Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 18.05.1992, Az.: 3 A 3197/92
Asylanspruch bei politischer Verfolgung im Heimatland; Anforderungen an die objektiven und subjektivenNachfluchttatbestände; Maßstab für die Glaubhaftmachung von Asylgründen
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 18.05.1992
- Aktenzeichen
- 3 A 3197/92
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1992, 22072
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGBRAUN:1992:0518.3A3197.92.0A
Rechtsgrundlagen
- Art. 16 Abs. 2 S. 2 GG
- § 51 Abs. 1 AuslG
Verfahrensgegenstand
Asyl und Abschiebungsschutz nach §51 AuslG
In der Verwaltungsrechtssache
...
hat die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Braunschweig
unter Mitwirkung
der Vorsitzenden Richterin am Verwaltungsgericht Zschachlitz,
der Richter am Verwaltungsgericht Prilop und Gatz sowie
der ehrenamtlichen Richterin Hafke und
des ehrenamtlichen Richters Hake
auf die mündliche Verhandlung vom 18. Mai 1992
für Recht erkannt:
Tenor:
Der Bescheid der Beklagten vom 14. August 1991 wird aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, den Kläger als Asylberechtigen anzuerkennen und festzustellen, daß bei ihm die Voraussetzungen des §51 Abs. 1 AuslG vorliegen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Berufung wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der am 06. Juni 1972 geborene, ledige Kläger ist vietnamesischer Staatsangehöriger chinesischer Volkszugehörigkeit. Er reiste zusammen mit drei älteren Geschwistern am 11. Februar 1990, versehen mit einem Sichtvermerk der Deutschen Botschaft in Hanoi und mit einem bis zum 07. Dezember 1991 gültigen vietnamesischen Paß, in das Bundesgebiet ein. Die Einreise erfolgte zum Zwecke der Familienzusammenführung mit seinem Bruder Minh Hon Tran, der 1979 als einer der ersten Boat-People in Niedersachsen Aufnahme gefunden hatte und jetzt in Göttingen lebt. Am 16. März 1990 erteilte die Stadt Göttingen dem Kläger eine bis zum 11. Februar 1991 befristete Aufenthaltserlaubnis, die inzwischen verlängert worden ist.
Am 05. April 1990 meldete sich der Kläger bei der Zentralen Ausländerbehörde der Stadt Braunschweig als Asylbewerber. Zur Begründung seines Asylbegehrens gab er an: Er stamme aus Ben Tre (Südvietnam), wo er bis zu seiner Ausreise am 10. März 1990 mit der Familie gewohnt habe. Seit dem militärischen Zusammenbruch Südvietnams im Frühjahr 1975 seien er und die anderen Familienangehörigen als ethnische Minderheit diskriminiert, benachteiligt und physisch und psychisch drangsaliert worden. Die Situation sei so unerträglich geworden, daß die ganze Familie (er, der Kläger, seine Mutter und sieben Geschwister) im Juni 1979 einen - gescheiterten - Fluchtversuch unternommen hätten. Seine Mutter sei mit dem Rest der Familie am 29. Juni 1979 auf ein großes Holzkohleschiff gegangen, das von der örtlichen Behörde in Ben Tre gemietet worden sei, um alle in Ben Tre und auch in Saigon lebenden Chinesen mit diesem Schiff ausreisen zu lassen. Die Behörde habe so schnell wie möglich die ihnen verhaßten Chinesen loswerden wollen. Sie hätten für jeden Schiffsplatz eine Menge Geld kassiert. So habe die Familie auch ihr Haus abgeben müssen, dazu Schmuck und Geld. Auf dem Schiff hätten sich 4.000 Flüchtlinge zusammengefunden. Niemand von ihnen habe gewußt, daß das Schiff gar nicht auslaufen sollte. Nach 41 Tagen, in denen die Flüchtlinge unter immer katastrophaler werdenden Bedingungen auf dem Schiff hätten ausharren müssen, habe der Polizeichef von Ben Tre, der für die Aktion die Verantwortung getragen habe, den Befehl zum Verlassen des Schiffes gegeben. Unter militärischer Bewachung seien die Flüchtlinge zunächst aufs Festland gebracht worden. Dort hätten sie in provisorischen Unterkünften unter unzumutbaren Bedingungen campiert. Einer Reihe von Chinesen sei es gelungen zu fliehen. Daraufhin habe der Polizeichef befohlen, die noch im Lager befindlichen Chinesen auf die Insel An Nhon vor der Küste zu bringen. Dort hätten sie, darunter auch die Familie des Klägers, in Zelten, alten Schuppen und baufälligen Lagerhallen gewohnt und sich von gefangenen Fischen und Süßkartoffeln ernährt. Im Laufe der folgenden Monate seien die Familienmitglieder nach Ben Tre zurückgekehrt, zuletzt die Mutter mit der jüngsten Tochter. Als die Mutter nach Hause gekommen sei, habe sie ihre Kinder aufgesammelt und mal hier, mal dort gelebt.
In dem Haus der Familie hätten vietnamesische Soldaten gewohnt, von denen die Familie beschimpft, verjagt und mit Schlägen bedroht worden sei. Bekannte hätten Geld gesammelt, damit die Familie auf dem Schwarzmarkt Handel treiben konnte (polizeilich verboten und strafbar), um wenigstens das Notwendigste kaufen zu können. Seit der Rückkehr vom Schiff seien die Familienmitglieder noch schlechter behandelt worden als vorher, schlechter auch als die Vietnamesen, die dem alten Regime in der Verwaltung und in der Armee gedient hätten, und sogar noch schlechter als die enteigneten Großkapitalisten. Nach 8jährigem Kampf habe die Mutter das enteignete Haus zurückbekommen. Geldgeschenke von Bekannten hätten es ihr ermöglicht, eine kleine Imbißstube einzurichten. Dort habe er, der Kläger, der Ende 1989 das Abitur abgelegt habe, mit seinen Geschwistern mitgeholfen. Im Herbst 1989 habe der Betrieb aufgegeben werden müssen, weil ständig steigende steuerliche Belastungen zum Ruin geführt hätten. Der in der Bundesrepublik Deutschland lebende Bruder und weitläufige Verwandte hätten der Familie geholfen, sich über Wasser zu halten. Während seiner Schulzeit sei er, der Kläger, wiederholt benachteiligt worden. An schulischen Wettbewerben habe er zwar teilnehmen dürfen, seine Leistungen seien aber nicht bewertet worden. Wegen seiner chinesischen Volkszugehörigkeit habe er auch seitens seiner Mitschüler gehässige Bemerkungen hinnehmen müssen. Bei der Bewertung von Klassenarbeiten sei er an 14., d.h. an letzter Stelle eingestuft worden. Diese Stufe sei für Vaterlandsverräter vorgesehen gewesen. - In rechtlicher Hinsicht sei von Bedeutung, daß die sozialialistische Republik Vietnam ihren im Ausland lebenden Staatsangehörigen die Rückkehr in die Heimat verwehre, und zwar gleichgültig, ob sie legal oder illegal ausgereist seien und das Land vor oder nach 1975 verlassen hätten. Die Ausgrenzung der ausgereisten Staatsangehörigen beruhe auf politischen Motiven. Wer mit den Füßen gegen die politischen und ökonomischen Verhältnisse in seiner Heimat abgestimmt habe, gerate in den Verdacht politischer Unzuverlässigkeit oder gar Gegnerschaft und solle als möglicher Unruhestifter von der vietnamesischen Bevölkerung ferngehalten werden. Ergänzend sei darauf hinzuweisen, daß auch eine Asylantragstellung geeignet sei, bei einer Rückkehr nach Vietnam asylrelevante Maßnahmen auszulösen. Nach Artikel 89 des vietnamesischen Strafgesetzbuches drohe demjenigen eine bis zu zweijährige Gefängnisstrafe, der sich illegal im Ausland aufhalte. Ihm, dem Kläger, drohe eine Bestrafung insbesondere deshalb, weil er bereits einen Versuch, seine Heimat zu verlassen, hinter sich habe. Die nunmehr erfolgte Ausreise sowie der Verbleib im westlichen Ausland stelle sich insoweit als Fortführung einer bereits erkennbar betätigten festen Überzeugung dar, so daß er trotz selbstgeschaffenen Nachfluchttatbestandes asylberechtigt sei. Schließlich könne nach Stand der Dinge nicht ausgeschlossen werden, daß er, der Kläger, im Falle einer Rückkehr nach Vietnam auch wegen der Flucht seines Bruders Minh Hon, der in der Bundesrepublik Deutschland als Asylberechtigter anerkannt worden sei, zur Rechenschaft gezogen werde.
Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 03. Dezember 1990 trug der Kläger ergänzend vor, von seinen Mitschülern geschlagen und von seinen Nachbarn mit Steinen beworfen und auch bespuckt worden zu sein.
Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnte mit Bescheid vom 14. August 1991 den Asylantrag des Klägers ab und verneinte das Vorliegen der Voraussetzungen des §51 Abs. 1 AuslG, weil dem Kläger weder Vor- noch Nachfluchtgründe zur Seite stünden. Gegen den ihm am 17. September 1991 zugestellten Bescheid hat der Kläger am 25. September 1991 Klage erhoben.
Er beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 14. August 1991 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihn, den Kläger, als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, daß in seinem Falle die Voraussetzungen des §51 Abs. 1 AuslG vorliegen.
hilfsweise,
Beweis zu erheben zu der Frage, daß er wegen des Verbleibens im Ausland und der Asylantragstellung eine Bestrafung nach Artikel 89 des vietnamesischen Strafgesetzbuches zu erwarten hat durch Einholung von Sachverständigenauskünften,
und hilfsweise,
Beweis zu erheben zu der Frage, daß ihm eine Wiedereinreise nach Vietnam von den vietnamesischen Behörden nicht gestattet werde, ebenfalls durch Sachverständigenbeweis.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung beruft sie sich auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid.
Der beteiligte Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten hat sich nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.
Der Kläger ist in der mündlichen Verhandlung informatorisch zu seinen Asylgründen angehört worden. Hinsichtlich des Ergebnisses der Anhörung wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsvorgänge der Beklagten und der Stadt Göttingen Bezug genommen. Die Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 14. August 1991 ist rechtswidrig. Der Kläger hat einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG; außerdem ist das Vorliegen der Voraussetzungen des §51 Abs. 1 AuslG festzustellen.
Nach Artikel 16 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes i.V.m. Artikel 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge - Genfer Konvention - (BGBl. II 1953, S. 560) besteht unter Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung ein Anspruch auf Asylgewährung, wenn der Asylbewerber für seine Person die aus Tatsachen begründete Furcht vor Verfolgung, insbesondere wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung hegen muß. Begründet ist die Furcht vor Verfolgung, wenn dem Asylsuchenden bei verständiger Würdigung der gesamten Umstände seines Falles politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, so daß ihm nicht zuzumuten ist, im Heimatstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren (BVerwG, Urteil vom 29.11.1977 - 1 C 33.71 -, BVerwGE 55, 82 ff.). Hat der Asylbewerber bereits in der Vergangenheit politische Verfolgung erdulden müssen, ist er mithin im Zustand der Verfolgung ausgereist, so ist er nur dann nicht als Asylberechtigter anzuerkennen, wenn eine Wiederholung mit hinreichender Sicherheit auszuschließen ist (BVerwG, Urteil vom 2.8.1983 - 9 C 599.81 -, BVerwGE 67, 314). Eine Erstreckung auf Nachfluchttatbestände kann nur insoweit in Frage kommen, als sie nach dem Sinn und Zweck der Asylverbürgung, wie sie dem Normierungswillen des Verfassungsgebers entspricht, gefordert ist. Im Hinblick darauf sind objektive Nachfluchttatbestände, d.h. eine Verfolgungssituation, die ohne eigenes (neues) Zutun des Betroffenen entstanden ist, asylrelevant. Bei subjektiven Nachfluchttatbeständen, die der Asylbewerber nach Verlassen des Heimatlandes aus eigenem Entschluß geschaffen hat (sogen. selbstgeschaffene Nachfluchttatbestände), kann eine Asylberechtigung in aller Regel nur dann in Betracht gezogen werden, wenn sie sich als Ausdruck und Fortführung einer schon während des Aufenthaltes im Heimatstaat vorhandenen und erkennbar betätigten festen Überzeugung darstellt (BVerfG, Beschluß vom 26.11.1986 - 2 BvR 1058/85 -, BVerfGE 74, 51 ff.).
Die Kammer läßt offen, ob dem Kläger - wie er meint - ein asylrechtlich beachtlicher Nachfluchtgrund zur Seite steht; denn der Kläger muß jedenfalls deshalb als Asylberechtigter im Sinne des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG anerkannt werden, weil er sein Heimatland im Zustand der Verfolgung verlassen hat, d.h. vorverfolgt ausgereist ist, und eine Wiederholung nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann.
Dem Asylgrundrecht liegt die Überzeugung zugrunde, daß kein Staat das Recht hat, Leib, Leben oder die persönliche Freiheit des einzelnen aus Gründen zu gefährden oder zu verletzen, die allein in seiner politischen Überzeugung, seiner religiösen Grundentscheidung oder in für ihn unverfügbaren Merkmalen liegen, die sein Anderssein prägen (Bertrams, DVBl. 1990, 1129 m.w.N.). Auf den Schutz vor unmittelbaren Gefahren für Leib und Leben oder Einschränkungen der persönlichen Freiheit ist der Anwendungsbereich des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG indessen nicht beschränkt. Vielmehr bilden alle Maßnahmen einen Verfolgungstatbestand, die nach Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die Bewohner des Verfolgerstaates aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen haben (BVerwG, Urteil vom 20.10.1987, InfAuslR 1988, 22 [BVerwG 20.10.1987 - BVerwG 9 C 42.87]). In Anwendung dieser Kriterien war dem Asylbegehren des Klägers stattzugeben. Dem Kläger war es nach Auffassung der Kammer nicht vergönnt, in Vietnam ein menschenwürdiges Dasein zu führen.
Der Kläger hat angegeben, seine Familie, die der ethnischen Minderheit der Chinesen angehört, sei unmittelbar nach dem Zusammenbruch des südvietnamesischen Staates im Jahre 1975 drangsaliert worden. Dies erscheint glaubhaft, da das chinesisch-vietnamesische Verhältnis seit dem Herbst 1975 angespannt war, sich in der Folgezeit weiter verschlechterte und auf den Tiefpunkt geriet, nachdem China im Frühjahr 1979 in einem Straffeldzug die vietnamesischen Nordprovinzen verwüstet hatte (vgl. Will, Das Parlament, 27.10.1989, S. 23). Das Auswärtige Amt spricht in seiner Auskunft an das VG Ansbach vom 07. November 1991 davon, daß Vietnamesen während des vietnamesisch-chinesischen Konfliktes "erhebliche Schwierigkeiten hatten, die sie zur Emigration veranlaßten".
Die Repressalien gegen den Kläger und seine Familie überschritten spätestens mit der Internierung nach dem mißglückten Fluchtversuch im Sommer 1979 die Grenze des asylrechtlich Zumutbaren. Wie der Kläger glaubhaft vorgetragen hat, mußten die Flüchtlinge zunächst auf dem Festland in provisorischen Unterkünften campieren. Nach der Umsetzung auf die Insel An Nhon wohnten die Flüchtlinge in Zelten, alten Schuppen und baufälligen Lagerhallen und ernährten sich nur von gefangenen Fischen und Süßkartoffeln. Auch nach seiner Entlassung mußte der Kläger jahrelang unter menschenunwürdigen Bedingungen am Rande der vietnamesischen Gesellschaft leben. Er war nicht nur von dem Bezug von Lebensmittelkarten ausgeschlossen, er war wegen der Enteignung des Elternhauses im Jahre 1979 bis zu dessen Rückgabe an die Mutter im Jahre 1988 auch ohne dauerhafte Bleibe und ohne häuslichen Kontakt zu seinen Familienangehörigen. Der Kläger hat nach seinen glaubhaften Darlegungen in der mündlichen Verhandlung bei verschiedenen befreundeten Nachbarfamilien gelebt. Die Kammer hält es für eine ungeheure Belastung, daß der damals minderjährige Kläger wiederholt erleben mußte, von seinen Gasteltern zunächst freundlich aufgenommen worden zu sein, daß diese aber später auf Druck der Behörden ihm jeweils nahelegten, sich um eine andere Bleibe zu bemühen.
Mit der Rückgabe des Hauses bestand für den Kläger zwar wieder die Möglichkeit, mit der Familie vereint unter dem eigenen Dach zu wohnen; die Ausgrenzung des Klägers und seiner Angehörigen durch die vietnamesischen Behörden setzte sich jedoch fort. Die der Familie erteilte Genehmigung, in dem Hause eine Imbißstube zu betreiben, war im Grunde wertlos. Die von den vietnamesischen Behörden erhobenen Steuern waren nämlich so hoch, daß trotz harter und langer Arbeit der Verdienst nur für Reissuppe reichte. Damit war jenes Existenzminimum, das ein menschenwürdiges Dasein ausmacht, nicht mehr gewährleistet. Das Los, durch Steuern wirtschaftlich erdrosselt zu werden, traf nur Vietnamesen chinesischer Volkszugehörigkeit. Andere Vietnamesen wurden niedriger besteuert.
Ob die Aussöhnung zwischen Vietnam und China im Sommer 1991 (taz vom 15.01.1992) zur Folge hat, daß die Vietnamesen chinesischer Volkszugehörigkeit auf Dauer in das gesellschaftliche Leben integriert werden, kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht beurteilt werden. Angesichts der langjährigen schlechten Erfahrungen des Klägers mit dem System in Vietnam ist ihm derzeit jedenfalls (noch) nicht zuzumuten, in seine Heimat zurückzukehren.
Die Klage hat auch Erfolg, soweit sie auf die Verpflichtung der Beklagten gerichtet ist festzustellen, daß in der Person des Klägers die Voraussetzungen des §51 Abs. 1 AuslG erfüllt sind. Nach §51 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AuslG liegen die Voraussetzungen des §51 Abs. 1 AuslG bei Asylberechtigten vor. Zu dieser Personengruppe gehört der Kläger.
Die Kostenentscheidung folgt aus §154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §167 VwGO i.V.m. den §§708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Berufung war nicht zuzulassen, weil keiner der in §32 Abs. 2 AsylVfG aufgeführten Gründe vorliegt.
Rechtsmittelbelehrung
Die Nichtzulassung der Berufung kann selbständig durch Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils angefochten werden.
...
Streitwertbeschluss:
Die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Braunschweig hat am 29. Juni 1992 beschlossen:
Der Streitwert wird auf 9.000,- DM festgesetzt.
Gründe:
Nach ständiger Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte, die im Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 1991, 1156 ff.) Niederschlag gefunden hat, betrug der Streitwert für die auf Anerkennung als Asylberechtigter gerichtete Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland gemäß §13 Abs. 1 S. 2 GKG 6.000,- DM.
Infolge der seit dem 01. Januar 1991 geltenden Bestimmungen der §§7 Abs. 1, 12 Abs. 6 AsylVfG ist Gegenstand der Asylverpflichtungsklage immer auch die Feststellung, ob Abschiebungsschutz gemäß §51 Abs. 1 AuslG zu gewähren ist, es sei denn, die Klage wird ausdrücklich auf letztgenannte Feststellung beschränkt. Das Interesse eines Asylbewerbers, diesen Abschiebungsschutz zu erlangen, bewertet das Gericht angesichts der schwächeren ausländerrechtlichen Position, die damit verbunden ist (vgl. §30 Abs. 5 S. 1 AuslG), mit der Hälfte des bisher für die (reine) Asylklage anzusetzenden Streitwertes (ebenso BVerwG, Beschluß vom 18.02.1992 - 9 C 59.91 -). Mithin erhöht sich im vorliegenden Fall der Wert auf 9.000,- DM.
Rechtsmittelbelehrung:
Die Streitwertfestsetzung ist unanfechtbar.
Lichtenfeld
Prilop
Gatz