Landgericht Verden
Beschl. v. 25.08.2004, Az.: 6 T 120/04
Anforderungen an die Rechtmäßigkeit der Durchsuchung einer Wohnung; Differenzierung zwischen dem Betreten und Durchsuchen einer Wohnung
Bibliographie
- Gericht
- LG Verden
- Datum
- 25.08.2004
- Aktenzeichen
- 6 T 120/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 36013
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGVERDN:2004:0825.6T120.04.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Achim - 06.07.2004 - AZ: 4 XIV 6/04 B
Rechtsgrundlagen
- § 24 SOG,NI
- § 25 Abs. 1 SOG,NI
- § 3 Abs. 1 AuslG
- § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG
- § 104 Abs. 3 StPO
- Art. 13 Abs. 1 GG
Fundstellen
- ANA-ZAR 2004, 18 (Kurzinformation)
- ZAR 2004, 18
In der Beschwerdesache
hat die 6. Zivilkammer des Landgerichts Verden
auf die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Achim vom 6. Juli 2004
am 25. August 2004
durch
die Richter am Landgericht... und ... sowie
die Richterin am Landgericht...
beschlossen:
Tenor:
Der Beschluss des Amtsgerichts Achim vom 6. Juli 2004 wird aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass die Durchsuchung der Wohnung der Beschwerdeführerin in ..., .., am 26. Februar 2004 rechtswidrig war.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet.
Gründe
Für den 26. Februar 2004 ordnete der Landkreis die Abschiebung des Sohns der Beschwerdeführerin an, nachdem dessen Asylantrag rechtskräftig abgelehnt worden war. Am Morgen des 26. Februar 2004 erschienen um 5:00 h Beamte des Polizeikommissariats A. vor der Wohnung der Beschwerdeführerin, um deren Sohn, der sich bislang dort aufgehalten hatte, abzuholen. Familienangehörige versicherten, dieser sei dort nicht aufhältig. Im Folgenden verschafften sich die Beamten Zugang zu der Wohnung, wobei die Beschwerdeführerin im Unterschied zu den eingesetzten Beamten vorgetragen hat, eine Einwilligung hierzu sei von niemandem erteilt worden. Bei der anschließenden Augenscheinseinnahme der Räumlichkeiten durch die Beamten wurde der Sohn der Beschwerdeführerin nicht angetroffen.
Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Amtsgericht den Antrag der Beschwerdeführerin auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Durchsuchung ihrer Wohnung mit der Begründung zurück, die Beamten hätten die Wohnung lediglich betreten, nicht aber durchsucht. Im Übrigen wäre eine Durchsuchung wegen Gefahr im Verzug auch ohne richterliche Anordnung zulässig gewesen.
Gegen die amtsgerichtliche Entscheidung wendet sich die Beschwerdeführerin mit der Begründung, es liege sehr wohl eine Wohnungsdurchsuchung vor, die mangels vorheriger richterlicher Anordnung rechtswidrig gewesen sei. Da absehbar gewesen sei, dass ihr Sohn nicht angetroffen werden würde, habe auch keine Gefahr im Verzug vorgelegen.
Mangels einer vorangehenden richterlichen Entscheidung gemäß § 25 Abs. 1 NdsSOG ist zwar die Zuständigkeit der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht gegeben und damit der Weg zur ordentlichen Gerichtsbarkeit nicht eröffnet (vgl. hierzu OVG NRW, NJW 1992, 2172 ff.). Gemäß § 17 a Abs. 5 GVG ist die Zulässigkeit des Rechtswegs in der Rechtsmittelinstanz jedoch nicht mehr zu prüfen.
Nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung sieht die Kammer die Beschwerde gemäß §§ 7 NdsFGG, 19 FGG als zulässig an. Insbesondere begründet die Schwere des mit der Wohnungsdurchsuchung verbundenen Eingriffs in das Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG ein fortbestehendes Rechtsschutzinteresse.
Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg, weil die angegriffene Maßnahme, die als Durchsuchung anzusehen ist, einer Rechtsgrundlage entbehrt.
Die Maßnahme, deren materielle Rechtsgrundlage lediglich § 24 NdsSOG sein kann, ist als Durchsuchung zu qualifizieren. Laut Ziffer 24.0 Buchstabe a) der AB NGefAG ist "Betreten" das Aufsuchen und Verweilen in einer Wohnung. Es schließt die Befugnis ein, von Personen, die "ohne jeglichen Aufwand" wahrgenommen werden können, Kenntnis zu nehmen. Durchsuchen liegt hingegen vor bei "ziel- und zweckgerichteter Suche nach Personen" in einer Wohnung, Ziffer 24.0 Buchstabe b) der AB NGefAG.
Vor dem Hintergrund dieser Definitionen ist die hier angegriffene Maßnahme als Durchsuchung zu qualifizieren. Denn die Beamten haben die Wohnung zu dem Zweck betreten, den Sohn der Beschwerdeführerin zu suchen und zu ergreifen, um die geplante Abschiebung zu ermöglichen. Dementsprechend haben sie auch nicht nur einen Raum der Wohnung betreten, um darin zu "verweilen", sondern einen - wenn auch geringen - Aufwand betrieben, indem sie sämtliche Räumlichkeiten in Augenschein genommen haben.
Davon, dass die Beschwerdeführerin in die Durchsuchung ihrer Wohnung eingewilligt hat - was einen Grundrechtseingriff entfallen lassen würde - ist auch in dem Bericht des eingesetzten Beamten ... vom 30. April 2004 nicht die Rede.
Die Beamten erschienen am 26. Februar 2004 um 5:00 h und damit gemäß § 104 Abs. 3 StPO zur Nachtzeit. § 24 Abs. IV NdsSOG erlaubt jedoch das Betreten und Durchsuchen einer Wohnung zur Nachtzeit nur in den Fällen des Absatzes 2 Nr. 3 und 4 und des Absatzes 3. Einer dieser Fälle lag ersichtlich nicht vor: Weder bestand eine gegenwärtige Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder für Sachen von bedeutendem Wert, noch gingen von der Wohnung Emissionen aus oder rechtfertigten Tatsachen die Annahme, dass sich in der Wohnung eine widerrechtlich festgehaltene oder hilflose Person befand. Eine Durchsuchung zum Zweck des Auffindens einer illegal aufhältigen Person gemäß §§ 24 Abs. 2 Nr. 1, 18 Abs. 1 Nr. 2 a NdsSOG i.V.m. §§ 3 Abs. 1, 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG, wie sie hier vorlag, ist jedoch nicht zur Nachtzeit erlaubt.
Damit ist die Durchsuchung mangels Rechtsgrundlage rechtswidrig, so dass dahinstehen kann, ob es mangels Gefahr in Verzug einer vorherigen richterlichen Anordnung bedurft hätte. Unter Aufhebung des amtsgerichtlichen Beschlusses war deshalb die begehrte Feststellung über die Rechtswidrigkeit der Durchsuchung zu treffen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 131 Abs. 1 S. 2 KostO.