellung zugrunde gelegt werden,
hilfsweise, den Feststellungsbescheid für nichtig zu erklären.
Der Beklagte hält an seiner Rechtsauffassung fest und beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Eheleute persönlich teilten dem Finanzamt mit Schreiben vom 6. Dezember 2010 mit, die Grundstücksgemeinschaft sei zum 31. Oktober 2010 beendet worden.
Entscheidungsgründe
Gegen den Bescheid für 2010 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 5. Dezember 2012 wurde mit Schriftsatz vom 3. Januar 2013 des Prozessbevollmächtigten Einspruch eingelegt.
1. Der Senat entscheidet vorab durch Zwischenurteil gemäß § 99 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) über die Frage, ob mit dem Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom 3. Januar 2013 Einspruch gegen den Feststellungsbescheid vom 5. Dezember 2012 eingelegt worden ist. Dies erscheint sachdienlich, weil zu erwarten ist, dass sich nach Rechtskraft der Entscheidung der Rechtsstreit einvernehmlich erledigen wird.
2. Der Schriftsatz vom 3. Januar 2012 enthält einen Einspruch gegen den Feststellungsbescheid vom 5. Dezember 2012.
a. Allerdings kann dem Schriftsatz vom 3. Januar 2012 nicht die Willenserklärung entnommen werden, gegen den Feststellungsbescheid Einspruch einzulegen.
Der Einspruch ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die bei der Behörde anzubringen ist, deren Verwaltungsakt angefochten wird. Ein Einspruch, der sich gegen die Feststellung von Besteuerungsgrundlagen oder gegen die Festsetzung eines Steuermessbetrags richtet, kann auch bei der zur Erteilung des Steuerbescheids zuständigen Behörde angebracht werden (§ 357 Abs. 2 Satz 1 und 2 AO).
Ob Erklärungen oder Anträge eines Steuerpflichtigen als Einspruch (§ 357 AO) auszulegen sind, richtet sich gemäß dem sinngemäß anzuwendenden § 133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nach seinem wirklichen Willen. Maßgebend ist nicht nur die Wortwahl des Steuerpflichtigen, sondern der gesamte Inhalt seiner Willenserklärung; auch außerhalb der Erklärung liegende weitere Umstände können berücksichtigt werden (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 18. September 2014 VI R 80/13, BFH/NV 2015, 71 m. w. N.). Ein Einspruch liegt vor, wenn sich feststellen lässt, dass der wirkliche Wille auf die Anfechtung des Bescheids gerichtet ist (BFH-Urteil vom 24. August 2004 VIII R 7/04, BFH/NV 2005, 11).
Danach lässt sich der Schriftsatz nicht als Einspruch gegen den Feststellungsbescheid auslegen. Der Schriftsatz enthält lediglich eine Stellungnahme im Rahmen des Einspruchsverfahrens wegen Einkommensteuer 2010.
Einer Auslegung als Einspruch gegen den Feststellungsbescheid steht zwar nicht schon entgegen, dass in dem Text eine Wendung "Einspruch gegen den Feststellungsbescheid..." o.ä. nicht vorkommt. Die unrichtige oder fehlende Bezeichnung als Einspruch allein schadet nicht (§ 357 Abs. 1 Satz 4 AO; vgl. BFH-Urteil vom 19. März 2009 V R 17/06, HFR 2009, 960). § 357 Abs. 3 Satz 1 AO sieht lediglich vor, dass bei der Einlegung der angefochtene Verwaltungsakt bezeichnet werden soll.
Die Formulierung des Schriftsatzes ist aber nach ihrem objektiven Erklärungsinhalt eindeutig. Der Betreff stellt durch die Angabe der Einkommensteuernummer, die Erwähnung des Einkommensteuerbescheids 2010 mit Datum, der Einspruchsschrift und des Schreibens des Finanzamts vom 18. Oktober 2012 den unmissverständlichen Bezug zum laufenden Einspruchsverfahren wegen Einkommensteuer 2010 her. Ferner wird die Bearbeiterin des Einspruchs gegen den Einkommensteuerbescheid als Verfasserin des Schreibens vom 18. Oktober 2012 namentlich angesprochen. Der Feststellungsbescheid wird nicht erwähnt.
Dieser Erklärungsinhalt entsprach auch dem Willen des Prozessbevollmächtigten. Sein Wille war allein darauf gerichtet, im Rechtsbehelfsverfahren wegen Einkommensteuer eine Stellungnahme zum Schreiben des Finanzamts vom 18. Oktober 2012 abzugeben. Die Frage, ob der Schriftsatz vom 3. Januar 2013 als Einspruch gegen den Feststellungsbescheid vom 5. Dezember 2012 gewertet werden könnte, ist erst später durch richterliche Hinweise in dem Rechtsstreit 1 K .../13 und dem zugehörigen Aussetzungsverfahren ... aufgeworfen worden.
b. Der Schriftsatz vom 3. Januar 2013 ist jedoch in einen Einspruch gegen den Feststellungsbescheid vom 5. Dezember 2012 umzudeuten. Jenseits der Grenzen der Auslegung kommt in Betracht, dem wirklich Gewollten durch Umdeutung Rechnung zu tragen (Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, § 357 AO, 6).
aa. Bei der Entscheidung, ob ein Steuerpflichtiger gegen einen wirksamen Feststellungsbescheid Einspruch eingelegt hat, ist der Rechtsgedanke des § 140 BGB zu berücksichtigen. Die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes durch Art. 19 Abs. 4 GG gebietet nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Auslegung und Anwendung der die Einlegung von Rechtsbehelfen regelnden Vorschriften, die die Beschreitung des eröffneten Rechtswegs nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren (vgl. Beschluss der 3. Kammer des 1. Senats des BVerfG vom 31. Juli 2001 1 BvR 1061/00, DVBl 2001, 1747, m. w. N.). Dem Richter ist es verwehrt, durch übermäßig strenge Handhabung verfahrensrechtlicher Vorschriften den Anspruch auf gerichtliche Durchsetzung des materiellen Rechts unzumutbar zu verkürzen (vgl. Beschluss der 3. Kammer des 1. Senats des BVerfG vom 2. September 2002 1 BvR 476/01, BStBl II 2002, 835).
Bei der Auflösung des sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebenden Widerstreits zwischen dem allgemeinen Interesse an Rechtssicherheit und Verfahrensbeschleunigung einerseits und dem subjektiven Interesse des Einzelnen an einem möglichst uneingeschränkten Rechtsschutz andererseits, sind die betroffenen Belange angemessen zu gewichten. Bezüglich der Auswirkung der angewandten Verfahrensregelungen auf den Rechtsuchenden muss der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet werden. Soweit die Anwendung findenden Verfahrensregeln einen Auslegungsspielraum lassen, darf ein Gericht diese nicht in einem Sinne auslegen, der zu einem Widerspruch mit den Prinzipien des Grundrechts auf einen wirkungsvollen Rechtsschutz führen würde (BVerfG-Beschluss vom 2. März 1993 1 BvR 249/92, BVerfGE 88, 118).
Die Anwendung des in § 140 BGB zum Ausdruck gekommenen allgemeinen Rechtsgedankens im Verfahrensrecht dient der Verwirklichung des Gebots zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes. Nach dieser Vorschrift gilt dann, wenn ein nichtiges Rechtsgeschäft den Erfordernissen eines anderen Rechtsgeschäfts entspricht, das letztere, wenn anzunehmen ist, dass dessen Geltung bei Kenntnis der Nichtigkeit gewollt sein würde. Es ist in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs anerkannt, dass in Anwendung des dieser Vorschrift zugrunde liegenden Rechtsgedankens Anträge eines Steuerpflichtigen umgedeutet werden können, wenn nicht zweifelhaft ist, welches Ziel er letztlich erreichen will und dass er die dem Wortlaut nach richtigen Anträge gestellt hätte, wenn er die zutreffende verfahrensrechtliche Lage gekannt hätte. Deshalb hat der Bundesfinanzhof Anträge auf Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuerbescheide in Anträge aus Aussetzung der Vollziehung der Gewinnfeststellungsbescheide unter Hinweis auf den allgemeinen Rechtsgedanken des § 140 BGB umgedeutet (vgl. BFH-Beschlüsse vom 24. Oktober 1968 IV B 40/68, BFHE 93, 543 [BFH 24.10.1968 - IV B 40/68], BStBl II 1969, 40; vom 12. Januar 1978 IV S 12 13/77, BFHE 124, 147, [BFH 12.01.1978 - IV S 12/77] BStBl II 1978, 227 [BFH 12.01.1978 - IV S 1213/77]; vom 30. April 1987 VIII S 2/87, BFH/NV 1987, 796; vgl. zum Ganzen BFH-Urteil vom 24. August 2004 VIII R 7/04, BFH/NV 2005, 11).
Nach diesen Maßstäben ist der mit dem Schriftsatz vom 3. Januar 2013 gestellte bzw. wiederholte Antrag, den Einkommensteuerbescheid 2010 bezüglich der mit dem Objekt Y-straße erzielten Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung den Angaben in der diesbezüglichen Anlage V zu ändern, in einen Einspruch gegen den Feststellungsbescheid vom 5. Dezember 2012 umzudeuten.
Das mit dem Schriftsatz vom 3. Januar 2013 materiell-rechtlich zweifellos angestrebte Ziel, das der Prozessbevollmächtigte letztlich erreichen wollte, war, dass - soweit hier von Interesse - die Einkünfte aus dem Objekt nur EF zugerechnet und die Einkünfte in der sich aus der Anlage V ergebenden Höhe berücksichtigt werden. Dies ergibt sich aus den Ausführungen zu Ziffer 3 des Schriftsatzes und der dort erfolgten Bezugnahme auf die zuvor schon eingereichte Anlage V.
Ebenso bestehen keine Zweifel, dass der Prozessbevollmächtigte die dem Wortlaut nach richtigen Anträge gestellt hätte, wenn er die zutreffende verfahrensrechtliche Lage gekannt hätte. Ein vernünftiger Grund für ein anderes Verhalten ist nicht ersichtlich. Die beiden Einwände lassen sich wegen der Bindungswirkung (§ 182 Abs. 1 AO) eines wirksamen Feststellungsbescheids sinnvoll nur durch eine fristgerechte Anfechtung des Feststellungsbescheids vom 5. Dezember 2012 zur Geltung bringen. Am 3. Januar 2013 war die Frist für die Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen den Feststellungsbescheid noch nicht abgelaufen. Wegen der Schwierigkeit der Abgrenzung nichtiger von nur rechtswidrigen Verwaltungsakten ist es sinnvoll, nicht darauf zu setzen, dass der Verwaltungsakt nach womöglich jahrelangem Rechtsstreit als nichtig beurteilt wird, sondern innerhalb der Rechtsbehelfsfrist Einspruch einzulegen und sich damit auf einfache Weise die Änderungsmöglichkeit auch für den Fall der Wirksamkeit des Verwaltungsakts zu erhalten.
bb. Der Umdeutung steht auch nicht entgegen, dass der Schriftsatz vom 3. Januar 2013 von dem Prozessbevollmächtigten, einem Angehörigen der steuerberatenden Berufe, verfasst worden ist.
Ob bei Erklärungen eines Angehörigen der rechts- und steuerberatenden Berufe eine Umdeutung möglich ist, wird - auch höchstrichterlich - unterschiedlich beurteilt. Zum Teil wird vertreten, eine Umdeutung von Verfahrenserklärungen sei in diesen Fällen regelmäßig nicht möglich. Es sei ein Gebot der Rechtssicherheit, Rechtskundige wie Angehörige der steuerberatenden Berufe oder Rechtsanwälte mit ihren Verfahrenserklärungen beim Wort zu nehmen. Bei diesen Personen könne davon ausgegangen werden, dass sie sich über die rechtliche Tragweite ihrer Erklärungen im Klaren seien (BFH-Urteil vom 26. April 2006 II R 35/06, BFH/NV 2006, 1800 m. w. N.; vom 29. Juli 1986 IX R 123/82, BFH/NV 1987, 359 [BFH 29.07.1986 - IX R 123/82]; Beermann/Gosch/Bartone, Steuerliches Verfahrensrecht, § 357 AO, 18; Siegers in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, § 357 AO, 10; Pahlke/Koenig/Pahlke, Abgabenordnung, § 351, 46; Pahlke/Koenig/Cöster, Abgabenordnung, § 357, 9; ständige Rechtsprechung bei ausdrücklicher Bezeichnung eines falschen Rechtsbehelfs, vgl. z. B. BFH-Beschluss vom 2. Oktober 2014 X B 94/14, BFH/NV 2015, 218).
Andere Entscheidungen besagen, auch die von einem sachkundigen Prozessbevollmächtigten abgegebenen prozessrechtlichen Willenserklärungen seien einer Auslegung und demgemäß auch einer Umdeutung zugänglich (BFH-Urteil vom 20. August 2003 I R 61/01, BFHE 203, 135, BStBl II 2004, 616 [BFH 20.08.2003 - I R 61/01]; BFH-Beschluss vom 24. März 1983 V B 60/82, nicht veröffentlicht, ). Zudem hat der Bundesfinanzhof mit Urteil vom 31. Oktober 2000 VIII R 47/98 (BFH/NV 2001, 589 [BFH 31.10.2000 - VIII R 47/98]) den von einem Steuerberater dem Wortlaut nach eingelegten Einspruch gegen einen Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs - im Wege der Auslegung, nicht der Umdeutung - als Einspruch gegen einen Einkommensteueränderungsbescheid gewertet (zustimmend Schwarz/Keß, Abgabenordnung, § 357, 19; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, § 357 AO, 6; offen gelassen in den BFH-Beschlüssen vom 29. Dezember 2008 X B 153/08, für den Fall, dass nur durch eine solche Umdeutung dem Gebot der Gewährung von effektivem Rechtsschutz entsprochen werden kann, nicht veröffentlicht, , und vom 14. Juni 2011 V B 24/10, BFH/NV 2011, 1532). Nach dem BFH-Beschluss vom 31. Juli 2012 X B 164/11 (BFH/NV 2012, 1985) ist zu erwägen, ob auch bei eindeutigen Verfahrenserklärungen fachkundiger Personen die Möglichkeit einer - über die bloße Auslegung unklarer Erklärungen hinausgehenden - Umdeutung bestehe.
Der Senat hält eine Umdeutung auch bei Erklärungen rechtskundiger Personen für möglich. Wenn, wie in dem BFH-Urteil vom 24. August 2004 VIII R 7/04 (BFH/NV 2005, 11 [BFH 24.08.2004 - VIII R 7/04]) ausgeführt, die Anwendung des in § 140 BGB zum Ausdruck gekommenen allgemeinen Rechtsgedankens im Verfahrensrecht der Verwirklichung des verfassungsrechtlichen Gebots zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) dient, kann die Umdeutung nicht bereits deshalb (regelmäßig) ausgeschlossen sein, wenn die dafür in Betracht kommende Erklärung von einem Angehörigen der steuerberatenden Berufe stammt. Ist - wie im Streitfall - der Erklärung des Steuerberaters das materiell-rechtlich angestrebte Ziel unmissverständlich zu entnehmen und die fehlerhafte verfahrensrechtliche Beurteilung offensichtlich, wird der Rechtsschutz des Steuerpflichtigen durch eine verweigerte Umdeutung in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert. Dem Gebot der Gewährung von effektivem Rechtsschutz kann hier nur durch die Umdeutung entsprochen werden. Dass Fachkunde eine Umdeutung von Erklärungen nicht notwendigerweise ausschließt, zeigt § 128 AO, der die Umdeutung fehlerhafter Verwaltungsakte regelt.
Art. 19 Abs. 4 GG enthält ein umfassendes Gebot zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes gegen Rechtsverletzungen der öffentlichen Gewalt, bezogen auf das Steuerrecht also z. B. gegen rechtswidrige Steuerbescheide. Die Vorschrift enthält u.a. eine Garantie, dass der angegriffene Hoheitsakt einer Sachprüfung durch ein Gericht unterzogen wird (BVerfG-Entscheidung vom 15. Februar 1967 2 BvR 658/65, BVerfGE 21, 191 [BVerfG 15.02.1967 - 2 BvR 658/65]). Eine Differenzierung des Umfangs des gebotenen Rechtsschutzes je nach dem, ob der Bürger fachkundig beraten ist oder nicht, ist der Vorschrift nicht zu entnehmen. Die Gegenansicht läuft letztlich darauf hinaus, den fachkundig vertretenen Bürger auf Regressansprüche gegen seinen Berater zu verweisen. Das ist aber nicht der Rechtsschutz gegen die Rechtsverletzung der öffentlichen Gewalt, den Art. 19 Abs. 4 GG gewähren will und dem die Umdeutung in Anwendung des Rechtsgedankens des § 140 BGB dient. Der rechtswidrige Steuerbescheid würde inhaltlich nicht überprüft und bliebe bestehen. Statt des Rechtsschutzes im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG erhielte der Steuerpflichtige nur einen zivilrechtlichen Anspruch auf Schadensersatz gegen den Berater.
Auch die einfachgesetzlichen Vorschriften sprechen für eine Gleichbehandlung von Erklärungen der nicht vertretenen und der durch rechtskundige Personen vertretenen Steuerpflichtigen. Die für die Einlegung eines zulässigen Einspruchs maßgeblichen gesetzlichen Voraussetzungen (vgl. die Aufzählung bei Klein/Brockmeyer, Abgabenordnung, § 358, 2) sind für alle gleich. Wenn es mit dem legitimen Interesse an Rechtssicherheit vereinbar ist, die schriftliche Erklärung eines nicht vertretenen Steuerpflichtigen in einen Einspruch umzudeuten, ist kein Grund ersichtlich, warum dies bei einer schriftlichen Erklärung einer rechtskundigen Person anders sein sollte. In beiden Fällen liegt gleichermaßen eine schriftliche und damit sichere Grundlage für die Beurteilung, ob eine Umdeutung zu erfolgen hat, vor. Die Gerichte können zwar im Interesse der Verfahrensklarheit bei der Beurteilung, ob die Erklärung als Einspruch aufzufassen ist, einen strengen Maßstab anlegen (BVerfG-Beschluss vom 2. März 1993 1 BvR 249/92, BVerfGE 88, 118), aber nicht ohne sachlichen Grund einen unterschiedlichen. Die Rechtskunde des Verfassers einer Erklärung ist für sich genommen kein sachlicher Grund, Verfahrensvorschriften zum Nachteil der mithilfe von Angehörigen der rechts- und steuerberatenden Berufe Rechtsschutz suchenden Steuerpflichtigen strenger auszulegen.
Die Begründung der Gegenansicht, es könne davon ausgegangen werden, dass sich rechtskundige Personen über die rechtliche Tragweite ihrer Erklärungen - zu ergänzen ist: immer - im Klaren seien, ist eine durch nichts belegte, der Lebenserfahrung widersprechende Behauptung. Bei diesen Personen mag eine gewisse Wahrscheinlichkeit bestehen, dass sie die rechtliche Tragweite bei jeder ihrer Erklärungen erkennen, mehr aber nicht. Menschen machen Fehler. Der Streitfall zeigt, dass auch rechtskundige Personen im Einzelfall die verfahrensrechtliche Lage aus welchen Gründen auch immer selbst dann verkennen, wenn sie für andere Rechtskundige offensichtlich ist. Die Bearbeiterin des Finanzamts hat ausweislich der Vermerke sofort (und möglicherweise noch innerhalb der am 10. Januar 2013 ablaufenden Frist für die Anfechtung des Feststellungsbescheids) erkannt, dass die Einwände des Prozessbevollmächtigten im Einspruchsverfahren gegen den Einkommensteuerbescheid nicht zum Erfolg führen können und ein Einspruch gegen den Feststellungsbescheid das sinnvolle Mittel ist, das materiell-rechtliche Ziel, die Einkünfte laut Anlage V nur bei EF anzusetzen, zu erreichen.
Dem Prozessbevollmächtigten ist der Vorwurf zu machen, nicht ausdrücklich Einspruch gegen den Feststellungsbescheid eingelegt zu haben. Der Zugang des Bescheids ist unbestritten. Verschuldensgesichtspunkte sind aber bei Auslegung und Umdeutung von Willenserklärungen anders als bei der Frage, ob wegen Versäumung einer gesetzlichen Frist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist, nicht entscheidungserheblich (vgl. Busche in Münchener Kommentar zum BGB, § 140, 14 zur Umdeutung).
3. Die Revision wird zugelassen, weil die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO). Zu der Frage, ob Erklärungen rechtskundiger Personen umgedeutet werden können, liegen unterschiedliche höchstrichterliche, auch der hier vertretenen Rechtsansicht widersprechende Entscheidungen vor.
4. Die Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil vorbehalten.