Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 18.04.1989, Az.: 10 L 30/89

Tonbandaufzeichnungen; Presse; Journalist; Gemeinderat; Ratssitzung; Öffentliche Sitzung; Hausrecht; Pressefreiheit; Urheberrecht; Allgemeines Persönlichkeitsrecht

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
18.04.1989
Aktenzeichen
10 L 30/89
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1989, 12795
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1989:0418.10L30.89.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 16.04.1986 - AZ: 1 VG A 113/84
nachfolgend
BVerwG - 03.08.1990 - AZ: BVerwG 7 C 14.90

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - 1. Kammer Hannover - vom 16. April 1986 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

1

I.

Der Kläger ist als freier Journalist tätig. Er arbeitet u.a. für das in G. erscheinende Anzeigenblatt "...". Am 25. Juni 1984 nahm er zusammen mit zwei weiteren Journalisten des "..." an einer Sitzung des Rates der Stadt Garbsen teil. Zu dieser Sitzung hatten die Journalisten Kassettengeräte mitgebracht, die sie entsprechend ihrer gegenüber dem Beklagten vorher abgegebenen Ankündigung zur Aufzeichnung von Wortbeiträgen von Beginn der Sitzung an laufen ließen. Während der Abwicklung der die Sitzung einleitenden "Regularien - 1.1 Feststellung der ordnungsgemäßen Einladung und der Beschlußfähigkeit des Rates" unterrichtete der Beklagte hierüber die Mitglieder des Rates. Er schlug vor, zu der Frage, ob Tonbandaufzeichnungen für die Berichterstattung verwertet werden könnten, die Auffassung der städtischen Rechtsabteilung zu hören und dann darüber zu entscheiden, ob der Rat derartige Tonbandaufzeichnungen zulassen wolle. Nach Diskussion sprach sich der Rat der Stadt G. mit Ja-Stimmen bei 34 Nein-Stimmen dagegen aus, Tonbandaufzeichnungen von Mitarbeitern der Presse während der öffentlichen Ratssitzung zuzulassen. Der Aufforderung des Beklagten, die noch laufenden Tonbandgeräte nunmehr abzuschalten, kamen der Kläger und die beiden anderen Journalisten nicht nach, weil sie die Aufzeichnung einer öffentlichen Ratssitzung auf Tonträger für rechtmäßig hielten. Sie kamen auch der Bitte des Beklagten, den Sitzungsraum zu verlassen und ihm das Tonband zu übergeben, auf dem der bisherige Sitzungsverlauf auf gezeichnet worden war, nicht nach. Daraufhin unterbrach der Beklagte die Sitzung des Rates der Stadt G.. Nach Wiedereröffnung der Sitzung teilte er den anwesenden Ratsmitgliedern mit, daß die inzwischen eingetroffenen Polizeibeamten sich nicht in der Lage sähen, das von ihm ausgeübte Hausrecht gegenüber den Mitarbeitern des "..." durchzusetzen und beendete die Sitzung.

2

Am 20. Juli 1984 erhoben der Beklagte und drei weitere Mitglieder des Rates der Stadt G. gegen den Kläger und zwei weitere Journalisten beim Landgericht Hannover Klage mit dem Ziel, diesen bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis zu 10.000,-- DM, ersatzweise Ordnungshaft zu untersagen, von dem Tonbandmitschnitt der Ratssitzung vom 25. Juni 1984 des Rates der Stadt G. Gebrauch zu machen. Durch Urteil vom 6. November 1984 wurde die Klage abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung wurde vom Oberlandesgericht Celle durch Urteil vom 26. Juni 1985 (NST-N 1985, 317; NVwZ 1985, 861) zurückgewiesen.

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Der Kläger hat am 5. Juli 1984 den Verwaltungsrechtsweg beschritten und zur Begründung seiner Klage vorgetragen: Der Beklagte sei verpflichtet, ihm die Aufzeichnung von Wortbeiträgen bei öffentlichen Sitzungen des Rates der Stadt G. zu gestatten. Der Beklagte sorge gemäß § 44 Abs. 1 NGO zwar für die Aufrechterhaltung der Ordnung in den Sitzungen des Rates der Stadt G. und übe das Hausrecht aus. Hieraus folge jedoch nicht das Recht, die Benutzung von Tonbandgeräten durch Pressevertreter in öffentlichen Ratssitzungen zu unterbinden. Durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG sei die Pressefreiheit gewährleistet. Hinter diesem Grundrecht müsse das Persönlichkeitsrecht der Mitglieder des Rates der Stadt G. zurücktreten. Sie hätten sich mit der Annahme des Mandats bewußt in die Öffentlichkeit begeben. Ihre Erklärungen in öffentlichen Ratssitzungen seien nicht der Privat-, sondern der öffentlichen Sphäre zuzurechnen.

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Der Kläger hat beantragt,

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den Beklagte zu verpflichten, ihm die Aufzeichnung von Wortbeiträgen anläßlich von öffentlichen Sitzungen des Rates der Stadt G. auf Tonträger zu gestatten.

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Der Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er hat vorgetragen: Da die Zulassung von Tonbandaufnahmen in öffentlichen Ratssitzungen nicht nur das Hausrecht, sondern auch die Rechte der Mitglieder des Rates berühre, hätte die Klage gegen den Rat der Stadt G. gerichtet werden müssen. Durch das Verbot, öffentliche Sitzungen des Rates auf Tonträger mitzuschneiden, werde die Pressefreiheit nicht beeinträchtigt, da über die Sitzungen auf andere Weise berichtet werden könne. Außerdem sei das Persönlichkeitsrecht der ehrenamtlich tätigen Ratsmitglieder, in das durch die Aufzeichnung ihrer Wortbeiträge durch Tonbandgeräte eingegriffen würde, höher zu bewerten, als die allenfalls am Rande berührte Pressefreiheit.

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Durch Urteil vom 16. April 1986 (NST-N 1986, 212) hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die gegen den richtigen Beklagten erhobene Klage sei unbegründet, weil der Kläger keinen Rechtsanspruch auf Aufzeichnung von Wortbeiträgen anläßlich öffentlicher Sitzungen des Rates der Stadt G. auf Tonträger habe.

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Eine Rechtsgrundlage, in der der von dem Kläger behauptete Anspruch positiv geregelt wäre, sei nicht vorhanden. Weder § 48 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte noch die Vorschriften des Niedersächsischen Pressegesetzes und der Niedersächsischen Gemeindeordnung enthielten den geltend gemachten Anspruch des Klägers. Auch die durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistete Pressefreiheit gebe diesen Anspruch nicht her. Die Garantie des Instituts der "freien Presse" enthalte für den Einzelfall keinen verfassungsunmittelbaren Anspruch auf eine bestimmte technische Form der Informationsaufnahme. Die Begründung eines derartigen Anspruchs erfordere vielmehr eine konkrete einfachgesetzliche Regelung.

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Aus dem Umstand, daß für den Kläger ein positiv geregelter Anspruch, Wortbeiträge anläßlich von Sitzungen des Rates der Stadt G. auf Tonträger aufnehmen zu können, nicht bestehe, könne jedoch nicht gefolgert werden, daß derartige Aufnahmen grundsätzlich unzulässig seien. Ein entsprechendes Verbot bestehe gemäß § 169 Satz 2 GVG allein für das gerichtliche Verfahren, nicht jedoch für die Teilnahme an Sitzungen des Rates (vgl. § 45 Satz 1 NGO). Der Beklagte sei allerdings in Ausübung seines Hausrechtes berechtigt und im Innenverhältnis zu den Mitgliedern des Rates der Stadt G. verpflichtet, solange die in der Sitzung vom 25. Juni 1984 getroffene Entscheidung gelte, keine Tonbandaufzeichnungen durch Vertreter der Presse zuzulassen. Denn er könne aus Rechtsgründen nicht verpflichtet werden, dem Kläger die Aufzeichnung von Wortbeiträgen zu gestatten, weil die von den Mitgliedern des Rates der Stadt Garbsen nicht genehmigte Aufzeichnung von Wortbeiträgen bei Ratssitzungen ihr Persönlichkeitsrecht verletze und sie dies trotz der durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verfassungsrechtlich gewährleisteten Pressefreiheit nicht hinzunehmen bräuchten. Bei der Bemessung des den Mitgliedern eines Gemeinderats generell zuzubilligenden Persönlichkeitsschutzes müsse sich entscheidend auswirken, daß die Mitglieder eines Gemeinderats anders als Abgeordnete des Landtages und des Deutsches Bundestages keine Parlamentarier seien. Außerdem schließe ihr begrenzter Wirkungskreis es aus, sie generell als absolute Personen der Zeitgeschichte im Sinne des § 23 Nr. 1 des Gesetzes betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Fotografie zu qualifizieren. Schließlich sei zu berücksichtigen, daß der Rat der Stadt Garbsen von seinen Sitzungen keine Wortprotokolle führe oder Tonträger zur Aufzeichnung der Wortbeiträge verwende. Dieser Tatsache komme deshalb erhebliche Bedeutung zu, weil der Beklagte in der mündlichen Verhandlung erklärt habe, er könne nicht ausschließen, daß bei einer Aufzeichnung der Wortbeiträge bei Sitzungen des Rates der Stadt G. auf Tonträger ein Teil der Mitglieder des Rates entweder sich nicht mehr äußern werde oder die Sitzung verlasse und er insoweit die Ordnung in der Sitzung im Sinne von § 44 Abs. 1 NGO nicht mehr gewährleisten könne.

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Der Kläger hat gegen das am 2. Juni 1986 zugestellte Urteil am 9. Juni 1986 Berufung eingelegt. Zur Begründung wiederholt und vertieft er sein erstinstanzliches Vorbringen und macht ergänzend geltend: In dem angefochtenen Urteil werde das Persönlichkeitsrecht in sachlich nicht gerechtfertigter Weise extensiv ausgelegt. Die Redebeiträge der Ratsmitglieder in öffentlichen Ratssitzungen seien nicht der Intimsphäre und auch nicht der Privatsphäre zuzurechnen. Das Ratsmitglied wende sich bewußt an die Öffentlichkeit, die in Gestalt der Zuhörer und der Presse vertreten sei. Die Presse gebe dann die Erklärungen ganz oder teilweise über ihr Medium an die unbeschränkte Öffentlichkeit weiter. Das Landgericht habe die von den Ratsherren angestrengte Klage deshalb zu Recht abgewiesen, das Oberlandesgericht Celle die Berufung zu Recht zurückgewiesen. Wer sich in die politische Arena begebe, müsse damit rechnen, daß seine Reden aufgenommen und weiter verbreitet würden.

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Der Kläger beantragt,

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das angefochtene Urteil zu ändern und nach seinem Klagantrag zu erkennen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Er hält das angefochtene Urteil zutreffend und macht ergänzend geltend: Das Oberlandesgericht Celle habe bei seiner Interessenabwägung nicht berücksichtigt, daß in den Sitzungen des Rates der Stadt G. neben den Ratsmitgliedern auch der Stadtdirektor, die hinzugezogenen Verwaltungsangehörigen sowie sonstige Nichtratsmitglieder wie Sachverständige, Vertreter von Organisationen und auch Bürger zum Tagesordnungspunkt "Bürgeranfragen" Wortbeiträge abgäben. Das Grundrecht der Pressefreiheit sei auch bei Nichtzulassung von Tonbandaufnahmen gewährleistet. Die Journalisten könnten ungehindert an den Ratssitzungen teilnehmen, sich Notizen machen oder in Kurzschrift mitschreiben.

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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

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II.

Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.

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Das Verwaltungsgericht hat die Sach- und Rechtslage in dem angefochtenen Urteil eingehend und zutreffend dargestellt und beurteilt. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf die überzeugenden Ausführungen Bezug und macht sie sich zu eigen (Art. 2 § 6 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit vom 31. 3. 1978 BGBl I S. 446, zuletzt geändert durch Gesetz v. 4. 7. 1985, BGBl I S. 1274).

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Das Berufungsvorbringen, in dem sich der Kläger hauptsächlich auf die Urteile des Landgerichts Hannover vom 6. November 1984 und des Oberlandesgerichts Celle vom 26. Juni 1985 stützt, rechtfertigt keine andere Beurteilung.

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Das Landgericht Hannover verkennt bei der Auslegung und Anwendung des § 48 Abs. 1 Nr. 2 UrhG, daß dessen Geltungsbereich auf das Urheberrecht nach Maßgabe der Vorschriften des Urhebergesetzes begrenzt ist. Durch § 48 Abs. 1 Nr. 2 UrhG wird allein das Verwertungsrecht des Urhebers an seinem Werk gemindert. Eine positive Regelung des Inhalts, daß § 48 Abs. 1 Nr. 2 UrhG zugleich einen Anspruch auf die Gestattung von Tonbandaufzeichnungen begründet, enthält diese Vorschrift, die als Ausnahmeregelung eng auszulegen ist, nicht.

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Der vom Oberlandesgericht Celle vorgenommenen Interessenabwägung folgt der Senat im Ergebnis nicht. Das Oberlandesgericht Celle ist davon ausgegangen, daß durch die nicht genehmigte Aufzeichnung von Wortbeiträgen bei Ratssitzungen zwar das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 GG) verletzt werde. Es hat diesen Eingriff aber als derart gering angesehen, daß er unter Beachtung der ebenfalls grundgesetzlich geschützten Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) hingenommen werden müsse. Dabei hat das Oberlandesgericht Celle nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt, daß für die öffentlichen Sitzungen eines Gemeinderats Besonderheiten gelten. Mit dem Verwaltungsgericht ist der Senat der Auffassung, daß den Mitgliedern eines Gemeinderats bereits deshalb ein höherer Schutz ihres Rechts am gesprochenen Wort zuzubilligen ist, weil sie keine "Parlamentarier" sind. Im Gegensatz zu Bundes- und Landtagsabgeordneten genießen sie weder Indemnität noch Immunität (Art. 14, 15 Vorl Nds Verf; Art. 46 GG). Außerdem haben Bundestags- (§§ 117, 118 GeschO BT) und Landtagsabgeordnete (§ 91 GeschO LT) in gewissem Umfang ein Recht auf Berichtigung der wörtlichen Niederschrift ihrer Redebeiträge in Plenarsitzungen vor der Aufnahme in den Stenographischen Bericht, während in Ratssitzungen regelmäßig keine Wortprotokolle geführt werden. Schließlich sind die vom Rat als oberstem Gemeindeorgan zu treffenden Entscheidungen überwiegend der Exekutive (vgl. § 40 NGO) und nicht wie im Bundes- und Landtag der Legislative zuzuordnen. Darüber hinaus ist es von Bedeutung, daß die ehrenamtlich tätigen Mitglieder des Gemeinderats es in der Regel nicht gewohnt sind, daß ihre Wortbeiträge auf Tonträger aufgenommen werden. Dies kann - wie auch die Erklärung des ehemaligen Vorsitzenden des Rats der Stadt Garbsen in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht zeigt - dazu führen, daß ein Teil der Ratsmitglieder nicht bereit ist, sich vor laufenden Tonträgern zu äußern.

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Aufgrund dieser besonderen Umstände und angesichts der Tatsache, daß es dem Kläger unbenommen bleibt, auf andere Weise - etwa durch Mitstenografieren - den Verlauf von Ratssitzungen festzuhalten, hat das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Ratsmitglieder im vorliegenden Fall Vorrang vor der Pressefreiheit.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10 ZPO.

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Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO gegeben ist.

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Dr. Heidelmann

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Dr. Greve

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Siebert