Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 03.05.2023, Az.: L 6 U 216/21
Einordnung eines Unfallereignisses eines Schülers auf dem Weg nach Ende einer schulischen Veranstaltung bis zu einem Unfall im Bahnhof als von der gesetzlichen Unfallversicherung abgedeckt
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 03.05.2023
- Aktenzeichen
- L 6 U 216/21
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2024, 13456
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2023:0503.6U216.21.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hannover - 08.11.2021 - AZ: S 58 U 36/17
Rechtsgrundlagen
- § 8 Abs 1 S. 1 SGB VII
- § 2 SGB VII
In dem Rechtsstreit
B.
- Kläger und Berufungsbeklagter -
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte C.
gegen
Gemeinde-Unfallversicherungsverband Hannover,
vertreten durch den Geschäftsführer,
Am Mittelfelde 169, 30519 Hannover
- Beklagter und Berufungskläger -
hat der 6. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen auf die mündliche Verhandlung vom 3. Mai 2023 in Celle durch den Richter D., die Richterin E. und den Richter F. sowie den ehrenamtlichen Richter G. und die ehrenamtliche Richterin H. für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 8. November 2021 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger bei seinem Unfall vom 16. August 1993 unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stand. Maßgeblich ist der konkrete zeitliche Ablauf vom Ende einer schulischen Veranstaltung in I. bis zu dem Unfall im Bahnhof J., dessen Zeitpunkt sich nicht feststellen lässt.
Der am 6. September 1977 geborene Kläger war im Unfallzeitpunkt Schüler der 9. Klasse der Pestalozzi-Hauptschule K. (heutige Grundschule L. in M.). Er wohnte mit seinen Eltern in der N. 47.
Am Montag, dem 16. August 1993, nahm der Kläger mit seiner Klasse anstelle des regulären Schulunterrichts an einer Veranstaltung des Berufs-Informations-Zentrums (BIZ) in der O. /Ecke P. in I. teil. Die Veranstaltung begann um 9.30 h. Ein Treffen aller Schüler mit dem Klassenlehrer Q. war vor Ort im BIZ vereinbart. Die An- und Abreise gestaltete jeder Schüler individuell. Das offizielle Ende der Veranstaltung war um 12.30 h, danach durften die Schüler selbständig den Heimweg antreten. Der Klassenlehrer regte gegenüber den Schülern aber an, sich noch weiter im BIZ über verschiedene Berufe zu informieren. Er selbst und die meisten Schüler verließen das BIZ gegen 12.30 h (Angaben des Klägers und der Zeugen R. und Q.).
Das Ende des regulären Schulunterrichts wäre 13.20 h gewesen (Auskunft der Schule vom 8. November 2016). Das BIZ schließt nach den Angaben vom 5. Juli 2022 aktuell um 16 h, die Öffnungszeiten aus dem Jahr 1993 sind nicht mehr zu ermitteln.
Am Bahnhof J. wurde der Kläger schwer verletzt im Gleisbett gefunden. Dort wurde er notärztlich von dem Zeugen Dr S. versorgt, danach auf den Bahnsteig transportiert und intubiert und beatmet mit dem Rettungshubschrauber in die Medizinische Hochschule I. (MHH) verbracht. Auch aufgrund einer Defektheilung im Oberschenkel schlossen sich mehrere Krankenhaus- und Reha-Behandlungen an. Das Versorgungsamt I. hat wegen "Polytraumafolgen, besonders Behinderung linkes Bein und Hüfte" den Grad der Behinderung (GdB) ab August 1993 mit 60 und das Merkzeichen "G" festgestellt (Bescheid vom 9. Februar 1996). In dem dortigen Feststellungsverfahren hatte der Vater des Klägers auf telefonische Rückfrage im Dezember 1995 angegeben, der Kläger sei Schüler, der Unfall werde von keiner BG bearbeitet.
Der Kläger meldete den Unfall mit Schreiben vom 29. Dezember 2015 bei dem Beklagten: Er habe keine Kenntnis von einem möglichen Versicherungsschutz gehabt. Der Verdacht sei ihm erst letztens durch einen Bericht im Fernsehen gekommen. Der Unfall habe sich auf dem Rückweg von einer Schulveranstaltung ereignet. Nach deren Ende habe er sich in Begleitung seines Freundes T. zu Fuß Richtung Hauptbahnhof (Hbf) I. begeben, um mit dem Zug nach U. zu fahren. Dort sei er nach Erzählungen anderer von einem Schnellzug erfasst worden, der in die Gegenrichtung gefahren sei. Er sei auf dem direkten Weg ohne Umwege von der P. zum Hbf gegangen und dort in den Zug gestiegen (Vermerk über ein Telefongespräch vom 6. Januar 2016, Schriftsatz vom 17. Januar 2016). Beigefügt waren medizinische Unterlagen aus den Jahren 1993 bis 1996. Nach dem von ihm vorgelegten Presseartikel hatte der Kläger einen Walkman getragen und war auf die Gleise gesprungen, um diese zu überqueren. Nach dem Inhalt des Entlassungsberichtes der MHH vom 29. November 1993 ist der Kläger beim Überqueren der Gleise im Bahnhof V. von einem Zug erfasst und auf den Gleisen vorgefunden worden.
Der Beklagte leitete umfangreiche Ermittlungen ein. Eine zeitnahe Unfallanzeige durch die Schule erfolgte nicht. Die Gründe hierfür waren nicht mehr zu klären. Die Schule bejahte aber einen Unfall auf dem Rückweg von einer schulischen Veranstaltung (Auskünfte der Pestalozzi Hauptschule vom 21. April und Mai 2016 sowie des Zeugen Q. vom 16. April 2016). Bei der Deutschen Bahn AG, der Bundespolizeiinspektion, der Staatsanwaltschaft I., dem Pressearchiv der W. Allgemeinen Zeitung und dem Polizeikommissariat U. fanden sich keine Unterlagen über den Unfall. Auch die BKK Üstra bzw Essanelle, bei der der Kläger im Unfallzeitpunkt über seinen Vater krankenversichert gewesen war, waren keine Unterlagen vorhanden. Sie teilte mit, keinen Schulunfall geprüft zu haben. Bei einer Befragung des Klägers durch sie im Jahr 2008 sei zwar der Unfall erwähnt, aber in dem Vordruck zu den Fragen zum Vorliegen eines Schulunfalls auf dem Hin- /Rückweg keine Angaben gemacht worden.
Weiterhin zog der Beklagte die medizinischen Unterlagen aus dem Verfahren nach dem Schwerbehindertengesetz und die der MHH bei. Nach Auskunft des dortigen Patientenaktenarchivs fand sich in der Krankenakte kein Hinweis auf einen Schulunfall. Das Notarztprotokoll des Dr S. trägt keine Zeitangabe. Zum Unfallgeschehen ist dort vermerkt: "Am Bahnhof V. wohl ohne Absicht vor einen Zug gelaufen. Patient liegt auf den Gleisen und wird von dort auf den Bahnsteig geborgen." In dem als "Aufnahmedialog" bezeichneten Vordruck der MHH ist als Zeitpunkt der "Eintragung bzw Erfassung als Patient" 18.12 h notiert. Der Kläger war etwa 20 Minuten nach dem dortigen Eintreffen abgewaschen im OP-Saal. Der operative Eingriff begann um 18.40 h und endete gegen Ende 22.00 h (medizinische Unterlagen und Auskünfte der MHH vom 22. März und 25. Mai 2016).
Am 17. Juni 2016 gab der Kläger auf Rückfrage des Beklagten telefonisch an, er könne keine Angaben zur Unfallzeit machen. Auf die Mitteilung, dass die Aufnahme in der MHH um 18.12 h erfolgt sei, teilte er mit, dass er sich nach Beendigung des offiziellen Teils mit Freunden noch länger im BIZ aufgehalten habe, um sich beraten zu lassen. Dann sei man nach Hause gefahren. Die Bergung an der Unfallstelle habe gedauert, da man ihn erst aus dem Gleisbett holen musste.
Mit Bescheid vom 28. Juni 2016 lehnte der Beklagte die Feststellung eines Arbeitsunfalls ab: Nach den Ermittlungen zum zeitlichen Ablauf sei die Aufnahme des Klägers in der MHH um 18.12 h erfolgt. Der Unfallzeitpunkt dürfte unter Berücksichtigung der Bergungsarbeiten gegen 17 h gewesen sein. Die Veranstaltung im BIZ habe laut dem Zeugen Q. um 12.30 h geendet und der Kläger habe nach seinen eigenen Angaben danach direkt den Heimweg angetreten. Ausgehend von dem direkten Weg bis zum Bahnhof V., der 40 Minuten gedauert hätte, wäre der Kläger um 13.30 h am Unfallort angekommen. Es verbleibe eine zeitliche Diskrepanz von 4 Stunden. Es sei nicht ersichtlich, was der Kläger in dieser Zeit gemacht habe. Im Übrigen sei bei einer Unterbrechung der betrieblichen Tätigkeit von mehr als 2 Stunden von einer Lösung auszugehen. Der weitere Aufenthalt im BIZ sei eine rein private Angelegenheit. Zudem sei von der Schule keine Unfallanzeige erfolgt, weil das Ereignis nicht als Schulunfall gemeldet worden sei. Weitere Unterlagen, aus denen sich ein Zusammenhang ergeben könnte, seien nicht auffindbar. Somit sei eine versicherte Tätigkeit im Zeitpunkt des Unfalls nicht bewiesen.
Im Widerspruchsverfahren holte der Beklagte Auskünfte des Zeugen T. ein. Dieser vermochte sich an den genauen Tag und die Uhrzeit nicht zu erinnern, ebenso wenig, ob der Kläger und er bis zur Schließung im BIZ geblieben oder früher gegangen seien. Sie hätten sich dort Videos angesehen und seien nach dem Ende der Veranstaltung noch länger im BIZ geblieben, um sich über die unterschiedlichen Berufe zu informieren. Er wisse aber, zusammen mit dem Kläger vom BIZ auf dem direkten Weg zur Bahn gegangen zu sein, in Höhe X. hätten sich ihre Wege getrennt (schriftliche Angaben vom 30. August 2016, telefonische vom 28. September 2016). Daraufhin wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 31. Januar 2017 den Widerspruch zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 1. März 2017 Klage erhoben: Bei der im Aufnahmedialog der MHH benannten Uhrzeit handele es sich nur um eine büroorganisatorische Erfassung. Er sei nicht unmittelbar nach der Kollision geborgen und in die MHH verbracht worden. Dem Transport mit dem Rettungshubschrauber sei eine längere, komplexe und zeitaufwendige Versorgung vor Ort vorausgegangen. Wegen der offenen Frakturverletzungen und der schweren Blutungen habe er für den Transport in die MHH vorher intubiert, beatmet und stabilisiert werden müssen. Für die Einschätzung der Dauer der Bergungsarbeiten sei zu berücksichtigen, dass es damals keine mobile Funkverbindung gegeben habe. Es habe eine Absicherung der Bahnstrecke, ein Abschalten der elektrischen Leitungen und ein Bahnerden erfolgen müssen. Diese Vorbereitungen hätten nur durch geschultes Bahnpersonal durchgeführt werden können. Deshalb habe sich der Unfall zwischen 15 und 16 h ereignen müssen. Der Weg vom BIZ zum Hbf betrage laut Google 15 Minuten. Zu berücksichtigen sei hierfür mehr Zeit, weil er nicht allein gewesen sei und Jungen in dem damaligen Alter erfahrungsgemäß nicht zügig gehen. Die S-Bahn sei bereits damals im 30 Minuten-Takt gefahren. Die Fahrzeit habe laut Fahrplan 9 Minuten, aber nach Erfahrungen eher 10 bis 12 Minuten betragen. Die eingeräumte weitere Zeit zur beruflichen Orientierung im BIZ sei nicht eigenwirtschaftlich, sondern Unterrichtsbestandteil gewesen.
Der Kläger hat Unterlagen zur Bahnerdung durch die Feuerwehr überreicht.
Der Beklagte hat demgegenüber vorgetragen, das Ende der Veranstaltung sei 12.30 h gewesen, die Aufnahme in der MHH sei um 18.12 h erfolgt. Was der Kläger in der Zwischenzeit mit welcher Handlungstendenz gemacht habe, bleibe unklar, selbst wenn man bei Schülern weniger strenge Maßstäbe anlege und das Alter und gruppendynamische Prozesse berücksichtige.
Das Sozialgericht (SG) Hannover hat eine telefonische Auskunft des Polizeikommissariats U. vom 1. November 2017 eingeholt, wo keine Unterlagen zu dem Unfall vorlagen. Weiterhin hat es Unterlagen aus dem Patientenaktenarchiv der MHH beigezogen und eine Auskunft des Dr S. vom 26. Oktober 2020 eingeholt, der eine Stunde für die Bergung und medizinische Versorgung des Klägers bis zum Transport in das Rettungsfahrzeug annahm und seine Anfahrtszeit zum Unfallort mit 5 bis 8 Minuten bezifferte.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 8. November 2021 hat das SG den Kläger persönlich angehört und die Zeugen Y. (damaliger Klassenlehrer), T. (damaliger Schulfreund des Klägers) und Dr Z. (damaliger Notarzt) als Zeugen vernommen.
Mit Urteil vom selben Tag hat das SG den Beklagten unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide vom 26. Juni 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Januar 2017 verurteilt, das Unfallereignis vom 16. August 1993 als Arbeitsunfall anzuerkennen: Der Unfall habe sich bei einer versicherten Tätigkeit des Klägers als Schüler ereignet. Er habe bis 13.20 h versicherte Tätigkeiten außerhalb der Schule verrichtet und danach den unmittelbaren Weg von der versicherten Tätigkeit als Schüler nach Hause angetreten. Das offizielle Ende der Veranstaltung im BIZ sei zwar 12.30 h gewesen und der Zeuge Q. sei zu dem Zeitpunkt gegangen. Ab diesem Zeitpunkt habe die Schule keine Einwirkungsmöglichkeiten und Aufsicht auf die Schüler mehr gehabt. Es dürfe aber nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 23. Januar 2018 - B 2 U 8/16 R -) keine Schutzlücke entstehen, wenn die Schule keine Aufsicht mehr ausübe, aber den Eltern hiervon keine Kenntnis gebe, wie es hier der Fall gewesen sei. Deshalb sei vom regulären Ende des Unterrichts um 13.20 h auszugehen. Weiterhin gehe die Kammer davon aus, dass der Kläger im Unfallzeitpunkt den unmittelbaren Weg von seiner versicherten Tätigkeit nach Hause zur elterlichen Wohnung zurückgelegt habe. Mit letzter Gewissheit sei der genaue Zeitpunkt des Unfalls nicht mehr feststellbar. Aufgrund der Ermittlungen und der Angaben des Dr S. sei er jedoch eingrenzbar auf 16 bis 17 h. Nach dem Zeugen, der als langjähriger Chefarzt gute Kenntnis von den administrativen Vorgängen eines Krankenhauses habe, sei der im Aufnahmedialog der MHH benannte Zeitpunkt 18.12 h sehr wahrscheinlich nicht der exakte Aufnahmezeitpunkt, sondern lediglich der Zeitpunkt der verwaltungsmäßigen Erfassung. Nach seiner Einschätzung habe die Aufnahme des Klägers zu einem früheren Zeitpunkt stattgefunden. Die Kammer gehe davon aus, dass die Bergung des Klägers von den Gleisen und seine aufwändige Erstversorgung bis zu einer Stunde gedauert habe. Der Zeuge habe keine genaue Erinnerung hieran, gehe aber von einer halben bis dreiviertel Stunde Dauer für den Bergungs- und den Rettungsvorgang aus. Aufgrund der Schwere der Verletzungen - der Zeuge habe sich an die massive Blutung aus der Leiste erinnern können, die das Anlegen eines Druckverbandes sehr aufwendig gemacht habe - sei eher von einer ganzen Stunde auszugehen. Zu berücksichtigen seien weitere 15 Minuten, die verstrichen seien von der Alarmgebung nach dem Unfall und dem Eintreffen des Noteinsatzfahrzeuges, das von der MHH gestartet sei, am Unfallort. Hinzu kämen ca 10 bis 15 Minuten für den Transport des Klägers in die MHH mit dem Rettungshubschrauber. Nach den Angaben des Zeugen R. gehe die Kammer davon aus, dass der Kläger für den Fußweg vom BIZ zum X. mindestens 15 Minuten gebraucht habe. Die mögliche Abweichung vom direkten Weg, um sich im AA. etwas zu Essen zu kaufen, habe nur zu einer geringfügigen Verlängerung des Weges auch in zeitlicher Hinsicht geführt und sei wegen des altersgemäßen Verhaltens des Klägers unschädlich. Kinder würden nicht generell ihren gesetzlichen Unfallversicherungsschutz verlieren, wenn sie auf dem Schulweg vom direkten Weg abweichen, weil für sie nicht so strenge Maßstäbe gelten wie für Erwachsene (BSG Urteil vom 30. Oktober 2007 - B 2 U 29/06 -). Nach der Trennung des Zeugen und des Klägers am X. habe letzterer von dort noch bis zum Hbf gehen, diesen komplett bis zum Gleis 13 durchqueren, auf die S-Bahn warten und die ca 10- minütige Fahrt zum Unfallort antreten müssen. Insgesamt sei somit von einer Dauer von 45 bis 60 Minuten seit dem Verlassen des BIZ bis zum Eintreffen am Unfallort auszugehen. Bei einem anzunehmenden Ende des organisatorischen Verantwortungsbereichs der Schule um 13.20 h habe sich zur Überzeugung der Kammer der Unfall noch innerhalb der Zwei-Stunden-Grenze ereignet, nach deren Ablauf bei verzögertem Wegeantritt oder nach einer Unterbrechung von länger als zwei Stunden aus persönlichen Gründen eine Lösung von der versicherten Tätigkeit anzunehmen wäre (BSG Urteil vom 2. Dezember 2008 - B 2 U 26/06 R -).
Gegen das ihm am 22. November 2021 zugestellte Urteil wendet sich der Beklagte mit der am 9. Dezember 2021 eingelegten Berufung: Das SG habe den zeitlichen Ablauf jeweils zu Gunsten des Klägers zu großzügig ausgelegt. Nach dem Urteil des Hess LSG vom 17.10.2007 - L 3 U 23/04 - dürfe auch bei mehrmaliger Unterbrechung des Heimwegs die Unterbrechung insgesamt die Zwei-Stunden-Grenze nicht überschreiten. Maßgeblich sei die Dauer der zeitlichen Unterbrechung des Heimweges insgesamt. Der Aufenthalt des Klägers im BIZ nach 12.30 h habe nicht mehr im organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule gelegen und stehe deshalb nicht unter dem Versicherungsschutz. Der Eintritt des Unfalls innerhalb der Zwei-Stunden-Grenze könne nicht festgestellt werden: Ausgehend von 13.20 h - wobei es sich um ein Zugeständnis an den Kläger handele - müsse der Heimweg vom BIZ spätestens um 15.20 h angetreten worden sein. Weiterhin müsse sich der Unfall spätestens um 16.20 h ereignet haben, um noch innerhalb der Zwei-Stunden-Grenze zu bleiben. Nach den Annahmen des SG - zur Zeitdauer von 1,5 Stunden von der Alarmierung des Notarztes bis zur Einlieferung in die MHH (15 Min Anfahrt zum Bahnhof, zzgl 1 Std Bergung/Rettung zzgl 15 Min Transport zur Klinik) müsste die Aufnahme in der MHH um 17.50 h erfolgt sein. Diese Zeitannahme sei spekulativ und durch nichts belegt. Bereits das OP-Protokoll stehe dem entgegen: Der Kläger sei etwa 20 Minuten nach dem Eintreffen bereits abgewaschen im OP-Saal gewesen, die OP habe um 18.40 h begonnen. Die vom SG angenommene unzutreffende Dokumentation der Uhrzeit der Aufnahme in der MHH beruhe allein auf der Aussage des Zeugen S., die aber vor dem Hintergrund des OP-Beginns nicht plausibel und durch die aktuelle Auskunft der MHH auch widerlegt sei. Die zeitlichen Annahmen des SG im Übrigen seien ebenfalls unzutreffend: Der Weg vom BIZ zum Bahnhof V. betrage nur 30 Minuten (15 Minuten Fußweg vom BIZ zum Hbf, von dort 9 Minuten Fahrt zum Bahnhof V.) und nicht 45 bis 60 Minuten wie vom SG angenommen. Die Essensaufnahme am AB. sei kein speziell altersgemäßes Verhalten und dürfte auch nicht geringfügig gewesen sein, weshalb sie eine Unterbrechung darstelle. Die Annahme des Unfallzeitpunkts zwischen 16 bis 17 h sei nicht gesichert. Der Zeuge S. sei von einer Gesamtdauer des Einsatzes von max 60 Min ausgegangen, das SG habe den Rettungsvorgang großzügig verlängert.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 8. November 2021 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
Der Kläger beantragt,
die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 8. November 2021 zurückzuweisen,hilfsweise, zum Beweis der Tatsache, dass die Erstbehandlung des Klägers von der Bergung im Bahnhof V. bis zum Erreichen des Schockraumes in der MHH mindestens 1 1/2 Stunden gedauert haben muss, den damaligen Oberarzt Dr AC. zu vernehmen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Unter Berücksichtigung des Urteils des BSG vom 23. Januar 2018 - B 2 U 8/16 - sei die vom SG vorgenommene zeitliche Eingrenzung des schulischen Verantwortungszeitraums bis zum Ende des regulären Schulschlusses um 13.20 h das mindeste, was anzusetzen wäre. Wenn die Schüler auf ausdrückliche Empfehlung des Lehrers auch nach dem Ende der Schulveranstaltung noch vor Ort bleiben, gehöre auch dieses nach hinten offene Verbleiben bis zur regulären Schließung des BIZ noch mit zu dem organisatorisch dem Verantwortungsbereich der Schule zuzuordnenden Regelungskonzept. Auszugehen wäre von der Schließung des BIZ jedenfalls nicht vor 15 h. Nach den aktuellen Öffnungszeiten schließe das BIZ an einem Montag um 16 h. Auch die Essensaufnahme am AB., die ohnehin nur eine kurzzeitige Unterbrechung des Weges gewesen sei, gefährde nicht den Unfallversicherungsschutz. Dass Schüler auf einem Nachhauseweg, den sie gemeinsam antreten, zwischendurch etwas äßen, sei Ausdruck und Teil des üblichen gruppendynamischen Prozesses. Unter Berücksichtigung der von ihm vorgelegten Unterlagen sei für den Weg vom BIZ zum Hbf eine reine Gehzeit von mehr als 20 Minuten anzunehmen, zuzüglich der Weg innerhalb des Hbf zum Gleis 13. Auch die Zweifel an den Angaben des Zeugen S. seien nicht begründet. Er gelte als ehemaliger Chefarzt der unfallchirurgischen Klinik des AD. Krankenhauses in AE. als besonders erfahren und sachkundig.
Der Senat hat den Befundbericht des Dr AF. vom 28. Juni 2022 nebst weiterer medizinischer Unterlagen, eine Auskunft der Bundesagentur für Arbeit vom 5. Juli 2022 zu den Öffnungszeiten des BIZ sowie der MHH vom 20. Dezember 2022 zu den Abläufen bei der zeitlichen Erfassung bei der Einlieferung von Notfallpatienten eingeholt.
Weiterhin hat der Senat im Termin zur mündlichen Verhandlung Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin AG., Pflegeleiterin der Zentralen Notaufnahme der MHH.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Verwaltungsakten des Beklagten und die Gerichtsakten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die statthafte Berufung ist zulässig. Sie ist auch begründet. Der Kläger stand bei seinem Unfall vom 16. August 1993 nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Die angefochtenen Bescheide des Beklagten sind rechtmäßig. Aus diesem Grunde war das Urteil des Sozialgerichts Hannover aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Zu den versicherten Tätigkeiten zählt gemäß § 8 Abs 2 Nr 1 SGB II auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Versichert ist als Vor- bzw Nachbereitungshandlung der eigentlichen Tätigkeit das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Dabei ist nicht der Weg als solcher, sondern dessen Zurücklegen versichert. Erforderlich ist der sachliche Zusammenhang des Weges mit der eigentlichen versicherten Tätigkeit. Dieser besteht, wenn der Weg erkennbar zu dem Zweck zurückgelegt wird, nach der Beendigung der versicherten Tätigkeit die eigene Wohnung zu erreichen. Die darauf gerichtete Handlungstendenz muss durch die objektiven Umstände bestätigt werden. Fehlt es hieran, ist das Zurücklegen des Weges auch dann keine versicherte Tätigkeit, wenn der Versicherte die Stecke zurücklegt, die er als Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit gewöhnlich nutzt (BSG Urteil vom 2. Dezember 2008 - B 2 U 26/06 R - Rnr 22 mwN).
Wird die Zurücklegung dieses versicherten Weges unterbrochen - was durch das Einschieben von privaten Verrichtungen gerade auf dem Heimweg von der versicherten Tätigkeit nicht unüblich ist - bleibt der Versicherungsschutz bei der Wiederaufnahme der Zurücklegung des Heimweges nur dann erhalten, wenn es sich nur um eine geringfügige Unterbrechung handelt. Nach der Rechtsprechung des BSG ist eine Unterbrechung nur dann als geringfügig anzusehen, wenn sie auf einer Verrichtung beruht, die ohne nennenswerte zeitliche Verzögerung "im Vorbeigehen" oder "nebenher" zu erledigen ist. Nimmt der Versicherte den ursprünglich angetretenen Weg nach der Beendigung der eigenwirtschaftlichen Verrichtung wieder auf, handelt es sich nur dann erneut um eine versicherte Tätigkeit, wenn nach Dauer und Art der Unterbrechung keine endgültige Lösung von dem Zurücklegen des Weges als der zunächst versicherten Tätigkeit vorliegt. Eine endgültige Lösung ist gegeben, wenn den zwischenzeitlichen privaten Aktivitäten gegenüber dem ursprünglichen Zweck des Weges ein Übergewicht zukommt, sie sich als Eintritt in das Privatleben darstellt, so dass sich der weitere Weg aus der Sicht eines unbeteiligten Dritten nicht mehr als Fortsetzung des früheren, sondern als Eintritt eines neuen, durch die private Tätigkeit veranlassten Weges darstellt. Dabei hat das BSG nach ständiger Rechtsprechung im Interesse einer gleichmäßigen und rechtssichernden Handhabung eine feste zeitliche Grenze von zwei Stunden festgelegt, bis zu der die Fortsetzung des ursprünglichen Weges eine versicherte Tätigkeit und damit die Unterbrechung für den Versicherungsschutz auf dem restlichen Weg unschädlich ist. Wird diese zeitliche Grenze überschritten, ist der versicherte Weg grundsätzlich endgültig beendet und der Versicherungsschutz wird nicht neu begründet (aaO, Rnr 28 mwN; Urteil vom 5. Juli 2016 - B 2 U 16/14 R - Rnr 19 mwN). Die feste Zeitgrenze gilt auch bei einer Verschiebung des Antritts des Weges vom Ort der versicherten Tätigkeit (BSG Urteil vom 19. Mai 1983 - 2 RU 79/82 - Rnr 15).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze lässt sich nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) nicht feststellen, dass der Unfall des Klägers vom 16. August 1993 ein Arbeitsunfall gewesen ist.
Zwar stand der Kläger als Schüler der allgemeinbildenden Schule grundsätzlich unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, und zwar auch bei der von der Schule bzw dem Klassenlehrer, dem Zeugen Q., organisierten Veranstaltung im BIZ am 16. August 1993 (§ 2 Abs 1 Nr 8b Alt 1 SGB VII).
Weiterhin hat der Kläger auch bei dem - individuell zu organisierenden - direkten Hin- und Rückweg zu der Veranstaltung im BIZ unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden (§ 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII).
Der Kläger ist nach den medizinischen Unterlagen der MHH und der Angabe des Zeugen Dr S. an diesem Tag auch am Bahnhof V. verunfallt und hat sich hierbei erhebliche Verletzungen zugezogen. Dieser Unfall, dessen genauer Zeitpunkt sich mangels von Unterlagen und konkreten Zeugenaussagen nicht sicher bestimmten lässt, ist aber kein Wegeunfall iSd § 8 Abs 2 SGB VII.
Denn es lässt sich zur Überzeugung des Senats nach Auswertung des gesamten Akteninhalts (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) unter besonderer Berücksichtigung der Angaben der Zeugen Q., R., des Dr S. und der Zeugin AH. nicht feststellen, dass dieser Unfall sich im Zusammenhang mit seiner versicherten Tätigkeit - dem Besuch der Veranstaltung im BIZ - ereignet hat. Es fehlt an dem erforderlichen zeitlichen Zusammenhang. Weder die konkrete Dauer des Aufenthaltes des Klägers im BIZ, noch der konkrete Unfallzeitpunkt ebenso wie der Ablauf im Übrigen lassen sich zeitlich verlässlich und zweifelsfrei feststellen. Hierfür trägt der Kläger die Beweislast, weil er Rechte hieraus ableiten will.
Dabei geht der Senat - wie auch das SG - zugunsten des Klägers nicht von 12.30 h, sondern vielmehr von 13.20 h (dem üblichen Ende des Schulunterrichts an einem Montag) als dem offiziellen Ende der Veranstaltung im BIZ aus. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des SG zum Verantwortungsbereich von Eltern bzw Schule verwiesen (S 6 oben bis S 8 oben der Entscheidungsgründe, § 153 Abs 2 SGG).
Dagegen hat der Kläger bei einem etwaigen weiteren Verbleib im BIZ nicht mehr unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden, worauf bereits das SG zutreffend hingewiesen hat. Denn offizielles Ende der Veranstaltung war nach den übereinstimmenden Angaben des Klägers sowie der Zeugen R. und Q. um 12.30 h gewesen. Allein weil der Zeuge Q. zu diesem Zeitpunkt gegenüber den Schülern angeregt hatte, die Gelegenheit zu nutzen, sich im BIZ noch weiter über Berufe zu informieren, wird der anschließende Aufenthalt nicht zum Bestandteil der vorausgegangenen schulischen Veranstaltung. Denn es handelte sich hierbei nicht um einen Auftrag oder eine Anordnung des Klassenlehrers, die im Zusammenhang mit einem Lehrstoff des Unterrichtes stand (vgl BSG Urteil vom 23. Januar 2018 - B 2 U 8/16 R - Rnr 14 ff). Er selbst hat vor dem SG angegeben, er habe den Schülern freigestellt, sich noch länger im BIZ aufzuhalten, um sich zu informieren. Hierbei handelt es sich lediglich und allenfalls um eine unverbindliche Anregung ohne jegliche Konsequenz und ohne einen konkreten Bezug zu einer schulischen Tätigkeit, insbesondere zum Unterrichtsstoff. Auch die Schüler selbst sind von einer lediglich unverbindlichen Anregung des Zeugen Q. ausgegangen. Denn nach den auch insoweit übereinstimmenden Angaben des Klägers und der Zeugen haben die meisten Schüler wie auch der Klassenlehrer selbst das BIZ um 12.30 h verlassen.
Ausgehend von dem Ende der versicherten Tätigkeit um 13.20 h hätte der Kläger unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG zur Unterbrechung eines versicherten Weges und der damit verbundenen Zwei-Stunden-Regelung den unmittelbaren Heimweg vom BIZ bis 15.20 h antreten müssen, um den Versicherungsschutz nicht zu verlieren.
Der unmittelbare Antritt des Heimwegs bis zu diesem Zeitpunkt kann aber insbesondere unter Berücksichtigung der eigenen Angaben des Klägers und des Zeugen R. nicht festgestellt werden. Sollten sie entsprechend ihrer Angaben im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem SG bis zur Schließung im BIZ geblieben sein und dieser Zeitpunkt gegen 16 h gewesen sein, wovon der Kläger in seiner Berufungserwiderung vom 25. Januar 2022 selbst ausgegangen ist, so wäre der Versicherungsschutz bereits zu diesem Zeitpunkt beendet gewesen und auch im weiteren Verlauf nicht wiederaufgelebt:
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem SG hat der Kläger sich zwar nicht erinnern können, wann genau sie das BIZ verlassen hätten. Er hat aber dargelegt, dass er und der Zeuge R. "noch mehrere Stunden nach dem offiziellen Ende im BIZ verblieben seien" und dieses erst verlassen hätten, als es bereits schloss. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat er ergänzt, von Mitarbeitern des BIZ zum Verlassen desselben aufgefordert worden zu seien. Diese Angaben decken sich mit denen des Zeugen R. vor dem SG, das BIZ nach der Ansage mit den Hinweisen zur Schließung verlassen zu haben, und dass der Aufenthalt bis dahin "sehr interessant gewesen und die Zeit schnell vergangen sei".
Wenn das BIZ also nach den Angaben des Klägers im Schriftsatz vom 25. Januar 2022 damals wie heute um 16 h geschlossen hätte, wäre der Kläger dort erst kurz vor 16 h und damit nach 15.20 h aufgebrochen.
Aber auch wenn der Kläger entsprechend seiner Angaben im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat gegen 15 h das BIZ verlassen haben sollte, lässt sich aufgrund der weiterhin bestehenden zeitlichen Lücke ein versicherter Weg im Unfallzeitpunkt nicht feststellen.
Denn unter Berücksichtigung und Würdigung der medizinischen Unterlagen und der Angaben des Zeugen Dr S. im Termin zur mündlichen Verhandlung hat sich der Unfall frühestens um 16.45 h bis 17 h ereignet:
Aufgrund der schriftlichen Auskunft der MHH vom 20. Dezember 2022 und den Ausführungen der Zeugin AI. im Termin zur mündlichen Verhandlung steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger entsprechend der Angabe in dem Aufnahmedialog um 18.12 h und nicht früher in der MHH eingetroffen ist. Die MHH hat schriftlich dargestellt, dass 1993 bei einem notfallmäßig eintreffenden Patienten sofort - beim Durchfahren der Tür - die Uhrzeit notiert und eine Akte erstellt worden ist. Da die Erfassung von einer eigens hierfür angestellten Aufnahmekraft - und nicht durch Pflegepersonal, das uU für andere Arbeiten kurzzeitig abgezogen worden wäre - vorgenommen worden ist, sei es nicht zu zeitlichen Verzögerungen gekommen. Die Zeugin AI. hat hierzu weiterhin mündlich erläutert, dass das Eintreffen eines Notfalls bereits zuvor durch die Rettungskräfte in der MHH angekündigt wird, so dass bei dem tatsächlichen Eintreffen die Pflegekräfte nebst Ärzten quasi schon zur Erstversorgung bereitstehen, um keine wertvolle Zeit für die medizinischen Rettungsmaßnahmen zu verlieren. Sie hat weiterhin dargelegt, dass selbst bei Fehlen von persönlichen Daten der Patienten eine digitale Erfassung, und zwar in diesem Fall über Nummern, erfolgt. Diese Nummern ermöglichen die Zuordnung späterer medizinischer Befunde zu dem jeweiligen Patienten. Ggf fehlende persönliche Daten würden nachfolgend den Nummern zugeordnet und ins System eingepflegt. Diese Ausführungen der Zeugin AI. haben den Senat überzeugt: Zum einen, weil die Zeugin AI. seit Jahrzehnten, auch bereits seit 1993, in der Notfallaufnahme der MHH tätig ist und mit den organisatorischen Abläufen, die nach ihren Angaben über die Jahre im Wesentlichen gleichgeblieben sind, deshalb über einen langen Zeitraum bestens vertraut ist. Zum anderen hat sie ihre Angaben plausibel und im Einzelnen nachvollziehbar und widerspruchsfrei begründet. Ihre Ausführungen zu den Bestrebungen, den Zeitaufwand von der Aufnahme des Notfallpatienten bis zum Beginn der medizinischen Versorgung so gering wie möglich zu halten, deckt sich auch mit dem durch die Unterlagen dokumentierten zeitlichen Ablauf im Falle des Klägers, wonach die Aufnahme um 18.12 h erfolgte und die Operation bereits um 18.40 h begann. Für den Senat besteht deshalb kein Zweifel daran, dass der Kläger am Unfalltag tatsächlich um 18.12 h in der MHH eingetroffen ist. Jedenfalls gibt es keine Anhaltspunkte dafür, aus welchen Gründen die Angaben der Zeugin AI. unzutreffend sind.
Die Auffassung des Klägers wie auch die Einschätzung des Dr S., dass es sich bei dieser Zeitangabe im Aufnahmedialog nur um eine büroorganisatorische Erfassung ohne Bezug zum tatsächlichen Aufnahmezeitpunkt handelt, ist durch die Angaben der Zeugin AI. widerlegt.
Für die Bergung und medizinische Erstversorgung bis zur Verbringung in den Rettungshubschrauber auf dem Bahnhof V. geht der Senat zugunsten des Klägers von maximal einer Stunde aus. Er stützt sich hierbei auf die Angaben des Zeugen Dr S.. Der Zeuge konnte zwar keine konkreten verlässlichen Angaben zum Zeitpunkt des Eingangs des Notrufes machen, und die Uhrzeit der Versorgung hat er auf seinem notärztlichen Protokoll nicht vermerkt. Er vermochte sich aber im Zeitpunkt seiner Vernehmung vor dem SG an den immerhin 28 Jahre zurückliegenden Unfall aufgrund der Gesamtumstände und der Schwere der Verletzungen zu erinnern. Auch unter Berücksichtigung der Verletzungen hat er den Zeitaufwand für die Versorgung bis zur Verbringung in den Rettungshubschrauber zunächst mit 30 bis 45 Minuten und im weiteren Verlauf mit 30 bis 60 Minuten angegeben. Die im Schriftsatz des Klägers vom 8. April 2019 dargestellte Zeitdauer von 2 Stunden, die der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat noch einmal wiederholt hat, hat er aufgrund seiner langjährigen Erfahrung und seiner Erinnerung an den Unfall als viel zu hoch angegriffen angesehen. Hinzu kommen maximal 30 Minuten, ebenfalls zu Gunsten des Klägers, für die Anfahrtszeit des Dr S. von der MHH zum Unfallort - die er selbst in seiner schriftlichen Aussage mit 5 bis 8 Minuten angegeben hat - und den Zeitaufwand für den Abtransport mit dem Rettungshubschrauber vom Bahnhof V. bis zur MHH.
Im Übrigen sprechen auch die Verletzungen des Klägers für sein zeitnahes Auffinden im Gleisbett und die zeitnahe Versorgung durch den Zeugen Dr S.: der Bahnhof J. liegt an einer vielbefahrenen Strecke, die nicht nur von den regelmäßigen verkehrenden S-Bahnen, sondern auch von durchfahrenden Güterzügen stark frequentiert wird. Wenn der Kläger also längere Zeit unbemerkt im Gleisbett gelegen habe, wäre von weiteren und auch schlimmeren Verletzungen durch nachfolgende Züge zu rechnen gewesen.
Für den Weg vom BIZ zum Bahnhof J., den er nach seinen eigenen wiederholten Angaben direkt zurückgelegt hat, ist ebenfalls zu seinen Gunsten von einem Zeitaufwand von maximal 57 Minuten auszugehen: der Weg vom BIZ über den X. - wo sich der Kläger und der Zeuge R. trennten - bis zu dem vom Kläger aufgesuchten Bahnsteig beträgt 15 Minuten, die reine Fahrzeit vom I. -Hbf zum Bahnhof J. 9 bis 12 Minuten. Die vom Kläger im Schriftsatz vom 19. Juli 2017 angegebene Wartezeit von 30 Minuten, weil die Züge im 30-Minuten-Takt verkehrten, dürfte vor dem Hintergrund seiner eigenen Angaben im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem SG (".... Ich habe etwas auf meine S-Bahn warten müssen....") allerdings deutlich geringer gewesen sein.
Unter Berücksichtigung dieser zeitlichen Annahmen ist der Unfallversicherungsschutz zu verneinen:
Wenn der Kläger entsprechend seiner Erstangaben erst kurz vor 16 h das BIZ verlassen hat, wäre er entsprechend des von ihm aufgezeigten Rückweges gegen 16.45 h im Bahnhof V. eingetroffen, was sich mit den weiteren zeitlichen Abläufen zum Unfallzeitpunkt, der Bergung und medizinischen Erstversorgung durch den Zeugen Dr S. und dem Eintreffen in der MHH um 18.12 h in Einklang bringen lässt. In diesem Fall hätte aber aufgrund des mehr als zweistündigen Aufenthaltes im BIZ (ausgehend von 13.20 h) bereits beim Antritt seines Weges kein Unfallversicherungsschutz bestanden.
Ist er dagegen entsprechend seiner aktuellen Angaben um 15 h im BIZ aufgebrochen - wobei diese Schließungszeit auf Spekulationen beruht und durch nichts belegt ist -, hätte er unter Zugrundelegung seiner wiederholten eigenen Angaben, den direkten Weg nach Hause eingeschlagen zu haben, spätestens um 16 h dort eintreffen müssen. Die zeitliche Lücke bis zum Unfallzeitpunkt von ca 45 Minuten zusammen mit dem unversicherten Zeitaufwand im BIZ (von 13.20 h bis 15 h) ergibt eine Unterbrechung des Heimweges von ebenfalls mehr als 2 Stunden, so dass auch insoweit kein Versicherungsschutz besteht.
Die zeitliche Lücke von ca 45 Minuten lässt sich auch nicht mit einem Abstecher bei McDonalds am AB. erklären: Abgesehen davon, dass dieser Abstecher sowohl vom Klägers wie auch vom Zeugen R. zunächst nicht erwähnt worden ist - beide haben stets nur ausgeführt, "auf dem direkten Weg nach Hause zu Bahnhof" gegangen zu sein - und der Zeuge R. erstmalig vor dem SG angab, "möglicherweise" hätten sie noch einen Abstecher zu McDonalds gemacht, ist der Zeitaufwand hierfür nach den eigenen Angaben des Zeugen und des Klägers als nur gering anzusehen. Zumal auch der Kläger selbst im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegeben hat, während der Veranstaltung im BIZ sein übliches Pausenbrot gegessen zu haben, wodurch seine ursprünglichen Angaben im Schriftsatz vom 25. Januar 2022 zur Erklärung für den "Zwischenstopp bei McDonalds", irgendwann auch einmal etwas essen zu müssen, relativiert worden sind. Nicht weiter führt die Argumentation der Berufung, zu "gruppentypischem Verhalten", das einer Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes nicht entgegenstehe. Diese Fallgestaltung betrifft den sachlichen Zusammenhang von (leichtsinnigen) Handlungen, die zu Verletzungen führen, mit der versicherten Tätigkeit. Hier geht es jedoch - wie ausgeführt - um die Klärung des erforderlichen zeitlichen Zusammenhangs zwischen Unfall und versicherter Tätigkeit.
Der Sachverhalt erweist sich für den Senat als geklärt. Weitere Erkenntnismöglichkeiten sind nicht ersichtlich. Die umfangreichen Bemühungen des Beklagten, des SG wie auch des Senats zu weiteren Erkenntnissen zum zeitlichen Ablauf sind ergebnislos geblieben.
Dem Hilfsantrag des Klägers, den damals diensthabenden Arzt und Operateur Dr AC. als Zeugen zu vernehmen, hat der Senat mangels Sachdienlichkeit nicht stattgegeben. Denn dieser kann zum zeitlichen Ablauf von der Bergung des Klägers am Bahnhof J. bis zum Erreichen des Schockraumes keine Angaben aus eigener Wahrnehmung machen. Dies hat der Kläger auch nicht dargelegt. Dr AC. war am Unfallort - im Gegensatz zu Dr S. - nicht anwesend und hat deshalb aus eigener Wahrnehmung keine Kenntnis von den dortigen Vorgängen. Diese hat lediglich der Zeuge Dr S., der hierzu auch bereits Ausführungen gemacht hat. Weiterhin ist nicht ersichtlich, welche Angaben der benannte Zeuge Dr AC. aus eigener Wahrnehmung zu dem zeitlichen Ablauf vom Eintreffen des Klägers in der MHH bis zum Eintreffen im Schockraum machen kann und welche Konsequenzen sich hieraus ergeben.
Nach alledem lässt sich nicht feststellen, dass der Kläger im Zeitpunkt seines Unfalls im Bahnhof V. unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden hat. Die Aufnahme seines Heimweges von dem offiziellen Ende der Veranstaltung im BIZ (13.20 h) innerhalb der erforderlichen Zeitgrenze von zwei Stunden und ohne zeitliche Unterbrechungen lässt sich nicht feststellen. Vielmehr ist der konkrete Zeitpunkt des Antritts seines Heimwegs wie dessen konkreter zeitlicher Verlauf ebenso wie der konkrete Zeitpunkt seines Unfalls ungewiss. Diese Ungewissheit geht zu Lasten des Klägers. Denn die Unerweislichkeit einer Tatsache geht grundsätzlich zu Lasten des Beteiligten, der aus ihr ein Recht oder einen rechtlichen Vorteil herleiten will. Während derjenige, der einen Anspruch geltend macht, die Beweislast für die rechtsbegründenden Tatsachen trifft, ist derjenige, der das geltend gemachte Recht bestreitet, für die rechtshindernden, rechtsvernichtenden oder rechtshemmenden Tatsachen beweispflichtig. Deshalb hat der Kläger den Antritt oder aber die Fortsetzung seines unterbrochenen Weges innerhalb der Zeitgrenze von zwei Stunden nachzuweisen (BSG Urteil vom 2. Dezember 2008, aaO, Rnr 32 mwN). Im Übrigen erklärt der fehlende zeitliche und damit sachliche Zusammenhang zwischen dem Ende der Veranstaltung im BIZ und dem Unfall auch, dass weder gegenüber dem Beklagten noch gegenüber der Krankenkasse ein Schul(wege)unfall angezeigt wurde, auch nicht auf die Nachfrage des Versorgungsamts beim Vater des Klägers.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Es liegt kein Grund vor, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs 2 SGG).