Amtsgericht Tostedt
Beschl. v. 28.12.2004, Az.: 4 II 424/04
Antragstellung; Ausnahme; Beratungshilfe; Beratungshilfeantrag; Berechtigungsschein; Betroffener; Bewilligung; Bewilligungsvoraussetzungen; Einreichung; geschlossene Unterbringung; Glaubhaftmachung; Missbrauch; Mutwilligkeit; nachträgliche Bewilligung; Nachträglichkeit; Rechtsfrage; Rechtzeitigkeit; Regelungszweck; schwierige Rechtsfrage; Unterbringung; Unterbringungsmaßnahme; Unzumutbarkeit; Vertrauensschutz; Zumutbarkeit
Bibliographie
- Gericht
- AG Tostedt
- Datum
- 28.12.2004
- Aktenzeichen
- 4 II 424/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 51061
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 4 BeratHiG
- § 6 BeratHiG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Ausnahmsweise Bewilligung von Beratungshilfe noch nach Abschluss der Angelegenheit, wenn Antragsteller aus persönlichen Gründen (hier Unterbringung) nicht in der Lage ist, rechtzeitig Antrag zu stellen.
Tenor:
Es wird der Antragstellerin auf ihre Erinnerung vom 01.12.2004 und in Abänderung des Beschlusses des Rechtspflegers des Amtsgerichts Tostedt vom 15.11.2004 Beratungshilfe für die außergerichtliche Tätigkeit eines Rechtsanwalts vor Einreichung der Beschwerde im Verfahren LG Lüneburg 1 T 59/04 gewährt.
Gründe
Die Erinnerung ist begründet.
Die Voraussetzungen für die nachträgliche Bewilligung von Beratungshilfe gemäß § 4 Abs.2 S.4 BerHG liegen hier - ausnahmsweise - vor. Die durch diese Norm eröffnete Möglichkeit zur nachträglichen Bewilligung von Beratungshilfe greift grundsätzlich nur dann ein, wenn der Betroffene den Antrag auf Gewährung von Beratungshilfe vor Beginn derjenigen anwaltlichen Tätigkeit unterzeichnet hat, für die er Beratungshilfe beanspruchen möchte. Lediglich darf der Antrag dann nach Aufnahme der Tätigkeit des beauftragten Rechtsanwalts bei Gericht eingereicht werden. Alleine auf diesen Zeitpunkt der Einreichung des Antrags bezieht sich das in § 4 Abs.2 Satz 4 BerHG enthaltene Tatbestandmerkmal der Nachträglichkeit.
Zu diesem Ergebnis führt die Auslegung des § 4 Abs.2 Satz 4 BerHG nach seinem Regelungszweck. Wenn der Rechtsanwalt zunächst tätig wird, bevor Beratungshilfe beantragt wird, so handelt er auf sein Risiko, ob Beratungshilfe gewährt wird und er seinen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse geltend machen kann. Ein Vertrauensschutz zu Gunsten des Rechtsanwalts besteht nicht. Der vom Betroffenen direkt aufgesuchte Rechtsanwalt muss also entweder selbst den Beratungshilfeantrag aufnehmen und die Bewilligungsvoraussetzungen prüfen oder aber den Rechtsuchenden vor Tätigwerden zwecks Ausstellung eines Berechtigungsscheins zunächst an das zuständige AG. verweisen. Nur durch eine derart klargetrennte Vorgehensweise kann zum einen die mehrfache Bewilligung von Beratungshilfe und zum anderen ein Missbrauch der Möglichkeit zur nachtäglichen Beantragung in Fällen, in denen der Rechtsanwalt erst nach Aufnahme seiner Tätigkeit bemerkt, dass der Mandant diese Tätigkeit nicht bezahlen können wird, verhindert werden (so auch LG Hannover, Beschluss vom 09.07.1999 - 2 T 1223/99 -Nds.RPfl.1999, 345: dass., Beschluss vom 16.12.1999- 7 T 1727/99 - Nds.RPfl.2000. 293: AG Hannover. Beschluss vom 20.04.1999 -812 II 1250/99 - "Nds.Rpfl.1999, 293; AG Bad Kissingen, Beschluss vom 27.03.2000 - 2 UR II 19/00 - FamRZ 2001, 558, AG St.Wendel, Beschluss vom 23.08.20Ö1 -II 484/00 - RPfl.2001, 602: Kreppel, RPfl. 1986, 86: aA LG Oldenburg in Oldenburg, Beschluss vom 13.10.2000 -8 T 668/00 - Nds.Rpfl.2001, 20; dass., Beschluss vom 19.10.2000 - 8 T 944/00 -juris; AG Koblenz, Beschluss vom 26.08.2003 -40URIIa 366/03 -NJW 2004, 1004 [BVerfG 03.03.2004 - 1 BvR 2378/98]). Diese Voraussetzung ist grundsätzlich unverzichtbar. Sie besteht - wie ausgeführt - nicht um ihrer selbst willen, sondern um dem jeweils zuständigen Gericht eine Prüfung der Bewilligungsvoraussetzungen überhaupt erst zu ermöglichen und insbesondere Missbrauchsversuche auszuschließen (vgl. insoweit auch AG Hannover a.a.O.). Bei einer großzügigeren Handhabung wäre eine effektive Prüfung nicht mehrmöglich, die Gericht müssten jedem Betroffenen und jedem Rechtsanwalt jede Behauptung für den jeweiligen Grund der verzögerten Antragstellung glauben. Deshalb wird das beschließende Gericht auch weiterhin strikt auf die Einhaltung dieser Voraussetzung wert legen (vgl. Beschlüsse vom heutigen Tage, 4 II 461/04, 4 II 438/04).
Im vorliegenden Fall hat die Betroffene den Antrag auf Bewilligung von Beratungshilfe erst weit nach Erledigung der von ihr in Anspruch genommenen rechtsanwaltlichen Tätigkeit gestellt. Sie ist damit den im Vorstehenden ausgeführten Anforderungen nicht gerecht geworden. Dennoch ist ihr - nochmals: ausnahmsweise - Beratungshilfe zu gewähren. Die Betroffene hat nachvollziehbar darlegen lassen, dass sie ausnahmsweise nicht in der Lage war, den Antrag auf Beratungshilfe rechtzeitig zu stellen, weil sie geschlossen untergebracht war. Angesichts dieser besonderen Situation und der im Raumstehenden Rechtsgüter der Betroffenen war auch ein sofortiges Tätigwerden ihres Rechtsanwalts veranlasst. Im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes ist es der Betroffenen nicht zuzumuten gewesen, dass ihr Rechtsanwalt zunächst einmal abwartete, bis sie infolge gerade derjenigen Unterbringungsmaßnahme, gegen die sie vorgehen wollte, wieder in der Lage war, einen Beratungshilfeantrag auszufüllen oder zumindest zu unterzeichnen, um erst dann- womöglich nach Erledigung der Unterbringungsmaßnahme- tätig zu werden.
Die übrigen Voraussetzungen gemäß § 1 BerHG hat die Betroffene glaubhaft gemacht. Insbesondere war die Rechtsverfolgung auch nicht mutwillig, sondern betraf eine verhältnismäßig schwierige und noch nicht abschließend geklärte Rechtsfrage.