Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 15.12.1997, Az.: 4 A 4279/97

Kürzung gewährter Sozialhilfe wegen unzureichender Arbeitsbemühungen; Pflicht des arbeitslos gemeldeten Arbeitssuchenden zu selbstständigem Bemühen um Arbeit

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
15.12.1997
Aktenzeichen
4 A 4279/97
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1997, 23357
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGBRAUN:1997:1215.4A4279.97.0A

Verfahrensgegenstand

Sozialhilfe (Hilfe zum Lebensunterhalt)

Die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Braunschweig
hat auf die mündliche Verhandlung
vom 15. Dezember 1997
durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Ungelenk
die Richter am Verwaltungsgericht Hachmann und Meyer sowie
die ehrenamtlichen Richterinnen Kamps und Ludewig
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann eine Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen die Kürzung der ihm gewährten Sozialhilfe wegen unzureichender Arbeitsbemühungen um jeweils 10 % des Regelsatzes im Zeitraum von Oktober 1996 bis zum Erlaß des Widerspruchsbescheides vom 02.07.1997.

2

Der am ... geborene Kläger hat den Beruf eines EDV-Trainers und -Beraters erlernt und ist seit 1989 arbeitslos. In der Zeit vom 19.06.1995 bis zum 15.03.1996 hat er an einer Fortbildungsmaßnahme des Arbeitsamtes teilgenommen.

3

Seit Oktober 1993 bezieht der Kläger laufende Hilfe zum Lebensunterhalt. Durch Schreiben vom 05.06.1996 wurde er aufgefordert, seinen Lebensunterhalt durch Einsatz seiner Arbeitskraft sicherzustellen, zu diesem Zwecke jede ihm zumutbare Arbeit anzunehmen und diesbezügliche Arbeitsbemühungen nachzuweisen. Dabei wurde er darauf hingewiesen, daß verschiedene Gerichte bereits bestätigt hätten, daß im Einzelfall bis zu 15 Bewerbungen monatlich verlangt werden könnten, wobei nicht in jedem Fall unbedingt eine schriftliche Bewerbung erforderlich sei. Weiterhin wurde er auf die Kürzungsmöglichkeiten der Sozialhilfe hingewiesen. Ergänzend wurde ihm durch Schreiben vom 07.06.1996 mitgeteilt, daß es sich im Hinblick auf die geforderte Anzahl von bis zu 15 Bewerbungen lediglich um einen Richtwert handele, der jedoch unter Berücksichtigung der für ihn zumutbaren Tätigkeiten durchaus erfüllt werden könne. Durch weiteres Schreiben vom 30.07.1996 wurde er sodann aufgefordert, monatlich mindestens 15 Nachweise über eigene Arbeitsbemühungen vorzulegen. Da der Kläger jedoch keine Arbeitsbemühungen nachwies, wurde ihm durch Bescheid vom 05.09.1996 beginnend ab Oktober 1996 der Regelsatz um 10 % gekürzt. In der Folgezeit erklärte der Kläger durch Schreiben vom 06.10.1996 seine Bereitschaft, 10 bis 20 Bewerbungen pro Jahr zu veranlassen. Daraufhin legte er eine Bewerbung vom 27.09.1996 (Bl. 236 VV) und zwei Bewerbungen vom 06.10.1996 (Bl. 234/235 VV) sowie anschließend noch je eine Bewerbung vom 09.11.1996 (Bl. 254 VV), vom 03.01.1997 (Bl. 280 VV), vom 18.02.1997 (Bl. 295 VV), vom 19.04.1997 (Bl. 319 VV) und vom 13.06.1997 (Bl. 19 GA) vor. Dennoch hielt die Beklagte die Kürzung in Höhe von 10 % des Regelsatzes aufrecht. Hiergegen eingelegte Widersprüche des Klägers wurden durch den Widerspruchsbescheid vom 02.07.1997 zurückgewiesen.

4

Am 15.07.1997 hat der Kläger den Verwaltungsrechtsweg beschritten und neben der Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 02.07.1997 auch um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Zur Begründung führt er im wesentlichen aus, daß es aufgrund des Einzelfallgrundsatzes rechtswidrig sei, pauschal bis zu 15 Bewerbungen monatlich zu verlangen. So habe das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 17.05.1995 darauf hingewiesen, daß die Zahl der Bewerbungen persönlich und finanziell zumutbar sein müßte. Im konkreten Fall habe das Bundesverwaltungsgericht neun Bewerbungen in einem Jahr für ausreichend gehalten und auch ausgeführt, daß auch dann von einer Weigerung i.S.d. § 25 Abs. 1 BSHG nicht gesprochen werden könne, wenn sich ein Hilfesuchender ernsthaft und zielstrebig um Arbeit bemühe. Das gelte selbst dann, wenn die eigene Arbeitssuche noch intensiver hätte ausfallen können. Auch finanziell seien 15 Bewerbungen nicht zumutbar. Es müsse pro Bewerbung von Kosten in Höhe von 3,- bis 5,- DM ausgegangen werden. Außerdem entstünden noch Kosten für Fahrten, Kleidung, Friseur usw. Notwendige Bewerbungskosten würden vom Arbeitsamt aber nur nachträglich für schriftliche Bewerbungen und auch nur in begrenzter Höhe, nämlich bis zu 200,- DM in sechs Monaten, übernommen.

5

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist durch Beschluß des erkennenden Gerichts vom 16. Oktober 1997 - 4 B 4280/97 - zurückgewiesen worden.

6

Der Kläger beantragt,

die Bescheide über die Bewilligung laufender Hilfe zum Lebensunterhalt ab dem Bescheid vom 05.09.1996 bis zum Erlaß des Widerspruchsbescheides vom 02.07.1997 sowie den Widerspruchsbescheid vom 02.07.1997 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, für diesen Zeitraum ungekürzte Sozialhilfe zu gewähren.

7

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Zur Begründung führt sie im wesentlichen aus, daß die Arbeitsbemühungen des Klägers im streitigen Zeitraum unzureichend gewesen seien und deshalb die Kürzung gerechtfertigt sei.

9

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten im übrigen wird auf die Gerichtsakte dieses Verfahrens und des Verfahrens 4 B 4280/97 und den Verwaltungsvorgang der Beklagten, die Gegenstand der Beratung und Entscheidung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

10

Die Klage, die sich aufgrund der übereinstimmenden Erklärungen auf die Kürzungen im gesamten Zeitraum von Oktober 1996 bis zum Erlaß des Widerspruchsbescheides vom 02.07.1997 bezieht, ist zulässig, jedoch nicht begründet.

11

Die Beklagte hat in dem genannten Zeitraum zutreffend gemäß § 25 Abs. 1 BSHG die dem Kläger gewährte laufende Hilfe zum Lebensunterhalt um 10 % des Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes gekürzt. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, daß nach der seit dem 01.08.1996 geltenden Fassung des § 25 Abs. 1 BSHG (vgl. BGBl. I 1996, S. 1088, 1089) die Hilfe in der ersten Stufe um mindestens 25 vom Hundert des maßgebenden Regelsatzes zu kürzen ist. Durch die Nichtbeachtung dieser Gesetzesänderung ist der Kläger jedoch nicht in seinen Rechten verletzt.

12

Es entspricht ständiger Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte (BVerwG, Urt. v. 17.05.1995 - 5 C 20.93 -, NJW 1995, 320; VG Braunschweig, Beschl. v. 30.04.1997 - 4 B 4153/97 - m.w.N.), daß eine Weigerung i.S.v. § 25 Abs. 1 BSHG, zumutbare Arbeit zu leisten, nach den Umständen des Einzelfalles auch darin liegen kann, daß ein arbeitslos gemeldeter Arbeitssuchender es ablehnt, sich unabhängig von Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamtes hinreichend selbst um einen Arbeitsplatz zu bemühen. Es reicht also nicht aus, daß ein Hilfesuchender sich arbeitslos meldet und für das Arbeitsamt erreichbar ist. Er muß sich auch unabhängig von den Bemühungen des Arbeitsamtes auf dem für ihn zugänglichen Arbeitsmarkt um einen Arbeitsplatz bemühen. Daher ist es nicht zu beanstanden, wenn der Sozialhilfeträger von dem Hilfesuchenden entsprechende Nachweise über ihm zuzumutende eigene Arbeitsbemühungen verlangt und bei Nichtvorlage entsprechender Nachweise von einer Arbeitsverweigerung ausgeht und die Regelsatzleistungen kürzt. Es kann offenbleiben, ob die zwischenzeitlich von der Beklagten erhobene Forderung, monatlich mindestens 15 Nachweise vorzulegen, überzogen ist. Allerdings darf eine solche Forderung nicht generell und ohne Berücksichtigung des Einzelfalles erhoben werden. Ein Nachweis über etwa 10 monatliche Arbeitsbemühungen dürfte nach Ansicht des erkennenden Gerichts aber auch für den Kläger durchaus zumutbar sein (vgl. Beschl. v. 16.10.1997 - 4 B 4280/97 - und v. 22.01.1997 - 4 B 4435/96 -). Dem steht nicht das vom Kläger mehrfach angeführte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.05.1995 entgegen. Aus diesem Urteil läßt sich nämlich nicht der Schluß ziehen, daß die dort genannten neun Bewerbungen pro Jahr stets ausreichend sind. Vielmehr hat das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt, daß eine Kürzung gemäß § 25 Abs. 1 BSHG nur dann gerechtfertigt ist, wenn auch gegenwärtig im Zeitpunkt der Entscheidung des Sozialhilfeträgers noch von einer Arbeitsverweigerung auszugehen ist, wofür allein ein Hinweis auf dem Umfang der Arbeitsbemühungen in der Vergangenheit nicht ausreicht. Ausdrücklich wird auch ausgeführt, daß eine auf ein Jahr bezogene Betrachtungsweise dem Hilfezweck des § 25 Abs. 1 BSHG nicht gerecht wird. Die Kosten für die von der Kammer als zumutbar erachteten ca. 10 monatlichen Arbeitsbemühungen können aus den Regelsatzleistungen aufgebracht werden. So ist im Regelsatz eines Haushaltsvorstandes (Stand 1993) für Nachrichtenübermittlung, Telefon und Porto ein Teilbetrag von 39,55 DM vorgesehen (vgl. info also 1994, S. 119). Von diesem Betrag kann auch unter Berücksichtigung der Kostenansätze des Klägers für Einzelbewerbungen ein Teilbetrag verwandt werden. Hinzu kommt, daß, worauf der Kläger selbst hinweist, bei arbeitslos gemeldeten Personen die Möglichkeit besteht, vom Arbeitsamt sich nachträglich für jeweils sechs Monate nachgewiesene Bewerbungskosten in Höhe von maximal 200,- DM erstatten zu lassen. Außerdem darf nicht übersehen werden, daß zum Teil auch telefonische Bewerbungen möglich sind. Soweit es speziell den Kläger betrifft, gibt der Fall Anlaß, darauf hinzuweisen, daß dieser sich nicht nur (wie bisher geschehen) um Arbeit bemühen muß, die seiner beruflichen Ausbildung und Qualifikation entspricht. Vielmehr muß er auch bereit sein, Arbeit anzunehmen, für die er aufgrund seiner beruflichen Vorbildung möglicherweise überqualifiziert ist. Entsprechend muß er sich bewerben.

13

Nach diesen Grundsätzen hat die Beklagte die Leistungen an den Kläger im streitigen Zeitraum rechtmäßig gekürzt, da dieser sich i.S. des § 25 Abs. 1 BSHG geweigert hat, zumutbare Arbeit zu leisten. Seine Arbeitsverweigerung ist darin zu sehen, daß er sich trotz mehrfacher Aufforderung durch die Beklagte nicht in hinreichendem Umfang selbständig um Arbeit bemühte. Angesichts des Alters des Klägers von gerade 40 Jahren, seiner Allgemeinbildung und seiner beruflichen und sonstigen Vorbildung im EDV-Bereich ist auch nicht ersichtlich, daß ihm hinsichtlich des Umfanges seiner Arbeitsbemühungen Einschränkungen zuzubilligen wären. Der Kläger hat sich nach den von ihm nachgewiesenen Bewerbungen jedenfalls im hier maßgeblichen Zeitraum nur sporadisch und im ganzen nur verhältnismäßig geringfügig um Arbeit bemüht. So hat er für die Zeit von September 1996 bis 02. Juli 1997 gerade einmal acht Bewerbungen nachweisen können. Lediglich zu Beginn des gerichtlichen Verfahrens hat er sich - wohl auch unter dem Eindruck entsprechender gerichtlicher Verfügungen - intensiver um Arbeit bemüht und für den Juli 1997 insgesamt 11 Bewerbungen nachgewiesen. Letzteres hat dazu geführt, daß die Beklagte die Kürzungen für Juli und August 1997 aufgehoben hat.

14

Bei gerade einmal acht Bewerbungen im streitigen Zeitraum von mehr als einem dreiviertel Jahr kann sich der Kläger nicht auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Urteil vom 17.05.1995 (a.a.O.) berufen, wonach von einer Weigerung im Sinne des § 25 Abs. 1 BSHG nicht ausgegangen werden könne, wenn die eigene Arbeitssuche noch intensiver hätte ausfallen können; denn diese Maßstäbe gelten erst, wenn sich ein Hilfesuchender überhaupt ernsthaft und zielstrebig selbst um Arbeit bemüht (BVerwG, a.a.O.). Diese Schwelle der eigenen ernsthaften und zielstrebigen Arbeitsbemühungen hat der Kläger im streitigen Zeitraum angesichts der o.a. geringen Anzahl von Bewerbungen nicht erreichen können.

15

Die Klage ist deshalb mit der Kostenfolge aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO abzuweisen. Die Nebenentscheidungen im übrigen beruht auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Ungelenk
Meyer
Hachmann