Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 15.01.2015, Az.: 14 K 288/13
Berücksichtigung negativer Einkünfte aus Gewerbebetrieb im Rahmen der Änderung eines bestandskräftigen Einkommensteuerbescheides
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 15.01.2015
- Aktenzeichen
- 14 K 288/13
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2015, 18060
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2015:0115.14K288.13.0A
Rechtsgrundlagen
- § 174 Abs. 3 AO
- § 17 EStG
Fundstelle
- EFG 2015, 876-878
Amtlicher Leitsatz
Die Änderung nach § 174 Abs 3 AO wegen eines negativen Widerstreits setzt das enttäuschte Vertrauen des Steuerpflichtigen in die bestandskräftige Steuerfestsetzung voraus.
Tatbestand
Streitig ist, ob ein bestandskräftiger Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 2003 zu ändern und dabei negative Einkünfte des Klägers aus Gewerbebetrieb zu berücksichtigen sind.
Der Kläger erzielte im Streitjahr 2003 Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit.
Daneben war der Kläger an der A-GmbH mit 25 % des Stammkapitals in Höhe von insgesamt 25.000 € und damit wesentlich i.S.d. § 17 EStG beteiligt. Diese Beteiligung hatte der Kläger im Vorjahr 2002 zu einem Kaufpreis von 1 € erworben. Gleichzeitig gewährte er der GmbH ein Gesellschafterdarlehen in Höhe von 100.000 €.
Der Kläger nahm zur Finanzierung des Gesellschafterdarlehens bei seiner Sparkasse ein Darlehen auf und gab dieses in Teilbeträgen auf das Konto der GmbH weiter.
Der Kläger zahlte im Rahmen des Gesellschafterdarlehens zudem die bisher nicht erbrachte Stammeinlage in Höhe von 6.250 € in das Vermögen der GmbH ein, so dass er nunmehr insgesamt 100.580 € (94.330 € + 6.250 €) auf das Konto der GmbH eingezahlt hatte.
Über das Vermögen der GmbH wurde im September 2003 das Insolvenzverfahren eröffnet. Dieses Insolvenzverfahren wurde nach Vollzug der Schlussverteilung im Juli 2007 aufgehoben.
In seiner - unter Mitwirkung eines steuerlichen Beraters erstellten - beim Finanzamt X im Folgejahr 2004 abgegebenen Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2003 machte der Kläger wegen der Insolvenzeröffnung über das Vermögen der GmbH bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb einen Auflösungsverlust nach § 17 EStG i.H.v. 100.001 € geltend. Er gab diesen Betrag in Zeile 7 der Anlage GSE als Verlust aus einer Mitunternehmerschaft an.
Das FA X berücksichtige im Einkommensteuerbescheid vom 10. September 2004 den geltend gemachten Auflösungsverlust nicht. Die "Erläuterungen" des Bescheids enthalten folgenden Text:
"Ihre erklärten Verluste aus der Grundstücksgemeinschaft /Erbengemeinschaft/ Mitunternehmerschaft können erst nach entsprechender Mitteilung des für die Feststellung zuständigen Finanzamts berücksichtigt werden. Es bedarf insoweit keines Einspruchs; der Steuerbescheid wird dann von Amts wegen nach § 175 AO geändert."
Der Kläger, vertreten durch seinen steuerlichen Berater, legte gegen diesen Bescheid Einspruch ein. Neben anderen - hier nicht streitigen - Punkten machte er nochmals die Berücksichtigung des Auflösungsverlusts geltend.
Während des Einspruchsverfahrens erging - wegen der hier nicht streitigen Punkte - der Einkommensteueränderungsbescheid vom 18. Februar 2005, der nach § 365 Abs. 3 Satz 1 AO Gegenstand des Einspruchsverfahrens geworden ist.
Durch Einspruchsbescheid vom 14. Juni 2005 wies das FA X den (weitergehenden) Einspruch des Klägers als unbegründet zurück. Einen Auflösungsverlust nach § 17 EStG berücksichtigte das FA Bielefeld nicht. Zur Begründung führte es dazu wörtlich aus:
"Für die Anerkennung eines Verlustes gem. § 17 (4) EStG, der durch ein Eigenkapital ersetzendes Darlehen entstanden ist, muss der Nachweis erbracht sein, dass das Darlehen auch tatsächlich dem Empfänger ausgezahlt wurde und dass dieses auch in voller Höhe uneinbringlich geworden ist.
Der eingereichte Kontoauszug ist als Nachweis für die Darlehensgewährung nicht ausreichend, da aus ihm nur hervorgeht, dass ein Betrag von 100.000 € auf das Konto des Ef von der Sparkasse überwiesen wurde, weder der Abgang vom Konto des Ef, noch der Zugang des Geldbetrags an die GmbH wurde damit nachgewiesen. Da weitere Unterlagen, wie z.B. ein Darlehensvertrag, nicht eingereicht wurden, kann das Vorliegen einer tatsächlichen Darlehensgewährung nicht nachvollzogen werden. Für das Vorliegen eines uneinbringlichen Darlehens hätte nachgewiesen werden müssen, dass im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung kein Vermögen mehr besteht oder Rückzahlungsaussichten nicht mehr zu erwarten sind. Dies wird durch die eingereichte Ausfertigung des Amtsgerichts über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht nachgewiesen."
Hiergegen richtete sich beim Finanzgericht Y erhobene Klage. Gegenstand der Klage war allerdings nicht der hier streitige Punkt. Die Klage wurde am 2. November 2009 in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen, das Verfahren daraufhin eingestellt.
Im Rahmen eines gegen den jetzigen Beklagten geführten Klageverfahrens wegen Einkommensteuer 2005 und 2006 machte der Kläger den Auflösungsverlust (nochmals) geltend. Dieses Klageverfahren endete durch die Klage als unbegründet abweisendes Urteil vom 19. Januar 2012. Der dort erkennende Senat führte aus, der Auflösungsverlust sei weder im Jahr 2005 noch im Jahr 2006 steuermindernd zu berücksichtigen. Der Auflösungsverlust sei vielmehr schon im Jahr 2003 entstanden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Urteil Bezug genommen.
Im April 2012 beantragte der Kläger beim Beklagten die Änderung des Einkommensteuerbescheids für das Streitjahr 2003 und begehrte nunmehr erneut die Berücksichtigung des Auflösungsverlusts in Höhe von 100.581 €. Er sah die Voraussetzungen für eine Änderung des bestandskräftigen Bescheids nach § 174 AO als erfüllt an und zwar unter den Voraussetzungen der Vorschrift des § 174 Abs. 1 Satz 1 AO. Denn der Auflösungsverlust als "bestimmter Sachverhalt" im Sinne des § 174 Abs. 1 Satz 1 AO sei zuungunsten des Klägers in mehreren Bescheiden unberücksichtigt geblieben.
Der Beklagte lehnte diesen Antrag ab. Er war der Auffassung, die Voraussetzungen der Änderungsvorschrift des § 174 Abs. 1 AO seien nicht erfüllt. Entgegen der Ansicht des Klägers sei der Auflösungsverlust nicht zu seinen Ungunsten mehrfach, sondern bisher überhaupt nicht berücksichtigt. Eine Änderung nach § 174 Abs. 3 AO scheide wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist aus.
Der Kläger legte Einspruch ein. Er hielt an seiner Auffassung fest, die Vorschrift des § 174 Abs. 1 AO sei im Streitfall einschlägig und deren Voraussetzungen erfüllt. Einen entsprechenden Hinweis habe er auch damals vom für die Entscheidung im Verfahren für die Jahre 2005 und 2006 zuständigen Senat erhalten. Im dortigen Verfahren habe das Gericht, im Gegensatz zu der noch vom FA X vertretenen Auffassung, den Nachweis des Auflösungsverlusts für das jetzige Streitjahr 2003 als erbracht angesehen.
Mit Einspruchsbescheid vom 23. September 2013 wies der Beklagte den Einspruch des Klägers als unbegründet zurück. In seiner Begründung geht der Beklagte nunmehr nur noch auf die Vorschrift des § 174 Abs. 3 AO ein und meint, die Voraussetzungen für eine Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids nach dieser Vorschrift seien nicht erfüllt. So habe das damals für die Einkommensteuerveranlagung des Klägers zuständige FA X den Auflösungsverlust nicht deshalb nicht angesetzt, weil es zu der Auffassung gelangt sei, der Auflösungsverlust sei in einem späteren Veranlagungszeitraum zu berücksichtigen, sondern mit der Begründung, der Kläger habe die erforderlichen Nachweise für eine Berücksichtigung im Jahr 2003 nicht erbracht und damit seine Mitwirkungspflichten verletzt.
Hiergegen richtet sich die Klage. Der Kläger hält an seiner Auffassung fest, der bestandskräftige Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 2003 sei nach der Vorschrift des § 174 Abs. 1 AO zu ändern und dabei ein Auflösungsverlust in Höhe von 100.581 € als (negative) Einkünfte des Klägers aus Gewerbebetrieb zu berücksichtigen. Der "bestimmte Sachverhalt" i.S.d. § 174 Abs. 1 AO sei der entstandene Auflösungsverlust. Dieser sei im Streitjahr 2003 zu berücksichtigen, wie sich auch den Ausführungen im Urteil im Verfahren wegen Einkommensteuer 2005 und 2006 entnehmen lasse. Eine "Berücksichtigung" dieses Sachverhalts habe es durch das FA X für das Streitjahr 2003 und dann für die Jahre 2005 und 2006 in der Weise gegeben, dass kein Auflösungsverlust angesetzt wurde, obwohl dies hätte geschehen müssen. Damit sei ein Sachverhalt zuungunsten des Klägers in mehrfacher Weise "berücksichtigt", die Voraussetzungen des § 174 Abs. 1 AO erfüllt. Die Mehrfachberücksichtigung i.S.d. § 174 Abs. 1 AO müsse nicht zu einer steuerlichen Belastung geführt haben. Es reiche, dass der Sachverhalt Gegenstand der Subsumtion der Finanzbehörde gewesen sei und das Ergebnis dieser Subsumtion zum Regelungsbereich der Steuerfestsetzung gehöre.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 11. März 2013 in der Fassung des Einspruchsbescheids vom 23. September 2013 den Beklagten zu verpflichten, den Einkommensteuerbescheid vom 18. Februar 2005 zu ändern und dabei Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von ./. 100.581 € zu berücksichtigen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält an seiner Auffassung fest.
Das Gericht hat die Gerichtsakte des Verfahrens wegen Einkommensteuer 2005 und 2006 sowie die Insolvenzakte der GmbH zum Verfahren beigezogen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet. Die Entscheidung des Beklagten, die Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids des Streitjahres 2003 abzulehnen, ist nicht zu beanstanden.
Die Klage (Verpflichtungsklage) kann nur Erfolg haben, wenn dem Kläger zum einen in materiell-rechtlicher Hinsicht der Ansatz eines Auflösungsverlusts im Streitjahr dem Grunde und in der von ihm geltend gemachten Höhe zusteht und zum anderen formell eine Änderungsmöglichkeit des bestandskräftigen Bescheids in Betracht kommt.
Der Einkommensteuerbescheid, dessen Änderung der Kläger begehrt, ist bestandskräftig. Die Voraussetzungen für eine Änderung des Bescheids aufgrund von Änderungsvorschriften liegen nicht vor.
Die Voraussetzungen für eine Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids für das Streitjahr 2003 nach der Vorschrift des § 174 Abs. 1 AO liegen, entgegen der Auffassung des Klägers, nicht vor.
Nach § 174 Abs. 1 Satz 1 AO ist der fehlerhafte Steuerbescheid auf Antrag aufzuheben oder zu ändern, wenn ein bestimmter Sachverhalt in mehreren Steuerbescheiden zuungunsten eines oder mehrerer Steuerpflichtiger berücksichtigt worden ist, obwohl er nur einmal hätte berücksichtigt werden dürfen. Damit regelt die Vorschrift des § 174 Abs. 1 AO wie die Vorschrift des § 174 Abs. 2 AO Fälle des sog. positiven Widerstreits, wobei Letztere eine Mehrfachberücksichtigung zugunsten des Steuerpflichtigen voraussetzt.
Im Streitfall ist "ein bestimmter Sachverhalt", nämlich das Entstehen eines Auflösungsverlusts nach § 17 EStG, gerade nicht in mehrfacher Hinsicht berücksichtigt worden, sondern bisher eine Berücksichtigung dieses Verlustes in allen dem Kläger gegenüber ergangenen Einkommensteuerbescheiden unterblieben. Dies ist ein Fall des sog. negativen Widerstreits, der - unter bestimmten weiteren Voraussetzungen - in der Änderungsvorschrift des § 174 Abs. 3 AO geregelt ist. Entgegen der Auffassung des Klägers lässt sich einem Fall der Nichtberücksichtigung, also ein Unterlassen, bei der Auslegung des § 174 Abs. 1 AO nicht dieselbe rechtliche Bedeutung beimessen wie einem Tun, d.h. dem Berücksichtigen eines Sachverhalts (vgl. BFH-Urteil vom 27. August 1996 IX R 56/94, BFH/NV 1997, 273 [BFH 27.08.1996 - IX R 56/94]). Der Kläger dehnt den Begriff "Berücksichtigung" in unzulässiger Weise aus, wenn er es ausreichen lassen will, dass der Finanzbehörde bei der Veranlagung ein bestimmter Sachverhalt unterbreitet wurde, wie er es für das Streitjahr 2003 im Jahr 2004 beim FA X getan hat. Im vom FA X erlassenen Einkommensteuerbescheid hat dieser Sachverhalt dann aber bei der Steuerfestsetzung keine Rolle gespielt, genau dies hat das FA X in den Erläuterungen dokumentiert. Eine Regelung in Bezug auf diesen Sachverhalt, wie sie der Kläger darin sehen will, hat es tatsächlich nicht gegeben. Der Fall der Nichtberücksichtigung eines Sachverhalts ist zumal ausdrücklich in § 174 Abs. 3 AO geregelt.
Die Voraussetzungen für eine Änderung des Einkommensteuerbescheids für das Streitjahr 2003 nach § 174 Abs. 3 AO sind jedoch ebenfalls nicht erfüllt.
Gemäß § 174 Abs. 3 Satz 1 AO kann die Steuerfestsetzung, bei der die Berücksichtigung des Sachverhalts unterblieben ist, insoweit nachgeholt, aufgehoben oder geändert werden, als ein bestimmter Sachverhalt in einem Steuerbescheid erkennbar in der Annahme nicht berücksichtigt wurde, dass er in einem anderen Steuerbescheid zu berücksichtigen sei, und sich diese Annahme als unrichtig herausstellt.
Entgegen der zunächst vom Beklagten vertretenen Auffassung, war bei Stellung des Änderungsantrags die Festsetzungsfrist für das Streitjahr 2003, die auch ohne besondere Erwähnung in den §§ 172 ff. AO zeitliche Grenze jeder Änderung ist, noch nicht abgelaufen. Nach § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO beträgt die Festsetzungsfrist vier Jahre. Da der Kläger die Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2003 im Folgejahr 2004 beim damals für ihn als Wohnsitzfinanzamt zuständigen FA X abgegeben hat, beginnt die Festsetzungsfrist wegen der Anlaufhemmung (§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO) mit Ablauf des 31. Dezember 2004. Dementsprechend wäre die vierjährige Festsetzungsfrist mit dem 31. Dezember 2008 abgelaufen. Zu dieser Zeit war allerdings das, das Streitjahr betreffende, beim Finanzgericht Y geführte finanzgerichtliche Verfahren noch nicht abgeschlossen, so dass es zu der Ablaufhemmung des § 171 Abs. 3a AO bis zum Ende des Klageverfahrens kam. Das Klageverfahren endete durch die Klagerücknahme und Einstellung des Verfahrens am 2. September 2009.
Nach § 174 Abs. 3 Satz 2 AO ist jedoch durch eine weitere Ablaufhemmung geregelt, dass die Festsetzungsfrist nicht abläuft, bevor nicht die Festsetzungsfrist für die Festsetzung des Jahres abgelaufen ist, durch die es zum negativen Widerstreit gekommen ist. Danach käme es auf die für die Jahre 2005 und 2006 geltende Festsetzungsfrist an. Die Einkommensteuererklärungen für beide Jahre hat der Kläger erst im Jahr 2008 abgegeben. Danach begann die für die Jahre 2005 und 2006 geltende vierjährige Festsetzungsfrist durch die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO mit Ablauf des 31. Dezember 2008 und endete mit Ablauf des 31. Dezember 2012.
Der vom Kläger gestellte Änderungsantrag vom April 2012 führte dann zur Ablaufhemmung (§ 171 Abs. 3 AO), d.h. die Festsetzungsfrist steht einer Änderung nach § 174 Abs. 3 AO nicht entgegen. Dies räumt auch der Beklagte wohl inzwischen ein.
Allerdings sind die übrigen Voraussetzungen des § 174 Abs. 3 AO nicht erfüllt. Im Streitfall hatte das FA X nämlich keinen Vertrauenstatbestand aus Sicht des Klägers dergestalt geschaffen, dass der Kläger damit rechnen konnte, der von ihm im Streitjahr 2003 (vergeblich) geltend gemachte Auflösungsverlust sei in einem anderen, einen späteren Veranlagungszeitraum betreffenden, Einkommensteuerbescheid zu berücksichtigen. Dies ist aber erforderlich, denn nur das enttäuschte Vertrauen des Steuerpflichtigen auf das vorangegangene Handeln der Finanzbehörde rechtfertigt die nachträgliche Änderung des bestandskräftigen Bescheids nach § 174 Abs. 3 AO.
Das FA X hat die Nichtberücksichtigung des Veräußerungsverlusts im Streitjahr 2003 zweistufig begründet. Zum einen habe der Kläger die Hingabe des Darlehens an die GmbH nicht nachgewiesen. Selbst wenn er dies aber getan hätte, so fehle es auch an dem Nachweis, dass schon im Streitjahr 2003 der Verlust des Darlehens endgültig festgestanden habe, der Auflösungsverlust also schon im ersten Jahr der Insolvenz zu berücksichtigen sei. Wegen der fehlenden Nachweise zum Feststehen des Auflösungsverlusts berücksichtigte das FA X also auch den Verlust des nachweislich erworbenen Stammkapitals, nämlich in Höhe des Kaufpreises von 1 €, nicht schon im Jahr 2003.
Das FA X warf dem Kläger letztlich vor, seine Mitwirkungspflichten verletzt zu haben, indem er Nachweise nicht erbracht habe. So lasse sich nicht feststellen, ob der Auflösungsverlust bereits im Streitjahr 2003 zu berücksichtigen sei oder erst später. Das FA X hat also gerade nicht die Berücksichtigung des Auflösungsverlusts schon im Streitjahr 2003 mit der Begründung versagt, der Auflösungsverlust sei erst später zu berücksichtigen. Es hat die Berücksichtigung schon im Streitjahr 2003 nicht definitiv ausgeschlossen, sondern dem Kläger, der die objektive Beweislast (Feststellungslast) für die zu einer Steuerminderung führenden Tatsachen trägt, den Nachteil der verbleibenden Unsicherheit angelastet.
Der Kläger sieht die Voraussetzungen des § 174 Abs. 3 AO schon selbst nicht als erfüllt an, weil auch er darauf abstellt, das FA X habe den Abzug bislang mangels Nachweis verweigert und nicht mit der Begründung, der Abzug sei in einem anderen Veranlagungszeitraum vorzunehmen.
Das FA X hat sich im Ausgangsbescheid überhaupt nicht mit der Frage auseinandergesetzt, welches denn konkret das "richtige" Jahr für die Berücksichtigung des Auflösungsverlusts wäre. Diese Aussage kann eine Finanzbehörde in der Regel bei einem eröffneten Insolvenzverfahren auch gar nicht treffen, da sie nicht wissen kann, wie lange das Insolvenzverfahren läuft und wann mit einer Änderung des Auflösungsverlusts nicht mehr zu rechnen ist.
Der Steuerpflichtige ist in diesen Fällen grundsätzlich in dem Dilemma, jedes Jahr wieder den Auflösungsverlust geltend machen zu müssen und vorsichtshalber sämtliche Jahre offen zu halten, um nicht das "richtige" Jahr zu verpassen.
Insbesondere muss der Steuerpflichtige aber dafür Sorge tragen, dass sich die Finanzbehörde, bei der er einen bestimmten steuerlich relevanten Sachverhalt geltend macht, ihm gegenüber deutlich äußert, um die "Erkennbarkeit" i.S.d. § 174 Abs. 3 AO zu erreichen. So führt der BFH zur Vorschrift des § 174 Abs. 3 AO im Urteil vom 6. Dezember 2006 XI R 62/05 (BStBl II 2007, 238 [BFH 06.12.2006 - XI R 62/05]) aus, dass selbst wenn ein Steuerpflichtiger erst während des Einspruchsverfahrens erfahre, dass eine anderweitige Berücksichtigung eines bestimmten Sachverhalts, also z.B. in einem späteren Veranlagungszeitraum, nicht in Betracht komme und er sich dagegen nicht zur Wehr setze, später die Vorschrift des § 174 Abs. 3 Satz 1 AO keine Änderung mehr rechtfertigen könne. Denn bei dieser Konstellation bestehe für eine Durchbrechung der Bestandskraft, wie sie § 174 Abs. 3 Satz 1 AO vorsehe, kein Anlass. In den Fällen des § 174 Abs. 3 AO müsse dem Betroffenen eine Änderungsmöglichkeit eingeräumt werden, wenn er auf eine irrige Rechtsansicht vertraut habe und ohne Änderungsmöglichkeit seine Rechte nicht weiter verfolgen könne. Der die Änderungsmöglichkeit legitimierende Vertrauensschutzgedanke (dazu vgl. Loose in Tipke/Kruse, a.a.O., § 174 AO Tz. 32; Vor § 172 AO Tz. 2) trage nicht, wenn der Betroffene die Möglichkeit habe, verfahrensrechtlich gegen die Auffassung der Finanzbehörde vorzugehen. Entsprechend laute es in der Begründung zu § 155 AO des Regierungsentwurfs -- nun § 174 AO-- (BTDrucks VI/1982, S. 154), dass es Treu und Glauben nicht widerspreche, die erste Steuerfestsetzung trotz Bestandskraft nunmehr anders zu beurteilen. Die Vorschrift komme erst dann zur Anwendung, wenn widerstreitende Steuerfestsetzungen vermieden werden könnten (BTDrucks VI/1982, S. 153). Sei im laufenden Verfahren die Möglichkeit gegeben, die Auffassung der Finanzbehörde anzugreifen, bestehe für eine Durchbrechung der Bestandskraft nach § 174 Abs. 3 AO keine sachliche Veranlassung; eine die Änderbarkeit nach § 174 Abs. 3 Satz 1 AO rechtfertigende Konstellation (das Vertrauen auf eine spätere Berücksichtigung) sei in diesem Fall nicht vorhanden. Dem ist zuzustimmen.
Auf den Streitfall übertragen heißt das, der Kläger hätte der ursprünglichen Ablehnung der Berücksichtigung des Auflösungsverlustes durch das FA X entgegentreten, den Eintritt der Bestandskraft also zumindest solange verhindern müssen bis das FA X sich festgelegt hätte mit der Aussage, der Auflösungsverlust sei nicht im Streitjahr 2003 zu berücksichtigen, sondern später. Dies hat er jedoch nicht getan. Damit hatte der Kläger keinen Vertrauensschutz dahingehend, die zuständige Finanzbehörde werde den Auflösungsverlust in einem späteren Bescheid berücksichtigen.
Da die vom Kläger begehrte Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids für das Streitjahr bereits mangels einschlägiger Änderungsvorschrift aus formellen Gründen scheitert, bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob der vom Kläger in materiell-rechtlicher Hinsicht geltend gemachte Auflösungsverlust tatsächlich dem Grunde und der Höhe nach im Streitjahr 2003 zu berücksichtigen wäre. Aus dem Urteil im Verfahren wegen Einkommensteuer 2005 und 2006 ergibt sich nichts anderes.
Für die Berücksichtigung des Auflösungsverlusts i.S.d. § 17 EStG kamen im Streitfall (theoretisch) die Veranlagungszeiträume ab dem Streitjahr 2003 (Jahr des Insolvenzantrags und der Eröffnung des Insolvenzverfahrens) bis hin zum Jahr 2007 (Ende des Insolvenzverfahrens) in Betracht, wobei der gesamte Auflösungsverlust nur in einem einzigen Veranlagungszeitraum zum Abzug zu bringen ist.
Für die Jahre 2005 und 2006 ist durch Urteil entschieden worden, dass die Berücksichtigung des geltend gemachten Verlusts in materiell-rechtlicher Hinsicht in diesen beiden Jahren nicht möglich sei. Diese Entscheidung wurde rechtskräftig. Bei dieser Entscheidung ging der damals erkennende Senat davon aus, der Auflösungsverlust sei materiell-rechtlich bereits im Jahr 2003 zu berücksichtigen gewesen, da das Eintreten des Auflösungsverlusts dem Grunde und der Höhe nach bereits im Jahr 2003 festgestanden habe. Diese Einschätzung erwächst als sog. obiter dictum allerdings nicht in Rechtskraft, da das Jahr 2003 nicht Streitjahr in diesem Verfahren war. Der nunmehr für die Entscheidung zuständige Senat müsste diese Frage demnach in eigener Zuständigkeit nochmals prüfen. Dies ist aber, wie ausgeführt, wegen der formellen Hindernisse einer Änderung weder möglich noch erforderlich.
Andere Änderungsvorschriften kommen offensichtlich nicht in Betracht.
Nach alledem war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).