Arbeitsgericht Hannover
Beschl. v. 13.09.2007, Az.: 5 BV 15/06
Bibliographie
- Gericht
- ArbG Hannover
- Datum
- 13.09.2007
- Aktenzeichen
- 5 BV 15/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 63115
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:ARBGHAN:2007:0913.5BV15.06.0A
Tenor:
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, dem Antragsteller einen Zugang zum Internet zur Verfügung zu stellen.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist der in der Filiale 246 (Georgstraße 31-33, Hannover) gebildete, fünfköpfige Betriebsrat. In der Filiale sind 97 Mitarbeiter beschäftigt. Die Antragsgegnerin hat ihr Filialsystem in der Weise organisiert, dass jeweils eine Filialleitung eingerichtet ist.
Der Antragsteller begehrt mit dem Antrag vom 14.07.2006 die Ausstattung des Betriebsratsbüros mit einem Internetanschluss und die entsprechende Verurteilung des Antragsgegners dazu.
Der in der Nachbarfiliale der Antragsgegnerin (Georgstraße 31, Hannover) bestehende Betriebsrat war mit diesem Begehren bereits erfolgreich, und zwar in einem vor dem erkennenden Gericht geführten (und in der Rechtsmittelinstanz LAG Niedersachsen rechtskräftig abgeschlossenen) Beschlussverfahren. Auf den - gleichgelagerten - Sachverhalt und die Gründe des Beschlusses des LAG Niedersachsen wird vollumfänglich Bezug genommen (Beschluss des LAG Niedersachsen- 3 TaBV 47/06 - vom 09.03.2007, Bl. 65 ff.d.A., veröffentlich in AuR 2007, Seite 222 f., mit Anmerkung von Maria Lück, ebenda S. 223).
Die Filialen der Antragsgegnerin haben - lediglich - Zugriffs- und Kommunikationsmöglichkeiten in einem von der Antragsgegnerin eingerichteten Intranet. Ein Internetzugang besteht nur in der Zentralen Verwaltung der Antragsgegnerin in Hamburg, auch für die dort eingerichtete Rechtsabteilung. Die Antragsgegnerin gesteht zu, dass die Filialleitung auch in betriebsverfassungsrechtlichen Fragen sich Auskunft und Rat bei der Rechtsabteilung einholen kann und einholt.
In der hier maßgeblichen Filiale sind lediglich zwei Personalcomputer eingerichtet (Intranet). Auch die Filialleitung hat keine Zugriffsmöglichkeiten auf das Internet.
Der Antragsteller hält den Internetzugang für unabdingbar, da nicht nur juristische Recherchen (Datenbanken) für die tägliche Arbeit notwendig sind, sondern auch die jeweils aktuellen Informationen im Bereich des öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutzes (insbesondere herausgegeben von den jeweiligen Behörden).
Der Antragsteller beantragt,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, dem Antragsteller einen Zugang zum Internet zur Verfügung zu stellen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Sie hält die Ausstattung des Betriebsratsbüros mit einem Internetzugang für betrieblich nicht erforderlich, da auch die Filialleitung diese Möglichkeit des Internetzugangs nicht habe. Im Übrigen bedürfe es einer - erneuten - streitigen Entscheidung, weil das Beschwerdegericht (LAG Niedersachsen) in dem vorausgegangenen Verfahren (Nachbarfiliale) die Rechtsbeschwerde zum BAG nicht zugelassen habe.
Die Antragstellervertreterin hat dazu in der mündlichen Anhörung vor der Kammer eingewandt, diese Frage sei damals in der mündlichen Anhörung vor dem Beschwerdegericht gar nicht erörtert, also von der Antragsgegnerin im dortigen Verfahren auch nicht angeregt oder verlangt worden. Im Übrigen sei die von der Antragsgegnerin gegen den Beschluss der Beschwerdeinstanz eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde vom BAG zurückgewiesen worden.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten wird zur Darstellung des Sach- und Streitstandes Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze und die Anlagen, die alle Gegenstand der mündlichen Anhörung waren. Auch wird Bezug genommen auf die Erklärungen der Beteiligten in der mündlichen Anhörung vor der Kammer. Ferner wird ausdrücklich Bezug genommen auf Sachverhalt und Gründe des Beschlusses des LAG Niedersachsen im Verfahren 3 TaBV 47/06 (vom 09.03.2007 - AuR 07, 222 f. - s. Anlage).
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet. Er ist in der gebotenen Verfahrensart gestellt (§§ 80 Abs. 1 und 2, 2a Abs. 1 Ziffer 1 ArbGG, § 40 Abs. 2 BetrVG).
Der Antragsteller begehrt die Ausstattung seines Betriebsratsbüros mit einem Internetzugang, weil insoweit für die laufende Geschäftsführung als Sachmittel erforderlich. Insoweit bedarf es der erforderlichen Einrichtung der Informations- und Kommunikationstechnik (§ 40 Abs. 2 BetrVG).
1.
Die Kammer schließt sich, was die Erforderlichkeit der Einrichtung dieser Kommunikationstechnik (Internetzugang) anlangt, den Ausführungen und Begründungen des Beschlusses des LAG Niedersachen (im vorausgegangenen Verfahren) an ( vom 09.03.07 - 3 TABV 47/06 - AuR 07, 222 f.). Die tragenden Argumente (und Gründe) sind der Antragsgegnerin aus diesem Verfahren bekannt. Sie werden - als Bestandteil der Begründung dieses Beschlusses - angefügt (siehe Anlage). Insoweit genügt die Bezugnahme auf diese Gründe.
2.
Ergänzend werden, was die Begründetheit des Antrags anlangt, folgende Argumente angeführt:
2.1.
Die betriebliche Notwendigkeit (Erforderlichkeit im Sinne des § 40 Abs. 2 BetrVG) definiert sich nicht danach, wie die örtlichen Verhältnisse in der Filiale (Betrieb) sich gestalten. Nicht von Bedeutung ist demnach, ob die Filialleitung selbst einen Internetzugang hat oder nicht. Denn die Antragsgegnerin hat zugestanden, dass die in ihrer Zentralen Verwaltung (Hamburg) gebildete Rechtsabteilung auch für Auskünfte und Beratung der Filialleitung in betriebsverfassungsrechtlichen Fragen zur Verfügung steht. Als sächliche Hilfsmittel sind dort Kommunikationstechniken einschließlich eines Internetzugangs eingerichtet, d.h. die Rechtsabteilung kann in betriebsverfassungsrechtlichen Fragen in vollem Umfang die notwendigen juristischen Recherchen (aus Datenbanken) über das Internet führen. Das Ergebnis einer solchen IuK-gestützten Beratung der Filialleitung durch die Rechtsabteilung (Zentrale Verwaltung) der Antragsgegnerin ist demzufolge Bestandteil der betrieblichen Verhältnisse, die - nach dem Prinzip der Waffengleichheit - die erforderliche Ausstattung des Büros des Antragstellers mit sächlichen Mitteln bestimmt. Die Filialleitung der Antragsgegnerin bedient sich in betriebsverfassungsrechtlichen Fragen (bei Notwendigkeit) der "Hilfspersonen", die in der Rechtsabteilung der Antragsgegnerin (Zentrale Verwaltung in Hamburg) zur Verfügung stehen.
Schon aus diesem Grund muss auch der Antragsteller die Möglichkeit haben, sich gleichrangig die notwendigen juristischen Informationen aus dem Internet (aus Internet - Datenbanken) zu verschaffen.
2.2.
Darüber hinaus steht der Antragsgegnerin nicht zu, die Arbeit des Antragstellers, was Recherchen im Internet anlangt, zu zensieren. Davon abgesehen, dass die Arbeit mit dem Internet (Recherchen, insbesondere in juristischen Datenbanken) mittlerweile zum üblichen Standard gehört, also "sozialadäquat" ist, kann die Antragsgegnerin dem Antragsteller nicht vorschreiben, aus welchen (juristischen und sonstigen) Quellen er die notwendigen Informationen sich beschafft.
Dass die Kommunikation über das Internet mittlerweile alle Lebensbereiche erfasst und als üblicher Standard zu gelten hat, bedarf keiner weiteren Ausführung, ist (eigentlich für alle arbeitsgerichtlichen Instanzen) gerichtsbekannt, wenn nicht gar offenkundig (§ 291 ZPO). Rechtstatsächlich wird dieser Standard schon durch die Tatsache belegt, dass die aktuellen Entscheidungen des BAG auch zu betriebsverfassungsrechtlichen Fragen von jedermann über das Internet und eine dort (vom BAG selbst) eingerichtete Datenbank abgerufen werden können, und dass als Folge dieser Tatsache viele Verlage in den juristischen Fachzeitschriften solche Entscheidungen nur noch mit den Orientierungs- und Leitsätzen wiedergeben (z.B. DER BETRIEB).
Weiter ist die Entwicklung festzustellen, dass viele juristische Fachverlage ihrerseits Datenbanken einrichten, in denen die Verlagsprodukte (auch Kommentare zum BetrVG) online angeboten werden. Auch insoweit kann die Antragsgegnerin dem Antragsteller nicht vorschreiben, sich die Informationen "papieren" zu besorgen (als Druckerzeugnisse). Gelegentlich notwendige Recherchen im Internet (oder in Online-Datenbanken) sind nicht kostenintensiver als die Beschaffung der entsprechenden Druckerzeugnisse und Informationsschriften auf Bestellung. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Aktualität solcher Erzeugnisse (insb. Kommentare zum BetrVG) rasch verfällt, und die Verlage jährlich neue (und teure) Auflagen herausgeben und vertreiben.
2.3.
Soweit der Antragsteller seine Überwachungsaufgabe gemäß § 80 Abs. 1 und 2 BetrVG wahrnehmen muss, ist - schon aufgrund regelmäßiger Medienberichterstattung - ebenfalls offenkundig, wenigstens gerichtsbekannt, dass die öffentliche Verwaltung, auch soweit ihre Aufgaben den Arbeitsschutz mit umfassen, ihre Informationspolitik an dem Grundsatz der Sparsamkeit ausrichtet und die Informationen über IuK-gestützte Systeme, mithin über das Internet abrufbar macht. Diese Entwicklung und die dadurch geprägten aktuellen Verhältnisse sind rechtstatsächlich gegeben und für jedermann belegbar.
2.4.
Diesen, den Anspruch des Antragstellers stützenden Erwägungen stehen nicht die Begründungsversuche des BAG in der aktuellen Entscheidung vom 16.05.07 (7 ABR 45/06 - DB 07, 2036 f.)entgegen, wonach die Überlassung eines PC nebst Zubehör für die Betriebsratsarbeit nicht erforderlich sein soll.
Der Senat ist mit den dafür herangezogenen Argumenten nicht auf der Höhe der Zeit. Sie zeigen in bezeichnender Weise auf, wie das BAG entgegen den Denkgesetzen und der rechtstatsächlich belegbaren Sozialadäquanz einseitig und in der reinen Theorie "unwirkliche" Erforderlichkeitskriterien (§ 40 Abs. 2 BetrVG) aufstellt.
So benutzt der 7. Senat folgende Thesen (Behauptungen):
Die Erforderlichkeit eines sachlichen Mittels hängt "spiegelbildlich" von der betriebsüblichen (betrieblichen) Arbeitsorganisation ab.
Was - übertragen auf das konventionelle Bild der Ausstattung des Betriebsrats mit z.B. betriebsverfassungsrechtlicher Literatur - in der stringenten Logik bedeuten müsste: besitzt die Filialleitung keinen Kommentar zum BetrVG, ist der Besitz eines solchen Kommentars auch für die Betriebsratsarbeit nicht erforderlich.
Ein PC gehört nicht zur "Normalausstattung" des Betriebsrats.
Davon abgesehen, dass eine - auch rechtstatsächlich belegbare - Begründung für diese "Feststellung" nicht gegeben wird, bleibt im Gegenteil festzuhalten: Die Ausstattung mit einem PC gehört heutzutage zum üblichen Standard eines Büros, wie früher eine Schreibmaschine, die auch damals - bis zur Ablösung durch computergestützte Schreibsysteme - nur "kostenintensiv" beschafft werden konnte.
Es ist nicht anzunehmen (weil vom Betriebsrat nicht dargelegt), dass der Betriebsrat die Wahrnehmung anderer Rechte und Pflichten vernachlässigt, wenn ihm kein PC zur Verfügung steht, den er für Betriebsratsarbeit einsetzen kann.
Was den Denkgesetzen widerspricht und widersinnig ist: denn die sonst für den Betriebsrat bestehende - einzige - Alternative bestünde darin, die Schreibarbeit mit Schreibstift und Papier, vielleicht noch mit einer Schreibmaschine zu erledigen, d.h. ohne die vielfältigen Möglichkeiten einer rationellen - weil Zeit sparenden - computergestützten Textverarbeitung, deren Vorzüge auch die Justiz seit nun mehr als 20 Jahren kennt und zu schätzen gelernt hat, und auf die auch die Richter und Richterinnen der 3. Instanz nicht - mehr - verzichten wollen.
Der durch die Nutzung veralteter - oder fehlender - Bürotechnik bedingte Mehraufwand führt - ohne Rücksicht auf die vom Senat vermisste Auswirkung auf die Wahrnehmung "anderer Rechte und Pflichten" - offenkundig (§ 291 ZPO) zu Mehrkosten im Rahmen des § 37 Abs. 2 BetrVG. Denn der Mehraufwand an Arbeitszeit muss im Rahmen der Arbeitsbefreiung der betroffenen Betriebsratsmitglieder finanziell entsprechend, d.h. zusätzlich ausgeglichen werden.
Merkwürdig lebensfremd ist die These des Senats (unter Ziff. II 3. der Gründe, am Ende), es bedürfe einer konkreten Darlegung (durch den Betriebsrat) der Zeitersparnis, die die Nutzung eines PC bei der Aufgabenerledigung mit sich bringe. Die Senatsmitglieder legen offensichtlich ihre eigene Wahrnehmung beiseite, die aus der Nutzung ihres (üblicherweise) mit einem PC ausgestatteten Richterarbeitsplatzes resultiert. Denn schon allein die computergestützte Textverarbeitung (s. dazu - vor mehr als 20 Jahren - Kammerer, DRiZ 1986 S. 339 ff.) verkürzt den zeitlichen Aufwand der damit verbundenen Aufgabenerledigung erheblich und ersetzt wenigstens teilweise eine Sekretariatskraft. Wie da der Senat - trotz dieses allgemein gültigen Erfahrungssatzes - noch eine konkrete Darlegung und eine entsprechende Beweisführung verlangen kann, bleibt nach den Denkgesetzen ein Rätsel.
Als Ergebnis bleibt festzuhalten, dass der Antragsteller sich im Rahmen seines Beurteilungsspielraums bewegt, wenn er das Internet als eine allgemein zugängliche Informations- und Kommunikationsquelle erschließen und sich auf diese Weise die notwendigen Informationen für seine Betriebsratsarbeit beschaffen will.
Dem Antrag war (auch deshalb) stattzugeben.