Amtsgericht Neustadt am Rübenberge
Beschl. v. 24.05.2008, Az.: 87 XIV 1/08

Bibliographie

Gericht
AG Neustadt am Rübenberge
Datum
24.05.2008
Aktenzeichen
87 XIV 1/08
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2008, 46514
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGNEUST:2008:0524.87XIV1.08.0A

Tenor:

  1. wird der Antrag des Betroffenen, festzustellen daß seine Ingewahrsamnahme vom 28.01.2008, 18:00 Uhr bis zum Erlaß des Haftbeschlusses am 29.01.2008 rechtswidrig war, auf seine Kosten zurückgewiesen.

Gründe

1

Der Antrag ist gemäß § 13 Abs. 2 FreihEntzG zulässig, soweit er sich auf eine Maßnahme der Ausländerbehörde bezieht, die eine nicht auf richterlicher Anordnung beruhende Freiheitsentziehung betrifft, nämlich die durch die Ausländerbehörde aufgrund § 62 Abs. 4 AuslG veranlaßte vorläufige Ingewahrsamnahme am 28.01.2008 um 16:00 Uhr.

2

Die Feststellung der Rechtswidrigkeit im Rahmen des vorliegenden Verfahrens könnte sich allerdings nur darauf beziehen, daß der Betroffene ohne vorherige richterliche Anordnung nicht zur Vorbereitung oder Sicherung der Abschiebung hätte in Gewahrsam genommen werden dürfen. Die Rechtmäßigkeit der Festnahme aus evtl. bestehenden straf- oder polizeirechtlichen Gründen kann nicht Gegenstand dieses Verfahrens sein.

3

Aber auch in diesem Umfang ist der Antrag nicht begründet. Die Ingewahrsamnahme des Betroffenen war rechtmäßig. Der Betroffene ist insbesondere entsprechend § 62 Abs. 4 S. 2 AufenthG unverzüglich dem zuständigen Richter vorgeführt worden.

4

"Unverzüglich" bedeutet, zum nächsten möglichen Zeitpunkt. Der Antrag ist bei Gericht zwar erst am 29.01.2008 um 12:07 Uhr eingegangen, was sicherlich nicht unverzüglich gewesen ist. Der Betroffene ist dann etwa zwei Stunden nach Antragstellung vorgeführt worden.

5

Die verspätete Antragstellung hat sich aber nicht weiter ausgewirkt. Der nächste mögliche Zeitpunkt für eine Vorführung wäre wegen der Bindung des zuständigen. Richters in einer Sitzung am Vormittag des 29.01.2008 nämlich auch dann erst am frühen Nachmittag des 29.01.2008 gewesen, wenn der Antrag am 28.01.2008 um 18:00 Uhr oder um 19:00 Uhr bei Gericht eingegangen wäre. Eventuell wäre eine Vorführung am 28.01.2008 bei Antragstellung um 16:00 Uhr noch möglich gewesen, der Ausländerbehörde ist aber ihrerseits ein angemessener Zeitraum von mindestens 2 bis 3 Stunden zuzubilligen, um einen Antrag zu stellen.

6

Es wäre dem zuständigen Richter weder möglich noch zumutbar gewesen, noch am Abend des 28.01.2008 eine Vorführung des Betroffenen durchführen zu lassen. Das weitere erforderliche Personal (Wachtmeister und Protokollführer) hätte ebenfalls nicht zur Verfügung gestanden. Ein besonderer Eildienst für Vorführungen außerhalb der üblichen Dienstzeiten ist bei dem Amtsgericht Neustadt a.Rbge. nicht eingerichtet und kann mangels Personal auch nicht eingerichtet werden. (Eingerichtet ist ein richterlicher Telefon-Eildienst, aber Vorführungen können nicht telefonisch erfolgen.)

7

Entgegen der anscheinend vom BVerfG vertretenen Auffassung (vgl. etwa Beschl. vom 15.05.2003, 2 BvR 2292/00 ) führt dies aber nicht zur Rechtswidrigkeit der vorläufigen Ingewahrsamnahme des Betroffenen. Unverzüglich bedeutet nicht "sofort", sondern "sobald wie den Umständen nach möglich". Was möglich ist, richtet sich nach den im konkreten Fall wirklich gegebenen Tatsachen. Aufgrund dieser Tatsachen hätte das Gericht die Vorführung des Betroffenen auch bei früherer Antragstellung nicht früher durchführen können, als tatsächlich geschehen.

8

Der Staat ist dabei sicherlich verpflichtet, durch organisatorische Maßnahmen zu garantieren, daß der Grundrechtsschutz auch praktisch wirksam wird. Eine Verpflichtung des Staates (der in einigen Fällen schon überfordert zu sein scheint, der Justiz genügend Personal zur Erledigung ihrer innerhalb der gewöhnlichen Geschäftszeiten anfallenden Aufgaben zur Verfügung zu stellen) so viel Personal vorzuhalten, daß eine Vorführung auch außerhalb der üblichen Geschäftszeiten möglich wird, läßt sich dem Grundgesetz, insbesondere auch Art. 104 GG, aber nicht entnehmen.

9

Vorführungen während der gesamten sog. "Tageszeit" (04:00 Uhr bzw. 06:00 Uhr bis 21:00 Uhr) wären auch wohl nur dann in vollem Umfang zu garantieren, wenn man eine Art "kasernierten Justizdienst" einrichten würde. Eine Anreise des Personals von zuhause aus würde in vielen Fällen nämlich eine Stunde, in manchen Fällen auch noch länger dauern. Es fragt sich, ob das ggf. eine sachlich nicht gerechtfertigte Verzögerung wäre. Bei Antragstellung etwa um 20:30 Uhr müßte schließlich noch zur Tageszeit vorgeführt werden.

10

Ein im Gericht nächtigender Eildienst (wer um 04:00 Uhr wieder anwesend sein muß, wird um 21:00 Uhr nicht mehr nach Hause fahren können, wenn er einen weiten Weg hat; mit öffentlichen Verkehrsmitteln käme er möglicherweise gar nicht mehr dorthin) würde allerdings auch die Ausstattung mit dafür geeigneten Räumen erforderlich machen. Wenn der Staat für das Personal sorgen muß, wird er sich dem aber konsequenterweise auch nicht entziehen dürfen.

11

Das Grundgesetz fordert einen derart übersteigerten Aufwand tatsächlich aber gar nicht. Das ist in den ersten 50 Jahren nach Inkrafttreten des Grundgesetzes offenbar auch allgemeine Auffassung gewesen, jedenfalls hat das BVerfG erst in neuerer Zeit einen zur Tageszeit ständig erreichbaren Richter gefordert (dessen Anwesenheit im Gericht zwar nicht ausdrücklich, aber in seiner Abwesenheit kann ihm niemand vorgeführt werden, so daß Erreichbarkeit nur bei Anwesenheit sinnvoll sein kann).

12

Wenn es in Art. 104 Abs. 3 S. 1 GG heißt, ein wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung vorläufig Festgenommener (auf aus anderen Gründen Festgenommene werden keine engeren Maßstäbe anzuwenden sein) sei spätestens am Tage nach der Festnahme dem Richter vorzuführen, so bedeutet das zwar zweifelsfrei nicht, daß jede Vorführung bis zum Ablauf des auf die Festnahme folgenden Tages noch unverzüglich ist. Es macht aber klar, was die durch das Grundgesetz gestellte Mindestanforderung an den Staat sein soll: Er muß organisatorisch garantieren, daß die erforderliche Ausstattung angeschafft wird und das notwendige Personal zur Verfügung steht, um die Vorführung festgenommener Personen spätestens am Tag nach der Festnahme durchführen zu können; nicht weniger aber auch nicht mehr. Die Vorführung hat dann zu dem mit diesen Mitteln frühest möglichen Zeitpunkt zu erfolgen. Die Vorführung soll zwar möglichst sofort sein, kann bei Antragstellung außerhalb der üblichen Dienststunden aber auch am folgenden Tag stattfinden.

13

Um die ihm gestellten Mindestanforderungen zu erfüllen, braucht der Staat nicht für einen aufwendigen "Justizdauerdienst" zu sorgen. Was Art. 104 GG tatsächlich fordert, kann mit den zur Verfügung gestellten Mitteln erreicht werden und ist im vorliegenden Fall auch erreicht worden.