Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 18.08.2016, Az.: 4 A 6300/14

Fremdwerbungsverbot; örtliche Bauvorschrift; Werbeanlage

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
18.08.2016
Aktenzeichen
4 A 6300/14
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2016, 43414
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zu den Anforderungen, unter denen in generalisierender Weise Anlagen der Fremdwerbung in einem Mischgebiet durch örtliche Bauvorschriften ausgeschlossen werden können.

Tenor:

Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben.

Im Übrigen wird die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 02.10.2013 sowie des Widerspruchsbescheides der Region Hannover vom 25.02.2014 verpflichtet, der Klägerin die beantragte Baugenehmigung für eine Fremdwerbeanlage zu erteilen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Vollstreckungsschuldnerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung für eine Werbeanlage.

Am 18.09.2013 stellte sie einen Bauantrag für die Anbringung einer unbeleuchteten Werbetafel (TopLine) mit einer Größe von 2,87 m x 3,89 m mit Eigenwerbungsschild (Topper) in der Größe von 0,40 m x 3,89 m auf dem Grundstück mit der Flurstücksbezeichnung C. der Flur D., Gemarkung E. („F.“). Zugleich stellte sie einen Antrag auf Erteilung einer Abweichung. Darin wies sie darauf hin, dass sich auf dem Giebel, an dem die Werbeanlage angebracht werden solle, bereits eine Wandbemalung befinde, mit der auf einen etwa drei km entfernt gelegenen Gewerbebetrieb hingewiesen werde.

Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 1 c der Beklagten in der Fassung der 1. Änderung. Der Bebauungsplan weist das Grundstück als Mischgebiet (MI) aus. Zugleich liegt es im Geltungsbereich der am 22.03.2003 in Kraft getretenen Gestaltungssatzung Nr. 2 „Werbeanlagen im Bereich G. - Südlich H.“. Gemäß § 3 Nr. 1 der Gestaltungssatzung sind Werbeanlagen nur an der Stätte der Leistung zulässig. Eine Aufstellung von Werbeanlagen mit wechselndem Plakatanschlag ist nicht zulässig (§ 3 Nr. 2). § 4 der Gestaltungssatzung enthält Regelungen zur Größe von Werbeanlagen. In der Begründung der Gestaltungssatzung heißt es, Bauplanungsrecht könne zu einer unerwünschten Häufung von Werbeanlagen führen. Großformatige Werbeanlagen lenkten Verkehrsteilnehmer durch Wechselwerbung ab. Auch mit Rücksicht auf die zahlreich vorhandene Wohnnutzung erscheine eine Überarbeitung des Bereichs in Bezug auf die Gestaltung von Werbeanlagen geboten. Dabei müssten die privaten Interessen einer angemessenen Werbetätigkeit der ansässigen Betriebe mit dem öffentlichen Belang einer geordneten städtebaulichen Entwicklung in Einklang gebracht werden. Mit der Gestaltungssatzung sollten den ansässigen Betrieben adäquate Werbemöglichkeiten geboten werden.

Mit Bescheid vom 02.10.2013 lehnte die Beklagte die Erteilung der Baugenehmigung unter Verweis auf die Bestimmungen der Gestaltungssatzung ab. Die Erteilung einer Abweichung komme nicht in Betracht.

Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Region Hannover mit Bescheid vom 25.02.2014 zurück. Auf die vorhandene Werbeanlage könne sich die Klägerin nicht berufen, da diese bereits vor Inkrafttreten der Gestaltungssatzung genehmigt worden sei.

Am 21.03.2014 hat die Klägerin Klage erhoben. Hinsichtlich der baurechtlichen Zulässigkeit des sog. Toppers haben die Beteiligten den Rechtstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt.

Die Klägerin macht geltend, sie habe einen Anspruch auf Erteilung der begehrten Baugenehmigung, weil das Vorhaben materiell baurechtmäßig sei. Mit der Gestaltungssatzung werde Fremdwerbung generell ausgeschlossen, was in einem MI-Gebiet nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht zulässig sei.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 02.10.2013 und des Widerspruchsbescheides vom 25.02.2014 zur Erteilung der beantragten Baugenehmigung zu verpflichten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die örtliche Bauvorschrift finde in § 56 Abs. 1 Nr. 2 NBauO a.F. eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage. Der Ausschluss der Fremdwerbung in einem Mischgebiet sei zulässig, da das Mischgebiet von Wohnnutzung dominiert werde.

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren einzustellen. Im Übrigen ist die als Verpflichtungsklage zulässige Klage begründet.

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erteilung der von ihr beantragten Baugenehmigung. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 02.10.2013 und der Widerspruchsbescheid der Region Hannover vom 25.02.2014 sind, soweit der Rechtsstreit nicht in der Hauptsache für erledigt erklärt wurde, rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 VwGO.

Gemäß § 70 Abs. 1 NBauO ist eine Baugenehmigung zu erteilen, wenn die Baumaßnahme, soweit sie genehmigungsbedürftig ist und soweit eine Prüfung erforderlich ist, dem öffentlichen Baurecht entspricht. Diese Voraussetzungen liegen vor. Die Baumaßnahme ist genehmigungsbedürftig, sie widerspricht - entgegen der Auffassung der Beklagten - nicht dem öffentlichen Baurecht.

Dem Vorhaben stehen insbesondere nicht Bestimmungen der Gestaltungssatzung Nr. 2 „Werbeanlagen im Bereich G. - Südlich H.“ entgegen. Dabei handelt es sich um örtliche Bauvorschriften über Werbeanlagen, die der Rat der Beklagten im Jahr 2003 auf der Grundlage von § 56 NBauO a.F. erlassen hat. Danach sind Werbeanlagen nur an der Stätte der Leistung zulässig (§ 3 Nr. 1). Zudem ist die Aufstellung von Werbetafeln mit wechselndem Plakatanschlag nicht zulässig (§ 3 Nr. 2). § 4 enthält Beschränkungen zur Größe von Werbeanlagen und schließt Plakatwerbung im sog. Euro-Format aus. Diese Regelungen sind aber unwirksam und können der Erteilung einer Baugenehmigung daher nicht entgegengehalten werden.

Gemäß § 56 Abs. 1 NBauO a.F. konnten Gemeinden durch örtliche Bauvorschriften besondere Anforderungen an die Art, Gestaltung oder Einordnung von Werbeanlagen stellen oder sie in bestimmten Gebieten oder an bestimmten baulichen Anlagen ausschließen, um bestimmte städtebauliche, baugestalterische oder ökologische Absichten zu verwirklichen (nunmehr geregelt in § 84 Abs. 3 Nr. 2 NBauO). In diesem Sinne tragfähige Gründe für den Ausschluss der Fremdwerbung liegen nicht vor.

Mit der in Rede stehenden Gestaltungssatzung und örtlichen Bauvorschriften, die andere Ausfallstraßen der Beklagten betreffen, schließt die Beklagte in generalisierender Weise Anlagen der Fremdwerbung aus. Dass dies in generalisierender Weise geschieht, belegen auch die Ausführungen in der Begründung zur Gestaltungssatzung: Bei der G. handele es sich um eine der ältesten Hauptverkehrsstraße in E. mit vielen dort ansässigen Betrieben, was zu der Errichtung einer Vielzahl von Werbeanlagen geführt habe. Da in Mischgebieten bauplanungsrechtlich die Zulässigkeit von Werbeanlagen nicht auf die Stätte der Leistung beschränkt sei, könne es zu einer unerwünschten Häufung von Werbeanlagen kommen. Großformatige Werbeanlagen, wie sie von überregional tätigen Firmen aufgestellt würden, könnten das Straßenbild stark dominieren und fügten sich nicht harmonisch in die Bebauung ein, zumal die gezeigte Werbung in der Regel keinen Bezug zu dem jeweiligen Baugebiet habe. Auch mit Rücksicht auf die zahlreich vorhandenen Wohnnutzungen erscheine eine Überarbeitung des Bereiches in Bezug auf die Gestaltung von Werbeanlagen geboten.

Ein generalisierender Ausschluss von Werbeanlagen in Mischgebieten ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aber nur unter engen Voraussetzungen zulässig. In dem Urteil vom 16.03.1995 (4 C 3.94, juris) führt das Bundesverwaltungsgericht aus:

„Das Berufungsgericht hat ausdrücklich offengelassen, ob das Fremdwerbungsverbot mit Art. 14 Abs. 1 GG vereinbar ist. Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß der Senat zwar in seinem Urteil vom 28. April 1972 - BVerwG 4 C 11.69 - (BVerwGE 40, 94) entschieden hat, daß das generalisierende Verbot bestimmter Werbeanlagen in bestimmten Baugebieten eine Entsprechung in einem Mindestmaß an Einheitlichkeit des Baugebietscharakters finden müsse; er hat deshalb ein generelles Verbot großflächiger Werbetafeln in Mischgebieten für unzulässig angesehen. Das gilt ebenso für Kerngebiete, weil auch sie durch eine Vielzahl unterschiedlicher Nutzungen, zu denen auch die gewerbliche Nutzung gehört, gekennzeichnet sind. Der Senat hat aber in seinem Urteil vom 22. Februar 1980 - BVerwG 4 C 44.76 - (Buchholz 406.17 Bauordnungsrecht Nr. 12 = BRS 36 Nr. 149) klargestellt, daß die erforderliche Einheitlichkeit auch durch eine städtebaulich bedeutsame Prägung eines bestimmten Teilgebietes einer Gemeinde bewirkt sein kann. Die Beklagte hat hier die Fremdwerbung nicht generell in ihren Kerngebieten ausgeschlossen, sondern - wie das Berufungsgericht ausführt - nach den örtlichen Gegebenheiten zum Schutz bestimmter Bauten, Straßen, Plätze oder Ortsteile von geschichtlicher, künstlerischer oder städtebaulicher Bedeutung sowie von Bau- oder Naturdenkmälern (§ 82 Abs. 1 Nr. 2 LBO 1983). Dies ist grundsätzlich ohne Verstoß gegen Art. 14 GG möglich. Zutreffend hat deshalb das Verwaltungsgericht die Schutzwürdigkeit des Plangebiets, zumindest hinsichtlich des Straßenabschnitts, in dem die streitige Werbetafel aufgestellt werden soll, geprüft. Mit dem Verfassungsrecht unvereinbar wäre der Fremdwerbungsausschluß demgemäß nur dann, wenn dem Gebiet - entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts - die besagte städtebauliche Prägung fehlen würde, so daß ein Zurücktreten des privaten Werbeinteresses wegen des Fehlens schutzwürdiger Belange der Gemeinschaft nicht gerechtfertigt werden könnte.“

An einer solchen städtebaulich bedeutsamen Prägung, die einen generalisierenden Ausschluss von Fremdwerbeanlagen rechtfertigen könnte, fehlt es vorliegend. Die Kammer folgt dabei nicht der Rechtsprechung des OVG Bremen (Urt. vom 20.03.2001, 1 A 426/00, juris), das eine solche Prägung bereits dann bejaht, wenn ein festgesetztes MI-Gebiet durch Wohnnutzung geprägt ist. Eine dem dort entschiedenen Sachverhalt vergleichbare Situation konnte die Kammer auch im vorliegenden Fall feststellen. Hier wie dort handelt es sich um Straßenrandbebauung, die dadurch geprägt wird, dass die Erdgeschosse von Läden und Dienstleistungsbetrieben genutzt werden, während in den Obergeschossen fast ausnahmslos gewohnt wird.

Eine Gemeinde hat zwar nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Möglichkeit, Fremdwerbung dort auszuschließen, wo ein Gebiet oder Straßenabschnitt schutzwürdig ist. Die Schutzwürdigkeit muss ihre Gründe aber im Bauordnungsrecht haben. Es ist daher möglich, etwa aus städtebaulichen oder baugestalterischen Gründen bestimmte Bauten, Straßen, Plätze oder Ortsteile zu schützen. Der Schutz der ein Gebiet prägenden Wohnnutzung vor einer Häufung von Werbeanlagen ist davon nicht umfasst. Sollen in einem Baugebiet bestimmte allgemein zulässige Nutzungen ausgeschlossen werden, um andere zulässige Nutzungen und Nutzer vor diesen zu schützen, muss von den durch das Bauplanungsrecht gegebenen Möglichkeiten Gebrauch gemacht werden.

Der von dem Fremdwerbeverbot betroffene Bereich weist auch im Übrigen keine städtebauliche oder baugestalterische Prägung auf, die einen Fremdwerbeausschluss rechtfertigen könnte. Solche Anhaltspunkte ergeben sich nicht aus der Begründung der Gestaltungssatzung, die Beklagte hat dazu nichts vorgetragen und auch die Verhandlung vor Ort war insoweit nicht ergiebig.

Für das Verbot der Aufstellung von Werbetafeln mit wechselndem Plakatanschlag und die Beschränkungen der Größe sind städtebauliche bzw. baugestalterische Absichten auch nicht ersichtlich. Diese Regelungen dienen erkennbar ebenfalls allein dem Zweck, Fremdwerbung auszuschließen, weil unter Beachtung dieser Bestimmungen Fremdwerbung mit Anlagen, wie sie üblicherweise von Unternehmen der Werbebranche verwendet werden, nämlich solche im sog. Euro-Format und mit wechselndem Plakatanschlag, nicht realisiert werden könnten. Städtebauliche bzw. gestalterische Gründe für diese Einschränkung sind - die Zulässigkeit von Fremdwerbeanlagen unterstellt - nicht ersichtlich.

Andere Gesichtspunkte, die der Erteilung der begehrten Baugenehmigung entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 161 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO. Gründe, die Berufung zuzulassen, sind nicht ersichtlich.