Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 11.04.2002, Az.: 5 A 1002/02
Rechtmäßigkeit der Verweisung eines Schülers auf eine andere Schule derselben Schulform
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 11.04.2002
- Aktenzeichen
- 5 A 1002/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 30624
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGOLDBG:2002:0411.5A1002.02.0A
Rechtsgrundlagen
Fundstelle
- SchuR 2005, 35-36 (Volltext)
Verfahrensgegenstand
Schulordnungsmaßnahme
In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Oldenburg - 5. Kammer -
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 11. April 2002
durch
den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Schelzig,
den Richter am Verwaltungsgericht Wörl,
den Richter am Verwaltungsgericht Keiser, sowie
Frau K. und Frau N. als ehrenamtliche Richterinnen
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen eine Schulordnungsmaßnahme.
Der durch seine Eltern vertretene minderjährige Kläger ist Schüler der Klasse 6b der Orientierungsstufe K. in O.. Mit Verfügung vom 29.10.2001 wurde er aufgrund seines störenden Verhaltens durch Beschluss der Klassenkonferenz für 10 Tage vom Unterricht ausgeschlossen.
Am 17.12.2001 kam es im Schulbus zu einem Streit zwischen einer Schülergruppe, der auch der Kläger angehörte, und der Schülerin S. L. Dabei wendete der Kläger nach den insoweit übereinstimmenden Ergebnissen der schulischen und der polizeilichen Ermittlungen körperliche Gewalt derart an, dass er sich an den Haltestangen im Bus schwingen ließ und den Schwung nutzte, die Schülerin zu treten. Nach den Feststellungen des Klassenlehrers durch Schülerbefragungen hatte die Schülerin durch ihr Verhalten den Streit verbal angeheizt, jedoch keine körperliche Gewalt ausgeübt.
Am 09.01.2002 fand eine Klassenkonferenz statt, an der der Kläger mit seinen Eltern teilnahm, sie erhielten auch die Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Klassenkonferenz entschied, den Kläger an eine andere Schule derselben Schulform zu überweisen.
Mit Bescheid vom 10.01.2002 wurde der Kläger an eine andere Schule derselben Schulform verwiesen und gebeten, sich bei der Orientierungsstufe im Schulzentrum E. anzumelden. Zur Begründung wurde neben dem Vorfall vom 17.12.2001 auf das sonstige Verhalten des Schülers, die Ordnungsmaßnahme vom Oktober, den schlechten Einfluss der bisherigen Freundschaftsgruppe und das zerstörte Vertrauensverhältnis zwischen Schule und Elternhaus hingewiesen.
Der Kläger legte am 04.02.2002 Widerspruch ein, den die Bezirksregierung Weser-Ems mit Widerspruchsbescheid vom 11.02.2002, zugestellt am 12.02.2002, zurückwies.
Mit Bescheid vom 01.03.2002 ordnete die Beklagte auf Beschluss der Klassenkonferenz vom 01.03.2002 die sofortige Vollziehung des Bescheides vom 10.01.2002 an.
Der Kläger hat - vertreten durch seine Eltern - am 11.03.2002 Klage erhoben und zugleich um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Er ist der Ansicht, er sei durch die Schülerin verbal so sehr provoziert worden, dass bei ihm eine Kurzschlussreaktion ausgelöst worden sei. Die polizeilichen Ermittlungen hätten ergeben, dass sich der Vorfall nicht in der von der Beklagten behaupteten Weise abgespielt habe, insbesondere habe ihn die Schülerin auch getreten. Obgleich sein Verhalten falsch gewesen sei, müsse die Gesamtsituation einschließlich der Streitigkeiten zwischen der Schülergruppe und der Schülerin sowie deren Verhalten berücksichtigt werden. Darüber hinaus sei eine Überweisung an eine andere Schule zum jetzigen Zeitpunkt eine besondere Härte, da nun die für die weitere Schullaufbahnempfehlung entscheidenden Klassenarbeiten geschrieben würden und ein Wechsel deshalb zu unverhältnismäßigen Nachteilen für ihn - den Kläger - führen würde.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 10.01.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Weser-Ems vom 11.02.2002 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie nimmt Bezug auf die Begründungen der angefochtenen Bescheide und trägt weiter vor, der Schulwechsel würde zu keiner besonderen Härte für den Kläger führen, da die Unterrichtsinhalte zwischen den Schulen regelmäßig abgestimmt würden und der Lernstand derzeit nahezu identisch sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Gründe
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
Die getroffene Schulordnungsmaßnahme findet ihre Rechtsgrundlage in § 61 Abs.2, Abs.3 Nr.2 des Niedersächsischen Schulgesetzes - NSchG - vom 03.03.1998 (Nds.GVBl. S.137), zuletzt geändert durch Gesetz vom 18.12.2001 (Nds.GVBl. S.806).
Danach sind Ordnungsmaßnahmen - wie die hier ausgesprochene Verweisung auf eine andere Schule derselben Schulform (§ 61 Abs. 3 Nr. 2 NSchG) - zulässig, wenn Schüler ihre Pflichten grob verletzen, insbesondere gegen rechtliche Bestimmungen verstoßen, den Unterricht nachhaltig stören, die von ihnen geforderten Leistungen verweigern oder dem Unterricht unentschuldigt fern bleiben.
Diese Voraussetzungen sind hier offensichtlich erfüllt.
Der Kläger hat eine Mitschülerin im Schulbus in erheblicher Art und Weise getreten, wobei die Art der Ausführung (Schwungnehmen an Haltstangen) zumindest auf ein Inkaufnehmen einer Körperverletzung der Mitschülerin schließen lässt. Die Gewalttätigkeit gegenüber Mitschülern/innen ist eine grobe Pflichtverletzung im Sinne von § 61 Abs.2 NSchG (vgl. auch OVG Koblenz, NVwZ 1993 S.340 ). Dabei kann ebenso dahinstehen, ob der Kläger zuvor verbal provoziert wurde, wie auch, ob sich die Ermittlungsergebnisse der polizeilichen Ermittlungen mit denjenigen der Schule vollständig decken, denn in der Feststellung der Art der Gewaltausübung durch den Kläger stimmen sie überein. Die von dem Kläger ausgeübte körperliche Gewalt überschreitet nach Ansicht der Kammer jedes möglicherweise noch entschuldbare Maß jugendlicher Unkontrolliertheit.
Die von der Klassenkonferenz beschlossene Ordnungsmaßnahme ist danach nicht zu beanstanden. Sie ist insbesondere auch verhältnismäßig. Sie ist geeignet und erforderlich, dem Schüler seine Verstöße deutlich zu machen und künftige Verstöße zu unterbinden. Dabei hat die Konferenz in zulässiger Form die bisherigen Verfehlungen des Schülers in ihre Entscheidung mit einbezogen. So hatte der Schüler bereits zuvor im Oktober 2001 (Bescheid vom 29.10.2001) eine Ordnungsmaßnahme von 10 Tagen Unterrichtsausschluss erhalten, da er sich nicht an die geltenden Regeln hielt, insbesondere ständig den Unterricht störte und Verhaltensregeln in der Schule nicht akzeptierte. Dies ergibt sich vor allem auch aus der Auflistung der Vorfälle durch den Klassenlehrer des Klägers vom 19.10.2001, die Gegenstand der Klassenkonferenz vom 26.10.2001 war. In dem entsprechenden unanfechtbar gewordenen Bescheid vom 29.10.2001 wurde dem Kläger auch die Verweisung an eine andere Schule im Falle weitere Verfehlungen angedroht. Vor diesem Hintergrund ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Konferenz nunmehr die weiterreichende Ordnungsmaßnahme der Überweisung an eine andere Schule derselben Schulform gewählt hat. Sachfremde Erwägungen oder andere Ermessensfehler sind insoweit nicht erkennbar.
Die Maßnahme ist für den Schüler auch zumutbar. So hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 12.03.2002 - insbesondere unter Bezugnahme auf die Fächer Mathematik und Englisch - dargetan, dass die Lernbedingungen und stofflichen Inhalte an der für den Schulwechsel in Aussicht genommenen Orientierungsstufe nahezu identisch sind. Dies werde durch regelmäßige (alle 2-3 Monate) Besprechungen gesichert. Überdies würden die bereits erbrachten Leistungen des Schülers bei der abschließenden Leistungsbeurteilung am Schuljahresende berücksichtigt. Darüber hinaus hat die Klassenkonferenz in diesem Zusammenhang zutreffend berücksichtigt, dass der Kläger nach Angaben der Schule ein relativ guter Schüler ist, dem der Wechsel auch jetzt zugemutet werden kann.
Die getroffene Schulordnungsmaßnahme ist auch im Hinblick auf die einzuhaltenden Formvorschriften (§ 61 Abs.5-7 NSchG) nicht zu beanstanden. So hat hier die zuständige Klassenkonferenz (§ 35 Abs.3 NSchG) in der vorgeschriebenen Besetzung entschieden. Der Kläger und seine Eltern waren anwesend und haben von ihrem Äußerungsrecht (§ 61 Abs.6 NSchG) Gebrauch gemacht. Schließlich liegt auch die Zustimmung der Schulbehörde für die Überweisung vor (§ 61 Abs.7 NSchG).
Nach allem war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Wörl
Keiser