Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 29.08.2018, Az.: 5 W 35/18
Besorgnis der Befangenheit des gerichtlich bestellten Sachverständigen im Arzthaftungsprozess
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 29.08.2018
- Aktenzeichen
- 5 W 35/18
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2018, 33865
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Oldenburg - 07.06.2018 - AZ: 8 O 314/17
Rechtsgrundlagen
- § 406 Abs. 1 ZPO
- § 42 Abs. 2 ZPO
Fundstellen
- ArztR 2018, 330-331
- GesR 2018, 651-652
- MDR 2018, 1495
Amtlicher Leitsatz
Die einseitig elektive Auswertung der ärztlichen Behandlungsunterlagen wie auch die ausweichende Äußerung zur Beweisfrage können die Besorgnis der Befangenheit des medizinischen Sachverständigen begründen.
Tenor:
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Landgerichts Oldenburg vom 07. Juni 2018 geändert und das gegen die Sachverständige S. gerichtete Ablehnungsgesuch für begründet erklärt.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.
Gründe
Die sofortige Beschwerde der Klägerin ist zulässig. Sie ist gemäß § 406 Abs. 5 ZPO statthaft sowie form- und fristgemäß eingelegt worden (§ 569 ZPO). In der Sache hat sie Erfolg.
1. Die Klägerin hat den Ablehnungsantrag der gegen die Sachverständige S. rechtzeitig angebracht.
(...)
2. Die Beschwerde hat Erfolg. Das Ablehnungsgesuch der Klägerin gemäß §§ 406 Abs.1, 42 Abs.2 ZPO ist begründet.
Die Äußerungen der Sachverständigen in dem schriftlichen Gutachten sind geeignet, bei einer verständigen Partei den Eindruck der Voreingenommenheit zu Gunsten des beklagten Arztes und zu Ungunsten der klagenden Patientin zu begründen.
Im Wesentlichen beruht der Eindruck darauf, dass die Sachverständige den Vortrag der Parteien und die Behandlungsdokumentation einseitig zu Gunsten des beklagten Arztes ausgewertet und die entscheidende Beweisfrage ausweichend beantwortet hat.
a)
Die Klägerin behauptet u.a., der Beklagte habe ihr im November und Dezember 2013 zusätzlich zu dem Medikament Lorazepam Lexotanil verordnet; sie habe die Mittel zusammen nehmen sollen; dies stelle einen Behandlungsfehler dar. Der Beklagte hat dazu vorgetragen (Klageerwiderung vom 10.08.2017, S.14, Bl.77 / I d.A.):" Aus der diagnostischen und therapeutischen Gesamtschau ist die Verordnung von Lorazepam als auch 2x Lexotanil nicht zu beanstanden. Dies gilt auch in pharmakologischer Hinsicht."
Obgleich der Beklagte die parallele Verordnung der beiden Medikamente damit im Grund eingeräumt hat, hat die Sachverständige zu Gunsten des Beklagten unterstellt, er habe Lexotanil statt Lorazepam verordnet. Sie führt dazu aus: "Dass der Beklagte empfahl, Lorazepam parallel zu Lexotanil einzunehmen, steht nicht im Protokoll und würde auch zu der verordneten Kleinstpackung der Lexotanil-Tabletten nicht passen, die nur für 20 Tage reichen konnte."
Bereits dieser Umstand, dass nämlich die Sachverständige zu Gunsten des Beklagten Unterstellungen macht, die im Vortrag der Parteien keine Grundlage finden, lässt erhebliche Zweifel an ihrer Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit aufkommen. Hinzu kommt indessen in diesem Zusammenhang die elektive Heranziehung der ärztlichen Dokumentation zu Gunsten des Beklagten und zu Ungunsten der Klägerin, wenn die Sachverständige ausführt, dass die Packungsgröße von 20 Tabletten Lexotanil dafür spreche, dass Lexotanil statt Lorazepam verordnet worden sei. Es kann an dieser Stelle dahinstehen, ob diese Argumentation besonders überzeugend ist. Als parteiisch muss für die Klägerin indessen der Umstand wirken, dass die Sachverständige in diesem Zusammenhang unerwähnt lässt, dass nach der erstmaligen Verordnung von 20 Tabletten Lexotanil am 22. November, der Beklagte der Klägerin zweimal in kurzer Folge Lexotanil in 50er-Packungen verordnet hat, nämlich am 28. November und am 10. Dezember, jeweils zusammen mit Lorazepam.
Damit hat die Sachverständige mit Blick auf ihre Argumentation zu Gunsten des Beklagten, dass nämlich die Rezeptierung von nur 20 Tabletten Lexotanil (und nicht von Packungen mit dem Inhalt von 50 Tabletten) dafür spreche, dass der Beklagte Lexotanil nicht in Kombination mit Lorazepam verschrieben habe, wesentlichen Inhalt der Behandlungsunterlagen, welcher der Klägerin im Sinne der Argumentation der Sachverständigen günstig wäre, bei ihrer Begutachtung unberücksichtigt gelassen. Da der Sachverständigen dieser Umstand bei Auswertung der Unterlagen nicht entgangen sein kann, liegt aus Sicht einer verständigen Partei der Schluss nahe, dass die Sachverständige im Rahmen ihrer Argumentation absichtlich der Klägerin günstige Eintragungen in den Behandlungsunterlagen zu ihren Ungunsten unberücksichtigt gelassen hat. Dies allein rechtfertigt nach Ansicht des Senats bereits das Ablehnungsgesuch.
b)
Hinzu kommt indessen die Art und Weise, wie sich die Sachverständige zu Gunsten des Beklagten der Beantwortung der Beweisfrage entzieht; was auf eine verständige Partei so wirken kann, als solle eine dem Beklagten ungünstige Bewertung auf jeden Fall vermieden werden. So lautet die Antwort der Sachverständigen auf die Beweisfrage, der Klägerin hätten die Medikamente Lorazepam und Lexotanil nicht in der rezeptierten Menge verordnet werden dürfen (Ziff. I.2. des Beschlusses vom 17.11.2017, Bl. 132 / d.A.).: "Bezüglich der Menge an eingenommenen Tabletten ist zu sagen, dass ein ambulant tätiger Arzt die Medikamenteneinnahme nicht überwachen kann. So konnte der Beklagte nicht wissen, wann die Klägerin welche und wieviele Tabletten tatsächlich einnahm.(...) Wie viele Benzodiazepine ein Arzt auf Verlangen seiner Patienten auf Privatrezepten verordnen darf, ist nirgends festgeschrieben. Solange keine Straftat damit in Verbindung zu bringen ist und keine Unverträglichkeit des Patienten bekannt ist, kann es wohl keine Einwendungen gegen ausgestellte Privatrezepte geben, zumal auch ganz harmlose Gründe dafür vorliegen können (wie z.B. Tabletten bei Renovierung des Hauses verlegt, verloren oder unbrauchbar geworden)" (S.18 f., Bl.221 f / I d.A.).
Es ist evident, dass es nicht um die Frage gegangen ist, ob ein Arzt den Medikamentenkonsum seiner Patienten kontrollieren kann / muss oder nicht bzw. ob und in welchem Umfang er Privatrezepte ausstellen darf, sondern ob er mit Blick auf das Suchtpotential von Benzodiazepinen entsprechende Rezepte in dieser Zahl ausstellen darf. Die Art und Weise wie die Sachverständige vorliegend versucht, sich einer klaren Antwort auf diese einfache Frage zu entziehen, kann im Grunde nicht anders verstanden werden, als dass die Sachverständige hat vermeiden wollen, eine dem Beklagten ungünstige Beurteilung seines Verordnungsverhaltens abzugeben.
Dies rechtfertigt - jedenfalls zusammen mit der Unterstellung zu Gunsten des Beklagten und der elektiven Auswertung der Behandlungsunterlagen (s.o. a))- die Ablehnung wegen Befangenheit.
Eine Kostenentscheidung war nicht veranlasst.