Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 18.05.1992, Az.: 3 A 3001/92
Asylanspruch bei politischer Verfolgung im Heimatland; Begründung eines Abschiebungshindernisses wegen einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit; Beeinträchtigungen der beruflichen und wirtschaftlichen Betätigung
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 18.05.1992
- Aktenzeichen
- 3 A 3001/92
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1992, 22071
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGBRAUN:1992:0518.3A3001.92.0A
Rechtsgrundlagen
- § 51 Abs. 1 AuslG
- Art, 16 Abs. 2 S. 2 GG
Verfahrensgegenstand
Anerkennung als Asylberechtigte und Abschiebungsschutz
In der Verwaltungsrechtssache
...
hat die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Braunschweig
unter Mitwirkung
der Vorsitzenden Richterin am Verwaltungsgericht Zschachlitz,
der Richter am Verwaltungsgericht Prilop und Gatz sowie
der ehrenamtlichen Richter in Hafke und
des ehrenamtlichen Richters Hake
auf die mündliche Verhandlung vom 18. Mai 1992
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Bescheide der Beklagten vom 30. und 31. Juli 1990 werden aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, die Kläger als Asylberechtigte anzuerkennen und festzustellen, daß bei ihnen die Voraussetzungen des §51 Abs. 1 AuslG vorliegen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Die Berufung wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die am 27. Oktober 1959 geborene Klägerin zu 1) und ihre am 20. Juli 1930 geborene Mutter, die Klägerin zu 2), sind vietnamesische Staatsangehörige. Sie reisten am 20. Juni 1989, versehen mit Sichtvermerken der Deutschen Botschaft in Hanoi und mit bis zum 20. Juni 1991 gültigen vietnamesischen Pässen, in das Bundesgebiet ein. Die Einreise erfolgte zum Zwecke der Familienzusammenführung mit dem Sohn der Klägerin zu 2) und Bruder der Klägerin zu 1), Ngoc Hao Nguyen, der seit 1979 in der Bundesrepublik Deutschland lebt. Am 17. Juli 1989 erteilte die Stadt Göttingen den Klägern bis zum 20. Juni 1990 befristete Aufenthaltserlaubnisse, die inzwischen bis zum 20. Juni 1993 verlängert worden sind. Ebenfalls verlängert worden ist die Gültigkeitsdauer der vietnamesischen Pässe, und zwar bis zum 20. Juni 1994.
Am 17. August 1989 beantragten die Kläger die Gewährung politischen Asyls. Die Klägerin zu 2) gab an: Sie habe bis 1975 in Ben Tre (Südvietnam) als Grundschullehrerin unterrichtet. Ihr Ehemann sei Hauptmann der vietnamesischen Armee gewesen. Nach dem Ende des Vietnamkrieges sei er nach Amerika geflohen und seitdem verschollen. Sie selbst sei 1975 von den kommunistischen Machthabern aus dem Schuldienst gejagt worden und habe auf Dauer Arbeitsverbot erhalten. So sei sie zu Hause geblieben und habe mit dem Verkauf von Gemüse und Früchten aus ihrem Garten etwas Geld verdient, allerdings zu wenig, um sich und ihre Familie satt zu bekommen. Sie sei in einem politisch liberalen Geist erzogen worden und habe diese Erziehung an ihre beiden Kinder weitergegeben. So sei es nicht verwunderlich gewesen, daß die Kinder schon als Gymnasiasten politisch anders gedacht hätten als der größere Teil der Mitschüler und darum mit Argwohn beobachtet worden seien. Aufgrund wiederholter Repressalien sei ihr Sohn 1979 geflohen. Nach seiner Flucht, die von Nachbarn der Ortspolizei gemeldet worden sei, sei sie den Behörden noch verdächtiger geworden. Sie sei im Ort als Vaterlandsverräterin beschimpft, aus der Dorfgemeinschaft ausgeschlossen und mehr und mehr isoliert worden. Zunehmend habe sie sich auch nächtliche Polizeikontrollen (ein bis viermal monatlich, auch öfter) gefallen lassen müssen. Ein daraufhin unternommener Fluchtversuch sei gescheitert. Nach 14 Tagen, sei sie mit ihrer Mutter und ihrer Tochter nach Hause zurückgekehrt. Dort sei sie festgenommen und eine Woche lang intensiv verhört worden. Da man ihr nichts habe nachweisen können, sei sie entlassen worden. Allerdings seien von da an die nächtlichen Kontrollen noch intensiver geworden. Ständig sei sie gefragt worden, wo ihr Sohn sei, wovon sie nun lebe, da sie ja keine Arbeit habe, und wer ihr die gute Wohnungseinrichtung bezahlt habe. Um weiteren lästigen und gefährlichen Fragen zu entgehen, habe sie nach und nach ihre Wohnungseinrichtung verkauft und nur noch in alten und ausgedienten Möbeln gelebt. Die ständigen Schikanen seien nicht spurlos an ihrer Gesundheit und der ihrer Tochter vorbeigegangen. Sie selbst habe unter großer Schlaflosigkeit und Herzbeschwerden gelitten. Noch schlimmer sei es ihrer Tochter ergangen.
Die Klägerin zu 1) gab zur Begründung ihres Asylbegehrens an: Als ihre Mutter 1975 aus dem Schuldienst entlassen worden und ihr Bruder 1979 geflohen sei, habe sie die ganze Härte der menschenverachtenden Haltung der kommunistischen Machthaber in ihrer persönlichen Existenz getroffen. Sie habe trotz des guten Abiturs weder studieren noch irgendwie Arbeit aufnehmen dürfen. Ihre Lebensperspektiven seien auf den Nullpunkt gesunken. Sie sei zusehends psychisch und physisch bedrückt gewesen. Sie habe unter Schlaflosigkeit gelitten und sei monatelang kaum in der Lage gewesen zu essen. Noch schlimmer habe sie die Isolierung durch die Nachbarschaft empfunden. Sie hätten als Feinde des Vaterlandes gegolten und seien auch so behandelt worden. Vor allem hätten ihr die unregelmäßig wiederkehrenden nächtlichen Kontrollen der Sicherheitspolizei zugesetzt. Nach ihrer gescheiterten Flucht im Jahre 1980 sei alles noch schlimmer geworden. Die Kontrollen der Behörden hätten sich verschärft. Man habe der Familie mißtraut, weil man geglaubt habe, die Familienmitglieder seien verkappte Kapitalisten mit einer entsprechenden politischen Denkungsart. Trotz der Gefahr, von Nachbarn denunziert zu werden, habe sie, die Klägerin zu 1), versucht, lautstark ihrer Empörung Luft zu verschaffen. Einmal habe sie die Polizisten daran hindern wollen, ins Haus zu kommen, und sie beschimpft. Um aber Mutter und Großmutter nicht zusätzlich zu gefährden, habe sie schließlich geschwiegen. Von da ab habe sie unter großer Appetitlosigkeit, Schlaflosigkeit und heftigen Beschwerden im Oberbauch gelitten. Der hinzugezogene Arzt habe eine schwere Lebererkrankung vermutet. Oft habe sie das Bett hüten müssen; die verordneten Medikamenten hätten nicht geholfen. Sie sei bis auf 36 kg abgemagert, habe unter Angstzuständen gelitten und das Haus nicht mehr verlassen.
Bei ihrer Anhörung durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 09. April 1990 trug die Klägerin zu 2) ergänzend vor: Sie habe von August 1975 bis Juni 1989, d.h. bis zur Ausreise, im landwirtschaftlichen Betrieb ihrer Mutter in Ben Tre ausgeholfen. Von dem Erlös und darüber hinaus von Ersparnissen habe sie gelebt. In der Bundesrepublik Deutschland habe sie an verschiedenen Veranstaltungen teilgenommen, z.B. am 07. März 1990 in Frankfurt/Main an einer Zusammenkunft der "Front für die Nationale Einheit und Befreiung Vietnams".
Die Klägerin zu 1) erklärte bei ihrer Anhörung ergänzend: Sie habe im Jahre 1978 in Ben Tre die Reifeprüfung abgelegt. Ihre ursprüngliche Absicht, an der Pädagogischen Hochschule in Saigon zu studieren, habe sie nicht verwirklichen können, weil sie - vornehmlich wegen des Kontaktes ihrer Mutter zur südvietnamesischen Regierung sowie ihres katholischen Glaubens - die diesbezügliche Zulassung nicht erhalten habe. In der Folgezeit habe sie bis zur Ausreise im familieneigenen landwirtschaftlichen Betrieb in Ben Tre ausgeholfen, wobei sie an dem anfallenden Erlös beteiligt gewesen sei. In der Bundesrepublik unterstütze sie die "Front für die Einheit und Befreiung Vietnams" und fördere bisweilen die Zeitung Huong Viet durch Geldspenden.
Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnte mit Bescheiden vom 30. Juli 1990 (Klägerin zu 1) bzw. 31. Juli 1990 (Klägerin zu 2) die Asylanträge der Klägerinnen ab. Zur Begründung heißt es, die Klägerinnen seien in Vietnam keinen asylrechtlich bedeutsamen Schwierigkeiten ausgesetzt gewesen. Unter der Unfreiheit, die die Klägerinnen in ihrer Heimat empfunden hätten, litten alle Staatsbürger Vietnams, denen das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit etwas bedeute, und nicht allein die Klägerinnen. Ein den Klägerinnen nach der im Jahre 1979 erfolgten Flucht des Familienmitglieds Ngoc Hao Nguyen erwachsenes polizeiliches Augenmerk sei eine Routinereaktion des sozialistischen Verwaltungsapparates, die jedenfalls dann nicht zu einer Asylgewährung führen könne, wenn - wie hier - weitergehende Konsequenzen damit nicht verbunden seien. Gesundheitliche Defizite, unter denen die Klägerinnen nicht nur vorübergehend gelitten haben wollten, ließen sich nicht mit der zu fordernden Bestimmtheit auf Handlungen vietnamesischer Staatsorgane zurückführen. Die Klägerinnen hätten sich in Vietnam auch nicht in einer existenzgefährdeten Situation befunden. Durch die Mithilfe im landwirtschaftlichen Betrieb der Großmutter der Klägerin zu 1) und Mutter der Klägerin zu 2) sei ihr notwendiger Lebensbedarf gesichert gewesen. Das Schicksal, beruflich benachteiligt gewesen zu sein, hätten die Klägerinnen mit einer Vielzahl ihrer Landsleute geteilt.
Nachfluchtgründe stünden den Klägerinnen ebenfalls nicht zur Seite. Eine Bestrafung nach Art. 89 Abs. 1 des Vietnamesischen Strafgesetzbuches wegen illegaler Ein- und Ausreise oder illegalen Auslandsaufenthalts sei nicht zu befürchten, da die Klägerinnen ihr Heimatland mit einem gültigen Nationalpaß legal verlassen hätten. Ob das Einreichen eines Asylgesuchs in einem auswärtigen Staat nach vietnamesischem Verständnis empfindliche und politisch motivierte Konsequenzen habe, könne dahinstehen, da es sich insoweit um einen subjektiven Nachfluchtgrund handele, der sich als Folge einer bereits im Heimatland wirksamen Gefährdungslage darstellen müsse. Diesem Erfordernis genüge der unterbreitete Sachverhalt nicht, da die Klägerinnen bis zu ihrer Ausreise nicht merklich in Erscheinung getreten und zu keiner Zeit Adressaten umfänglich belastender amtlicher Verfügungen geworden seien. Die Möglichkeit, daß die Klägerinnen in Vietnam zu ihrem Auslandsaufenthalt befragt würden, unter Umständen für längere Zeit keine erneute Ausreiseerlaubnis erhielten und ihnen im beruflichen Bereich - insbesondere bei der Wiedereingliederung - Nachteile erwüchsen, sei asylrechtlich unerheblich. Sonstige Umstände, die die Kläger innen von ihren Heimatbehörden als Irregularitäten bewertet glaubten - namentlich ihre exilpolitischen Tätigkeiten - hätten eine zu geringe Intensität, um von einer tiefgreifenden und allenfalls schädlichen ideologischen Abständigkeit sprechen zu können.
Die Klägerin zu 1) hat gegen den am 30. August 1990 zugestellten Bescheid vom 30. Juli 1990 am 19. September 1990, die Klägerin zu 2) gegen den am 20. August 1990 zugestellten Bescheid vom 31. Juli 1990 am 20. September 1990 Klage erhoben. Mit Beschluß vom 27. November 1991 hat das Gericht beide Verfahren miteinander verbunden. Die Klägerinnen halten sich u.a. deshalb für asylberechtigt, weil sie in ihrer wirtschaftlichen Existenz unmittelbar bedroht gewesen seien. Die Erträge aus der Landwirtschaft seien nicht ausreichend gewesen, um allein daraus den Lebensunterhalt zu sichern. Vielmehr seien sie auf ständige finanzielle Unterstützungen des Bruder/Sohnes aus der Bundesrepublik Deutschland angewiesen gewesen. Seit 1987 hätten sie keine Lebensmittelkarten mehr bekommen. Nicht zuletzt deshalb sei die Klägerin zu 1) auf 36 kg abgemagert.
Die Klägerinnen beantragen,
die Bescheide der Beklagten vom 30. Juli 1990 und 31. Juli 1990 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, sie, die Klägerinnen, als Asylberechtigte anzuerkennen und festzustellen, daß in ihrem Falle die Voraussetzungen des §51 Abs. 1 AuslG vorliegen;
hilfsweise,
zu der Frage, ob die Asylantragstellung und das Verbleiben im Ausland zur Strafbarkeit nach Art. 89 des Vietnamesichen Strafgesetzbuches führt, durch Sachverständigengutachten Beweis zu erheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung beruft sie sich auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden.
Der beteiligte Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten hat sich nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.
Die Klägerinnen sind in der mündlichen Verhandlung informatorisch zu ihren Asylgründen gehört worden. Hinsichtlich des Ergebnisses der Anhörung wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens, der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwältungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist insgesamt zulässig. Das gilt auch, soweit sie auf die Gewährung von Abschiebungsschutz nach §51 Abs. 1 AuslG gerichtet ist, obwohl die Beklagte darüber noch keine Entscheidung getroffen hat. Bei der Beurteilung der Begründetheit einer Verpflichtungsklage kommt es nämlich regelmäßig - so auch hier - auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung an. Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung des Ausländerrechts vom 09. Juli 1990 (BGBl. I S. 1354.) am 01. Januar 1991 ist ein Asylantrag dahin auszulegen, daß damit nicht nur die Asylanerkennung, sondern auch die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des §51 Abs. 1 AuslG durch das Bundesamt begehrt wird. Gemäß §12 Abs. 6 Satz 3 AsylVfG sind mit Inkrafttreten des Gesetzes nicht nur das Bundesamt, sondern auch die Gerichte zu einer zweiteiligen Entscheidung verpflichtet, es sei denn, es läge die ausdrückliche Beschränkung auf eine Feststellung gemäß §51 Abs. 1 AuslG vor. Diese Neuregelung findet auch auf solche Asylverfahren Anwendung, in denen (wie hier) bereits vor dem 01. Januar 1991 vom Bundesamt befunden worden, diese Entscheidung aber noch nicht bestandskräftig geworden ist. Damit hat der Gesetzgeber den Streitgegenstand auch bereits anhängiger Asylklagen in dem erörterten Umfang erweitert, so daß - auch ohne einen ausdrücklich auf die Gewährung von Abschiebungsschutz gestellten Antrag - der mithin auch nicht verfristet sein kann - die gerichtliche Prüfung von Amts wegen darauf zu erstrecken ist, ob die Voraussetzungen des §51 Abs. 1 AuslG vorliegen (vgl. zu alledem BVerwG, Urteil, vom 18.02.1992 - 9 C 59.91 -).
Die Klage ist auch begründet. Die Bescheide der Beklagten vom 30. und 31. Juli 1990 sind rechtswidrig, weil die Klägerinnen einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte haben. Außerdem ist das Vorliegen der Voraussetzungen des §51 Abs. 1 AuslG festzustellen.
Nach Artikel 16 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes i.V.m. Artikel 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge - Genfer Konvention - (BGBl. II 1953, S. 560) besteht unter Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung ein Anspruch auf Asylgewährung, wenn der Asylbewerber für seine Person die aus Tatsachen begründete Furcht vor Verfolgung, insbesondere wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung hegen muß. Begründet ist die Furcht vor Verfolgung, wenn dem Asylsuchenden bei verständiger Würdigung der gesamten Umstände seines Falles politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, so daß ihm nicht zuzumuten ist, im Heimatstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren (BVerwG, Urteil vom 29.11.1977 - 1 C 33.71 -, BVerwGE 55, 82 ff.). Dabei setzt das Asylgrundrecht von seinem Tatbestand her grundsätzlich den kausalen Zusammenhang zwischen Verfolgung und Flucht voraus. Eine Erstreckung auf Nachfluchttatbestände kann nur insoweit in Frage kommen, als sie nach dem Sinn und Zweck der Asylverbürgung, wie sie dem Normierungswillen des Verfassungsgebers entspricht, gefordert ist. Im Hinblick darauf sind objektive Nachfluchttatbestände, d.h. eine Verfolgungssituation, die ohne eigenes (neues) Zutun des Betroffenen entstanden ist, asylrelevant. Bei subjektiven Nachfluchttatbeständen, die der Asylbewerber nach Verlassen des Heimatlandes aus eigenem Entschluß geschaffen hat (sogen. selbstgeschaffene Nachfluchttatbestände), kann eine Asylberechtigung in aller Regel nur dann in Betracht gezogen werden, wenn sie sich als Ausdruck und Fortführung einer schon während des Aufenthaltes im Heimatstaat vorhandenen und erkennbar betätigten festen Überzeugung darstellt (BVerfG, Beschluß vom 26.11.1986 - 2 BvR 1058/85 -, BVerfGE 74, 51 ff.). In Anwendung dieser Grundsätze sind die Klägerinnen als Asyl berechtigte anzuerkennen.
Auf Vorfluchtgründe können sich die Klägerinnen allerdings nicht berufen; denn sie haben ihr Heimatland nicht im Zustand der Verfolgung verlassen.
Zu Unrecht meinen die Klägerinnen, ihre wirtschaftliche Situation in Vietnam rechtfertige ihr Asylgesuch. Zwar können Beeinträchtigungen der beruflichen und wirtschaftlichen Betätigung dann asylbegründend wirken, wenn die wirtschaftliche Existenz bedroht und damit jenes Existenzminimum nicht mehr gewährleistet ist, das ein menschenwürdiges Dasein erst ausmacht (BVerwG, Urteil vom 20.10.1987, InfAuslR 1988, 22 [BVerwG 20.10.1987 - BVerwG 9 C 42.87]). So Lag es bei den Klägerinnen aber nicht. Obwohl die Klägerin zu 1) nicht studieren durfte und die Klägerin zu 2) aus dem Schuldienst entlassen worden war, verfügten die Klägerinnen - auch nach dem im Jahre 1987 erfolgten Ausschluß von dem Bezug von Lebensmittelmarken - über eine ausreichende Existenzgrundlage. Die Klägerinnen hatten seit 1980 die Möglichkeit, im familieneigenen landwirtschaftlichen Betrieb unbehelligt zu produzieren und die Erzeugnisse über eine Genossenschaft zu vermarkten. Von dem Erlös (ca. 60.000 bis 70.000 Dong im Monat) konnten, wie die Klägerinnen in der mündlichen Verhandlung erklärt haben, 100 l Reis und Gewürze gekauft, Strom usw. bezahlt und auch die Steuern entrichtet werden. Mit dem Reis konnten die Klägerinnen etwas länger als einen Monat leben und davon auch vier Hunde und die im Betrieb gehaltenen Hühner ernähren. Es kann somit keine Rede davon sein, daß die Lebensbedingungen der Klägerinnen menschenunwürdig gewesen seien.
Die nächtlichen Hausdurchsuchungen, von denen die Klägerinnen berichtet haben, sind von der Häufigkeit und der Intensität her nicht asylrelevant, zumal sie nach 1987 seltener stattfanden. Die Annahme, ein Ausländer sei verfolgt im Sinne des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG, setzt mehr voraus als der Befund, er sei belästigt oder schikaniert worden (Randelzhofer in Maunz/Dürig/Herzog, GG, Art. 16 Abs. 2 Satz 2 Rdnr. 44). Nach Auffassung der Kammer überschritten die nächtlichen Polizeikontrollen nicht die Grenze des Unangenehmen und Lästigen.
Sonstige Vorfluchtgründe stehen den Klägerinnen, wie das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zutreffend festgestellt hat, ebenfalls nicht zur Seite.
Eine Anerkennung als Asylberechtigte ist aber deshalb auszusprechen, weil den Klägerinnen bei einer Rückkehr nach Vietnam politische Verfolgung wegen beachtlicher subjektiver Nachfluchtgründe droht, die daraus herzuleiten ist, daß sie in der Bundesrepublik Deutschland um Asyl nachgesucht, sich danach exilpolitisch betätigt haben und, als sie dies taten, latent gefährdet waren.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 17.01.1989, NVwZ 1989, 777, 778) ist ein subjektiver Nachfluchtgrund relevant, wenn für den Asylsuchenden eine ausweglose Lage bestanden hat, der Nachfluchtgrund mithin Folge einer im Heimatstaat vorhandenen latenten Gefährdung ist. Unter einer latenten Gefährdungslage ist dabei eine Lage zu verstehen, in der dem Ausländer vor seiner Ausreise im Heimatstaat politische Verfolgungsmaßnahmen zwar - noch - nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohten, nach den gesamten Umständen jedoch auf absehbare Zeit auch nicht hinreichend sicher auszuschließen waren, weil Anhaltspunkte vorlagen, die ihren Eintritt als nicht ganz entfernt erscheinen ließen. Sie entspricht damit im wesentlichen einer Situation, in die zurückzukehren einem Vorverfolgten nicht angesonnen werden kann. Eine in dieser Weise gekennzeichnete latente Gefährdungslage kann z.B. vorliegen, wenn sich der Ausländer in seinem Heimatstaat durch regimekritische Äußerungen verdächtig gemacht hat, eine von der herrschenden Staatsdoktrin abweichende politische Überzeugung zu besitzen. Sie ist indessen nicht auf diesen Fall beschränkt. Eine nicht ganz entfernt liegende politische Verfolgungsgefahr kann auch dann gegeben sein, wenn ein Ausländer, der sich in seinem Heimatstaat nicht politisch betätigt hat, dort aus sonstigen Gründen, z.B. wegen seiner Herkunft, seiner Abstammung oder seiner Volkszugehörigkeit, das Mißtrauen seines Heimatstaates hervorgerufen hat. Je nach den konkreten Umständen des einzelnen Falles läßt sich in einer solchen Situation ein plötzliches Umschlagen in konkrete politische Verfolgung auch aus geringfügigem Anlaß nicht hinreichend sicher ausschließen. Wer aus Furcht hiervon seinen Heimatstaat verläßt und einen - sodann politische Verfolgung nach sich ziehenden - Asylantrag stellt, erbringt aus der Sicht des Verfolgerstaates sozusagen den endgültigen Beweis für eine bereits zuvor vermutete, auf abweichender politischer Gesinnung beruhende politische Gegnerschaft. Durch die Asylantragstellung ist der Ausländer in eine konkrete Verfolgungsgefahr geraten, die angesichts der schon vor seiner Ausreise bestehenden latenten Gefährdungslage mit Leichtigkeit - etwa durch ein unbedachtes Wort - bereits im Heimatstaat hätte eintreten können. Unter solchen Umständen ist der subjektive Nachfluchtgrund der Beantragung von Asyl nach Sinn und Zweck der Asylverbürgung als vom Tatbestand des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG erfaßt anzusehen.
Nach dem Vorbringen der Klägerinnen, das die Kammer für wahr hält, waren sie, als sie Vietnam verließen, latent gefährdet. Die Klägerin zu 2) war wegen ihrer Ehe mit einem Hauptmann der (süd)vietnamesischen Armee den im Vietnamkrieg siegreichen (nord)vietnamesischen Kommunisten suspekt. Infolgedessen wurde sie im Jahre 1975 unmittelbar nach Ende des Vietnamkrieges aus dem Schuldienst entlassen und bis zu ihrer Ausreise im Juni 1989 überwacht. Ihr Haus wurde drei bis viermal im Monat von Soldaten durchsucht. Die Durchsuchungen dienten, wie die Klägerin zu 2) glaubhaft vorgetragen hat, der Feststellung, ob sich Regimegegner im Hause aufhielten und ob die Familie vollzählig daheim war. Die Klägerin zu 2) wurde wiederholt nach Freunden oder Bekannten ihres Mannes aus dessen Offizierstätigkeit gefragt. Des weiteren wurde sie verdächtigt, für Untergrundorganisationen tätig zu sein. Die Kammer hat keinen Zweifel daran, daß die Klägerin zu 2) asylrelevanten Repressalien ausgesetzt worden wäre, wenn die vietnamesischen Sicherheitsbehörden Anhaltspunkte für ihre Vermutung gefunden hätten, daß sich die Klägerin zu 2) oppositionell gegen das herrschende Regime betätige. - Der Klägerin zu 1) erging es zwar insofern etwas besser als der Klägerin zu 2), als sie im Jahre 1987 das Abitur ablegen durfte. Von den nächtlichen Kontrollen der vietnamesischen Sicherheitskräfte war sie aber nicht minder betroffen und damit ebenso latent gefährdet wie die Klägerin zu 2).
Das Verhalten der Klägerinnen nach ihrer Einreise ins Bundesgebiet hätte mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zur Folge, daß im Falle ihrer Rückkehr nach Vietnam die latente Gefährdung in eine akute umschlüge. Dabei läßt die Kammer offen, ob die Asylantragstellung allein im Zusammenhang mit der Vorbelastung der Klägerinnen Anlaß für Verfolgungsmaßnahmen wegen vermuteter politischer Gegnerschaft sein würde. Den Klägerinnen droht jedenfalls wegen ihrer zusätzlichen exilpolitischen Tätigkeit Bestrafung, und zwar nach Art. 85 des Vietnamesischen Strafgesetzbuches (s. hierzu Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 07. April 1992 an das VG Oldenburg; Stellungnahme von amnesty international vom 22. Juli 1991 gegenüber dem VG Kassel; Sachverständigengutachten Dr. Weggel und Dr. Will, Protokoll vom 26. Juni 1991 - VG Oldenburg - in den Verfahren 5 A 781 und 782/90 Os). Nach der genannten Vorschrift wird mit Gefängnis zwischen drei und zwölf Jahren bestraft, wer in ein fremdes Land flieht oder im Ausland bleibt mit der Absicht, gegen die Volksregierung zu opponieren. Diesen - politischen - Straftatbestand haben die Klägerinnen erfüllt. Sie sind seit Dezember 1989 Mitglied des Vereins Vietnamesischer Flüchtlinge e.V. in Göttingen, dessen Ziel es u.a. ist, sich für die Beachtung der Menschenrechte in Vietnam einzusetzen und gegen die Unterdrückung in Vietnam zu protestieren. Die Klägerinnen unterstützen darüber hinaus die Front für die Einheit und die Freiheit Vietnams durch Unterschriften, die Klägern zu 1) zusätzlich durch Geldspenden. Die Klägerin zu 2) hat am 07. März 1990 an einer Veranstaltung dieser Organisation in Frankfurt teilgenommen. Dadurch zeigten und zeigen die Klägerinnen nunmehr offen, daß sie der Politik der vietnamesischen Regierung kritisch gegenüberstehen. Die Vermutung der vietnamesischen Sicherheitsbehörden, die Klägerinnen seien politisch abweichend gesonnen, hat sich damit als richtig bestätigt.
Die Kammer geht davon aus, daß der vietnamesische Staat von der exilpolitischen Betätigung der Klägerinnen auch Kenntnis erlangt. Sie übernimmt die Einschätzung des Auswärtigen Amtes in seinem Lagebericht vom 24. Mai 1991, wonach davon ausgegangen werden kann, daß Vietnamesen, die sich während ihres Auslandaufenthaltes öffentlich gegen das herrschende Regime engagiert haben, den vietnamesischen Behörden bekannt sind.
Die Klage ist auch begründet, soweit sie auf die Verplichtung der Beklagten gerichtet ist festzustellen, daß im Falle der Klägerinnen die Voraussetzungen des §51 Abs. 1 AuslG erfüllt sind. Nach §51 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AuslG liegen die Voraussetzungen des Abs. 1 bei Asylberechtigten vor, und daß die Klägerinnen asylberechtigt sind, ergibt sich aus dem Vorstehenden.
Die Kostenentscheidung folgt aus §154 Abs. 1 VwGO und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §167 VwGO i.V.m. den §§708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Berufung war nicht zuzulassen, weil keiner der in §32 Abs. 2 AsylVfG genannten Zulassungsgründe vorliegt.
Rechtsmittelbelehrung
Die Nichtzulassung der Berufung kann selbständig durch Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils angefochten werden.
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Prilop
Gatz