Landgericht Hildesheim
Urt. v. 01.04.2010, Az.: 7 S 254/09

Bibliographie

Gericht
LG Hildesheim
Datum
01.04.2010
Aktenzeichen
7 S 254/09
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2010, 47937
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
AG - 29.10.2009 - AZ: 5 C 173/09

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 29.10.2009 verkündete Urteil des Amtsgericht Peine wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Der Gebührenstreitwert der Berufung wird auf 87,00 € festgesetzt.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr.1 ZPO wird auf die in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils enthaltenen tatsächlichen Feststellungen Bezug genommen.

Die Beklagte rügt mit der Berufung, das Amtsgericht habe verkannt, dass fiktive Verbringungskosten generell nicht erstattungsfähig seien, da der tatsächliche Anfall solcher Kosten nicht feststehe.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das Urteil erster Instanz.

II.

Die Berufung ist durch das Amtsgericht gemäß § 511 Abs. 2 Nr.2, Abs. 4 ZPO zugelassen und von der Beklagten form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das Rechtsmittel hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

Die Klägerin hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung in Höhe von 87,00 € aus §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 Satz 1 VVG.

Die unstreitig zu 100 % bestehende Ersatzpflicht der Beklagten als Haftpflichtversicherer für die der Klägerin aus dem Verkehrsunfall am 04.03.2008 in Peine entstandenen Schäden umfasst im vorliegenden Fall auch die fiktiven Verbringungskosten des PKW zu einer Lackiererei.

Die Frage, ob im Fall einer fiktiven Abrechnung die Verbringung des Unfallwagens zu einer Fremdlackiererei als erforderliche Aufwendung zu ersetzen ist, wird in der kaum überschaubaren Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beantwortet (vgl. nur Münchener Kommentar/Oetker, BGB, 4. Aufl., Rz. 350 § 249 m. zahlreichen w.N.).

1. Grundsätzlich ist der Schadensersatzanspruch auf vollständige Restitution gerichtet, d.h. der Geschädigte soll so gestellt werden, als wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre, § 249 Abs. 1 BGB. Zu dem Ersatzanspruch in Geld gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB gehört auch die Verbringung des beschädigten Gegenstandes zum Ort der Reparatur, wenn und soweit dies erforderlich ist (vgl. nur Staudinger/Schiemann, BGB, 2005, Rz. 231 § 249 m.w.N.). Das gilt entsprechend auch für Verbringungskosten. Dass bei der fiktiven Abrechnung ihre Entstehung nicht sicher ist, rechtfertigt einen Abzug zu Lasten des Geschädigten nicht. Der nach dem Willen des Gesetzgebers zugelassenen fiktiven Schadensberechnung ist immanent, dass der Geschädigte frei über den erforderlichen Ausgleichsbetrag verfügen kann. Er braucht nicht nachzuweisen, dass die Kosten der Verbringung des Fahrzeugs in eine Lackiererei tatsächlich angefallen sind (Böhme/Biela, Kraftverkehrs-Haftpflicht-Schäden, 24. Aufl., 4/27 m.w.N.). Eine Ausnahme normiert § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB ausdrücklich nur für die Mehrwertsteuer, die nur dann erstattungsfähig ist, wenn sie tatsächlich anfällt.

2. Es handelt sich dabei nicht um eine "doppelte Fiktion"; denn neben dem Institut des Vorteilsausgleichs, der verhindern soll, dass der Geschädigte durch das schädigende Ereignis bereichert wird, bietet die Schadensminderungspflicht des § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB ein hinreichendes Korrektiv. Hiernach ist der Geschädigte im Rahmen des einem ordentlichen und verständigen Menschen Zumutbaren gehalten, einen - ggfs. weiteren - Schadenseintritt zu verhindern oder den eingetretenen Schaden zu mindern. Schäden, deren Entstehung er hätte verhindern können oder die er selbst erst verursacht bzw. intensiviert hat, kann er nicht ersetzt verlangen (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 69. Aufl. § 254 Rn.36, 44).

3. Für die Fälle der Verbringung zu einer markengebunden Fachwerkstatt hat sich der Grundsatz herausgebildet, dass der Geschädigte sich auf eine ohne Weiteres zugängliche günstigere und gleichwertigere Reparaturmöglichkeit verweisen lassen muss, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen hierfür vorliegen (vgl. BGH, NJW 2003, 2086 [BGH 29.04.2003 - VI ZR 398/02]). Will der Schädiger bzw. sein Versicherer den Geschädigten unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne Weiteres zugänglichen freien Fachwerkstatt verweisen, muss er darlegen und beweisen, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht (vgl. BGH, NJW 2010, 606-608 [BGH 20.10.2009 - VI ZR 53/09]).

Diese Anforderungen lassen sich auf die Fälle fiktiver Verbringungskosten zu einer Fremdlackiererei entsprechend anwenden. Diese sind jedenfalls dann nicht erstattungsfähig, wenn eine Fachwerkstatt vor Ort die erforderlichen Lackierarbeiten in gleicher Qualität mit anbietet (so auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 16.06.2008, I-1 U 246/07, Rz. 59 + 63, zitiert nach juris; Urteil vom 25.06.2001, 1 U 126/00, Rz. 19, zitiert nach juris; LG Dortmund, Urteil vom 28.11.2008, 17 S 68/08, zitiert nach juris). Die Klägerin muss sich daran messen lassen, welche Werkstatt ein wirtschaftlich denkender Geschädigter wählen würde, der die Kosten selbst tragen muss.

4. Für einen Verstoß gegen § 254 Abs. 2 BGB als für ihn günstige Tatsache ist der Schädiger nach den allgemeinen Grundsätzen darlegungs- und beweisbelastet. Auf die fiktiv abgerechneten Verbringungskosten übertragen, hat der Schädiger darzulegen, in welcher Werkstatt die Reparaturen ohne zusätzliche Kosten für die Lackierarbeiten durchgeführt werden können, sei es dass eine Lackiererei integriert ist, sei es dass die zu bezeichnende Werkstatt mit einer Lackiererei so kooperiert, dass keine Verbringungskosten entstehen. Vorliegend hat sich die Beklagte jedoch darauf beschränkt zu bestreiten, dass es in Peine und Umgebung keine Fachwerkstatt mit eigener Lackiererei gebe. Hiermit ist sie ihrer Darlegungslast nicht nachgekommen, so dass eine konkrete Verletzung der Schadensminderungspflicht durch die Klägerin nicht ersichtlich ist.

Der Zinsanspruch rechtfertigt sich aus §§ 288, 286 BGB.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr.10, 711 ZPO.

IV

Die Revision war nach § 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zuzulassen.

Die Rechtsfrage der Erstattung fiktiver Verbringungskosten in eine Lackiererei hat für den vorliegenden Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung und ist - soweit ersichtlich - bisher höchstrichterlich noch nicht entschieden worden.

Sie kann sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen und hat sich so auch schon gestellt, wie die kaum übersehbare untergerichtliche Rechtsprechung sinnfällig zeigt. Daraus folgt auch das Gericht der Rechtsfrage für die beteiligten Verkehrskreise, das zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.