Landgericht Oldenburg
Urt. v. 11.07.1978, Az.: 1 S 535/77
Haftung wegen arglistigen Verschweigens des Unfallschadens an einem Kraftfahrzeug; Haftung auf Grund unrichtiger Angaben "ins Blaue hinein"; Haftung beim Gebrauchtwagenkauf
Bibliographie
- Gericht
- LG Oldenburg
- Datum
- 11.07.1978
- Aktenzeichen
- 1 S 535/77
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1978, 15194
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGOLDBG:1978:0711.1S535.77.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Delmenhorst - 24.11.1977
Rechtsgrundlage
- § 477 BGB
Fundstelle
- NJW 1979, 432-433 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Forderung
In dem Rechtsstreitverfahren
hat die 1. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg
auf die mündliche Verhandlung
vom 20. Juni 1978
unter Mitwirkung
des Vorsitzenden Richters am Landgericht Wachtendorf,
des Richters am Landgericht Bergmann
und des Richters am Landgericht Rehme
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 24. November 1977 verkündete Urteil des Amtsgerichts Delmenhorst geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Tatbestand
Die Klägerin erwarb von dem Beklagten, einem Gebrauchtwagenhändler, der als Vermittler für den Vorbesitzer auftrat, unter Ausschluß von Gewährleistungsansprüchen einen gebrauchten PKW für 5.000,- DM. Nachdem sie das Fahrzeug ca. 7 Monate genutzt hatte (Fahrleistung in dieser Zeit: ca. 20.000 km), veräußerte sie es weiter an einen anderen Gebrauchtwagenhändler. Dieser stellte bei der Untersuchung des Fahrzeugs u.a. auf Grund von Roststellen fest, daß es sich um einen Unfallwagen handeln müssen Mit Rücksicht darauf und auf den schlechten Allgemeinzustand des Fahrzeugs drückte der Händler den Ankaufpreis auf 3.300,- DM.
Die Klägerin trägt vor, sie habe bei Unfallfreiheit einen Mehrerlös von mindestens 1.300,- DM erzielen können, und verlangt diesen Betrag als Schadensersatz bzw. Wertminderung. Sie behauptet, der vom Abkäufer festgestellte Unfallschaden sei bereits beim Erwerb des Fahrzeuges vorhanden gewesen. Der Beklagte habe gleichwohl auf ausdrückliches Befragen die Unfallfreiheit zugesichert.
Das Amtsgericht hat nach Beweisaufnahme den Beklagten antragsgemäß verurteilt, da es eine Zusicherung der Unfallfreiheit und ein arglistiges Verschweigen des Unfall Schadens als bewiesen angesehen habe.
Mit der Berufung erstrebt der Beklagte Klagabweisung, u.a. mit der Begründung, daß ein arglistiges Verhalten nicht nachweisbar sei, so daß in jedem Fall die 6-monatige Verjährungsfrist des § 477 BGB eingreife.
Entscheidungsgründe
Die in zulässiger Weise eingelegte Berufung ist auch in der Sache begründet, da etwaige Gewährleistungsansprüche der Klägerin nach § 477 BGB verjährt sind.
Eine Haftung des Beklagten auf Grund der streitigen Zusicherung der Unfallfreiheit kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil die Gewährleistungsfrist des § 477 BGB verstrichen ist.
Eine Haftung kommt deshalb nur bei arglistigem Verschweigen eines Mangels (hier: der Eigenschaft als Unfallfahrzeug) bzw. bei einem Verhalten, das der Arglist gleichzusetzen ist (unrichtige Angaben "ins Blaue hinein"; vgl. dazu unten), in Frage. Bei Vorliegen eines solchen Haftungstatbestandes würde der Beklagte auch dann nach den Grundsätzen des Verschuldens beim Vertragsschluß selbst für den Schaden einzustehen haben, wenn er - entgegen der Auffassung des Amtsgerichts - nur Vermittler war. Denn der Käufer, der sich nach der Unfallfreiheit eines Fahrzeuges erkundigt, bringt in erster Linie dem Händler sein Vertrauen entgegen und verläßt sich auf dessen Angaben (BGHZ 63, 382; Sachwalter Stellung des Gebrauchtwagenhändlers).
Eine Haftung wegen arglistigen Verschweigens des Unfall Schadens scheitert jedenfalls am fehlenden Nachweis des Vorsatzes. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob allein auf Grund der Aussage des Ehemannes der Klägerin, der nach seinen Angaben praktisch als Mitkäufer des Fahrzeuges anzusehen ist, bewiesen ist, daß der Unfallschaden nicht erst nach dem Erwerb des PKW durch die Klägerin entstanden ist, was im folgenden unterstellt werden soll:
Eine Haftung wegen Arglist setzt grundsätzlich Vorsatz voraus, d.h. der Beklagte hätte mindestens mit einem Unfall rechnen müssen (BGH, NJW 77, 1055). Diese Feststellung kann nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht mit hinreichender Sicherheit getroffen werden. Die Klägerin und ihr Ehemann haben vortragen lassen bzw. bei ihrer Vernehmung angegeben, von einem Unfallschaden nichts gewußt zu haben. Das gleiche gilt für die Aussagen des Vorbesitzers Köster und des Zeugen Isermann. Dies deutet zumindest darauf hin, daß kein offenkundiger, leicht erkennbarer Schaden vorlag. Auch die Aussage des Zeugen Jansen, der den Wagen von der Klägerin angekauft hat, zwingt nach Auffassung der Kammer nicht zu der Annahme, daß dem Beklagten der Unfallschaden bekannt war. Der Zeuge gibt den Zustand des Fahrzeuges im August 1976 wieder, d.h. nach 7-monatiger intensiver Nutzung (20.000 km). Es erscheint durchaus möglich, daß in dieser Zeit die Roststellen entstanden oder sichtbar geworden sind, von denen der Zeuge Jansen und auch der Ehemann der Klägerin sprechen, zumal der vom Zeugen Jansen geschilderte "miserable" optische und technische Zustand des Fahrzeuges darauf schließen läßt, daß die Klägerin und ihr Ehemann das Fahrzeug nicht besonders pfleglich behandelt haben. Weitere konkrete Anzeichen, auf Grund deren, wie der Zeuge sich ausdrückt, "ein Blinder mit Krückstock" den Unfallschaden hätte erkennen müssen, sind vom Zeugen Jansen nicht angegeben worden, insbesondere ist der "Knick am Heck" nicht näher beschrieben worden. Im übrigen ist es naheliegend, daß der Zeuge Jansen beim Ankauf aus geschäftlichen Gründen das Fahrzeug besonders negativ begutachtet hat, um es im Preis zu drücken; diese damals bewußt negative Bewertung dürfte sich ggf. auch in seiner heutigen Aussage niederschlagen.
Insgesamt erscheint des deshalb nicht sicher, daß selbst einem Fachmann (Gebrauchtwagenhändler) der Unfall schaden ohne weiteres hätte auffallen müssen. Da weitere Feststellungen hier zu nicht möglich sind - das von der Klägerin in der Klageschrift beantragte Sachverständigengutachten ist zumal im jetzigen Zeitpunkt untauglich, da das Fahrzeug sich nicht mehr im Zustand zur Zeit des Erwerbes durch die Klägerin (Januar 1976) befindet-, bleibt die Klägerin mit der Behauptung der Arglist, d.h. des bedingt vorsätzlichen Verschweigens, beweisfällig.
Gleichwohl würde der Beklagte haften, sofern eine Fallgestaltung vorläge, die einem arglistigen Verschweigen des Mangel selbst gleichzubehandeln wäre:
Eine Haftung kann nicht aus dem Unterlassen einer gründlichen Untersuchung, die nach den Angaben des Zeugen Jansen vermutlich zum Entdecken des Schadens geführt hätte, bzw. aus dem Verschweigen dieses Unterlassens hergeleitet werden. Denn zu einer solchen Untersuchung war der Beklagte mangels konkreten Verdachts eines Unfallschadens nicht verpflichtet (vgl. BGHZ 63, 382, 386 [BGH 21.01.1975 - VIII ZR 101/73]; NJW 77, 1055). Für eine Untersuchung hätte auch nur dann ein unmittelbarer Anlaß bestanden, wenn der Beklagte das Fahrzeug fest erworben hätte ohne die Möglichkeit der Rückgabe an den Vorbesitzer; die Aussagen der Zeugen Isermann und Köster sprechen jedoch eher für die Annahme eines Vermittlungsgeschäftes.
Es bleibt schließlich nach der neuesten Rechtsprechung des BGH die Möglichkeit einer Haftung auf Grund unrichtiger Angaben "ins Blaue hinein". Sie kann dann eingreifen, wenn der Gebrauchtwagenhändler die Frage des Käufers nach etwaigen Mängeln oder Unfällen schlechthin verneint, ohne für diese Annahme (hier: der Unfallfreiheit) tatsächliche Anhaltspunkte zu haben, und ohne dem Käufer mit zuteilen, daß eine genaue Untersuchung des Fahrzeuges nicht stattgefunden habe (BGHZ 63, 382, 388 [BGH 21.01.1975 - VIII ZR 101/73]; BGH, NJW 77, 1055).
Bei dieser noch nicht im einzelnen entwickelten Rechtsprechung ist die dogmatische Einordnung bisher unklar geblieben. Insbesondere erscheint nicht eindeutig, ob der BGH neben der bisherigen Form der Arglist, die dolus eventualis voraussetzt, mit der Fallgestaltung der Angaben "ins Blaue hinein" einen neuen, der Arglist gleichzubehandelnden Haftungsgrund schaffen will, oder ob er daran festhalten will, daß beim Gebrauchtwagenverkauf dem Verkäufer, der wegen arglistigen Verhaltens in Anspruch genommen wird, nachgewiesen werden muß, daß er mit der Möglichkeit eines Unfalls gerechnet hat (wobei allenfalls die Verdachtsschwelle, von der ab der Verkäufer seine nachweisbaren Zweifel mitteilen muß, beim Reden "ins Blaue hinein" herabgesetzt würde mit der Folge, daß eine Haftung bereits beim Verschweigen geringer Zweifel einträte)Tatbestand.
In der Entscheidung NJW 77, 1055 wird zunächst an der üblichen Definierung der Arglist festgehalten (Gründe II 2 c). Später erscheint jedoch das Reden "ins-Blaue hinein" (Antwort "ins Blaue hinein" auf eine Frage des Käufers nach Unfällen und Schäden) als selbständiger Haftungstatbestand neben der Arglist (Gründe III, 1 a, ee a.E.; ähnlich wohl BGHZ 63, 382, 388) [BGH 21.01.1975 - VIII ZR 101/73]. In den veröffentlichten Entscheidungen stellen die betreffenden Ausführungen allerdings mehr oder weniger obiter dicta dar; denn im Falle NJW 77, 1055 hatte der Käufer nicht ausdrücklich nach dem Zustand des Fahrzeugs gefragt; im Fall BGHZ 63, 382 waren konkrete, auf einen Unfallschaden hindeutende Verdachtsmomente nachweisbar (a.a.O., 387).
Im vorliegenden Fall ist die genaue dogmatische Einordnung unerläßlich, falls - mit dem Amtsgericht - auf Grund der Aussage des Ehemannes der Klägerin als bewiesen angesehen wird, daß die Klägerin bzw. ihr Ehemann sich ausdrücklich nach etwaigen Unfall schaden erkundigt haben und daß ihnen daraufhin, ohne daß der Beklagte eine gründliche Untersuchung des Fahrzeuges vorgenommen hatte, Unfallfreiheit zugesichert worden sei. Behandelt man diese Antwort "ins Blaue hinein" wie einen Fall des arglistigen Verschweigens, dann haftet der Beklagte auch nach Ablauf der Verjährungsfrist des § 477 BGB. Wird diese Fallgestaltung jedoch den Fällen der Zusicherung i.S. von § 459 Abs. 2 BGB gleichgesetzt, dann kann sich der Beklagte zwar nicht auf den vertraglich vereinbarten Gewährleistungsausschluß, aber auf die kurze Verjährung nach § 477 BGB berufen.
Die Kammer vermag der in der Rechtsprechung zu beobachtenden Tendenz, die Haftung für arglistiges Verhalten auszuweiten, nicht zu folgen:
Eine Gleichstellung des Redens "ins Blaue hinein" mit der üblichen Form der Arglist würde zu einer Auflösung oder zumindest Unklarheit des Vorsatzbegriffes führen. Die Konsequenz wäre außerdem eine Verwischung des Unterschiedes zwischen der Haftung auf Grund von Zusicherungen bzw. auf Grund arglistigen Verhaltens, da die Abgrenzung einer "einfachen" Zusicherung mit der Folge einer Haftung nach §§ 463, 477 BGB von einer Versicherung der Mangelfreiheit "ins Blaue hinein", die - wie arglistiges Verhalten - zur Anwendung des § 195 BGB führt, Schwierigkeiten bereiten würde.
Nach Auffassung der Kammer liegt es näher, ein Reden "ins Blaue hinein" einer Zusicherung nach § 459 Abs. 2 BGB gleichzustellen. Ähnlich wie eine vertragsmäßig bindende Erklärung würden leichtfertige Angaben des Verkäufers auf erkennbar für den Käufer wesentliche Fragen (Antworten "ins Blaue hinein"), die das legitime Informationsinteresse des Käufers nicht befriedigen, sondern durch den Anschein einer besonders klaren, eindeutigen Antwort unterdrücken, eine unbedingte Einstandspflicht begründen.
Auf diese Weise wird eine für beide Vertragsparteien sachgerechte Lösung erreicht. Einerseits werden die schutzwürdigen Interessen des Käufers hinreichend gewahrt, insbesondere dadurch daß ein vereinbarter Gewährleistungsausschluß unwirksam ist (dies ist offenbar auch in erster Linie das Ziel der Rechtsprechung des BGH; vgl. BGHZ 63, 382, 388 [BGH 21.01.1975 - VIII ZR 101/73]; BGH, NJW 77, 1955, 1056). Andererseits wird vermieden, daß derjenige, der in - sei es auch grobfahrlässiger - Unkenntnis der wesentlichen Umstände (Mängel Unfall schaden) durch leichtfertige Angaben Vertrauen erweckt, strenger haftet (insbesondere nahezu zeitlich unbegrenzt, nämlich 30 Jahre statt 6 Monate) als jemand, der eine bestimmte Eigenschaft oder deren Fehlen bindend zusichert. Die Versagung des Schutzes der kurzen Verjährungsfrist ist nur bei arglistigem Verhalten im engeren, herkömmlichen Sinne gerechtfertigt.
Danach scheitert der Klaganspruch jedenfalls an der vom Beklagten in zulässiger Weise erhobenen Verjährungseinrede.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Bergmann
Rehme