Landgericht Aurich
Urt. v. 18.09.2013, Az.: 16 Ns 410 Js 12259/12 (16/13)

Strafbarkeit wegen Diebstahls bei pathologischem Stehlen i.S.d. Kriterien des ICD-10 ("Kleptomanie")

Bibliographie

Gericht
LG Aurich
Datum
18.09.2013
Aktenzeichen
16 Ns 410 Js 12259/12 (16/13)
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 48064
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGAURIC:2013:0918.16NS410JS12259.12.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Leer - 20.02.2013 - AZ: Sc Ds 342/12

Redaktioneller Leitsatz

Das pathologische Stehlen ist den Persönlichkeitsstörungen zugeordnet und entspricht aus forensischer Sicht der Kategorie einer "schweren seelischen Abartigkeit" im Sinne des § 20 StGB. Dies hat sicher zur Folge, dass die Steuerungsfähigkeit einer Angeklagten - bei gegebener Einsichtsfähigkeit - jedenfalls erheblich vermindert iSd. § 21 StGB gewesen ist. Je nach Art und Grad des psychischen Ausnahmezustandes kann von einer völlig aufgehobenen Impulskontrolle auszugehen sein, so dass die vollständige Aufhebung der Steuerungsfähigkeit i.S.d. § 20 StGB vorliegt.

In der Strafsache
gegen pp.
Verteidiger:
Rechtsanwalt Folkert Adler, Heisfelder Straße 171, 26789 Leer (Ostfriesland)
21f:2 ,
wegen Diebstahls
die 2. kleine Strafkammer (BSR) des Landgerichts Aurich auf die Berufung der Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Leer — Strafrichter — vom 20.02.2013 in der Sitzung vom 18.09.2013, an der teilgenommen haben:
Richter am Landgericht als Vorsitzender
pp. als Schöffen
Staatsanwalt
als Beamter der Staatsanwaltschaft
Rechtsanwalt Folkert Adler als Verteidiger
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Leer vom 20.2.2013 (Az. Sc Ds 342/12) aufgehoben.

Die Angeklagte wird freigesprochen.

Die Kosten des Verfahrens und die der Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

I.

Die Angeklagte wurde durch Urteil des Strafrichters des Amtsgerichts Leer vom 20.02.2013 wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten und in die Kosten des Verfahrens verurteilt. Gegen dieses Urteil hat die Angeklagte form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Die Berufung hatte Erfolg und führte unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils zu einem Freispruch.

II.

Im Hinblick auf die Persönlichkeit der Angeklagten hat die Kammer nunmehr folgende Feststellungen getroffen:

Die zum Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung 78jährige Angeklagte hat weder einen Schulabschluss erworben noch eine Berufsausbildung absolviert. Bevor sie heiratete und mit ihrem Ehemann im Jahre 1962 ein Wohnhaus erbaute, arbeitete sie als Hauswirtschafterin. Anschließend war sie als Hausfrau tätig. Die Angeklagte hat drei erwachsene Kinder, zu denen sie gelegentlich Kontakt hält. Am 01.02.2012 ist ihr Ehemann bei einem Verkehrsunfall tödlich verunglückt, worüber die Angeklagte nach wie vor noch nicht hinweg kommt. Sie wohnt seitdem allein in einem gemieteten Wohnhaus und bezieht eine monatliche Witwenrente in Höhe von 814 €. Nunmehr kümmert sich ihr 68jähriger Bruder verstärkt um sie, um insbesondere sie nicht nur bei der Haushaltsführung zu unterstützen, sondern auch um bei den Einkäufen zu verhindern, dass die Angeklagte Gefahr läuft, — wie hier angeklagt — in kleptomanische Verhaltensweisen zurückzufallen.

Die Angeklagte war über einen Zeitraum von etwa zehn Jahren bei dem Neurologen Dr. K. in Behandlung. Seit dem Unfalltod ihres Ehemannes hat sie sich bei Dr. V. im B.-Hospital in Behandlung begeben, wo sie seitdem ärztlich behandelt wird. Letzterer hat ihr ein verfestigtes Krankheitsbild attestiert, mit der Folge, dass sie nicht mehr "therapiefähig" sei.

Die Angeklagte ist bereits erheblich strafrechtlich und auch einschlägig in Erscheinung getreten. Der Bundeszentralregisterauszug vom 11.07.2013 weist insgesamt 16 Eintragungen auf:

  • Am 12.09.1972 erkannte das AG Leer wegen Diebstahls auf eine Geldstrafe von 75 DM oder eine Freiheitsstrafe von 5 Tagen.

  • Am 18.10.1973 verhängte das AG Leer wegen Diebstahls eine Geldstrafe von 300 DM oder eine Freiheitsstrafe von 30 Tagen.

  • Am 29.11.1976 verurteilte das AG Leer sie wegen Diebstahls in 7 Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 10 DM.

  • Am 13.06.1977 erkannte das AG Leer wegen fortgesetzten Betruges auf eine Freiheitsstrafe von 2 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Strafaussetzung wurde später widerrufen und ist seit dem 30.11.1979 erledigt.

  • Am 16.10.1978 erkannte das AG Leer wegen Diebstahls geringwertiger Sachen auf eine Freiheitsstrafe von 2 Monaten, deren Vollstreckung seit dem 29.06.1979 erledigt ist.

  • Am 21.07.1981 verhängte das AG Leer wegen Diebstahls eine Freiheitsstrafe von 2 Monaten, deren Vollstreckung seit dem 23.10.1981 erledigt ist.

  • Am 12.04.1984 verurteilte das AG Papenburg sie wegen fortgesetzten Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr, deren Vollstreckung zunächst zur Bewährung ausgesetzt wurde, Die Strafaussetzung wurde später widerrufen. Durch Beschluss des LG Oldenburg vom 04.01.1988 wurde der Strafrest bis zum 25.01.1991 zur Bewährung ausgesetzt. Die Strafe wurde mit Wirkung vom 15.03.1991 erlassen.

  • Am 07.04.1986 verhängte das AG Leer wegen Diebstahls eine Freiheitsstrafe von 6 Monaten, Der Strafrest wurde bis zum 24.01.1991 zur Bewährung ausgesetzt und ebenfalls mit Wirkung vom 15.03.1991 erlassen.

  • Am 19.02.1990 erkannte das AG Leer wegen Diebstahls auf eine Freiheitsstrafe von 6 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Strafe wurde mit Wirkung vom 08.03.1994 erlassen.

  • Am 01.07.1991 verhängte das AG Leer wegen Diebstahls und Diebstahl einer geringwertigen Sache eine Freiheitsstrafe von 7 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Strafe wurde mit Wirkung vom 04.12.1995 erlassen.

  • Am 12.09.1995 verurteilte sie das AG Leer wegen Diebstahls zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 30 DM.

  • Am 10.07.1997 erkannte das AG Leer wegen Diebstahls geringwertiger Sachen auf eine Freiheitsstrafe von 6 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Nachdem die Bewährungszeit zunächst um 1 Jahr verlängert wurde, konnte die Strafe mit Wirkung vom 04.02.2003 erlassen werden.

  • Am 22.09.1999 verhängte das AG Leer wegen Diebstahls in 2 Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Strafe wurde mit Wirkung vom 04.02.2003 erlassen

Am 02.06.2004 erkannte das AG Leer wegen Diebstahls auf eine Freiheitsstrafe von 16 Monaten, deren Vollstreckung wiederum zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Strafe wurde mit Wirkung vom 19.06.2008 erlassen. In dem Urteil heißt es auszugsweise wie folgt:

"[...] Andererseits war jedoch auch zugunsten der Angeklagten davon auszugehen, dass diese bei Begehung der Tat vermindert schuldfähig war. Denn in einem psychiatrischen Gutachten des H.-Krankenhauses vom 19. November 2002 stellte der Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, Dr. K. L., nachvollziehbar fest, dass bei der Angeklagten ein sog. pathologisches Stehlen (Kleptomanie') vorliege, wodurch die Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, aufgehoben sei. Das Gericht hat demgemäß von der Milderungsmöglichkeit nach § 21 StGB I.V.m. § 49 StGB Gebrauch gemacht. [...]."

Am 14.05.2007 wurde die Angeklagte vom AG Leer wegen Diebstahls geringwertiger Sachen infolge Schuldunfähigkeit freigesprochen. In den Urteilsgründen heißt es wie folgt:

Die Angeklagte war aus rechtlichen Gründen freizusprechen, da aufgrund ihrer psychischen Erkrankung davon auszugehen ist, dass sie bei der Begehung der Tat i.S.d. § 20 StGB nicht schuldfähig war. [...]"

In diesem Verfahren ist der Angeklagten zur Last gelegt worden, in Leer am 16.05.2006 in der Firma "Ihr Platz" einen Nivea Sun Sonnenspray im Wert von 10,49 € entwendet zu haben. Dem Freispruch aus rechtlichen Gründen liegt folgende gutachterliche Beurteilung des forensisch erfahrenen Dr. L. vom 25.01.2007 (BI. 31 [40 ff.] d. Beiakte zu Aktenzeichen 422 Js 11965/06) zugrunde, welches auch im allseitigen Einverständnis im hiesigen Verfahren verlesen und zum Gegenstand der gutachterlichen Ausführungen des hiesigen Sachverständigen Dr. W. gemacht worden ist. Der seinerzeitige Sachverständige kommt bzw. kam dabei zu folgender Beurteilung:

"[ ] Die Angeschuldigte hatte schon seit den achtziger Jahren zahlreiche Diebstähle begangen und war deswegen häufig strafrechtlich in Erscheinung getreten. Es wurden bereits psychiatrische Gutachten zur Frage einer eingeschränkten Schuldfähigkeit im Juni 1986 und im November 2002 erstellt (derselbe Gutachter) und eine gutachterliche Stellungnahme durch den seit vielen Jahren behandelnden Psychiater Dr. K.. In den früheren Gutachten und Stellungnahmen wurde übereinstimmend festgestellt, dass bei Frau E. ein sogenanntes pathologisches Stehlen ("Kleptomanie") vorliegt, wodurch zu den Tatzeitpunkten die Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, aufgehoben war. (In dem psychiatrischen Gutachten vom 19.11.02 wurde eine Aufhebung des Einsichts- und Steuerungsvermögens allerdings nicht mit Vorliegen eines pathologischen Stehlens begründet, sondern mit dem Vorliegen von kognitiven Störungen - Merkfähigkeitsstörungen, Einschränkungen des geistigen Leistungsvermögens durch eine degenerative Erkrankung des Gehirns).

Nach der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen (lCD 10 F 63.2) ist ein pathologisches Stehlen charakterisiert durch häufiges Nachgeben gegenüber Impulsen, Dinge zu stehlen, die nicht zum persönlichen Gebrauch oder der Bereicherung dienen. Derartige Delikte treten als impulsive Handlung auf, ohne Vorsatz und Planung, oft ohne Vorsichtsmaßnahmen. Es wird in der Regel beschrieben ein Gefühl von steigender Spannung vor der Tat und Entspannung/Befriedigung während oder sofort nach der Tat, wobei auch eine psychovegetativ-sexuelle Erregung und Entspannung auftreten kann, oft auch mit vorübergehender Bewusstseinseintrübung. Diese diagnostischen Kriterien für ein pathologisches Stehlen waren bei Frau E. bei den früheren Begutachtungen festzustellen.

Nach den Beschreibungen der Angeschuldigten bei der jetzigen gutachterlichen Untersuchung ist wiederum festzustellen, dass es sich bei dem Delikt am 16.05.06 nicht um einen "normalen" Stehlakt mit Bereicherungsabsicht, sondern um einen Diebstahl, der im Rahmen der bei Frau E. vorliegenden psychischen Störung aufgetreten ist, handelt. Es liegen wieder die Merkmale eines "pathologischen Stehlens" vor: Ein dranghafter impulsiver Akt, mit steigender körperlicher Spannung vor der Tat (von Frau E. als "Kribbeln" beschrieben), Entspannung und Erleichterung sofort nach der Tat, Entwenden eines beliebigen für Frau E. unbrauchbaren Gegenstandes. Besondere Auslöser oder tatbegünstigende Faktoren (z.B. vorhergehende Belastung, Konflikt, Einwirkung von Alkohol oder anderen Rauschmitteln) waren in diesem Fall nicht vorhanden. Nach Angaben der Angeschuldigten tritt der Impuls zum Stehlen für sie unvorhergesehen auf.

Bemerkenswert ist, dass Frau E. - wie sie bei der jetzigen Exploration berichtete - nach der Verhandlung des Amtsgerichts Leer am 04.10.06 ein weiteres Delikt beging - Entwenden eines Bleistiftes und Bleistiftspitzers, was nicht bemerkt wurde; Frau E. hat die entwendeten Gegenstände Tage später wieder zurückgelegt. Auch hierbei waren die psychischen und körperlichen Vorgänge eines pathologischen Stehlens vorhanden. - Dieser Vorgang und die vorhandene Unbeeinflussbarkeit (durch Strafen) ist als ein weiteres Indiz dafür zu werten, dass die Diebstahlsdelikte bei der Angeschuldigten durch psychisch-krankhafte Vorgänge determiniert sind.

Die Fähigkeit zur Unrechtseinsicht und das Steuerungsvermögen sind im allgemeinen bei Frau E. durch die leichten kognitiven Störungen (Gedächtnisstörungen, Einschränkung der geistigen Leistungsfähigkeit) oder durch eine andere psychische Krankheit nicht wesentlich eingeschränkt oder aufgehoben. Bei einem impulsartig auftretenden Drang zum Stehlen und dem dann folgenden "zwanghaften" Vollzug des Stehlakts ist jedoch die Fähigkeit der Angeschuldigten, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, vorübergehend aufgehoben. Dies gilt in derselben Weise für das Delikt am 16.05.06 wie für frühere ähnliche Diebstahlshandlungen, die als psycho-pathologisch eingeschätzt wurden."

Am 12.01.2011 verhängte das AG Leer wegen Diebstahls geringwertiger Sachen eine Freiheitsstrafe von 1 Monat, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Dabei hat das AG folgende Feststellungen getroffen:

[ ]...Am 01.10.2010 begab sich die Angeklagte in den C.-Verbrauchermarkt in der K-Straße in W. Sie beabsichtigte, dort für das Abendbrot Käse zu kaufen. Vor ihren Einkäufen, die sie zunächst zu einer Apotheke führten, hatte sie 20,00 Euro mitgenommen. Als sie sich im Supermarkt befand, bemerkte sie" dass sie aufgrund der vorangegangen Einkäufe in der Apotheke nicht genügend Geld für den Kauf des Käses bei sich hatte. Sie entschloss sich daher, die zwei Stücke Käse im Gesamtwert von 2,11 Euro zu entwenden. Dazu nahm sie den Käse mit in die Haushaltsabteilung, entfernte dort das Preisetikett und steckte den Käse in ihre Tasche. Anschließend verließ sie den Markt. Kurz darauf wurde sie durch eine Ladendetektivin angesprochen und gab die Tat zu.

Der geschädigte Verbrauchermarkt hat noch am 01.10.2010 Strafantrag gestellt.

Nach den getroffenen Feststellungen hat die Angeklagte fremde bewegliche Sachen einem anderen in der Absicht weggenommen, die Sachen sich rechtswidrig zuzueignen. Sie hat sich damit eines Diebstahls gemäß § 242 StGB schuldig gemacht. Anhaltspunkte für eine erheblich verminderte oder ausgeschlossene Schuldfähigkeit lagen nicht vor. Anders als in dem vorangegangen Verfahren, in dem der Tat ein pathologisches Stehlen zugrunde lag oder dieses jedenfalls nicht ausgeschlossen werden konnte, entwendete die Angeklagte in diesem Falle Gegenstände, die sie brauchte und die sie von vornherein erwerben wollte. In diesem Falle beruhte der Diebstahl schlicht auf Geldmangel. [..]"

III.

Der Angeklagten ist in diesem Verfahren zur Last gelegt worden, am 13.05.2012 in Leer eine Hose im Wert von 49,95 € ohne zu bezahlen mitgenommen zu haben, um diese für sich zu behalten.

Insoweit hat die Kammer in der Berufungshauptverhandlung nunmehr folgende Feststellungen getroffen:

Am 13.05.2012 betrat die Angeklagte kurz vor Geschäftsschluss das Geschäft der Firma L. in der M-Straße in Leer. Nach kurzer Zeit überkam sie plötzlich ein Gefühl der Unruhe und Nervosität; ihr wurde auf einmal sehr heiß und "kribbelig", sodass sie aufgrund eines unwiderstehlichen, inneren Dranges eine weiße Leinenhose zu einem Kaufpreis von 49,95 € aus den Auslagen ergriff, ohne zu wissen, ob diese überhaupt ihre Größe hatte. Mit dieser ging sie dann in die Umkleidekabine und verbarg die Hose unter ihrer Jacke. Letzteres gelang ihr indes nur unzureichend, da die Hose noch unter ihrer Jacke hervorschaute als sie beabsichtigte, das Geschäft mitsamt der Hose zu verlassen. Da sie die Sicherungsetiketten aus der Hose nicht entfernt hatte, ertönte beim Passieren des Ausgangsbereiches des Geschäfts die Alarmanlage. Daraufhin wurde die Zeugin K., die als Einzelhandelskauffrau im Geschäft der Firma L. arbeitet, auf das Geschehen aufmerksam. Sie lief hinter der Angeklagten her und stellte diese vor dem Geschäft zur Rede. Die Angeklagte bestritt zunächst, einen Diebstahl begangen zu haben und sagte zu der Zeugin K., dass sie dringend auf die Toilette im "C.-Restaurant gegenüber müsse. Die Zeugin K. folgte der Angeklagten und konnte sie schließlich davon überzeugen, ihr in die Büroräume des Geschäftes zu folgen. Auf dem Rückweg zum Geschäft der Firma L. räumte die Angeklagte gegenüber der Zeugin K. sodann die Wegnahme ein und händigte die Hose aus. Nachdem die Zeugin K. it der Angeklagte in den Büroräumen der Firma L. angekommen war, verständigte diese die Polizei. Darüber war die Angeklagte sehr erschüttert und fing deshalb an zu weinen. Anschließend erschien die Polizei und nahm den Sachverhalt auf. Die Verwaltungsgebühr in Höhe von 100 € hat die Angeklagte an die Firma "Leffers" zwischenzeitlich entrichtet. Die Geschädigte stellte form- und fristgerecht Strafantrag.

IV.

Die getroffenen Feststellungen zum Lebenslauf sowie zur strafrechtlichen Vorgeschichte der Angeklagten beruhen auf ihren glaubhaften Angaben sowie dem verlesenen Bundeszentralregisterauszug bzw. den Urteilen. Die Feststellungen in der Sache beruhen auf dem vollumfänglichen und von Reue getragenen Geständnis der Angeklagten. Sie hat sich wie festgestellt zu den Abläufen im Geschäft der Firma L. geäußert. Insbesondere hat sie detailliert und nachvollziehbar ihre psychische Verfassung beschreiben können. Die Kammer hält ihre Angaben auch für glaubhaft, zumal ihre Angaben mit denen der Zeugin K., deren Aussage gemäß § 325 StPO verlesen worden ist, übereinstimmen bzw. sich ergänzen. Für die Richtigkeit der Angaben zu ihrer Gemütslage sprechen auch die gleichlautenden Ausführungen gegenüber dem Sachverständigen Dr. W., die dieser im Rahmen seiner mündlichen Gutachtenerstattung noch einmal bestätigt hat.

V.

Die Angeklagte war aufgrund des festgestellten Sachverhalts aus rechtlichen Gründen freizusprechen. Die Angeklagte hat sich nämlich nicht des Diebstahls gemäß § 242 Abs. 1 StGB schuldig gemacht, da sie zum maßgeblichen Tatzeitpunkt — eben im Moment der Ansichnahme der Hose und anschließenden Verbergens unter ihrer Jacke — nach Überzeugung der Kammer nicht nur gemäß § 21 StGB vermindert schuldfähig, sondern — anders als von der ersten Instanz festgestellt — schuldunfähig im Sinne des § 20 StGB war.

Im Einklang mit dem forensisch erfahrenen Sachverständigen Dr. W. ist die Kammer zunächst davon überzeugt, dass bei der Angeklagten ein pathologisches Stehlen im Sinne der Kriterien des ICD-10 ("Kleptomanie") vorliegt. Das pathologische Stehlen ist den Persönlichkeitsstörungen zugeordnet und entspricht aus forensischer Sicht der Kategorie einer "schweren seelischen Abartigkeit" im Sinne des § 20 StGB. Dies habe — so der Sachverständige — sicher zur Folge, dass die Steuerungsfähigkeit der Angeklagten — bei hier gegebener Einsichtsfähigkeit — jedenfalls erheblich vermindert im Sinne des § 21 StGB gewesen sei.

Abweichend von seinem schriftlichen Gutachten bzw. Ausführungen im erstinstanzlichen Verfahren hat es der Sachverständige Dr. W. im Rahmen der mündlichen Gutachtenerstattung allerdings darüber hinaus gleichfalls für möglich gehalten, dass bei der Angeklagten zum Zeitpunkt der Tatausführung sogar von einer vollständigen Aufhebung der Steuerungsfähigkeit i.S.d. § 20 StGB auszugehen ist. Diese Beurteilung hat sich ebenfalls die Kammer nach kritischer Würdigung zu eigen gemacht, da angesichts des Grades und Ausmaßes der von Seiten der Angeklagten nachdrücklich in der Hauptverhandlung geschilderten psychopathologischen Symptomatik sowie deren konkreten Auswirkungen auf das Tatverhalten erhebliche Zweifel daran bestehen, ob hier nach Art und Grad des psychischen Ausnahmezustandes nicht doch auch von einer völlig aufgehobenen Impulskontrolle auszugehen ist, zumal der Sachverständige bestätigt hat, dass der der Angeklagten zur Last gelegte Diebstahl in direktem Zusammenhang mit den beschriebenen Symptomen gestanden habe bzw. die Tat auf der Grundlage des für die Angeklagten nicht mehr beherrschbaren Impulses erfolgt sei. Zudem ist die Kammer im Einklang mit dem Sachverständigen Dr. W. davon überzeugt, dass der Umstand, dass die Trauerarbeit der Angeklagten nach dem Tod ihres Ehemannes noch nicht beendet ist und damit die hier in Rede stehende Wegnahme unter einer leicht depressiven Stimmung erfolgt ist, ein weiteres Indiz für die Annahme einer gänzlich aufgehobenen Steuerungsfähigkeit darstellt, so dass die Angeklagte unter Aufhebung der erstinstanzlichen Verurteilung aus rechtlichen Gründen freizusprechen war.

Vl.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO.

Dr. Hunsmann Richter am Landgericht