Landgericht Hildesheim
Urt. v. 14.01.2010, Az.: 1 S 58/09

Bibliographie

Gericht
LG Hildesheim
Datum
14.01.2010
Aktenzeichen
1 S 58/09
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2010, 47947
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hildesheim - 01.10.2009 - AZ: 448 C 33/09
nachfolgend
BGH - 14.10.2010 - AZ: IX ZR 16/10

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 01.10.2009 verkündete Urteil des Amtsgerichts Hildesheim wird zurückgewiesen. Die Kosten der Berufung trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird zugelassen.

Gebührenstreitwert für die Berufung: 963,50 €.

Gründe

I.

Gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen.

Die Beklagte rügt im Wesentlichen die fehlerhafte Anwendung materiellen Rechts durch die angefochtene Entscheidung. Aus dem personalen Strafcharakter einer Geldstrafe ergebe sich anders als vom Amtsgericht angenommen ein Vorrang der Vollstreckung von Geldstrafen vor den Regelungen der Insolvenzordnung in den deswegen nicht anwendbaren §§ 21, 24, 81, 129 ff. InsO.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Amtsgerichts Hildesheim vom 01.10.2009, Az 48 C 33/09, aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

II.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Das Amtsgericht hat sie zu Recht zur Zahlung des ihr vom Insolvenzschuldner geleisteten Betrages in Höhe von 963,50 € an den Kläger verurteilt. Das angefochtene Urteil beruht weder auf einer Rechtsverletzung (§§ 513 Abs. 1, 1. Alt., 546 ZPO) noch rechtfertigen nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1, 2. Alt. ZPO).

1. Die Beklagte ist gem. § 143 InsO nach der mit Schreiben des Klägers vom 26.11.2008 erklärten Anfechtung zur Zahlung des ihr vom Insolvenzschuldner überwiesenen Betrages an den Kläger verpflichtet.

a. Der Insolvenzschuldner hat die Geldstrafe nach dem der Entscheidung zugrunde zu legenden Sachverhalt die Insolvenzgläubiger benachteiligend aus der Insolvenzmasse entnommen.

Soweit die Beklagte in erster Instanz der Ansicht war, dass das Geld nicht aus dem pfändbaren Teil des Vermögens des Insolvenzschuldners gezahlt worden sei, ist unbestritten geblieben, dass der Betrag entsprechend dem Auszug des Kassenbuchs des Insolvenzschuldners eine Privatentnahme aus seinem gastronomischen Betrieb war. Ein Pfändungsschutz für dieses Vermögen ergibt sich - da es sich dabei nicht um Einkünfte der in den §§ 850 bis 850b ZPO bezeichneten Art handelt - nicht aus § 811 Abs. 1 Nr. 8 ZPO. Im Übrigen belief sich der Kassenstand ausweislich des Saldos aus Einnahmen und Ausgaben in dem Kassenbuch vor der Entnahme zur Zahlung der Geldstrafe auf 3.492,71 €.

Die Behauptung der Beklagten, das Geld sei vom Konto einer … überwiesen worden, ist erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz mit Schriftsatz vom 30.10.2009 (Erwiderung zum Antrag des Klägers auf Urteilsberichtigung) in den Rechtsstreit eingeführt worden. Als neuer Vortrag in zweiter Instanz ist diese Tatsache der Entscheidung gem. §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 ZPO nicht zugrunde zu legen, soweit diese streitig geblieben ist. Unstreitig gestellt ist von dem Kläger zwar die Zahlung durch Frau…, nicht aber, dass es auch deren Geld und nicht solches ihr vom Insolvenzschuldner zum Zwecke der Zahlung der Geldstrafe zur Verfügung gestelltes war. Handelt aber eine eingesetzte Mittelsperson auf Weisung und Kosten des Insolvenzschuldners ist anfechtungsrechtlich von einer Leistung des Insolvenzschuldners auszugehen, wenn sich diese für den Empfänger als eine solche darstellt (Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, Rdnr. 68 zu § 129 InsO). Schon aufgrund der Angabe des dem Insolvenzschuldner mitgeteilten Kassenzeichens bei der Überweisung musste die Beklagte von einer Leistung durch diesen ausgehen.

b. Die Zahlung einer Geldstrafe ist eine anfechtbare Rechtshandlung im Sinne der §§ 130, 131 InsO.

aa. Der BGH (NJW 2008, 2506 [BGH 05.06.2008 - IX ZR 17/07]) hat die Zahlung einer Geldauflage im Sinne des § 153a Abs. 2 StPO durch einen Insolvenzschuldner als anfechtbar im Sinne des § 133 InsO bewertet. Auch diese Norm setzt wie die §§ 130, 131 InsO eine Rechtshandlung voraus. Der Anwendbarkeit des § 133 InsO liegt die Wertung des § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO zugrunde, der die Nachrangigkeit der Geldstrafenvollstreckung regelt (BGH a.a.O.:

"Die Folgen strafbarer Handlungen des Schuldners sollen nicht den Insolvenzgläubigern aufgebürdet werden. Wenn deshalb Geldstrafen, Geldbußen, Ordnungsgelder und ähnliche Sanktionen in der Insolvenz des Schuldners nur nachrangige Insolvenzverbindlichkeiten sind, so wäre es widersprüchlich, zur Einstellung eines Strafverfahrens gezahlte Geldauflagen zum Nachteil der Masse vor einer anfechtungsrechtlichen Rückforderung besonders zu schützen.")

Wenn aber mit der Wertung aus § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO sogar die darin nicht erwähnte Zahlung einer Geldauflage angefochten und die Zahlung deswegen zurückgefordert werden kann, so muss dies erst Recht für die unmittelbar in der den Rechtsgedanken tragenden Vorschrift erwähnte Sanktion der Geldstrafe gelten (im Ergebnis so auch Cranshaw, Anm. zum Urteil des BGH a.a.O, jurisPR-InsR 17/2008 Anm. 1). Auch die §§ 225 Abs. 3 und 302 Nr. 2 InsO sind - worauf das Amtsgericht mit zutreffender Begründung hinweist - nicht Ausdruck eines allgemeinem Vorrangs des Strafvollstreckungsrechts, sondern schaffen als spezielle Vorschriften einen Ausgleich für die Nachrangigkeit einer Geldstrafe während des laufenden Insolvenzverfahrens.

bb. Diese Nachrangigkeit der Strafvollstreckung mag vom Gesetzgeber nicht bedachte Schwierigkeiten bei der Vollstreckung von Geld- bzw. Ersatzfreiheitsstrafen durch die Staatsanwaltschaften mit sich bringen. Der staatliche Strafanspruch wird durch sie aber nicht in der Weise beeinträchtigt, dass eine Strafvollstreckung überhaupt erst nach Abschluss des Insolvenzverfahrens möglich wäre (so aber LG Frankfurt NZI 2006, 714 [LG Frankfurt am Main 31.08.2006 - 2/13 T 130/06]). Im Spannungsverhältnis zwischen Insolvenz- und Strafvollstreckungsrecht bleibt zu dessen Realisierung - wenn nicht weitere Umstände eine unbillige Härte gem. § 459f StPO begründen - die Möglichkeit der Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe i.S.d. § 43 StGB (BVerfG NJW 2006, 3626 [BVerfG 24.08.2006 - 2 BvR 1552/06]; LG Osnabrück Beschluss vom 22.06.2006 - 1 Qs 37/06 - [juris]; Klapproth: "Ausgewählte Auswirkungen der Insolvenz des Beschuldigten auf ein Steuerstrafverfahren", wistra 2008, 174). Im Gegenteil verlöre die Geldstrafe sogar ihren pönalen Charakter, wenn sie den Schuldner nicht mehr persönlich, sondern vor allem die Insolvenzgläubiger durch Verminderung ihrer Quote belasten würde (BVerfG a.a.O., m.w.N.).

cc. Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht aus dem von der Berufung zitierten Beschluss des LG Potsdam (NJW 2007, 1544 [LG Potsdam 14.09.2006 - 21 Qs 108/06]). Dieser bezieht sich auf ein Bußgeldverfahren und lässt die Vollstreckung einer Erzwingungshaft (die andernfalls während des Insolvenzverfahrens nicht vollstreckt werden könnte, weil sie anders als eine Ersatzfreiheitsstrafe gerade keinen Strafcharakter hat) dann zu, wenn und soweit die Geldbuße trotz der Insolvenz gezahlt werden kann. Dabei wird ausdrücklich darauf abgestellt, dass der Schuldner über den zwischen dem Existenzminimum und den Pfändungsfreibetrag liegenden Teil seines Einkommens frei verfügen kann (in dem vom LG Potsdam zu entscheidenden Fall ging es um eine Geldbuße in Höhe von 5,00 €) - eine Konstellation, die der hier zu treffenden Entscheidung nicht zugrunde liegt (s.o.).

dd. Ob die Anfechtung aus § 130 InsO oder aus § 131 InsO folgt, kann dahinstehen: die erstgenannte Vorschrift ist einschlägig, falls der Insolvenzschuldner trotz der Insolvenz als nicht Zahlungsunfähig im Sinne des § 43 StGB anzusehen wäre. Zwar dürfte regelmäßig ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens von der Uneinbringlichkeit einer Geldstrafe auszugehen sein (BVerfG a.a.O.), so dass § 131 InsO anwendbar wäre. Sollte aber ausnahmsweise trotz der Insolvenz die Geldstrafe nicht uneinbringlich sein, so würde sich das Anfechtungsrecht aus § 130 InsO ergeben.

ee. Schließlich hat der Insolvenzschuldner die Zahlung am 21.08.2008 und damit nach dem Eröffnungsantrag vom 14.03.2008, vom dem er die Beklagte am 04.08.2008 in Kenntnis setzte, und nach Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit Beschluss des Amtsgerichts Gifhorn vom 06.06.2008 - 35 IN 130/08 - geleistet, §§ 130 Abs. 1 Nr. 2 bzw. 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO.

2. Damit kann dahinstehen, ob die Überweisung über Frau … eine Verfügung im Sinne des § 81 InsO war und sich der Anspruch deswegen auch aus den §§ 812 ff. (nicht wie vom Amtsgericht angenommen aus § 985) BGB ergibt.

II.

Die Berufung war daher mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

III.

Die Kammer hat die Revision zugelassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Es war über eine noch nicht von der Rechtsprechung geklärte Frage zu entscheiden, deren Auftreten immer wieder bei der Vollstreckung von Geldstrafen zu erwarten ist und an deren Klärung deswegen ein abstraktes Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Handhabung begründet ist.