Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 08.08.2023, Az.: 11 UF 206/22
Verpflichtung im Rahmen der elterlichen Sorge für ihre Kinder den Schulbesuch zu garantieren; Durchsetzung der Schulpflicht
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 08.08.2023
- Aktenzeichen
- 11 UF 206/22
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2023, 53871
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2023:0808.11UF206.22.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Osnabrück - 23.09.2022 - AZ: 71 F 173/22 SO
Rechtsgrundlagen
- § 1666 BGB
- § 1666a BGB
Fundstellen
- FamRZ 2024, 1551
- NZFam 2024, 704
Amtlicher Leitsatz
Die Eltern haben die Pflicht, für den Schulbesuch ihrer Kinder Sorge zu tragen.
Es besteht grundsätzlich eine Schulpflicht.
Die Schulpflicht entfällt nicht, wenn die Eltern es ihren Kindern überlassen, sich selbst zu entdecken und selbst zu entscheiden, ob und welchen Lerninhalten sie sich zuwenden.
In der Familiensache
betreffend die elterliche Sorge für die Kinder
1. AA, geb. am TT.MM.2009,
2. BB, geb. am TT.MM.2005,
3. CC, geb. am TT.MM.2011,
Beteiligte:
1. Kind:
BB, geb. am TT.MM.2005, Ort1,
2. Kind:
AA, geb. am TT.MM.2009, Ort1,
3. Kind:
CC, geb. am TT.MM.2011, Ort1,
4. Ergänzungspfleger (Schulangelegenheiten und Aufenthaltsbestimmungsrecht, soweit zur Ausübung schulischer Angelegenheiten erforderlich):
Landkreis Osnabrück, z.Hd. DD, -Fachdienst Jugend-, Marktring 15, 49191 Belm,
5. Verfahrensbeistand:
EE, Ort2,
6. Kindesmutter:
FF, Ort1,
Beschwerdeführerin,
Verfahrensbevollmächtigter:
(...),
Geschäftszeichen: (...)
7. Kindesvater:
GG, Ort1,
Beschwerdeführer,
Verfahrensbevollmächtigter:
(...),
Geschäftszeichen: (...)
8. Jugendamt:
Landkreis Osnabrück - Der Landrat, Fachdienst Jugend-, Erziehungs- und Beratungshilfen -, Marktring 15, 49191 Belm,
Geschäftszeichen: (...)
hat der 11. Zivilsenat - 3. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Oldenburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht (...), den Richter am Oberlandesgericht (...) und die Richterin am Oberlandesgericht (...)
am 8. August 2023
beschlossen:
Tenor:
- I.
Auf die Beschwerde der Kindeseltern vom 25.10.2022 wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengerichts - Osnabrück vom 23.09.2022 (Aktenzeichen: 71 F 173/22 SO) betreffend das Kind BB, geboren am TT.MM.2005, aufgehoben.
Im Übrigen wird die Beschwerde der Kindeseltern zurückgewiesen.
- II.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden den Kindeseltern auferlegt.
Gründe
I.
Die Beschwerdeführer sind die Eltern von drei schulpflichtigen minderjährigen Kindern. In Bezug auf Letztere wurde das Familiengericht erstmalig unter dem 30.09.2020 wegen Verletzung der Schulpflicht angerufen (Bl. 1f der Beiakte 71 F 138/20). Das Jugendamt des Landkreises Osnabrück führte aus, die Waldorfschule in Ort3 habe am 14.09.2020 eine Schulpflichtverletzungsanzeige gestellt und hierzu mitgeteilt, dass die Kinder seit dem Schulbeginn des Schuljahres 2020/2021 (27.08.2020) die Schule nicht mehr besucht hätten. Die Kindeseltern hätten angegeben, dass die Kinder dem Unterricht aufgrund der Corona-Schutzmaßnahmen fernblieben (Bl. 1f der Beiakte 71 F 138/20).
Die Kindeseltern gaben in der nicht öffentlichen Sitzung vom 18.11.2020 an, sich in der Sache selbst nicht und nur über einen Anwalt äußern zu wollen (Bl. 13 der Beiakte 71 F 138/20).
Der Verfahrensbeistand führte in seinem Bericht vom 13.01.2021 (Bl. 21ff der Beiakte 71 F 138/20) aus, die Kindesmutter habe angegeben, seit ihrem 16. Lebensjahr viele Jahre an einer Angststörung erkrankt gewesen zu sein. Sie habe mehrere Therapien, u.a. eine Maltherapie absolviert, es gehe ihr inzwischen besser. Auch ihre Tochter HH (geb. am TT.MM.2003) habe seit dem Ende der Grundschulzeit mit Angststörungen und Panikattacken zu tun gehabt. Die Coronabedingungen in der Schule einschließlich der dortigen Schutzmaßnahmen hätten die Angstproblematik für HH erneut verstärkt. Die Atmosphäre von Angst und Außergewöhnlichkeit habe sich auf die Geschwister übertragen. Insbesondere das Tragen eines Mundschutzes löse inzwischen bei allen Kindern beängstigende Gefühle aus. Sie sähen für sich als Eltern keine Möglichkeit, bei ihren Kindern einen entsprechenden Druck auszuüben dennoch die Schule zu besuchen, das Hygienekonzept der Schule anzunehmen und umzusetzen.
BB habe angegeben, dass ihn die Coronaregeln in der Schule extrem störten. Er wolle keine Maske tragen und fände es zunehmend anstrengend, einen Mindestabstand zu seinen Mitschülern halten zu müssen. Er habe daraufhin beschlossen, die Schule nicht mehr zu besuchen. Seine Eltern hätten ihm diesbezüglich auch keinen Druck gemacht. Es gäbe im Haushalt keine Geräte für PC-Spiele. Er verfüge über kein eigenes Handy und dürfe gelegentlich das Handy seiner Mutter nutzen.
CC habe angegeben, das Tragen einer Maske zum Schutz vor Corona für sich abzulehnen. Die Frage, ob er Ängste habe, sich zu infizieren und möglicherweise daran zu erkranken, habe er nicht beantworten können. Für den Fall, dass die Pandemie nicht wäre, würde er sofort wieder in die Schule gehen. Er treffe sich manchmal mit einem Freund aus der Nachbarschaft. Darüber hinaus würde er gerne malen.
AA habe angegeben, vor dem Lockdown gerne zur Schule gegangen zu sein. Da ihre Geschwister nicht mehr zur Schule gehen wollten, sei sie auch zuhause geblieben. Ängste vor den Auswirkungen der Pandemie habe auch AA nicht nennen können.
Der Verfahrensbeistand regte an, die Kinder zur therapeutischen Aufarbeitung der Ängste und Panikattacken beim Tragen von Schutzmasken bei einem Kinder- und Jugendpsychiater vorzustellen. Die Kinder sollten umgehend die Schule wieder besuchen.
Der Verfahrensbeistand berichtete weiter unter dem 24.02.2021 (Bl. 68 der Beiakte 71 F 138/20), das Jugendamt habe ihm mitgeteilt, dass allen Kinder seit dem ersten Lockdown Aufgaben für das Homeschooling zur Verfügung gestellt worden seien. Diese Aufgaben seien jedoch nur vereinzelt bearbeitet und überwiegend nicht zurückgesandt worden. Die Kinder hätten nicht am jeweils angebotenen Zoom-Unterricht teilgenommen.
Die Freie Waldorfschule Ort3 teilte den Kindeseltern unter dem 04.05.2021 auf deren Anfrage nach Reduzierung des Schulgeldes mit, dass die Kinder seit langer Zeit nicht mehr zur Schule kämen. Deswegen sähen sich die Lehrer nicht in der Lage, adäquate Zeugnisse zu schreiben, da keinerlei Leistungen beurteilt werden könnten. Da die pädagogische Verantwortung für die Kinder nicht länger getragen werden könne, müssten die Schulverträge für die Kinder gekündigt werden. Die Waldorfschule bat um Benennung der Schule, die die Kinder künftig im neuen Schuljahr besuchen sollten, damit die notwendigen Ummeldungen eingeleitet werden könnten (Bl. 71 der Beiakte 71 F 138/20).
Der Verfahrensbeistand berichtete unter dem 10.07.2021 (Bl. 72f der Beiakte 71 F 138/20), dass den Kindeseltern die Kündigung der Schulverträge für alle Kinder ausgesprochen worden sei. Es seien alle Fachlehrer der Kinder angefragt worden, ob und wann es Kontakte zu den Kindern gegeben habe und ob zugewiesene Aufgaben per Homeoffice bearbeitet und zurückgesandt worden seien. Die Rückmeldungen der Lehrkräfte seien ernüchternd gewesen. Es seien nur vereinzelt Aufgaben bearbeitet und zurück gemailt worden. Telefonische Kontakte zwischen den Lehrkräften und den Schülern bzw. den Eltern lägen zum Teil schon mehrere Monate zurück. Zum Präsenzunterricht sei kein Kind mehr seit dem Lockdown im März 2020 erschienen. Der Verfahrensbeistand führte aus, es lägen trotz der sehr bedenklichen ideologischen Vorgehensweise der Kindeseltern im Hinblick auf fehlende schulische Kontakte und einer angemessenen Teilhabe an Bildung für ihre Kinder keine Hinweise auf eine akute Kindeswohlgefährdung vor.
Unter dem 09.11.2021 berichtete der Verfahrensbeistand (Bl. 77 der Beiakte 71 F 138/20), dass die Kinder den Schulbesuch unter Pandemiebedingungen weiterhin ablehnten. Nach den Angaben der Kinder seien diese in der Lage, ihren Alltag anderweitig zu gestalten, sie würden ihren Hobbies nachgehen und sich mit Freunden treffen. Die Kindesmutter habe ergänzt, dass ihre Kinder nunmehr Zeit hätten, sich selbst zu entdecken, was in ihrer jeweiligen Lebensphase gerade richtig für sie sein könnte.
Die Kindeseltern trugen unter dem 02.12.2021 vor, dass das Kindeswohl an den Orten (Schulen), an denen Kinder sich sicher und beschützt fühlen sollten, mit Füßen getreten werde. Die Gesamtlage hätte sich weder an den Schulen noch gesellschaftlich entspannt (Bl. 79 der Beiakte 71 F 138/20).
Aufgrund der Ladung zu den gerichtlichen Anhörungsterminen am 08. bzw. 15.02.2022 baten die Kindeseltern um Mitteilung alternativer Gesprächsmöglichkeiten für die Kinder. Sie führten aus, nicht gewillt zu sein, das Gerichtsgebäude mit einem tagesaktuellen Test und FFP2-Masken zu betreten. Zudem baten die Kindeseltern darum, ihre Kinder nicht anzuhören, da der psychische Druck, den solch ein Termin verursache, enorm sei (Bl. 87 der Beiakte 71 F 138/20).
Die Kinder erschienen zum Anhörungstermin ausweislich des vorliegenden Sitzungsprotokolls am 08.02.2022 nicht (Bl. 89f der Beiakte 71 F 138/20).
Die Kindeseltern gaben in der Sitzung am 15.02.2022 an, sie gingen davon aus, dass ihre Kinder, wenn es keine Pandemie gäbe, auch wieder zur Schule gehen würden. Der Kindesvater führte aus, dass aus seiner Sicht der Staat in Vorleistung zu treten habe und für eine sichere Umgebung zum Schulunterricht sowie für eine sichere Beförderung der Kinder zu sorgen habe. Die Kindeseltern legten in der Sitzung einen Artikel der Dipl. Psych. und Psychotherapeutin JJ vom 11.02.2022 mit dem Titel "Wie geht es den Kindern in der Pandemie?" vor (Bl. 94ff der Beiakte 71 F 138/20).
Mit Beschluss vom 24.03.2022 gab das Familiengericht in dem unter dem Aktenzeichen 71 F 138/20 SO geführten Verfahren den Kindeseltern auf, ihre Kinder unverzüglich wieder an einer für den allgemeinen Schulbetrieb zugelassenen Schule anzumelden. Den Kindeseltern wurde aufgegeben, dafür Sorge zu tragen, dass die Kinder verlässlich und regelmäßig am Schulbesuch und Unterricht in der jeweils festgesetzten Form teilnehmen.
Im vorliegenden Verfahren berichtete das Jugendamt unter dem 13.07.2022, dass sich die Kindeseltern gegen die Anmeldung ihrer Kinder an einer Schule entschieden hätten (Bl. 2 I).
Der Verfahrensbeistand teilte unter dem 10.08.2022 mit, die Kindeseltern hätten ihm gegenüber angegeben, BB habe seinen Freizeitarrest am 05.08.2022 nicht angetreten. Die Eltern hätten darum gebeten, ihre Kinder nicht erneut mit den Belastungen eines aus ihrer Sicht unnötigen Familiengerichtsverfahrens zu konfrontieren. Mit den Kindern hätte er nicht sprechen können. Aufgrund seiner früheren Eindrücke gehe er davon aus, dass neben dem nicht erfüllten Recht auf Teilhabe an Bildung und sozialem Lernen keine darüberhinausgehenden kindeswohlgefährdenden Verdachtsmomente bestünden (Bl. 13f I). Dem Bericht beigefügt war eine E-Mail der Kindesmutter vom 04.08.2022, mit deren Weiterleitung sich die Kindesmutter ausdrücklich einverstanden erklärte (Bl. 15 I). Die Kindesmutter führte hierin aus, sie hätten das Gespräch mit der zuständigen Oberschule Ort1 gesucht, um über eine dortige Beschulung ihrer Kinder zu sprechen. Sie hätten die Aussagen des Schulleiters erschreckend gefunden. Dieser habe seine Hauptaufgabe darin gesehen, die Schüler zu Leistungsträgern der Gesellschaft zu formen. Der Schulleiter habe persönlich die Maskenpflicht befürwortet, sich aber der Vorgabe von Anfang Mai 2022 gebeugt, wonach keine Pflicht zum Maskentragen mehr bestehe.
Die Kindeseltern erklärten bei ihrer Anhörung am 15.08.2022 (Bl. 16ff I), die Schule KK sei kein guter Platz für ihre Kinder. Sie fänden es subtil, wenn ein Direktor diejenigen Kinder lobe, die eine Maske trügen, obwohl aktuell keine Vorgaben bestünden. Sie könnten sich vorstellen, dass ihre Kinder zu einer freien Schule gingen. Sie könnten sich aber auch vorstellen, dass ihre Kinder selbstbestimmt lernten. Ein Hirnforscher habe festgestellt, dass 98% der Kinder als hochbegabt zur Welt kämen, wenn sie die Schule verließen, seien das nur noch 2%. Ihre Kinder hätten außerschulisch Freunde. Sowohl in der Familie als auch außerhalb sei alles "picobello". Die Kinder wüssten, dass sie ihre Abschlüsse nachholen könnten. 90 % des Schulwissens würde heutzutage nicht gebraucht. Der Schulbesuch sei im Zweifel lediglich eine Eintrittskarte für Weiteres. Die Kindesmutter überreichte ein Schriftstück mit der Überschrift "Schulpflicht im Völkerrecht" (Bl. 19f I).
BB gab bei seiner erstinstanzlichen Anhörung am 14.09.2022 (Bl. 21f I) an, seit März 2020 die Schule nicht mehr zu besuchen. Die Zeit seither sei "ganz gut" gewesen. Er habe sich gelegentlich mit Freunden getroffen. Seit Anfang des Jahres habe er sich mit der Spieleentwicklung beschäftigt. Dafür interessiere er sich und das wolle er später machen. Er würde Mobile Games designen. Dafür gebe es Anleitungen bei YouTube. Er wolle selbständiger Spieleentwickler werden. Dafür könne man ein Studium absolvieren oder es sich - so wie er - autodidaktisch beibringen. Er sehe keinen Grund zur Schule zu gehen. Es gebe seit ein bis zwei Wochen ein Problem mit dem LAN. Wenn das LAN wieder ok sei, wolle er ein Spiel rausbringen. Schule sei für ihn nur so etwas wie eine Zweckgemeinschaft. Man habe ihm angeboten, zur KK Schule zu gehen. Er habe aber mit der Entwicklung von Spielen angefangen. Er habe es sich aussuchen können, zur KK Schule zu gehen, und sich dagegen entschieden. Er betreibe das Programmieren teilweise ähnlich lange, wie einen Schulbesuch. Dann würde er gegen 9.00 Uhr anfangen und mittags aufhören. Manchmal würde er auch noch abends weitermachen.
CC und AA waren zur erstinstanzlichen Anhörung ausweislich des Anhörungsvermerks vom 14.09.2022 nicht erschienen, da sie nach den Angaben der Kindeseltern weinend im Bett lagen und nicht zur Anhörung kommen wollten (Bl. 21 I).
Die Kindesmutter führte in der Sitzung vom 19.09.2022 aus, das Vertrauen in das System verloren zu haben. Der Kindesvater führte aus, niemandem einen Schaden zufügen zu wollen. Er füge seinen Kindern keinen Schaden zu, sondern halte vielmehr Schäden von diesen fern.
Mit Beschluss vom 23.09.2022 entzog das Familiengericht den Kindeseltern für die Kinder BB, AA und CC das Recht zur Regelung schulischer Angelegenheiten sowie das Aufenthaltsbestimmungsrecht, soweit dieses zur Ausübung des Rechts zur Regelung schulischer Angelegenheiten einschließlich des Schulbesuchs erforderlich ist. Es ordnete unter anderem an, dass die Kinder an den Ergänzungspfleger herauszugeben seien, soweit sie zu den einschlägigen Schulzeiten nicht von selbst in der Schule erscheinen oder verbleiben. Es führte im Wesentlichen aus, es liege eine Gefährdung des Kindeswohls vor. Diese liege bereits darin, dass sich die Eltern nicht einmal bemühten, die Kinder im Bildungsbereich sowohl in Bezug auf den Wissensstand als auch im Hinblick auf das Bestehen von Prüfungssituationen vorzubereiten und mit entsprechenden Kompetenzen auszustatten. Die Eltern würden ihren Kindern die Chance auf Wissenserwerb und eine darauf aufbauende berufliche Entwicklung nehmen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird vollumfänglich auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen.
Unter dem 27.09.2022 führten die Kindeseltern schriftlich zur Gefährdungsanalyse von Covid-19-Schnelltests und durch PCR-Tests aus. Sie stützten sich darauf, dass der Mensch frei sei und ein naturgegebenes Recht auf seine freie Entfaltung habe. Mit der Anmeldung beim Standesamt und der Erstellung der Geburtsurkunde erhebe nun auf einmal die Organisation "Staat" Ansprüche auf ein Lebewesen und lege diesem Erfüllungs- und Leistungspflichten auf. Sie würden die Anmeldung ihrer Kinder beim Standesamt anfechten, da sie nicht in Kenntnis dieser Sachlage gewesen seien und diese bei verständiger Würdigung nicht abgegeben hätten (Bl. 36f I).
Gegen den ihnen am 13.10.2022 zugestellten Beschluss (Bl. 52 und 53 I) haben die Kindeseltern mit am 25.10.2022 beim Familiengericht eingegangenen Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom gleichen Tage Beschwerde eingelegt (Bl. 57ff I). Antragsgemäß wurde dem Verfahrensbevollmächtigten der Kindeseltern die Frist zur Begründung der Beschwerde bis einschließlich 13.01.2022 verlängert. Die am 19.12.2022 übersandten Beiakten (71 F 138/20 SO und 71 F 267/22 PF) zur Akteneinsicht für drei Tage reichte der Verfahrensbevollmächtigte der Kindeseltern erst unter dem 24.01.2023 zurück (Bl. 90 I).
Die Kindeseltern führen in ihrer Beschwerdebegründung vom 07.02.2023 (Bl. 101ff) aus, es läge keine Kindeswohlgefährdung vor. Das Familiengericht habe zudem verkannt, dass es nicht Aufgabe des Gerichts sei, für die Einhaltung der Schulpflicht zu sorgen.
Die Kindeseltern beantragen,
den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengerichts - Osnabrück vom 23.09.2022, Aktenzeichen: 71 F 173/22 SO, aufzuheben, von familiengerichtlichen Maßnahmen abzusehen und das Verfahren zu beenden,
hilfsweise die Rechtsbeschwerde zuzulassen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluss (Bl. 26ff I) und die Beschwerdebegründung vom 07.02.2022 nebst Anlagen (Bl. 101ff I) Bezug genommen.
Mit Beschluss des Senats vom 07.03.2023 hat der Senat den Antrag der Kindeseltern vom 07.02.2023, die Vollziehung des angefochtenen Beschlusses einstweiligen auszusetzen, zurückgewiesen. Auf den Beschluss vom 07.03.2023 wird Bezug genommen (Bl. 144ff I).
Der Ergänzungspfleger berichtete unter dem 09.03.2023 (Bl. 167ff I). Er führte aus, die Kinder AA und CC an der Oberschule in Ort1 und BB am Berufsschulzentrum angemeldet zu haben. Es hätten am 08.12.2022 und am 10.02.2023 Hausbesuche bei der Familie stattgefunden. Dabei habe der Kindesvater erklärt, dass die Schulverträge für die Kinder zu Unrecht von der Schule gekündigt worden seien. Seine Kinder seien alle drei nicht willig gewesen, die Schutzmasken aufzusetzen. Die Kindeseltern hätten den Hauptteil des Gespräches dazu genutzt, um sich über das Staatssystem zu beschweren und deutlich zu machen, dass sie nicht bereit seien, behördliche oder gerichtliche Entscheidungen zu akzeptieren. Die Kindesmutter habe angegeben, es sei ihr egal, was eine Richterin entschieden habe. Beide Eltern seien sich sicher, dass dies nicht rechtmäßig sei. Bei dem zweiten Hausbesuch am 10.02.2023 sei das Gespräch mit der Familie deutlich ruhiger verlaufen. Sie habe den Eltern berichtet, dass AA und CC nun an der Oberschule angemeldet seien und sie ihrer Schulpflicht nachkommen sollten. Die Eltern hätten mitgeteilt, dass sich ihre Einstellung nicht verändert habe und beide Kinder selbst nicht in die Schule gehen wollten. AA habe unter anderem berichtet, sich an der Waldorfschule gedemütigt gefühlt zu haben. Sie habe angegeben, in Mathe eher schwach zu sein. Jeden Morgen hätten alle Schülerinnen und Schüler aufstehen müssen. Der Lehrer habe eine Matheaufgabe gestellt und nur wer die richtige Antwort laut, deutlich und schnell gerufen habe, habe sich setzen dürfen. Sie sei eher unter den letzten gewesen und habe dieses als stark belastend empfunden. Sie habe dieses ihren Eltern lange nicht erzählt, weil sie gedacht habe, dieses sei normal. AA habe bei ihren Erzählungen angefangen zu weinen. BB habe angegeben, sich weiterhin mit der Spieleentwicklung zu beschäftigen, auf dem Hof auszuhelfen und sich für Finanzen und Börsengeschehnisse zu interessieren. Er übe mittels Musterdepots und arbeite sich in das Thema ein. CC habe nicht viel berichtet. Er sei viel am Nachmittag unterwegs bei bzw. mit Freunden. Die Kinder lehnten es nach wie vor ab, in die Schule zu gehen. Die Eltern hätte sich bereit erklärt, Arbeitsmaterialien von einer öffentlichen Schule zuhause zu bearbeiten und auch in Form von Lernzielkontrollen Prüfungen abzulegen. Die Kindesmutter habe berichtet, dass sie sehr wohl mit den Kindern Themen, wie z. B. die deutsche Grammatik, bearbeite.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Bericht vom 09.03.2023 Bezug genommen (Bl. 167ff I).
Der Ergänzungspfleger berichtete unter dem 19.04.2023 (Bl. 50ff II) weiter, dass BB seiner Schulpflicht durch ein Praktikum nachkomme. AA und CC hätten am 17.04.2023 - wie vereinbart - gemeinsam mit der Kindesmutter zunächst ein Gespräch mit der Schulsozialarbeiterin wahrgenommen und noch Formalitäten geklärt. Danach seien die Kinder in ihre Klassen gegangen. Die Kindeseltern hätten mitgeteilt nicht in der Lage zu sein, die Schulbuchausleihe und die Arbeitshefte für ihre Kinder finanzieren zu können. Der Landkreis habe sich, zur Ermöglichung eines möglichst unbeschwerten Starts in die Schule, bereit erklärt, einmalig die Ausleihe der Bücher und Anschaffung der nötigen Arbeitshefte bis zum Sommer 2023 zu finanzieren. Am 18.04.2023 sei seitens der Lehrerinnen mitgeteilt worden, dass sowohl AA als auch CC nette Kinder seien, die sich gut integrierten. CC sei als wissbegierig wahrgenommen worden, der durchaus lernen wolle und sich zu bestimmten Themen einbringe. AA werde von zwei Mitschülerinnen gut begleitet und mache einen zufriedenen und freudigen Eindruck. Die Kindeseltern hätten mitgeteilt, die Kinder würden "dieses nun durchziehen", innerlich sehe es in den Kindern aber ganz anders aus. AA habe ihr Lachen verloren und CC würde morgens sagen, dass er nicht in die Schule wolle. Auf Nachfrage der Lehrerinnen, wer Ansprechpartner sei, hätten die Eltern angegeben, dass alles über die Pflegschaft laufe und sie "raus seien".
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Bericht vom 19.04.2023 (Bl. 50ff II) Bezug genommen.
Der Ergänzungspfleger berichtete unter dem 09.06.2023 ergänzend (Bl. 83ff II), dass die Kinder regelmäßig zur Schule gingen und die im Unterricht angebotenen Lerninhalte aktiv annähmen. Die Eltern und Kinder könnten weiterhin dem jetzigen Schulsystem wenig abgewinnen. AA habe angegeben, sich nun zu opfern und zur Schule zu gehen, damit irgendwann mal Ruhe sei, auch wenn es ihr nicht gut damit ginge. Der Umgangston und das Verhalten zwischen den Schülern untereinander und den Lehrenden zu den Schülern scheine für die Kinder befremdlich und nicht nachvollziehbar zu sein. Ende April sei sie informiert worden, dass die Klassenversetzung der Kinder gefährdet sei. BB habe Ende dieses Schuljahres seine Schulpflicht erfüllt, so dass für diesen die Pflegschaft aufgehoben werden könne.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Bericht vom 09.06.2023 (Bl. 83ff II) Bezug genommen.
Der Senat hat die Kinder in Anwesenheit des Verfahrensbeistandes einzeln am 06.07.2023 angehört. Auf den Anhörungsvermerk der Berichterstatterin wird Bezug genommen (Bl. 91ff II).
Im Termin zur Erörterung und Anhörung vor dem Senat am 10.07.2023 hat die Kindesmutter ausgeführt, AA wolle den Hauptschulabschluss machen. CC habe große Schwierigkeiten. Sie könne nicht angeben, ob dieser künftig die Schule besuchen werde. Sie wisse nicht, wie CC dies sehe. Es habe auch bei ihrer ältesten Tochter HH viele Ansätze gegeben. Diese habe Nachhilfe erhalten und sei in Behandlung gewesen. Darüber habe diese eine psychische Störung mit Panikattacken erlitten und noch nicht einmal eigenständig in den Supermarkt gehen können. Sie hätten den äußeren Anliegen der Anderen entsprochen. Im Rückblick habe das ihrer älteren Tochter aber nicht gutgetan. Sie könne das an der Schule festmachen, da es dort die Probleme gegeben habe. Es sei bestätigt worden, dass die Schule ein Ort der Abwertung und Erniedrigung sei. Das Lernen und die Aneignung von Wissen werde in der Schule verlangsamt und behindert. Wie könne es sonst sein, dass ihre Kinder jetzt so gut in der Schule seien, obwohl sie diese drei Jahre nicht besucht hätten. Der Staat sei übergriffig. Es sei völlig unangemessen, dass die verhängten Ordnungsgelder wegen Schulversäumnissen vollstreckt worden seien. Sie sei nicht bereit, ein weiteres Kind auf dem "Altar der Schulpflicht zu opfern". Es gehe in den Schulen nicht um Menschen und ihr Potential. Die Kinder seien in der Waldorfschule "bis dahin" ganz glücklich gewesen. Dann seien die "Ereignisse" (der Pandemie) gekommen. Die Kinder hätten dem staatlichen Auftrag entsprechen müssen.
Der Kindesvater führte aus, es sei nicht ihre Entscheidung gewesen, dass die Kinder nicht zur Schule gegangen seien. Dies hätten die Kinder selbst entschieden. Der Polizeieinsatz zur Vollstreckung des Bußgeldes in ihrem Haushalt sei völlig unangemessen und überzogen gewesen. Sie seien keine "Schulverletzer". Es müsse ein Abwägen auch bei der Vollstreckung geben. Die Kinder würden pathologisiert und die Eltern kriminalisiert. Eine Pflicht zur Anwesenheit von AA in der Schule könnten sie nicht befürworten. Diese habe selbst erklärt, den Hauptschulabschluss machen zu wollen. Dies müsse reichen. CC sei sehr lernwillig und -bereit. Er gehe auch in die Schule. Es müsse aber möglich sein, dass dieser sich auch mal "ausklinke" und sich eine Auszeit von ein oder zwei Tagen nehme. Er gehe dann auch wieder aus freien Stücken zur Schule. Das Schulsystem stelle sich schlecht und dramatisch dar. So könne man davon lesen, dass Nichtpädagogen unterrichteten. Sie hätten das Schulgeld in der Waldorfschule von 400 € früher immer gezahlt. Dann hätten sie um eine Reduzierung gebeten, was immer möglich sein müsse. Sodann seien die Schulverträge zu Unrecht gekündigt worden.
Der Verfahrensbeistand hat ausgeführt, die Waldorfschule habe ihm gegenüber geäußert, dass die Kündigung aufgrund der schwierigen Zusammenarbeit mit den Eltern ausgesprochen worden sei. Grund sei nicht die erbetene Reduzierung des Schulgeldes gewesen. Die Kindeseltern hätten immer variierende Entscheidungsgründe angegeben, warum ihre Kinder die Schule nicht besuchten. Für die Eltern sei immer das Schulsystem schlecht gewesen. Nun werde seitens der Eltern das Kindeswohl angeführt, was etwas Anderes sei. Er könne sich einen durch die Eltern geförderten Schulbesuch von CC nur schwer vorstellen.
Die Vertreterin des Ergänzungspflegers führte aus, dass die Eltern mitgewirkt und den Schulbesuch nicht gefährdet hätten. AA und CC gingen zur Schule und seien versetzt worden. AA komme in die neunte Klasse. Sie gehe davon aus, dass AA die Schule künftig besuchen werde. Bei CC sei nicht sicher, ob dieser den Schulbesuch hinbekomme.
Das Jugendamt teilte mit, die Kinder hätten erst unter Bezugnahme auf die Pandemie die Schule nicht besucht, dies habe sich dann gewandelt. Es sei den Eltern aufgegeben worden, die Kinder zur Schule anzumelden, dies sei nicht erfolgt. Die Eltern hätten sich gegen die Präsenzpflicht gewandt und hierzu angegeben, diese nicht mitzutragen, weil dies nicht im Sinne des Kindeswohls sei.
II.
Die zulässige Beschwerde ist betreffend das Kind BB begründet, im Übrigen jedoch unbegründet.
Das Familiengericht hat zu Recht und zutreffend ausgeführt, dass das Kindeswohl gem. § 1666 Abs. 1 BGB gefährdet ist. Es hat nach dieser Bestimmung die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl eines Kindes gefährdet ist und die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden.
Das Kindeswohl ist gefährdet, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine erhebliche Schädigung des geistigen oder leiblichen Wohls des Kindes zu erwarten ist, wobei an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je schwerer der drohende Schaden wiegt (BGH, FamRZ 2019, 598, juris Rn. 18). Die - auch teilweise - Entziehung der elterlichen Sorge als besonders schwerer Eingriff kann aber nur bei einer nachhaltigen Gefährdung des Kindes mit einer höheren - einer ebenfalls im Einzelfall durch Abwägung aller Umstände zu bestimmenden ziemlichen - Sicherheit eines Schadenseintritts gem. § 1666a BGB verhältnismäßig sein (BGH a.a.O. Rn. 33). Da in das nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG den Eltern gewährleistete Recht auf Erziehung nur unter strenger Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eingegriffen werden darf (BVerfG FamRZ 2021, 104 Rn. 30), dürfen den Eltern nicht mehr Rechte entzogen werden, als es zur Abwehr der Gefahr erforderlich ist.
Die elterliche Sorge umfasst die Pflicht der Eltern, die Entwicklung des Kindes zum selbstbestimmungsfähigen, selbstverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Erwachsenen zu ermöglichen und zu fördern (Staudinger/Coester (2020) BGB § 1666 Rn. 137 m.w.N.). Auch wenn es kein Recht eines Kindes auf optimale Erziehungsbedingungen und optimale Förderung gibt, werden die beruflichen Lebenschancen des Kindes verweigert, wenn die Eltern das Kind vom Schulbesuch abhalten (Staudinger/Coester a.a.O.).
Bildung und Erziehung von Kindern sind gemeinsame Aufgaben von Eltern und Staat. Das Spannungsverhältnis zwischen dem Recht der Kinder auf Teilhabe an der schulischen Bildung, der Ausübung der elterlichen Sorge und den Erziehungszielen des Staates ist im Grundgesetz angelegt (vgl. hierzu Amend-Traut und Singer, FamRZ 2022, 662 und BVerfG, FamRZ 2022, 99ff).
Die Eltern haben das natürliche Recht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG). Über die zuvörderst den Eltern obliegende Pflicht wacht die staatliche Gemeinschaft (Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG). Gleichzeitig stellt Art. 7 Abs. 1 GG das gesamte Schulwesen unter die Aufsicht des Staates und begründet damit neben einem staatlichen Schulauftrag auch ein eigenständiges Recht des Staates im Bereich der Bildung, welches im schulischen Bereich gleichgeordnet neben dem elterlichen Erziehungsrecht steht und dem Staat die Festlegung und Verfolgung eigener Erziehungsziele sowie die Ordnung, Organisation und inhaltliche Ausgestaltung von Unterricht und Schule gestattet (BVerfG FamRZ 1980, 29; FamRZ 1978, 177). Neben der bloßen Wissensvermittlung zählt insbesondere die Förderung der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes, seine Heranbildung zu einem selbstverantwortlichen Mitglied der Gesellschaft sowie die Ermöglichung eines chancengleichen Zugangs zu Ausbildung, Studium und Beruf zu den Erziehungszielen des Staates (BVerfG FamRZ 2006, 1094; FamRZ 1978, 177). Dieser staatliche Schulauftrag wird durch die Regelung der Schulpflicht in Niedersachen in § 63 des Niedersächsischen Schulgesetzes (NSchG) normiert. Mit dieser bestehenden Schulpflicht wird zugleich das sich aus Art. 2 Abs. 1 GG folgende Recht der Kinder und Jugendlichen auf schulische Bildung umgesetzt.
Art. 2 Abs. 1 GG enthält das Recht der Kinder und Jugendlichen auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist hierin das Recht gegenüber dem Staat enthalten, ihre Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit auch in der Gemeinschaft durch schulische Bildung gemäß dem Bildungsauftrag nach Art. 7 Abs. 1 GG zu unterstützen und zu fördern (Recht auf schulische Bildung, BVerfG FamRZ 2022, 99ff, juris Rn. 47).
Aus diesen rechtlichen Grundlagen folgt, dass den Eltern grundsätzlich nicht die Entscheidung obliegt, ob sie ihre Kinder überhaupt zur Schule schicken oder ob sie diese nicht in ihrem häuslichen Umfeld belassen, um sich selbst zu finden bzw. zu verwirklichen. Nur in Ausnahmefällen, wie etwa bei der Schulbesuchsunfähigkeit aufgrund längerfristiger Erkrankung ist es den Eltern gestattet, der Schulbesuchspflicht ihrer Kinder nicht nachzukommen und diese zuhause zu unterrichten (Amend-Traut/Singer a.a.O.). Die Schulpflicht gilt unabhängig von der avisierten Anfechtung der Standesamtseintragung der Kinder durch die Eltern. Auch für den Fall, dass keine standesamtliche Beurkundung vorläge, würde nichts anderes gelten.
Den Eltern steht mithin auch kein Recht zu, die Bildung ihrer Kinder im Wege des Homeschoolings selbst zu übernehmen. Die allgemeine Schulpflicht stellt eine verhältnismäßige und deshalb rechtmäßige Beschränkung des elterlichen Bestimmungsrechts dar (BVerfG, FamRZ 2015, 27; FamRZ 2006, 1094; FamRZ 1986, 1079; EuGHMR, FamRZ 2019, 449).
In der hier zu entscheidenden Sachgestaltung haben die Kindeseltern ihre Kinder seit dem ersten Lockdown der Corona-Pandemie nicht mehr der Schule zugeführt. Die Kinder besuchten früher die Waldorfschule. Bei Entfallen der schulischen Präsenzpflicht erfüllten die Kinder weder hinreichend ihre Aufgaben im Homeschooling noch wirkten sie hinreichend mit. So wurden Aufgaben nur vereinzelt bearbeitet und zurückgemailt. Bereits unter schulischer Anleitung ist es den Eltern mithin nicht bzw. nicht hinreichend gelungen, ihre Kinder im Homeschooling zu betreuen, zu unterrichten und diesen eigenständig Lerninhalte zu vermitteln.
Es ist auch nicht erkennbar, dass die Kindeseltern willens und in der Lage sind, den Kindern die erforderlichen Lerninhalte umfassend zu vermitteln. Vielmehr folgt aus ihrem Vorbringen, dass die Eltern den Kindern Zeit gewähren, um sich selbst zu entdecken und zu ergründen, was in ihrer jeweiligen Lebensphase gerade richtig für sie sein könnte (s.o.). Auch anlässlich der zweitinstanzlichen Anhörung der Kinder wurde nicht erkennbar, dass die Kinder zuhause systematisch unterrichtet worden sind. So konnten die Kinder keine Angaben zum Konzept eines Homeschooling machen. Vielmehr führten sie aus, dass sie zuhause mehr Zeit zur freien Gestaltung nach ihren Interessenlagen hatten. CC erläuterte, er habe in der Zeit seiner Schulabwesenheit viele Bücher (Percy Jeckson und Tempelritter) gelesen. AA gab an, sie habe eine Harfe gebaut und darauf gespielt. BB gab an, er habe mit "reverse unity" programmiert. Insgesamt haben die Kinder bei der Anhörung zum Ausdruck gebracht, viel Freizeit gehabt zu haben. So hat insbesondere AA bedauernd zum Ausdruck gebracht, der Schulbesuch sei ursächlich dafür, dass sie ihren Interessen - wie z. B. Harfe spielen - nicht mehr nachkommen könne. Zwar konnten AA und CC seit ihrem nach den Osterferien 2023 begonnenen Schulbesuch schulische Leistungen erbringen, die zu ihrer Versetzung führten. Beide nahmen aber am Unterricht nur bezüglich einzelner Fächer teil. Hierdurch sollte den beiden Kindern der Einstieg in die Schule erleichtert werden. Soweit die Eltern hierzu argumentiert haben, dass die Kinder in der Schule deshalb nichts verpasst hätten, weil diese nach dreijähriger Abwesenheit nunmehr gleichwohl gute Leistungen erbrächten, ist hierzu zu bemerken, dass bei Lernkontrollen häufig lediglich der zuvor vermittelte Lernstoff abgefragt wird. Zudem haben beide Kinder zum Ausdruck gebracht, zuhause nach der Schule gelernt zu haben. Beide Kinder haben dabei aber auch zum Ausdruck gebracht, dass ihre Eltern sie hierbei unterstützt hätten.
Zur Vermeidung einer Gefährdung des Wohls der Kinder hat das Familiengericht den Eltern zu Recht die elterliche Sorge teilweise entzogen. Die beharrliche Weigerung der Eltern, ihre Kinder einer für den allgemeinen Schulbetrieb zugelassenen Schule zuzuführen, stellt eine Kindeswohlgefährdung dar. Hieraus folgt eine konkrete Gefährdung auch für die motivationale, emotionale und soziale Entwicklung der Kinder. So ist bereits nicht ersichtlich, dass den Kindern umfassend Lerninhalte vermittelt wurden, die diesen die Erlangung eines Berufes ermöglichen. Auch ist nicht erkennbar, dass sie angemessene Sozialkompetenzen in einem kulturell und sozial heterogenen Umfeld erworben haben.
So konnten die Kinder AA und CC erstinstanzlich nicht angehört werden, da sie weinend im Bett lagen (Bl. 21 d. A.). Hier wird deutlich, dass es den Eltern und den Kindern nicht oder nur bedingt gelingt, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, dessen Herausforderungen anzunehmen sowie diese zu bewältigen. Üblicherweise stellen Kindesanhörungen für Kinder zwar herausfordernde Situationen dar, die diese in der Regel aber sehr gut meistern können. Kinder erleben im Rahmen der Anhörung gerade, dass sie nicht nur Verfahrensobjekt sind, sondern in ihren Anliegen auch Gehör finden.
BB wurde erstinstanzlich angehört. Aus seiner Anhörung ergab sich nicht, dass diesem sein Recht auf Bildung eingeräumt wird. Dieser gab bei seiner Anhörung an, sich mit der Spieleentwicklung zu beschäftigen. Er führte aus, er wolle ein Spiel entwickeln, wenn das LAN wieder in Ordnung sei (Bl. 21 d. A.). Er habe sich die Programmierung in YouTube-Tutorials beigebracht. Er wolle sich einen Job suchen, habe bisher aber noch nicht die erforderlichen Ambitionen. Seine Mutter arbeite beim LL. Er wolle dort anfangen (Bl. 21 d. A.). Auch aus den Angaben von BB lässt sich nicht entnehmen, dass diesem sein Recht auf Bildung eingeräumt wird. Zwar gab dieser wiederholt an, nicht zur Schule zu wollen. Anlass hierfür waren zunächst die Corona-Maßnahmen, die für die Familie Anlass waren, sich gegen die Schulpflicht schließlich auch nach Beendigung der Pandemie auszusprechen. Welche Alternativen den Kindern indessen zur Teilhabe an der Bildung zur Verfügung gestellt werden, ist nicht erkennbar. Vielmehr folgt aus den Ausführungen von BB, dass dieser nur schwer Zugang zu einer beruflichen Ausbildung erlangen wird.
AA, CC und BB wurden zweitinstanzlich einzeln vom Senat in Anwesenheit des Verfahrensbeistandes angehört. Auch hier wurde deutlich, dass die Kinder eine Teilhabe am sozialen Leben im elterlichen Haushalt nur bedingt erlernt und erlangt haben. So beanstandete AA im weinerlichen Tonfall, die Räume in der Schule seien dunkel und kalt. Sie führte aus, Lehrer fügten ihren Schülern viel Leid zu. Beispielhaft gab sie hierzu an, ein Lehrer habe zu ihr gesagt, ob sie ihren Namen tanzen könne. Erst danach habe dieser sie nach ihrem Namen gefragt. Auch wenn die beispielhaft aufgeführten Geschehnisse für ein wenig angemessenes Verhalten der Lehrer sprechen, ist in der Gesamtschau aber auch zu bemerken, dass AA offenkundig nicht gelernt hat, mit schwierigen Situationen und Menschen umzugehen. AA war bei ihren Ausführungen auch nicht bewusst, dass sie sich ggf. auch bei einer späteren Berufsausbildung sowie Berufsausübung in dunklen und kalten Räumen aufhalten muss und es ggf. mit schwierigen Menschen zu tun haben wird. Sie brachte das Bedürfnis zum Ausdruck, am liebsten zuhause lernen und auch zuhause Leistungstests durchführen zu wollen. CC führte aus, täglich Bauchschmerzen zu haben. Nachvollziehbare Gründe, warum er sich gegen den Schulbesuch ausspricht, hat er indessen nicht dargelegt. Auch BB konnte nicht nachvollziehbar angeben, warum er die Schule nicht mehr besucht hat. Bei seinen Schilderungen wurde deutlich, dass ihm weder Lerninhalte noch soziale Kompetenzen vermittelt worden sind. So führte er letztlich aus, er könne, nachdem er bspw. ein Video zu den Themen Fliesenlegen oder Programmieren angeschaut habe, diese Tätigkeiten erbringen. Bei der Anhörung der Kinder stellte sich schließlich auch heraus, dass den Kindern kein funktionstüchtiges Endgerät (einschließlich eines Bildschirms) zur Verfügung steht. Es war BB offenkundig auch nicht bewusst, dass bei einer Berufsausbildung weitergehende Inhalte vermittelt werden. So hat er zwar im Rahmen seines Praktikums einfache Tätigkeiten unter anderem als Bauhelfer durchgeführt. Eine Unterscheidung der Tätigkeiten eines ausgebildeten Handwerkers und eines Bauhelfers konnte BB jedoch nicht nachvollziehen. Es ist ihm schließlich auch nicht gelungen, eine avisierte Stelle als Malerpraktikant zu erhalten. Auch hier geht er davon aus, dass es keiner Ausbildung bedürfe, da das jeder könne. Zudem zeigte sich bei BB eine eingeschränkte soziale Kompetenz. So führte dieser aus, bereits in der Waldorfschule keine Freunde gehabt zu haben. Bei der Anhörung der Kinder wurde deutlich, dass diese die ablehnende Haltung gegenüber staatlichen Regularien (wie bspw. anerkannte Schul- und Berufsausbildungen) ihrer Eltern unkritisch und unreflektiert übernommen haben. Eine kritische Auseinandersetzung mit Meinungen, Haltungen und Anforderungen anderer Menschen bzw. Institutionen erfolgt dagegen nicht. Vielmehr werden diese abgelehnt, so dass es bereits zu einer Ausgrenzung der Kinder an der gesellschaftlichen Teilhabe gekommen ist. BB hat weder eine Anstellung noch einen Ausbildungsplatz. Seitens der Kinder wurde die älteste Schwester angeführt, die nunmehr in einem fünf Sterne-Hotel auch ohne Schulabschluss koche. Auch hierzu wurde erklärt, es bedürfe überhaupt keines Schulabschlusses und keiner Ausbildung.
Die getroffenen Maßnahmen sind auch verhältnismäßig. Die familiengerichtliche Maßnahme zur Durchsetzung der Schulpflicht in Form eines Gebotes an die Eltern, für die Einhaltung der Schulpflicht Sorge zu tragen (§ 1666 Abs. 4 Nr. 2 BGB), ist ohne Wirkung geblieben. Mit Beschluss vom 24.03.2022 hatte das Familiengericht (Bl. 159ff der Beiakte 71 F 138/20 SO) den Kindeseltern bereits aufgegeben, die Kinder an einer für den allgemeinen Schulbetrieb zugelassenen Schule anzumelden und Sorge dafür zu tragen, dass die Kinder verlässlich und regelmäßig am Schulbesuch und Unterricht teilnehmen. Die Kindeseltern sind dem nicht nachgekommen.
Es ist auch nicht zu erwarten, dass die Kindeseltern bei Ausübung der elterlichen Sorge in den entzogenen Teilbereichen Sorge dafür tragen werden, dass ihre Kinder AA und CC künftig tatsächlich verlässlich die Schule besuchen. Die Kindeseltern vermittelten bei der Anhörung vor dem Senat deutlich ihre Vorbehalte gegen das Schulsystem. So bekundete die Kindesmutter, sie wolle nicht erneut ein Kind auf dem "Altar der Schulpflicht" opfern. Die Kindeseltern brachten zum Ausdruck, dass ihre Kinder es selbst entscheiden sollen, ob sie zur Schule gehen. Die Kindeseltern konnten ihr eigenes Verhalten und ihren eigenen Verursachungsbeitrag, der zur teilweisen Entziehung der elterlichen Sorge führte, nicht kritisch reflektieren. Nach ihren Ausführungen tragen sie keinen eigenen Verantwortungsbeitrag für die Geschehnisse (bspw. die Vollstreckung des Bußgeldes s. hierzu unter Ziffer I). Auch konnten sie keine Verantwortung dafür übernehmen, dass die Waldorfschule den Schulvertrag gekündigt hat. Der Kindesvater brachte hier vielmehr zum Ausdruck, die Waldorfschule habe den Schulvertrag zu Unrecht gekündigt. Aus welchem Grund die Eltern indes ihre Kinder nach Wegfall der Maskenpflicht nicht erneut in der Waldorfschule angemeldet haben, blieb offen. Der Verfahrensbeistand führte hierzu aus, die Waldorfschule habe nicht aufgrund der Ausstände des Schulgeldes, sondern wegen des schwierigen Verhältnisses mit den Eltern den Schulvertrag gekündigt. Es war den Kindeseltern offenkundig nicht möglich, proaktiv gemeinsam mit der Waldorfschule eine Lösung zu erarbeiten. In ihrer Anhörung wurde deutlich, dass die Kindeseltern die Ursache für die Geschehnisse ausschließlich bei Dritten sehen. Auch lehnen die Eltern staatliche Schulen und das staatlichen Schulsystem offenkundig ab. Sie führten entsprechend der Bekundungen der Kinder aus, ein Schulbesuch sei für die Entwicklung der Persönlichkeit weder notwendig noch förderlich. Unter Berücksichtigung der Ausführungen der Eltern ist davon auszugehen, dass die Kindeseltern nicht dafür Sorge tragen werden, dass die Kinder AA und CC künftig die Schule besuchen. Es ist daher unabdinglich, dass es bei der Entziehung der erstinstanzlich entzogenen Teilbereiche der elterlichen Sorge verbleibt. Auch hat es bei der Herausgabeanordnung zu verbleiben. Offenkundig wollen die Eltern es ihren Kindern selbst überlassen, ob sie die Schule besuchen. Vor diesem Hintergrund ist es erforderlich, dem Ergänzungspfleger zu ermöglichen, den Schulbesuch der Kinder - soweit keine nachvollziehbaren Gründe (wie bspw. eine Erkrankung) dagegenstehen - auch gegen den Willen der Eltern sicherzustellen.
Diese Entscheidung stellt auch keine (unzulässige) Vorratsentscheidung dar. Denn die festgestellte Kindeswohlgefährdung steht aufgrund der überdeutlich zum Ausdruck gebrachten - auch (schul-) systemkritischen - Haltung der Eltern, die sich auf die Kinder niedergeschlagen hat, als eine gegenwärtige und nicht nur möglich künftige Gefährdung dar. Das folgt bereits daraus, dass ohne die wirksame Teilsorgerechtsentziehung und die Installation eines Ergänzungspflegers nicht ansatzweise sichergestellt gewesen wäre, dass die Kinder ihren Schulbesuch wiederaufgenommen hätten. Dem steht nicht entgegen, dass die Eltern sich den getroffenen Maßnahmen des Ergänzungspflegers nicht widersetzt haben. Denn zur elterlichen Pflicht, für die Einhaltung der Schulpflicht zu sorgen, gehört mehr als ein nur passives Erdulden staatlicher Maßnahmen. Erforderlich ist vielmehr ein aktives Verhalten seitens der Kindeseltern, das sich u.a. auch auf die Zurverfügungstellung von Lernmitteln erstreckt.
Der mit fünf Jahren bereits eingeschulte BB hat seine Schulpflicht erfüllt, da diese mit 12 Jahren nach Ihrem Beginn (§ 65 Abs. 1 NSchG) endet. Demgegenüber unterfallen AA und CC weiterhin der Schulpflicht. Sie haben zwar in ihrer Haltung zur Schulpflicht letztlich die Ansicht ihrer Eltern geäußert. Gleichwohl sind beide Kinder in der Schule nicht nur passiv anwesend und ohne jede Motivation zum Lernen oder zur sozialen Teilnahme gewesen. So ergibt sich bereits aus dem Bericht des Verfahrensbeistandes aus dem Vorverfahren vom 13.01.2021 (Bl. 21ff der Beiakte 71 F 138/20 SO), dass AA vor dem Lockdown gern zur Schule gegangen ist und sich lediglich dem Willen ihrer Geschwister, nicht mehr zur Schule gehen zu wollen, angepasst hat (Bl. 22 der Beiakte 71 F 138/20 SO). Auch CC war in der Schule erfolgreich. So interessierte er sich dort besonders für das Schulfach Mathematik (Bl. 22 der Beiakte 71 F 138/20 SO). Und schließlich arbeiten beide Kinder aktuell in der Schule mit und sind dort integriert.
Vor diesem Hintergrund hat die Beschwerde betreffend das Kind BB Erfolg, im Übrigen jedoch keinen Erfolg.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 84 FamFG. Bei der Kostenentscheidung war zu berücksichtigen, dass die Beschwerde der Kindeseltern auch betreffend das Kind BB keine Aussicht auf Erfolg hatte. Die Beschwerde war erst infolge des Wegfalls der gesetzlichen Schulpflicht erfolgreich. Die Festsetzung des Wertes des Beschwerdeverfahrens ergeht aus § 40 Absatz 1, § 45 Absatz 1 Nr. 1 FamGKG.
IV.
Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, da die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 70 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, Nr. 2). Die vorliegende Entscheidung entspricht dem gesetzlich vorgesehenen Regelfall (s. oben unter Ziffer I).