Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 10.10.1994, Az.: SS 371/94

Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten; Verwertbarkeit einer unter Verletzung der Belehrungspflicht zustande gekommenen Aussage eines Beschuldigten; Vernehmung des Halters eines durch gefährliche Fahrweise aufgefallen Pkws

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
10.10.1994
Aktenzeichen
SS 371/94
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1994, 23124
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1994:1010.SS371.94.0A

Fundstellen

  • NStZ 1995, 412 (Volltext mit amtl. LS)
  • StV 1995, 176-177

Amtlicher Leitsatz

Zu den prozessualen Auswirkungen einer unter Verletzung der Belehrungspflicht zustande gekommenen Aussage eines Beschuldigten - Fernwirkung -

Gründe

1

Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, daß die Angaben des Angeklagten, die die Polizei von ihm als Zeugen erlangt hat, nicht verwertbar sind, weil er nicht zuvor nach § 136 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 163 a Abs. 4 Satz 2 StPO belehrt worden war (BGHSt 38, 214 ff). Da der Angeklagte als Halter des Kraftfahrzeugs, das durch eine gefährliche Fahrweise aufgefallen war, mit diesem Sachverhalt konfrontiert und hierzu auch vernommen werden sollte, wäre es wirklichkeitsfremd anzunehmen, der Polizeibeamte habe ohne Verdacht, der Halter komme als Täter in Betracht, diesen nicht als Tatverdächtigen angehört (vgl. auch Senatsurteil vom 8. Februar 1993 - Ss 487/92 -). Die Situation, in der der Beamte ihn auf die Fahrweise seines Kraftfahrzeugs ansprach, ist bei natürlicher Betrachtung dahin zu bewerten, daß er auch als Beschuldigter im Sinne des § 136 Abs. 1 StPO in Betracht kam und als solcher befragt werden sollte und daß diese Befragung unmittelbar in eine Vernehmung nach § 136 Abs. 2 StPO übergehen konnte (vgl. auch dazu BGHSt a.a.O., Seite 218). Der danach gebotene Hinweis auf seine Aussagefreiheit und sein generelles Schweigerecht (§§ 136 Abs. 1 Satz 2; 163 a Abs. 4 Satz 2 StPO) ist jedoch unterblieben, so daß die dennoch vom Angeklagten erlangten Angaben unverwertbar sind. Daß die einem Zeugen nach § 55 StPO erteilte Belehrung von minderer Bedeutung und der Beschuldigtenbelehrung nicht grundsätzlich gleichzusetzen ist, bedarf keiner weiteren Ausführungen. Ob unter bestimmten Umständen nach einer solchen fehlerhaften Belehrung gleichwohl davon ausgegangen werden kann, der Beschuldigte habe sein umfassendes Schweigerecht gekannt, kann unter den vorliegenden Voraussetzungen dahinstehen. Der Senat entnimmt der in dem Urteil wiedergegebenen Aussage des Angeklagten im Ermittlungsverfahren, daß er sich seines umfassenden Schweigerechts bei seiner polizeilichen Vernehmung nicht bewußt war. Davon ist auch das Landgericht ausgegangen (vgl. dazu BGHSt 38, 214, 224 f).

2

Revisionsrechtlich zu beanstanden ist auch nicht, daß das Landgericht es hier nicht für zulässig gehalten hat, die Ermittlungsergebnisse, die die Polizei aufgrund der Angaben des Angeklagten hat erzielen können, zu seinem Nachteil zu verwerten. Die sogenannte Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten wird in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs allerdings unterschiedlich beurteilt. Eine allgemeingültige Regel, wann ein Beweisverwertungsverbot über das unmittelbar gewonnene Beweisergebnis hinausreicht und wo seine Grenzen zu ziehen sind, läßt sich danach nicht aufstellen (vgl. BGHSt 29, 244, 249). Die Grenzen richten sich nicht nur nach der Sachlage und Art und Schwere des Verstoßes, sondern auch nach der Kausalität der unzulässig erlangten Erkenntnisse für die weiteren Ermittlungen und die schließliche Überführung des Beschuldigten (vgl. BGHSt 32, 68, 70 f).

3

Aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden ist danach die weitere Erwägung des Landgerichts, daß der Angeklagte, wäre er vor seiner Vernehmung im Ermittlungsverfahren als Beschuldigter belehrt worden und hätte er, wovon zu seinen Gunsten auszugehen ist, geschwiegen, es angesichts der Art und des nicht erheblichen Gewichts der Tat zu keinen weiteren Ermittlungen gegen ihn gekommen wäre. Unter diesen Umständen wirkt sich das Verwertungsverbot hinsichtlich der Aussage des Angeklagten auch auf die dadurch erlangten weiteren Erkenntnisse über ihn und seine Nähe zur Tat aus. Das Landgericht konnte mithin davon ausgehen, daß bei ordnungsgemäßer Belehrung über die Haltereigenschaft des Angeklagten hinaus keine weiteren Erkenntnisse gewonnen worden wären, die eine Verurteilung des Angeklagten hätten stützen können. Es hat demgemäß auch die Grenzen seiner Aufklärungspflicht nicht verkannt. Das Urteil hat Bestand. Die Revision der Staatsanwaltschaft war zu verwerfen.