Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 07.08.2023, Az.: 1 ORs 98/23

Drohender Widerruf einer Bewährung als Aspekt bei Strafzumessung; Bewusste Inkaufnahme eines drohenden Bewährungswiderrufes bei Intensiv- und Straftätern; Positive Sozialprognose trotz vielfacher einschlägiger Vorstrafen

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
07.08.2023
Aktenzeichen
1 ORs 98/23
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 55563
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Osnabrück - 20.01.2023 - AZ: 7 Ns 116/22
AG Osnabrück - 07.09.2022

Fundstelle

  • NStZ 2024, 474

Amtlicher Leitsatz

Der strafmildernden Berücksichtigung eines drohenden Bewährungswiderrufs in anderer Sache steht es entgegen, wenn von einer bewussten Inkaufnahme dieses Umstandes durch den Täter auszugehen ist, so etwa in der Regel bei Intensiv- oder Serientätern und solchen, denen erst kurz zuvor eine Strafaussetzung gewährt worden ist.

Tenor:

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft Osnabrück wird das Urteil der 7. kleinen Strafkammer des Landgerichts Osnabrück vom 20. Januar 2023 im Strafausspruch mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben

a) betreffend die Einzelstrafe im Fall IV. 1. der Urteilsgründe

b) im Gesamtstrafenausspruch.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Osnabrück zurückverwiesen, die auch über die Kosten der Revision zu entscheiden hat.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Osnabrück hatte den Angeklagten zunächst mit Urteil vom 7. September 2022 wegen Diebstahls in zwei Fällen zu einer - zur Bewährung ausgesetzten - Gesamtfreiheitsstrafe von vier Monaten und zwei Wochen verurteilt. Auf die hiergegen gerichtete - auf den Strafausspruch beschränkte - Berufung der Staatsanwaltschaft Osnabrück hat das Landgericht Osnabrück mit Urteil vom 20. Januar 2023 die angefochtene Entscheidung im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben und dahingehend neu gefasst, dass der Angeklagte wegen Diebstahls mit Waffen und wegen Diebstahls - insofern bedurfte es entgegen der Zuschrift der Generalstaatsanwaltschaft keiner Ergänzung des Schuldspruchs mehr - zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten und zwei Wochen verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie die Aufhebung des angefochtenen Urteils im Strafausspruch - mit Ausnahme der Einzelstrafe im Fall IV. 2. der Urteilsgründe - erstrebt.

II.

1.

Das Rechtsmittel ist im tenorierten Umfang begründet.

Insoweit kann der Strafausspruch des angefochtenen Urteils keinen Bestand haben, da die Strafzumessung rechtsfehlerhaft ist.

Das Landgericht hat sowohl bei der Anwendung des minder schweren Falles des Diebstahls mit Waffen (Fall IV. 1.) als auch bei der Bemessung der Einzelstrafen (Fall IV. 1. und 2.) strafmildernd berücksichtigt, dass aufgrund der vorliegenden Verurteilung ein Bewährungswiderruf in anderer Sache droht. Ausweislich Fall IV. 3. der Urteilsgründe ist dieser Gesichtspunkt ebenfalls in die Bildung der Gesamtstrafe eingeflossen.

Nachteilige Folgen einer Straftat wirken sich für den Täter jedoch nicht schlechthin strafmildernd aus. Wer bei einer Tat bestimmte Nachteile für sich selbst bewusst auf sich genommen hat, verdient in der Regel keine strafmildernde Berücksichtigung solcher Folgen. Dies gilt auch im Fall des drohenden Widerrufs der Strafaussetzung in anderer Sache, zumal der Widerruf gemäß § 56f StGB keine zwingende gesetzliche Folge darstellt und der Tatrichter für eine solche Entscheidung nicht zuständig ist. Schon deswegen ist er nicht verpflichtet, die Wahrscheinlichkeit eines möglichen Widerrufs durch das zuständige Gericht im Rahmen der Strafzumessung zu prognostizieren. Ein (möglicher) Bewährungswiderruf als Folge eines bewussten Bewährungsbruchs durch den Täter ist deshalb regelmäßig nur bei Vorliegen besonderer Voraussetzungen strafmildernd zu berücksichtigen (vgl. BGH, Beschluss vom 07.09.2022 - 1 StR 49/22, NStZ 2023, 28 f.; BGH, Urteil vom 17.02.2021 - 2 StR 294/20, juris Rn. 24). Dies liegt etwa dann auf der Hand, wenn sich der unter Bewährung stehende Täter alkoholbedingt oder aufgrund unmittelbar vorangegangener Provokation spontan zur Tat entschlossen hatte und somit Anhaltspunkte dafür bestehen, dass er sich der über die Bestrafung hinausgehenden weiteren Nachteile zum Tatzeitpunkt nicht bewusst gewesen ist; demgegenüber ist von bewusster Inkaufnahme solcher Nachteile regelmäßig bei Intensiv- und Serientätern auszugehen (vgl. BGH, Urteil vom 17.02.2021 - 2 StR 294/20, juris Rn. 24).

Letzteres ist der Fall. Der vielfach und einschlägig vorbestrafte Angeklagte hat nach nur zwei bzw. vier Monaten seit seiner letzten Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe erneut einschlägige Straftaten begangen, sodass auszuschließen ist, dass er sich des Risikos eines Bewährungswiderrufs bei Tatbegehung am 6. Mai 2022 bzw. 14. Juli 2022 nicht bewusst war (vgl. BGH, Beschluss vom 07.09.2022 - 1 StR 49/22, NStZ 2023, 29 [BGH 10.05.2022 - 4 StR 99/22]).

Da nicht auszuschließen ist, dass das Landgericht unter Berücksichtigung des vorgenannten Gesichtspunkts nicht von einem minder schweren Fall ausgegangen wäre und im Fall IV. 1. und somit auch im Ergebnis auf eine höhere Gesamtstrafe erkannt hätte - die Einzelstrafe im Fall IV. 2. kann auf diesem Rechtsfehler nicht beruhen, da angesichts der Senatsrechtsprechung zu Bagatelldelikten unter keinen Umstände eine höhere Einzelstrafe als ein Monat hätte verhängt werden können -, war das Urteil insoweit im Strafausspruch aufzuheben und die Sache gemäß § 354 Abs. 2 StPO zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Kammer des Landgerichts Osnabrück zurückzuverweisen.

2.

Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass, wenn der Tatrichter trotz der vielfach einschlägigen Vorstrafen erneut zu einer positiven Sozialprognose gelangen sollte, Anlass besteht, die Frage zu erörtern, ob die Verteidigung der Rechtsordnung hier ausnahmsweise die Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe nach § 56 Abs. 3 StGB gebietet (vgl. BGH, Urteil vom 02.09.1986 - 1 StR 358/86, NStZ 1987, 21; Urteil vom 30.10.1990 - 1 StR 500/90, juris Rn. 4; Urteil vom 14.07.1994 - 4 StR 252/94, juris Rn. 8 ff.; Urteil vom 27.09.2012 - 4 StR 255/12, juris Rn. 16).