Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 12.05.1992, Az.: 4 B 4075/92
Beihilfe zur Anschaffung eines elektrischen Staubsaugers ; Anspruch auf laufende Leistungen zum Lebensunterhalt
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 12.05.1992
- Aktenzeichen
- 4 B 4075/92
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1992, 22081
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGBRAUN:1992:0512.4B4075.92.0A
Rechtsgrundlagen
- § 1 Abs. 2 S. 2 BSHG
- § 12 Abs. 1 BSHG
Verfahrensgegenstand
Sozialhilfe
Einmalige Beihilfe für einen Staubsauger
In der Verwaltungsrechtssache
...
hat die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Braunschweig
am 12. Mai 1992
beschlossen:
Tenor:
Der Antragsgegner wird im Wege einstweiliger Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin zur Anschaffung eines elektrischen Handstaubsaugers eine einmalige Beihilfe in Höhe von 100,- DM zu bewilligen.
Der Klägerin wird für dieses Verfahren im ersten Rechtszug Prozeßkostenhilfe bewilligt.
Ihr wird Rechtsanwalt Heinrich Lau aus Hann. Münden zur Vertretung in diesem Verfahren beigeordnet.
Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsgegner zu tragen; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Der Antrag, den Antragsgegner zu verpflichten, der Antragsteller in eine einmalige Beihilfe zur Anschaffung eines elektrischen Staubsaugers zu gewähren und auszuzahlen, ist zulässig und begründet. Die Antragstellerin hat im ausgesprochenen Umfang sowohl einen Regelungsanspruch (die materielle Berechtigung) als auch einen Regelungsgrund (die Eilbedürftigkeit der Entscheidung) i.S. des § 123 Abs. 1 VwGO glaubhaft gemacht.
Nach der im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens gebotenen summarischen Prüfung der Sachlage ist die Kammer zu der überzeugung gelangt, daß die Antragsteller in mit Rücksicht auf die Besonderheiten des Falles einen Anspruch auf den genannten Beihilfebetrag hat, §§ 3 Abs. 1, 11 Abs. 1, 12 Abs. 1, 21 Abs. 1, 72 Bundessozialhilfegesetz (BSHG).
Der von der Antragstellerin begehrte Staubsauger gehört in ihrem Fall zum notwendigen Hausrat i.S. des § 12 Abs. 1 BSHG, für den eine einmalige Beihilfe zu gewähren ist, weil die Anschaffung eines solchen Gerätes (im Unterschied etwa zu Folgekosten wie Stromkosten und Staubsaugerbeutel) nicht von den Regelsatzleistungen, die die Antragstellerin erhält, erfaßt ist. Insofern kann die Antragstellerin - entgegen der im Ablehnungsbescheid vom 8.11.1991 vertretenen Ansicht des Antragsgegners - auch nicht auf den Grundsatz der Selbsthilfe verwiesen werden, weil es ihr gerade nicht möglich ist, von den ihr (lediglich aus Sozialhilfemitteln) zur Verfügung stehenden Mitteln, die in Rede stehende (notwendige) Anschaffung selbst zu tätigen.
Die Kammer hält an ihrer Rechtsprechung (Beschluß vom 16.6.1987 - 4 VG D 91/87 - Info also 88, S. 75 f.) im Einklang mit der Rechtsprechung des für Sozialhilfesachen zuständigen Senats des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg (Beschluß vom 14.9.1987 - 4 OVG B 209/87 -) fest, wonach ein Handstaubsauger zum notwendigen Lebensunterhalt zählt, den der Sozialhilfeträger befriedigen muß, wenn der Hilfeempfänger - wie hier - diesen Hausratsgegenstand nicht selbst anschaffen kann.
Der Begriff des notwendigen Lebensunterhaltes orientiert sich an dem in § 1 Abs. 2 Satz 2 BSHG festgelegten Grundsatz, daß dem Hilfesuchenden die Führung eines der Menschenwürde entsprechenden Lebens ermöglicht werden soll. Dies ist nicht schon dann gewährleistet, wenn das physiologisch Notwendige vorhanden ist. Entgegen der zumindest mißverständlichen Ausführungen des Antragsgegners im Ablehnungsbescheid kommt es dabei nicht nur auf die "Lebenswichtigsten Grundbedürfnisse/Wohnen/Schlafen/Essen" an. Der Begriff des notwendigen Lebensunterhaltes ist vielmehr zugleich mit Blick auf die jeweiligen Lebensgewohnheiten und Erfahrungen der Bevölkerung, insbesondere der Bürger mit niedrigem Einkommen zu bestimmen (vgl. BVerwGE, Bd. 35, S. 178, 180/181). Dem Hilfesuchenden soll es ermöglicht werden, in der Umgebung von Nichthilfeempfängern ähnlich wie diese zu leben (vgl. BVerwGE, Bd. 36, S. 256 f., 258). Für die Beantwortung der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Handstaubsauger zum notwendigen Lebensunterhalt gehört, ist es daher von erheblicher Bedeutung, daß die Haushalt in Deutschland durchweg mit elektrischen Staubsaugern ausgestattet sind. Selbst in einem Zwei-Personen-Haushalt von Renten- und Sozialhilfeempfängern mit geringem Einkommen befindet sich heutzutage in 98,8 % aller Fälle ein elektrischer Staubsauger (Statistisches Jahrbuch 1991, S. 540). Die Dichte der Versorgung mit Haushaltsgeräten ist als Indiz für die in der Bevölkerung anzutreffende Auffassung über deren Notwendigkeit sowie für die diesbezüglichen Lebensgewohnheiten und Erfahrungen anzusehen (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 25.2.1981, FEVS Bd. 31, S. 186; ständige Rechtsprechung). Zwar ist aus dem Grundsatz, daß dem Hilfesuchenden die Führung eines der Menschenwürde entsprechenden Lebens ermöglicht werden soll, nicht abzuleiten, daß durch den Träger der Sozialhilfe sämtliche Normalbedürfnisse i.S. eines durchschnittlichen Lebenstandards befriedigt werden müßten; was weitgehend als Annehmlichkeit empfunden wird, ist nicht immer eine von der Menschenwürde gebotene Notwendigkeit (vgl. BVerwGE, Bd. 48, S. 329; Urteil des OVG Lüneburg, FEVS Bd. 31, S. 186). Ein elektrischer Staubsauger dürfte aber heutzutage für alle Haushalte schon zum unteren Lebensstandard gehören und wird nicht nur als Annehmlichkeit empfunden, sondern als notwendiges Haushaltsgerät, das die ausreichende und notwendige Reinigung der Wohnung ermöglicht.
Diese Grundsätze geltend nicht minder im Falle der Antragstellerin. Die Tatsache, daß sie keine (feste) Wohnung im üblichen Sinne hat, sondern (noch) in einem Wohnwagen mit Vorzelt wohnt, gebietet es nicht, die Notwendigkeit eines Staubsaugers hier nicht anzuerkennen. Eher ist das Gegenteil der Fall. Dies ergibt sich bereits aus der erhöhten, vom Antragsgegner nicht bestrittenen Schmutzanfälligkeit, die aus dem Standort des Wohnwagens auf einer nicht befestigten Rasenfläche folgt. Der Wohnwagen ist überwiegend mit Teppichboden ausgelegt. Die Tatsache, daß es sich dabei um eine insgesamt kleine Fläche handelt, läßt die Notwendigkeit, ihn fortlaufend in einem Mindestanforderungen genügenden Umfange zu reinigen, nicht entfallen. Dabei muß berücksichtigt werden, daß die Antragstellerin den Wohnwagen zusammen mit ihrem Lebensgefährten nutzt und beide auch einen Hund halten. Entgegen der Ansicht des Antragsgegners kann die Haltung des Hundes nicht unberücksichtigt bleiben, da sie die reale Situation der Antragstellerin mitbestimmt. Allein auf die im konkreten Einzelfall gegebenen Verhältnisse aber kommt es an. Schließlich spricht für die Berechtigung des Anliegens der Antragstellerin auch das Ziel der nach § 72 Abs. 2 BSHG gebotenen Integrationsbemühungen. Insofern hält die Kammer die Stellungnahme der die Antragstellerin (und ihren Lebensgefährten) betreuenden Ambulanten Hilfe (einer Einrichtung des Diakonischen Werkes i.S. des § 72 Abs. 4 BSHG) vom 25.11.1991 für überzeugend, wonach auch Maßnahmen zur (Förderung und) Unterstützung des Bestrebens zur Sauberhaltung des Wohnbereiches geboten sind, um einem Rückfall in die sehr viel problematischeren hygienischen Verhältnisse der Obdachlosigkeit vorzubeugen und eine Hinführung zu geordneten Wohnverhältnissen zu unterstützen. Vor diesem Hintergrund würde der Verweis auf die Möglichkeit, einer Verschmutzung des Innenraumes der Unterkunft durch Benutzung von Hausschuhen entgegenzuwirken, nicht nur dem eingangs geschilderten "Mindeststandard" nicht gerecht werden. Er hätte wahrscheinlich auch negative Auswirkungen auf die im Falle der Antragsteller in anzustellenden Bemühungen, das nach § 72 BSHG gebotene Integrationsziel zu erreichen.
Die Antragstellerin hat auch glaubhaft gemacht, daß die besonderen Gegebenheiten ihrer Unterkunft, namentlich die Enge der Wohnverhältnisse eine hinreichende, nicht zuletzt aus hygienischen Gründen gebotene Sauberhaltung (lediglich) mittels eines (ihr angebotenen) Handkehrgerätes nicht ermöglichen könnte. Dies wird sowohl durch die Stellungnahme der Ambulanten Hilfe im Schreiben vom 25.11.1991 als auch durch die eidesstattliche Versicherung der Frau Majora vom 23.4.1992 bestätigt. Warum demgegenüber ein Staubsauger untauglich (ständig verstopft) sein solle, wie der Antragsgegner wohl meint, ist nicht ersichtlich. Die offensichtlich auch vom Antragsgegner nicht in Abrede gestellte besondere Schmutz- und Staubanfälligkeit der Unterkunft der Antragstellerin macht eher ein auch kleinere Schmutzpartikel (Staub) erfassendes Reinigungsgerät erforderlich, mit dem auch der sich in den Ecken (nicht nur der Staukästen) sowie im Bezug des Bettes (der Couch) festsetzende Schmutz erfaßt und beseitigt werden kann.
Der der Antragstellerin sonach zustehende Anspruch auf die Gewährung einer einmaligen Beihilfe zur Anschaffung eines Handstaubsaugers läßt sich nach Schätzung der Kammer mit der Gewährung eines Betrages von 100,- DM befriedigen, weil zu diesem Preis Geräte mit hinreichender Leistungen (600 Watt) im Handel angeboten werden, wie sich aus verschiedenen Versandhauskatalogen ergibt.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Beschluß ist die Beschwerde an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in Lüneburg statthaft.
...
Steinhoff
Wagner