Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 13.07.2011, Az.: 2 A 371/10

Häftlingshilfe; Häftlingshilfebescheinigung; inoffizieller Mitarbeiter; Rücknahme; Staatssicherheit; Vertrauensschutz; örtliche Zuständigkeit

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
13.07.2011
Aktenzeichen
2 A 371/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 45239
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Über die Rücknahme einer Häftlingshilfebescheinigung entscheidet die im Zeitpunkt der Rücknahmeentscheidung örtlich zuständige Ausstellungsbehörde.

Tatbestand:

Die Klägerin wehrt sich gegen die Rücknahme einer Häftlingshilfebescheinigung durch den Beklagten.

Die 1946 (nichtehelich) in Dortmund geborene Klägerin ist ledig. Nach der Eheschließung ihrer Mutter Ende 1946 kam sie zu ihrer Großmutter nach Lüneburg, wo sie bis Oktober 1955 lebte. Danach musste sie mit der neuen Familie ihrer Mutter (die im Jahre 1954 erneut geheiratet hatte) in die DDR übersiedeln. Im Jahr 1958 kam sie, nachdem ein Freund ihres Stiefvaters sie vergewaltigt hatte, in ein Kinderheim. Ihre Versuche, auf eigene Faust zur Großmutter in den Westen zu gelangen, misslangen. In den Jahren 1963 und 1964 stellte sie erfolglos Ausreiseanträge. Im Frühjahr und Herbst 1964 unternahm sie Selbstmordversuche, was zu einem mehrwöchigen Aufenthalts in einer psychiatrischen Anstalt führte. Im Mai und Juli 1965 verbreitete sie im Stadtgebiet von K. (wo sie damals wohnte) insgesamt 31 teilweise mit Hakenkreuzen versehene Flugblätter mit diskriminierendem Inhalt und beschädigte 2 öffentliche Münzfernsprecher. Sie wollte damit erreichen, bestraft und in die Bundesrepublik abgeschoben zu werden. Das Bezirksgericht Halle verurteilte sie wegen Verbrechens gegen § 19 StEG, §§ 317, 242, 74 StGB zu 3 Jahren Gefängnis. Diese 3 Jahre und 4 weitere Monate wegen eines zuvor begangenen Diebstahls (die Strafe war seinerzeit zur Bewährung ausgesetzt worden) verbüßte sie zunächst in der Untersuchungshaftanstalt Halle, seit Januar 1967 in der Strafvollzugsanstalt Hoheneck in Stollberg/Erzgebirge.

Aus einem Bericht der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR - BStU - vom 16.10.2007 und den beigefügten Unterlagen (120 Blatt) ergibt sich, dass die Klägerin während ihrer Haftzeit im Mai 1967 Kontakt mit dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR (MfS) gesucht hat, weil eine Mitgefangene ihr dazu geraten hatte, um nach der Haftentlassung die Ausreise in die Bundesrepublik zu erreichen. Daraus entwickelte sich eine Zusammenarbeit zwischen der Klägerin und dem MfS. Die Klägerin berichtete im Folgenden mündlich und schriftlich über ihre Mitgefangenen. Am 14.08.1968 unterschrieb sie eine "Schweigeverpflichtung". Nachdem sie auf Anordnung ihres Führungsoffiziers im November 1968 einen Sabotageakt begangen (anstatt Hemden zusammen zu nähen zerschnitt sie zwei Hemden) und dafür verschärften Arrest erhalten hatte, wurde die Klägerin am 06.12.1968 als IMS (Inoffizieller Mitarbeiter für Sicherheit) geworben und erhielt den Decknamen "L. ". Die Schwerpunkte in der Zusammenarbeit lagen in der "Aufklärung" der wegen sogenannter Staatsverbrechen in der Strafvollzugsanstalt Hoheneck einsitzenden Strafgefangenen und nach der Haftentlassung der Klägerin in der Aufrechterhaltung der Verbindung zu den ehemaligen Mithäftlingen. Dabei ging es vor allem um eine Frau M., deren Mutter die Klägerin mehrfach besuchte und die nach ihrer Ausreise in die Bundesrepublik im November 1970 Kontakte zu den hiesigen Sicherheitsbehörden hatte. Seit Juli 1969 wurde die Klägerin als IMV (Inoffizieller Mitarbeiter, der unmittelbar an der Bearbeitung und Entlarvung im Verdacht der Feindtätigkeit stehender Personen mitarbeitete) bezeichnet. Sie fertigte auch in der Folgezeit zahlreiche schriftliche Berichte an, unter anderem im Jahre 1971 (sie war mittlerweile nach N. verzogen) über 2 Arbeitskollegen, die ihr mitgeteilt hatten, sie würden versuchen wollen, die DDR unerlaubt zu verlassen.

In den Unterlagen befinden sich Fragmente eines undatierten Berichtes eines Hauptmann O. (wohl aus dem Jahr 1971), aus dem sich ergibt, dass dem IM "L. " bekannt sei, dass die Berichterstattung über die Strafgefangene (geschwärzt) dazu führte, dass deren Entlassung nach Westdeutschland um mehr als ein Jahr verzögert werden konnte, dass die Tätigkeit der Klägerin bisher jedoch nicht zur Entlarvung von Feinden geführt habe und deshalb Faustpfänder in diesem Sinne nicht vorliegen würden. Aktenkundig ist ferner, dass der Klägerin im Zusammenhang mit Reisen nach Potsdam zu der Mutter der Frau M. insgesamt 670 Mark und ferner im Oktober 1972 "in feierlicher Form" 500 Mark ausgehändigt wurden, weil sie "wertvolle Informationen, die zur Entlarvung und Verurteilung zweier gefährlicher Rechtsbrecher führten" erarbeitet habe.

Die Ausreise der Klägerin in die Bundesrepublik, um die sie sich weiterhin bemühte, gelang zunächst nicht, obwohl sie im November 1972 bei dem Ostberliner Rechtsanwalt Dr. P. - in dessen Büro derartige Fälle bearbeitet wurden - persönlich vorgesprochen hatte. Erst Ende 1975 wurde die Zusammenarbeit zwischen der Klägerin und dem MfS beendet, und der Klägerin wurde erlaubt, umgehend in die Bundesrepublik auszureisen. Sie verpflichtete sich schriftlich, über ihre Tätigkeit für das MfS und die ihr dabei bekannt gewordenen Arbeitsmethoden und Tatsachen jedermann gegenüber strengstes Stillschweigen zu bewahren.

Am 19.12.1975 siedelte die Klägerin mit Zustimmung des Ministeriums des Inneren der DDR in die Bundesrepublik über und nahm ihren Wohnsitz in Q., welches im Gebiet des Beklagten liegt. Am 03.01.1976 stellte sie einen Antrag auf Gewährung von Häftlingshilfe. Der Regierungspräsident in Hildesheim stellte ihr am 02.04.1976 eine Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 des Häftlingshilfegesetzes über einen politischen Gewahrsam in der Zeit vom 27.09.1965 bis zum 26.09.1968 aus. In dieser Bescheinigung wird ausgeführt, dass bei der Klägerin die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 und des § 9 Abs. 1 HHG vorliegen und Ausschließungsgründe nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 HHG nicht gegeben sind. Mit Bewilligungsbescheid vom selben Tage wurde ihr Eingliederungshilfe in Höhe von 1.500 DM bewilligt. Im Jahr 1981 erhielt sie weitere 3.330 DM nach § 9 b Abs. 1 HHG und 3.700 DM nach § 9 b Abs. 3 HHG. Am 04.07.2000 gewährte ihr die Stadt Göttingen nochmals einen Betrag in Höhe von 13.670 DM (Kapitalentschädigung nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz).

Im März 2001 stellte die Klägerin bei dem Landesverwaltungsamt des Landes Sachsen-Anhalt in Dessau-Rosslau einen Antrag auf berufliche Rehabilitierung. Diese Behörde recherchierte bei der BStU und teilte der Stadt Hildesheim (die sie mit dem früheren Regierungspräsidenten in Hildesheim verwechselte) im September 2007 mit, es habe sich ergeben, dass die Klägerin gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen oder in schwerwiegenden Maße ihre Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer missbraucht habe, und bat darum, das Erforderliche im Hinblick auf die Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG zu veranlassen. Die Stadt Hildesheim beschaffte sich daraufhin von der BStU Auszüge aus einem 4-bändigen, über die Klägerin angelegten Vorgang der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Karl-Marx-Stadt deren wesentlicher Inhalt bereits weiter oben beschrieben worden ist, und übersandte die Unterlagen der Stadt Göttingen, welche sie am 05.05.2008 zuständigkeitshalber an das Nds. Ministerium für Inneres und Sport weiterreichte.

Das Ministerium hielt sich für zuständig, versuchte vergeblich, den Originalvorgang aus dem Jahre 1976 zu besorgen und verfügte nach Anhörung der Klägerin mit Bescheid vom 04.03.2009 die Rücknahme der der Klägerin am 02.04.1976 erteilten Bescheinigung gemäß § 10 Abs. 4 HHG. Mit (rechtskräftigem) Urteil vom 25.02.2010 [- 2 A 83/09 -] hob das erkennende Gericht diesen Bescheid mit der Begründung auf, das Ministerium sei für seinen Erlass nicht sachlich zuständig gewesen.

Im Verfahren 2 A 83/09 legte die Klägerin weitere Auszüge aus der BStU-Akte vor, die sie im Jahre 2004 erhalten hatte. Darunter befanden sich der ausführlich begründete Vorschlag zur Werbung einer IMS vom 04.12.1968 und der entsprechende Maßnahmeplan vom 22.11.1968; aus diesen Unterlagen ergibt sich, dass später die Perspektive des Absetzens nach Westdeutschland (unter Ausnutzung ihrer Verbindungen) durch Schleuserorganisationen oder "Organisierten Grenzdurchbruch" bestanden habe. Aus einem Vermerk vom Oktober 1972 ergibt sich ferner, dass damals schon beabsichtigt war, die Klägerin in die Bundesrepublik ausreisen zu lassen, und dass eine konkrete Vorbereitung für den Einsatz in Westdeutschland von der Abteilung VII organisiert wurde. Durch die "veränderte politisch-operative Lage" wurde von diesem Vorhaben jedoch Abstand genommen, wie sich aus dem Aussprache- und Abschlussbericht vom 30.12.1975 ergibt. Schließlich befindet sich bei den von der Klägerin vorgelegten Unterlagen der Vorschlag vom 11.05.1972 "zur Kompromittierung und weiteren Bindung des IMV "L. " an das MfS", in dem von der Verhaftung der zwei Männer berichtet wird, über die die Klägerin Informationen geliefert hatte. Dort wird ausgeführt, der geschilderte Sachverhalt gebe einerseits Hinweise auf die Ehrlichkeit des IM, andererseits könne er als Druckmaterial ihm gegenüber ausgebaut und genutzt werden, um ihn noch mehr an das MfS zu binden.

Am 05.07.2010 übergab das Ministerium daraufhin den Vorgang an den Beklagten, der die Klägerin unter dem 09.09.2010 erneut anhörte und sodann mit Bescheid vom 28.09.2010 wiederum die Rücknahme der Häftlingshilfebescheinigung "nach § 48 Abs. 1 i.V.m. § 48 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG" verfügte. Der Bescheid trägt im Wesentlichen folgende Begründung: Die Klägerin habe (im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 HHG) in der ehemaligen DDR durch ihr Verhalten gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit oder Menschlichkeit verstoßen, indem sie gegenüber ihren Mitgefangenen bzw. ehemaligen Mitgefangenen das gemeinsame Schicksal der Inhaftierung dazu genutzt habe, persönliches Vertrauen dieser Person aufzubauen, Informationen aus deren Privatsphäre zu sammeln und an das MfS weiterzugeben; für ihre Tätigkeit habe sie mehrfach Geldbeträge erhalten; in mindestens 2 Fällen habe ihre Berichterstattung zur Verhaftung der jeweiligen Person geführt; ihre Einlassung, der ihr am 12.10.1972 überreichte "Befehl" sei fingiert gewesen, um sie kompromittierbar und erpressbar zu machen, könne nicht nachvollzogen werden, denn es hätte ihr freigestanden, den vorgefertigten Text nicht zu unterzeichen, den Geldbetrag abzulehnen oder auch die Tätigkeit für das MfS zu beenden; der Hinweis der Klägerin auf rein kriminelle Delikte der Verurteilten werde nach alledem als Schutzbehauptung gewertet; in einem weiteren Fall habe sich die Entlassung der Haftbekannten der Klägerin nach Westdeutschland um ein Jahr verzögert; aufgrund ihrer Tätigkeit als IMV sei es mithin zu konkreten Repressionen und Sanktionen gekommen. Darüber hinaus habe sie langjährig gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit auch in den Fällen verstoßen, in denen sie über weitere Mitgefangene und ehemalige Gefangene berichtet habe, da sich diese bereits aufgrund ihrer Vorbestrafung in einer im Vergleich zum nicht vorbestraften Bürger belasteten Rechtsposition befunden hätten und aufgrund der von der Klägerin an das MfS vermittelten Informationen eine unmittelbare und beachtliche Gefahrenlage geraten seien, gleichsam an das MfS ausgeliefert worden seien; dieses ihr Verhalten sei auch schuldhaft gewesen, denn ihre IM-Tätigkeit sei freiwillig erfolgt.

Die Klägerin habe auch im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 HHG in der ehemaligen DDR dem dort herrschenden politischen System erheblich Vorschub geleistet, indem sie zwischen dem 06.12.1968 und dem 28.11.1975 für das MfS tätig gewesen sei; sie habe ausgehend etwa in der Zeit der Unruhen in der ehemaligen CSSR (Prager Frühling) Informationen über einsitzende und später ehemalige Mitgefangene beschafft und weitergegeben, die im Verdacht der "Feindtätigkeit" gestanden hätten; die Erspähung von Informationen über derartige Personen einschließlich deren Ausreisepläne sei generell geeignet, ein Gewaltregime zu stärken, weil es die Menschen vorsichtig und ängstlich mache und von vornherein eine offene Auflehnung verhindere.

Das Ermessen nach § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG werde dahingehend eingeschränkt, dass dieses nur unter Beachtung der in Abs. 2 - 4 gezogenen Grenzen ausgeübt werden dürfe; im Rahmen der fehlerfreien Ausübung des Ermessens sei zu prüfen, ob das Vertrauen der Klägerin auf den Bestand der Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG schutzwürdig sei; dieses sei nicht der Fall, sofern sie die Rechtswidrigkeit der Bescheinigung gekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt habe; in der Bescheinigung sei auch bescheinigt worden, dass Ausschließungsgründe nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 HHG nicht gegeben seien; diese Ausschließungsgründe seien der Klägerin bekannt gewesen, denn den Antragstellern wurde zur Ausstellung der Bescheinigung folgende Frage gestellt: "Können Sie Personen namhaft machen, die bezeugen können, dass Sie weder im Gewahrsamsgebiet dem dort herrschenden System erheblich Vorschub geleistet noch dass Sie durch Ihr Verhalten gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit oder Menschlichkeit verstoßen haben?"; aus dieser Fragestellung hätte der Klägerin deutlich werden müssen, dass sowohl erhebliches Vorschubleisten des politischen Systems der DDR als auch Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit oder Menschlichkeit entscheidungserhebliche Angaben für die Ausstellung der Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG waren; da das Wort "Ausschließungsgründe" selbst erklärend sei, sei ihr - der Klägerin - bereits zum Zeitpunkt der Erteilung der Bescheinigung bewusst gewesen, dass diese der Grundlage entbehrt habe, nicht hätte ausgestellt werden dürfen und damit rechtswidrig gewesen sei; zumindest sei ihr Nichtwissen grob fahrlässig gewesen, weil sie ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt hätte, erkannten Unklarheiten oder bestehenden Zweifeln an der Richtigkeit der Bescheinigung nicht nachgegangen sei und grob pflichtwidrig keine kritische Prüfung des Bescheides vorgenommen habe; so sei ihr im Hinblick auf ihre intensive Tätigkeit für das MfS zuzumuten gewesen, von sich aus Sozialleistungen zu hinterfragen, die für die Opfer des Systems bestimmt seien, welches sie zuvor nachhaltig unterstützt habe. Nach § 48 Abs. 2 S. 4 VwVfG werde der Verwaltungsakt in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen; nach der Wertung des Gesetzgebers habe derjenige seinen Anspruch auf Entschädigung für erlittenes Unrecht verwirkt, der selbst die Grundsätze der Menschlichkeit und der Rechtsstaatlichkeit missachtet habe; es sei demnach folgerichtig, die Bescheinigung von Anfang an zurückzunehmen, weil nur so erreicht werden könne, dass sie - die Klägerin - nicht Vergünstigungen erhalte, die nach der herrschenden Rechtsprechung nicht für sie bestimmt seien, im übrigen seien keine Gründe erkennbar, von dem Regelfall des § 48 Abs. 2 S. 4 VwVfG abzuweichen.

Gegen den ihr am 01.10.2010 zugestellten Bescheid hat die Klägerin am 15.10.2010 Klage erhoben. Zu deren Begründung trägt sie im wesentlichen vor: die Jahresfrist "gemäß § 45 SGB X Abs. 4 S. 2" sei überschritten worden; der Beklagte sei für die getroffene Entscheidung nicht örtlich zuständig, weil er nicht Rechtsnachfolger des Regierungspräsidenten in Hildesheim geworden sei; zuständig sei vielmehr die Stadt Göttingen, die der Klägerin in der Vergangenheit auch Leistungen gewährt habe.

Die Klägerin habe nicht gegen Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit verstoßen; sie habe nicht freiwillig und gezielt Informationen gesammelt, vielmehr unter dem Druck, anders nicht aus der Haft entlassen zu werden bzw. wegen weiterer Straftaten (Sabotagevorwurf) eine längere Haftstrafe zu bekommen und nicht in die Bundesrepublik ausreisen zu dürfen, Informationen an das MfS weitergegeben; der Aufenthalt in der Stasi-Untersuchungshaft in Halle sei menschenunwürdig gewesen; das gelte auch für die anschließende Unterbringung in Stollberg; nachdem ihre gesamtes Streben sich seit ihrer Kindheit darauf gerichtet habe, die DDR zu verlassen und zu ihrer Großmutter nach Westdeutschland zu kommen, habe sie im Mai 1967 auf Anraten einer Mitinhaftierten (Frau M.) das MfS aufgesucht, um ihre Ausreise zu beschleunigen; offenbar sei die Klägerin für das MfS sehr interessant gewesen, so dass darauf hingearbeitet worden sei, sie an das MfS zu binden, sei es mit Erpressung, Kontrolle oder Andeutungen, dass man doch etwas für ihre Ausreise tun könne; das eigentliche "Werbungsgespräch" sei als kurze Unterbrechung der Isolationshaft geschehen, in einer Situation, in der die Klägerin nahezu gebrochen gewesen sei; dabei sei ihr die Schweigepflichterklärung diktiert worden; sie habe im Prinzip nur Informationen geliefert, die dem MfS ohnehin bekannt gewesen seien (durch Berichte anderer inoffizieller Mitarbeiter, die auch auf sie - die Klägerin - angesetzt gewesen seien); die Befürchtung, wieder für Jahre den furchtbaren Haftumständen oder einem Aufenthalt in der Psychiatrie ausgesetzt zu sein, habe die Klägerin gezwungen, eine Mitarbeit vorzutäuschen in der Hoffnung, ein halbwegs menschenwürdiges Leben zu führen und vielleicht sogar ausreisen zu können, wenn sie so tue, als besorge sie wichtige Informationen; da ihr klar gewesen sei, dass sie weiterhin der Überprüfung durch das MfS unterlag, habe sie sich nicht getraut, erhaltene Informationen nicht weiter zu geben; einmal habe sie einen Arbeitskollegen vor dem MfS gewarnt, weil ihr in einem Treffen mit dem MfS aufgefallen war, dass man diesen wohl beobachte.

Die Klägerin habe in der Tat ausgelegte Fahrtkosten ersetzt erhalten, jedoch niemals ein Geldgeschenk für ihre Tätigkeit; der entsprechende in den Akten befindliche Befehl sei fingiert; sollten die in diesem Befehl genannten Personen tatsächlich verurteilt worden sein, so sei dabei zu beachten, dass es sich bei den vorgeworfenen Straftaten um auch in der Bundesrepublik geahndete Straftaten handele, die mit der speziellen Situation in der DDR nichts zu tun hatten; es sei ihr damals verdächtig vorgekommen, dass nach vier Wochen Betriebszugehörigkeit, während der sie keinem von ihrer Haft erzählt habe, plötzlich zwei fremde Männer ihr anvertraut hätten, dass sie flüchten wollten; es sei ihr klar gewesen, dass es sich hierbei um Überprüfungsaktionen des MfS gehandelt habe, weshalb sie die entsprechenden Informationen natürlich weitergegeben habe. Verifiziert sei auch nicht, dass sich die Ausreise von Marlene M. infolge der Aktivität der Klägerin verzögert habe; bis heute leide sie an Angstzuständen, wenn sie sich an die Haftzeit erinnere; Versuche, Hoheneck zu besichtigen, wären 1995 und 2005 fehlgeschlagen; sie habe umkehren müssen, sobald sie die Haftanstalt aus der Ferne gesehen habe.

Nach ihrer Erinnerung habe sie auf die ihr im Zuge der Antragstellung für die Häftlingshilfebescheinigung gestellten Frage, ob sie Personen angeben könne, die bestätigen könnten, dass sie weder im Gewahrsamsgebiet dem dort vorherrschenden politischen System Vorschub geleistet noch dass sie durch ihr Verhalten gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit oder Menschlichkeit verstoßen habe, Frau M. und eine Bekannte namentlich bezeichnet, die sie in der Untersuchungshaft kennengelernt habe; sie habe mit den in dem Formular erwähnten Begrifflichkeiten seinerzeit nicht viel anfangen können und sei jedenfalls der Meinung gewesen, dass sie nicht gegen die genannten Grundsätze verstoßen habe.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 28.09.2010 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er bezieht sich auf die Begründung des angefochtenen Bescheides und führt ergänzend aus, er sei nicht vom Innenministerium angewiesen worden, den von dem erkennenden Gericht aus formalen Gründen aufgehobenen Bescheid erneut zu erlassen, sondern habe nach erneuter Anhörung der Klägerin und der Anfertigung eines umfangreichen Rechtsgutachtens durch eine Referendarin eine eigenständige (auch Ermessens-) Entscheidung getroffen. .

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze und auf den Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen. Die Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).

Nach § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG (i.V.m. § 1 des Nds. Verwaltungsverfahrensgesetzes) kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder die Vergangenheit zurückgenommen werden. Nach Abs. 1 S. 2 darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt (begünstigender Verwaltungsakt) nur unter den Einschränkungen der Abs. 2 - 4 zurückgenommen werden. Nach § 48 Abs. 2 VwVfG darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist (um einen solchen Verwaltungsakt handelt es sich bei der Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG) nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, wenn er

1. den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Bedrohung oder Bestechung erwirkt hat;

2. den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren;

3. die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.

In diesen Fällen wird der Verwaltungsakt in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. § 48 Abs. 4 VwVfG bestimmt ergänzend, dass die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme von Tatsachen, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, durch die Behörde zulässig ist; das gilt nicht im Falle des Abs. 2 S. 3 Nr. 1.

Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig, weil der Beklagte für seinen Erlass örtlich nicht zuständig war.

Nach § 10 Abs. 7 des Häftlingshilfegesetzes in der Fassung vom 06.07.2009 (BGBl I Seite 1694) - HHG - ist die Entscheidung über die Ausstellung einer Bescheinigung nach Abs. 4 für alle Behörden und Stellen verbindlich, die für die Gewährung von Rechten und Vergünstigungen nach diesem oder einem anderen Gesetz zuständig sind. Hält eine Behörde oder Stelle die Entscheidung über die Ausstellung der Bescheinigung nicht für gerechtfertigt, so kann sie nur ihre Änderung oder Aufhebung durch die für die Bescheinigung zuständige Stelle beantragen. Die Ausstellungsbehörde entscheidet auch über Rücknahme und Widerruf und über die Ausstellung einer Zweitschrift einer Bescheinigung. Da der Regierungspräsident in Hildesheim, der der Klägerin am 02.04.1976 die - jetzt zurückgenommene - Häftlingshilfebescheinigung erteilt hat, durch Art. II § 1 Abs. 1 des 8. Gesetzes zur Verwaltungs- und Gebietsreform vom 28.06.1977 (NdsGVGl Seite 233) mit Wirkung vom 01.02.1978 aufgelöst wurde und seine Aufgaben nach Art. 2 § 5 Abs. 1 S. 1 dieses Gesetzes auf die Bezirksregierungen übergingen, welche wiederum durch Art. 1 § 1 des Gesetzes zur Modernisierung der Verwaltung in Niedersachsen vom 05.11.2004 (NdsGVGl Seite 394) mit Wirkung vom 01.01.2005 aufgelöst wurden, gibt es in Niedersachsen keine Mittelbehörde mehr, die für die Ausstellung der Häftlingshilfebescheinigung zuständig wäre. Das erkennende Gericht hat mit Urteil vom 25.02.2010 (2 A 83/09) entschieden, dass für die entsprechenden Aufgaben seit dem 01.01.2005 in Niedersachsen die Landkreise, kreisfreien Städte und großen selbständigen Städte zuständig sind. Dabei wurde übersehen, dass die Aufgaben der Ausstellungsbehörde bereits zum 01.02.1979 auf die Landkreise und kreisfreien Städte übergegangen sind (§ 1 der Verordnung zur Übertragung von Zuständigkeiten nach §§ 9a, 9b, 9c und 10 Abs. 4 des Häftlingshilfegesetzes vom 29.01.1979 - Nds. GVBl. S. 7 -). Das ändert jedoch nichts an der Erkenntnis, dass für die von der Klägerin angefochtene Entscheidung ein Landkreis oder eine kreisfreie Stadt sachlich zuständig ist.

Für die örtliche Zuständigkeit gilt Folgendes: Nach § 48 Abs. 5 VwVfG entscheidet über die Rücknahme nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die nach § 3 zuständige Behörde. Dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist. § 3 VwVfG enthält (ausschließlich) Bestimmungen über die örtliche Zuständigkeit. Nach dessen Abs. 1 Nr. 3 a ist örtlich zuständig in Angelegenheiten, die sich nicht auf unbewegliches Vermögen oder ein ortsgebundenes Recht oder Rechtsverhältnis sowie auf den Betrieb eines Unternehmens oder einer seiner Betriebsstätten, auf die Ausübung eines Berufs oder auf eine andere dauernde Tätigkeit beziehen, die Behörde, in deren Bezirk die von der Angelegenheit betroffene natürliche Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat oder zuletzt hatte. Das Gesetz knüpft damit (zunächst) an den gewöhnlichen Aufenthalt der betroffenen Person im Zeitpunkt der Entscheidung der Behörde an. Die Klägerin wohnt seit etlichen Jahren in Göttingen; mithin ist nach den vorgenannten Bestimmungen die Stadt Göttingen (und nicht der Landkreis E., in dessen Bezirk die Klägerin im Jahre 1976 wohnte) die jetzt örtlich zuständige Ausstellungsbehörde.

Diese allgemeinen Regelungen werden nicht durch § 10 Abs. 7 HHG in der Weise überlagert, dass in jedem Fall die Behörde, die seinerzeit die Häftlingshilfebescheinigung ausgestellt hat, auch für deren Rücknahme - örtlich - zuständig sein soll. Abgesehen davon, dass - wie oben ausgeführt - die Behörde, die im Falle der Klägerin damals entschieden hat, nicht mehr existent ist, mithin auf den Funktionsnachfolger zurückgegriffen werden müsste, verhält sich § 10 Abs. 7 HHG nicht zur örtlichen Zuständigkeit. In dessen Satz 2 wird die "Ausstellungsbehörde" beschrieben als "die für die Ausstellung der Bescheinigung zuständige Stelle". Damit soll sichergestellt werden, dass eine Fachbehörde (auch) über die Rücknahme einer früher erteilten Häftlingshilfebescheinigung entscheidet und nicht eine Behörde, die Rechte und Vergünstigungen nach anderen Vorschriften zu gewähren hat. Da der Gesetzgeber keine Vergangenheitsform gewählt hat, ist damit jede (örtlich) zuständige Häftlingshilfebehörde gemeint. Hätte der Gesetzgeber des HHG, der die maßgebliche Bestimmung mehrfach geändert hat, eine von § 48 Abs. 5 VwVfG abweichende Regelung treffen wollen, so hätte er dieses deutlich zum Ausdruck bringen müssen. Im Übrigen gäbe es keinen Grund für eine derartige Bestimmung. Wie in Bezug auf alle anderen Sachgebiete verfügt jede Häftlingshilfebehörde über das nötige Fachwissen, das für eine Rücknahmeentscheidung erforderlich ist; Altakten können - jedenfalls im Regelfall - unproblematisch übersandt werden. Die (ausweislich des Verwaltungsvorgangs) im Innenministerium diskutierte Frage, wer eine in Niedersachsen erteilte Häftlingshilfebescheinigung zurücknehmen können soll, wenn die betreffende Person ins Ausland verzogen ist, beantwortet sich ohne weiteres dadurch, dass § 3 Abs. 1 Nr. 3 a VwVfG (auch für diesen Fall) auf den gewöhnlichen Aufenthalt abstellt, den die betreffende Person zuletzt (im Bundesgebiet) hatte (vgl. dazu Bonk/Schmitz in Stellkens und andere, VwVfG, 7. Auflage, § 3, RN 25). Aus dem zu § 15 Abs. 5 BVFG (auf den in § 10 HHG früher verwiesen wurde) ergangenen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.09.1975 - IIX C 78.74 - (BVerwGE Band 49, 197) kann nichts Gegenteiliges hergeleitet werden. In diesem Urteil ging das BVerwG wie selbstverständlich davon aus, dass mit "Ausstellungsbehörde" (für den Vertriebenenausweis) die Behörde gemeint ist, die den Ausweis seinerzeit tatsächlich ausgestellt hat. In jenem Verfahren ging es aber nicht darum, dass die seinerzeitige Ausstellungsbehörde weggefallen oder der anerkannte Vertriebene aus ihrem Zuständigkeitsbereich verzogen war, sondern ausschließlich darum, ob im Verfahren gegen die Einziehung des Ausweises gerügt werden kann, dass die seinerzeitige Ausstellungsbehörde nicht örtlich zuständig war. Diese Frage hat das Gericht verneint. Einen Bezug zum § 48 Abs. 5 VwVfG hat es nicht hergestellt, weil es dafür keinen Anlass gab.

Aus § 46 VwVfG ergibt sich nichts Anderes. Danach kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 nichtig ist (für eine Nichtigkeit des angefochtenen Bescheides gibt es keinerlei Anhaltspunkte), nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Da hier eine Ermessensentscheidung getroffen wurde, wie der Vertreter des Beklagten in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich versichert hat, und das Ermessen auch nach Auffassung des Beklagten nicht auf Null geschrumpft war, erscheint es nicht ausgeschlossen, dass die an sich zuständige Stadt Göttingen anders entschieden hätte (vgl. dazu Sachs in Stellkens und anderen, a.a.O., § 46, RN 60 f. m.w.N. aus der Rechtsprechung).

Der angefochtene Bescheid ist auch materiell rechtswidrig, weil die gesetzlichen Voraussetzungen für die Rücknahme der Häftlingshilfebescheinigung mit Wirkung für die Vergangenheit nicht vollständig vorliegen.

Allerdings war der Bescheid des Regierungspräsidenten in Hildesheim vom 02.04.1976 rechtswidrig. Als "Sowjetzonenflüchtling" im Sinne von § 3 BVFG standen der Klägerin, die vor ihrer Übersiedlung in das Bundesgebiet in der DDR eine dreijährige Gefängnisstrafe wegen Vergehens gegen § 19 des Strafrechtsänderungsgesetzes vom 11.12.1957 (staatsgefährdende Propaganda und Hetze), § 317 StGB (Sabotage an Fernmeldeanlagen) und § 242 StGB (Diebstahls) verbüßt hatte, grundsätzlich Leistungen nach § 1 des Gesetzes über Hilfsmaßnahmen für Personen, die aus politischen Gründen außerhalb der Bundesrepublik Deutschland in Gewahrsam genommen wurden, vom 29.09.1969 (BGBl I Seite 1793) - HHG - zu. Nach § 10 Abs. 4 HHG in der damaligen Fassung war der Nachweis darüber, dass die Voraussetzungen entweder des § 1 Abs. 1 oder des § 1 Abs. 1 und des § 9 Abs. 1 vorliegen und dass Ausschließungsgründe nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 weder gegeben noch gemäß § 2 Abs. 4 wirksam sind, durch eine Bescheinigung zu erbringen. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 HHG wurden Leistungen nach diesem Gesetz nicht gewährt an Personen, die in den Gewahrsamgebieten (zu denen die ehemalige DDR gehörte) dem dort herrschenden politischen System erheblich Vorschub geleistet haben. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes waren Personen ausgeschlossen, die während der Herrschaft des Nationalsozialismus oder in den Gewahrsamgebieten durch ihr Verhalten gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit oder Menschlichkeit verstoßen haben; dies galt insbesondere für Personen, die durch ein deutsches Gericht im Geltungsbereich dieses Gesetzes wegen eines an Mithäftlingen begangenen Verbrechens oder Vergehens rechtskräftig verurteilt worden sind. Der Regierungspräsident in Hildesheim hat der Klägerin unter dem 02.04.1976 auch bescheinigt, dass Ausschließungsgründe nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 HHG nicht gegeben sind. Diese Entscheidung war und ist rechtswidrig, soweit sie sich auf Ausschließungsgründe nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 HHG bezieht, denn ein solcher Grund lag im Gegenteil vor. Auf den Ausschließungsgrund nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 HHG, auf den der angefochtene Bescheid ebenfalls gestützt ist, kommt es deshalb nicht an.

Das Bundesverwaltungsgericht - dessen Auffassung sich die Kammer anschließt - hat in seinem Urteil vom 19.01.2006 (3 C 11.05 - Juris) rechtsgründsätzlich zur Anwendung von § 2 Abs. 1 Nr. 2 HHG folgendes ausgeführt:

"Der Beklagte ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger bei seiner - für den Senat bindend festgestellten - Tätigkeit als inoffizieller Mitarbeiter die Grundsätze der Menschlichkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 (gemeint ist offenbar: Nr. 2) HHG … verletzt hat. Zwar erfüllt eine solche Tätigkeit nicht ohne weiteres die genannte Voraussetzung. Notwendig sind vielmehr erhebliche gegen die Gemeinschaftsordnung verstoßende Handlungen. Dies ist der Fall, wenn jemand feiwillig und gezielt, insbesondere auch durch Eindringen in die Privatsphäre anderer, unter Missbrauch persönlichen Vertrauens Informationen über Mitbürger gesammelt und an den auch in der DDR für seine repressive und menschenverachtende Tätigkeit bekannten Staatssicherheitsdienst weitergegeben hat. Es genügt, dass sich der Einzelne als Denunziant oder Spitzel freiwillig betätigte, um hieraus eigene Vorteile zu erlangen (Zitat). Dementsprechend hat der Senat entschieden, dass eine Spitzeltätigkeit für die Stasi unter Inkaufnahme einer Drittschädigung im Regelfall einen Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit begründet (Urteil vom 08.03.2002 - 3 C 23.01 - BVerwGE 116, 100).

Der Kläger meint, eine Verletzung der Grundsätze der Menschlichkeit falle ihm schon deshalb nicht zur Last, weil jeder Nachweis für eine konkrete Schädigung Dritter durch seine Spitzeltätigkeit fehle; es sei nicht festgestellt, dass irgendjemand aufgrund seiner Berichte verhaftet worden sei oder sonstige erhebliche Nachteile erlitten habe. Dazu beruft er sich auf die entsprechende Rechtsprechung des Kammergerichts zu § 16 Abs. 2 StrRehaG (Zitat). Diese Auffassung geht fehl. Die Annahme einer Verletzung der Grundsätze der Menschlichkeit setzt nicht den Nachweis voraus, dass die IM-Berichte konkrete Repressionen und Sanktionen gegenüber Dritten etwa durch Schäden an Leib und Leben zur Folge hatten. Es reicht der Nachweis, dass die gelieferten Informationen geeignet waren, den Denunzierten ernsthaft in Gefahr zu bringen. Das folgt aus Sinn und Zweck des Ausschlussgrundes. Dieser muss die Funktionsweise des Staatssicherheitsdienstes der DDR in Rechnung stellen. Das MfS war ein zentraler Bestandteil des totalitären Machtapparates der DDR und fungierte als Instrument der politischen Kontrolle und Unterdrückung der Bevölkerung. Es diente insbesondere dazu, politisch Andersdenkende und Ausreisewillige zu überwachen, abzuschrecken und auszuschalten (vgl. Urteil vom 03.12.1998 - 2 C 26.97 - BVerwGE 108, 64). Durch Berichte eines inoffiziellen Mitarbeiters wurde der Staatssicherheitsdienst in die Lage versetzt, sogar belanglose und unverfängliche Informationen zu nutzen, diese mit eigenen Erkenntnissen zu verknüpfen und mit anderen ihm bekannt gewordenen Sachverhalten zu bewerten (vgl. OLG Jena, Beschluss vom 05.03.2002 - 1 WS-Reha 37.01 - NJW 2002, 324). Ein inoffizieller Mitarbeiter hatte keinen Einfluss darauf, ob und in welcher Weise die dem Ministerium zugetragenen Informationen verwertet wurden; insbesondere konnte er nicht wissen, mit welchen weiteren Informationen anderer Mitarbeiter des Ministeriums seine Mitteilungen später zusammengeführt werden konnten (vgl. Landgericht Berlin, Beschluss vom 07.09.2000 - 551 RH 375.98 UBG -; Beschluss vom 10.02.1997 - 515 RH 344.96 UBG -). Dementsprechend lässt sich bei einer eingetretenen Schädigung die Frage der Kausalität häufig nicht zuverlässig beantworten. Andererseits ist den Berichtsunterlagen des inoffiziellen Mitarbeiters regelmäßig kein Hinweis zu entnehmen, welche Folgen die Denunziationen für die Bespitzelten gehabt haben. Die Forderung eines entsprechenden Nachweises würde daher die Ausschlussregelung weitgehend leerlaufen lassen. Angesichts der Strukturen der Staatssicherheit und des übrigen Machtapparates der DDR ist daher der zur Verletzung der Grundsätze der Menschlichkeit gehörende Verletzungserfolg schon dann zu bejahen, wenn die Berichte des inoffiziellen Mitarbeiters geeignet waren, für die Bespitzelten eine beachtliche Gefahrenlage zu schaffen …

In subjektiver Hinsicht setzt ein Verstoß gegen den Grundsatz der Menschlichkeit ein zurechenbares, vorwerfbares Verhalten voraus. Deshalb ist allein in einer schriftlichen Verpflichtung zum Spitzeldienst "unter dem Druck der Haft" kein Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit zu sehen (vgl. Urteil vom 22. Oktober 1987 - 3 C 12.87 - Buchholz 427.6 § 3 BFG Nr. 25). Von einem die Freiwilligkeit ausschließenden Druck kann aber nur dann ausgegangen werden, wenn er für den Betroffenen unerträglich war, d.h., wenn von ihm auch unter Berücksichtigung des durch die Spitzeltätigkeit mutmaßlich angerichteten Schadens nicht erwartet oder verlangt werden konnte, sich der angetragenen Mitarbeit zu widersetzen oder zu entziehen …"

Bei der Klägerin lag der genannte Ausschließungsgrund vor (vgl. für vergleichbare Fälle auch OVG Berlin, Urteil vom 01.12.2004 - 6 B 1.04 -, VG Berlin, Urteil vom 03.09.2008 - 9 A 2.08 -, Urteil des VG Hannover vom 25.03.2009 - 5 A 4768/05 -, VG Neustadt Weinstraße, Urteil vom 10.09.2010 - 2 L 156/10 -; alle zitiert nach Juris). Sie behauptet zwar, sie habe nie freiwillig für das MfS gearbeitet; aus dem von der BStU übersandten Aktenauszug ergibt sich jedoch ein anderes Bild. Danach hat sie im Mai 1967 (als Strafgefangene im Zuchthaus Hoheneck) von sich aus den Kontakt mit einem Mitarbeiter des MfS aufgenommen, wohl um günstigere Voraussetzungen für eine spätere Ausreise in die Bundesrepublik zu schaffen. Quasi probehalber hat sie in der Folgezeit mehrfach über Mitgefangene berichtet, um ihre Zuverlässigkeit unter Beweis zu stellen. Da ihre Berichte der Wahrheit entsprachen (was von anderen inoffiziellen Mitarbeitern in der Strafvollzugsanstalt bestätigt wurde) - die Klägerin also aus der Sicht des MfS zuverlässig war -, wurde sie ab November 1968 als IM-Kandidatin geführt und unterschrieb am 06.12.1968 die Verpflichtung, "das Ministerium für Staatssicherheit bei der Durchführung und Lösung seiner komplizierten Aufgaben im Kampf gegen die Feinde der DDR zu unterstützen"; sie wählte den Decknahmen "L. ". Vorausgegangen war ihre Bereitschaft, Nachthemden, die sie eigentlich zusammenzunähen hatte, zu zerschneiden (also Sabotage zu begehen), um dadurch einerseits ihre Zuverlässigkeit gegenüber dem MfS zu beweisen und andererseits den Mitgefangenen vorzugaukeln, sie (die als "Politische" bekannt war) sei immer noch voller Hass gegen das Regime in der DDR. Im Anschluss an diese Tat erhielt sie - was ihr vom MfS vorher mitgeteilt worden war - verschärften Arrest und musste die gesamte Gefängnisstrafe absitzen.

Aus den genannten Umständen ergibt sich zunächst, dass die Klägerin freiwillig inoffizielle Mitarbeiterin des MfS geworden ist. Sie hat den Kontakt zu dieser Dienststelle aufgenommen und ihn niemals aus eigenem Antrieb beendet. Aus den in den BStU-Akten enthaltenen Aufzeichnungen von MfS-Offizieren ist zu entnehmen, dass das MfS zunächst nichts in der Hand hatte, um die Klägerin zur Mitarbeit zu nötigen, und das solches offenbar auch nicht beabsichtigt war. Diese Mitarbeit begann nach Auffassung der Kammer nicht erst mit der Verpflichtung der Klägerin im Dezember 1968, sondern bereits im Mai 1967. Da die von ihr verfassten Bericht der Wahrheit entsprachen - was vom MfS überprüft wurde -, kann keine Rede davon sein, sie habe ihre Mitarbeit nur vorgetäuscht. Wenn ihr gegenüber später angedeutet wurde, man könne sie wegen Sabotage strafrechtlich verfolgen, so beruhte das darauf, dass sie bereits Berichte über Mitgefangene verfasst hatte, dadurch kompromittiert und mithin erpressbar war. Infolge des von ihr im November 1968 tatsächlich begangenen Sabotageaktes und der anschließenden Verpflichtung begab sie sich vollends in die Abhängigkeit zum MfS. Die Klägerin hat die Zusammenarbeit auch gesucht, um für sich Vorteile zu erlangen, nämlich eine baldige Überstellung in das Bundesgebiet zu ermöglichen.

Ob die von der Klägerin in der Folgezeit verfassten Berichte tatsächlich die in den MfS-Akten beschriebenen Erfolge hatten, steht nicht fest; der Klägerin wurde jedoch mitgeteilt, dass das so war. Es ist deshalb jedenfalls davon auszugehen, dass die von ihr gelieferten Informationen geeignet waren, die Denunzierten (Frau M. und die beiden Männer, über die sie im Jahre 1971 Berichte verfasst hatte) ernsthaft in Gefahr zu bringen. Das ausgeklügelte Bespitzelungssystem des MfS ließ es in keinem Falle zu, dass ein inoffizieller Mitarbeiter überprüfen konnte, welche Folgen die von ihm abgefassten Berichte für die betroffenen Personen hatten. Gelegentlich wurden ihnen - so auch im Falle der Klägerin - "Erfolge" mitgeteilt, um den IM (wie es in dem "Vorschlag" vom 11.05.1972 - BStU 000 195, Blatt 88 der Gerichtsakte 2 A 83/09 - heißt) zu kompromittieren und weiter an das MFS zu binden. Auch in diesem Falle hatte die Klägerin keine Möglichkeit zu überprüfen, ob die beiden Personen, über die sie berichtet hatte, tatsächlich bestraft wurden und ob ihre Berichte dafür ggf. ursächlich waren. Sie hat solche Folgen ihrer Tätigkeit jeweils billigend in Kauf genommen. Deswegen geht auch ihr Einwand, beide seien lediglich - und zwar trotz ihres Berichtes vom 08.03.1971 (BStU 00011, Anlage 2812 zu dem Anschreiben vom 16.10.2007) über die möglicherweise geplante Flucht eines der beiden Männer aus der DDR - wegen begangener Straftaten verurteilt worden, die auch in der Bundesrepublik Straftaten seien, fehl. Schließlich ist unerheblich, dass der Klägerin - wie sie vorträgt - die von ihr unterschriebenen Berichte in die Feder diktiert wurden, denn sie hat sie mit ihrer Unterschrift als eigene anerkannt. Unerheblich ist auch, ob und in welchem Umfang sie für ihre Tätigkeit belohnt wurde.

Die Klägerin weist unter anderen auf die menschenunwürdigen Haftbedingungen in den Gefängnissen der DDR und darauf hin, dass im verschärften Arrest völlige Isolation, Dunkelheit und Kälte geherrscht hätten. Das beides entlastet sie nicht. Im Gegenteil: Sie hat eine verlängerte Haftzeit (der Antrag an die Staatsanwaltschaft, eine vorzeitige Entlassung aus der Haft zu bewirken, wurde nach der Verpflichtung der Klägerin als IM zurückgenommen) und den verschärften Arrest bewusst in Kauf genommen, um noch während und nach dem Gefängnisaufenthalt im Auftrag des MfS Bekannte, die ihr vertrauten, gefahrlos ausspionieren zu können, also - aus Sicht des MfS - ihre Zuverlässigkeit zu beweisen; mit anderen Worten: die Klägerin wollte diese Tätigkeit, die aus bundesdeutscher Sicht rechtsstaatswidrig und menschenunwürdig ist, unter allen Umständen ausüben.

Die Kammer verkennt nicht, dass die Klägerin eine schlimme Kindheit und Jugend hat durchleben müssen und dass sie als 19-jährige aus Verzweiflung Straftaten beging, um - nach Verbüßung der Strafe - zu ihrer von ihr geliebten Großmutter in die Bundesrepublik ausreisen zu können. Sie kann aber nicht erkennen, dass Not und Verzweifelung die Klägerin dazu getrieben haben, mehrere Jahre später Spitzeldienste für das MfS zu leisten. Dagegen spricht, dass sie nach der Haftentlassung nicht auf ihre alsbaldige Ausreise gedrängt, sondern weiterhin mehrere Jahre lang bereitwillig Berichte für das MfS verfasst hat.

Der angefochtene Bescheid ist jedoch rechtswidrig, weil der Klägerin Vertrauensschutz zukommt. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass sie die ihr in der Vergangenheit aufgrund der Häftlingsbescheinigung gewährten Leistungen bestimmungsgemäß verbraucht hat. Da der Verwaltungsvorgang aus dem Jahr 1976 nicht auffindbar ist, steht nicht fest, dass die Klägerin damals die Häftlingshilfebescheinigung durch arglistige Täuschung oder Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren (§ 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 und 2 VwVfG). Der Beklagte behauptet nicht einmal, dass die Klägerin bei der Antragstellung nach einer Tätigkeit für das MfS gefragt worden ist; er bezieht sich lediglich auf eine Frage in dem damals üblicherweise verwandten Fragebogen, die da lautet "Können Sie Personen namhaft machen, die bezeugen können, dass Sie weder im Gewahrsamsgebiet dem dort herrschenden politischen System erheblich Vorschub geleistet, noch dass Sie durch ihr Verhalten gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit oder Menschlichkeit verstoßen haben?". Dass eine Tätigkeit als inoffizieller Mitarbeiter des MfS ein Verhalten war, dass nach Auffassung der bundesdeutschen Behörden regelmäßig gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit oder der Menschlichkeit verstoßen hat, konnte die Klägerin aus dieser Fragestellung nicht entnehmen; im übrigen ging es nur darum, Personen namhaft zu machen, die das Gegenteil bezeugen sollten. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, sie habe nach ihrer Erinnerung damals Frau M. und eine in Q. lebende Bekannte bezeichnet. Ob der Regierungspräsident in Hildesheim diese Personen befragt hat oder was ggf. geschehen wäre, wenn niemand benannt worden wäre, ist nicht bekannt; fest steht nur, dass die Bescheinigung letztlich ausgestellt wurde.

Die Kammer ist schließlich der Auffassung, dass die Klägerin weder die Rechtswidrigkeit der Häftlingshilfebescheinigung kannte noch sich dieser Erkenntnis auf grob fahrlässige Weise verschlossen hat. Der Begriff "grobe Fahrlässigkeit" setzt nach der in § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X im Anschluss an zivilrechtliche Grundsätze formulierten, auch für die allgemeine Verwaltung geltenden Legaldefinition voraus, dass die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt wird. Grobe Fahrlässigkeit kann danach vorliegen, wenn der Adressat einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt, erkannten Unklarheiten oder bestehenden Zweifeln an der Richtigkeit eines Verwaltungsakts nicht nachgeht, aber auch, wenn er grob pflichtwidrig keine kritische Prüfung des Bescheides vorgenommen hat (vgl. Sachs in Stellkens und andere, a.a.O., § 48, RN 161 m.w.N.). Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, sie habe mit den in den ihr in der Bundesrepublik vorgelegten Formularen verwendeten Begriffen nicht viel anfangen können; jedenfalls sei sie der Meinung gewesen, dass sie nicht gegen die genannten Grundsätze verstoßen habe. Die Kammer hält diese Einlassung für glaubhaft, zumal der Klägerin die Rechts- und Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik fremd war und ihr nähere Erläuterungen nicht zuteil wurden. Ihr grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen würde bedeuten, dass man von ihr eine Subsumtion unter ausfüllungsbedürftige unbestimmte Rechtsbegriffe erwartete, die ihr weder geläufig noch näher erklärt worden waren und die von den bundesdeutschen Gerichten erst später erfolgte, nachdem das ganze Ausmaß des Bespitzelungssystems in der DDR bekannt geworden war. Als einfache (ehemalige) DDR-Bürgerin konnte und musste die Klägerin eine derartige geistige Leistung alsbald nach ihrer Ankunft im Bundesgebiet nicht vollbringen.

Die Kammer weist für die zukünftige Bearbeitung durch die zuständige(n) Behörde(n) darauf hin, dass der Klägerin Vertrauensschutz nicht zukommt, soweit es um Leistungen geht, die sie erst beantragt hat und deren Gewährung von dem Besitz der Häftlingshilfebescheinigung abhängt.