Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 24.04.1989, Az.: 11 L 8/89

Asylbewerber; Asyl; Ablehnung; Asylklage; Anerkennung; Ausländische Flüchtlinge; Ausreise; Abschiebung; Aufenthaltserlaubnis

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
24.04.1989
Aktenzeichen
11 L 8/89
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1989, 12804
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1989:0424.11L8.89.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 11.07.1988 - AZ: 11 VG A 222/88
nachfolgend
BVerwG - 23.01.1990 - AZ: BVerwG 9 CB 79.89

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten zu 2) wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - 11. Kammer Hannover - vom 11. Juli 1988 teilweise geändert.

Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

1

I.

Der 19... geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er reiste am 1. September 1979 in die Bundesrepublik Deutschland ein und suchte um politisches Asyl nach. Der Antrag sowie die von ihm erhobene Asylklage blieben ohne Erfolg. Die gegen die Klagabweisung gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wurde durch Beschluß des Senats vom 13. Januar 1986 - 11 OVG B 748/85 - zurückgewiesen. Der Kläger stellte daraufhin wiederum einen Asylantrag. Der Beklagte hielt diesen für beachtlich und leitete ihn an das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge weiter. Das Bundesamt lehnte den Asylantrag nach persönlicher Anhörung des Klägers mit Bescheid vom 9. September 1987 als offensichtlich unbegründet ab und führte dazu aus: Aus den vorgelegten drei Briefen zweier Brüder des Klägers sowie eines Freundes ergebe sich nicht, daß dem Kläger in der Türkei Gefahr drohe. Soweit Freunde jetzt verhaftet worden sein sollten, sei dies wahrscheinlich wegen neuerer eigener Aktivitäten geschehen, nicht aber aus Gründen, die auch dem vor acht Jahren ausgereisten Kläger zur Last gelegt werden könnten. Der Kläger sei damals in der Gruppierung IGB - wenn überhaupt - in untergeordneter Funktion tätig gewesen. Die jetzige Behauptung, er sei bei "allen Aktivitäten" einer anderen Organisation, der TKP, tätig gewesen, hätte er schon in dem ersten Asylverfahren aufstellen können.

2

Der Beklagte zu 2) forderte den Kläger mit Bescheid vom 13. Mai 1988 zur Ausreise auf und drohte ihm die Abschiebung an, falls er nicht innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung bzw. Unanfechtbarkeit einer ablehnenden Entscheidung über einen etwaigen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ausgereist sei. Der Bescheid wird auf § 11 Abs. 1 AsylVfG gestützt. In ihm heißt es weiter: Der Kläger sei auch nicht aus anderen Gründen berechtigt, sich im Bundesgebiet aufzuhalten; besondere Gründe, die einer Abschiebung entgegenstünden, seien nicht ersichtlich. Es werde davon ausgegangen, daß der Kläger seine minderjährigen Kinder bei einer Ausreise in sein Heimatland mit zurücknehmen werde.

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Gegen beide Bescheide hat der Kläger am 24. Mai 1988 Klage erhoben und vorgetragen: Es lägen durchaus Gründe für eine positive Bescheidung des erneuten Asylantrages vor. Die Ausreiseaufforderung des Beklagten zu 2) sei rechtswidrig, weil in keiner Weise auf das Schicksal seiner Familie eingegangen worden sei. Bei ihm lebten seine Ehefrau und seine drei Kinder, die hier zur Schule gingen.

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Der Kläger hat beantragt,

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den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 9. September 1987 sowie den Bescheid des Beklagten zu 2) vom 13. Mai 1988 aufzuheben und die Beklagte zu 1) zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen.

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Die Beklagten haben beantragt,

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die Klagen abzuweisen.

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Mit Urteil vom 11. Juli 1988 hat das Verwaltungsgericht die Asylklage mit der Begründung abgewiesen, daß die Voraussetzungen für die Gewährung politischen Asyls nicht vorlägen, hat jedoch der Klage gegen den Beklagten zu 2) stattgegeben. Insofern hat es ausgeführt: Der Beklagte zu 2) sei mit keinem Wort darauf eingegangen, daß sich die gesamte Familie des Klägers seit 1980 in der Bundesrepublik Deutschland aufhalte und die 12 und 13 Jahre alten Kinder durch den Besuch einer deutschen Schule in den hiesigen Lebensverhältnissen verwurzelt seien. Eine etwaige Trennung des Klägers von seinen Kindern würde eine Härte bilden, die entsprechend § 14 AuslG zu berücksichtigen sei. Eine Abschiebung dürfe keinesfalls zu einer "menschenrechtswidrigen Behandlung des Betroffenen" führen.

9

Ein von dem Kläger betriebenes Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO ist im Beschwerderechtszuge nach beiderseitiger Erledigungserklärung durch Senatsbeschluß vom 15. Februar 1989 - 11 OVG B 850/88 - eingestellt worden.

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Gegen das Urteil vom 11. Juli 1988 richtet sich die durch den Senat zugelassene Berufung des Beklagten zu 2). Die auch von dem Kläger erhobene Nichtzulassungsbeschwerde hat der Senat mangels Vorliegens der Zulassungsvoraussetzungen zurückgewiesen (Beschl. v. 28. 12. 1988 - 11 OVG B 898/88 -).

11

Der Beklagte zu 2) trägt vor: Allein die Tatsache, daß sich die Familie des Klägers ebenfalls im Bundesgebiet aufhalte und die Kinder einem Schulbesuch nachgingen, rechtfertige noch nicht eine längere Bemessung der Ausreisefrist oder das Absehen von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen. Ein eigenständiges Aufenthaltsrecht stehe den Familienangehörigen nicht zu. Ihre aufenthaltsrechtliche Position sei nach wie vor von der des Klägers abhängig. Ihr Aufenthalt sei lediglich aufgrund des Asylverfahrens des Klägers geduldet worden. Sie hätten sich also ebenso wie der Kläger von vornherein darauf einstellen müssen, im Falle einer Ablehnung des Asylbegehrens die Bundesrepublik Deutschland gemeinsam mit ihm wieder verlassen zu müssen. Sollte schließlich der Schulbesuch der Kinder bei der Bemessung der Ausreisefrist berücksichtigt werden, so hätte dies zur Folge, daß die Ausreisefrist je nach Ausbildungsstand der einzelnen Kinder ggfs. mehrere Jahre betragen würde.

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Der Beklagte zu 2) beantragt,

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das angefochtene Urteil zu ändern und auch die gegen ihn gerichtete Klage abzuweisen.

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Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten dieses Verfahrens, des Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes - 11 VG D 40/88 VG Hannover = 11 OVG B 850/88 - und des vorangegangenen Asylrechtsstreits des Klägers - 10 (9) VG A 629/81 As VG Hannover - sowie der Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

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II.

Die Berufung ist zulässig und hat in der Sache Erfolg. Der Bescheid der Beklagten zu 2) vom 13. Mai 1988 enthält keinen den Kläger belastenden Rechts- oder Ermessensfehler.

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Der angefochtene Bescheid findet seine Rechtsgrundlage in §§ 11 Abs. 1 und 2, 10 Abs. 2 AsylVfG. Hat - wie im vorliegenden Fall - das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge einen Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt, so ist der Ausländer zur unverzüglichen Ausreise verpflichtet, die Ausländerbehörde droht ihm unter Fristsetzung die Abschiebung an. Das gilt nur dann nicht, wenn der Ausländer im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung ist oder ihm ungeachtet der Entscheidung über seinen Asylantrag der Aufenthalt im Inland ermöglicht wird. Soweit nicht diese negativen Tatbestandsmerkmale erfüllt sind, wird mit der gesetzlichen Regelung der Ausländerbehörde eine Verpflichtung auferlegt, dem mit seinen Asylantrag erfolglos gebliebenen Asylbewerber zur Durchsetzung der Ausreisepflicht die Abschiebung anzudrohen (BVerfG, Beschl. v. 2. 5. 1984 - 2 BvR 1413/83 -, BVerfGE 67, 43 = DVBl 1984, 673; st. Senatspraxis, vgl. Beschl. v. 7. 5. 1987 - 11 OVG B 151/87 -). Insoweit entspricht die Rechtslage der bei der Ablehnung des Asylantrages als schlicht unbegründet (§ 28 AsylVfG). Auch dort ist der Ausländerbehörde ein Entschließungsermessen nicht eingeräumt worden, sie ist zum Ergreifen aufenthaltsbeendender Maßnahmen verpflichtet (BVerwG, Urt. v. 3. 11. 1987 - 9 C 254.86 -, BVerwGE 78, 243 = DVBl 1988, 292). Nur ist dem Asylbewerber in diesem Falle der Aufenthalt im Inland für die Dauer eines etwaigen Asylrechtsstreits zu ermöglichen, die Ausreisefrist endet frühestens einen Monat nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der Asylablehnung (§ 28 Abs. 2 AsylVfG). Diese Vergünstigung kommt dem Asylbewerber nicht zugute, dessen Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden ist. Liegt offen zutage, daß er in seiner Heimat nicht politisch verfolgt wird, ist mithin sein Asylantrag mißbräuchlich gestellt worden, so trifft ihn eine umgehende und nicht an den Ablauf des Asylrechtsstreits geknüpfte Ausreisepflicht (BVerfG, wie vor). Ein vorläufiges Bleiberecht kann ihm nur das Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO verschaffen (§§ 11 Abs. 2 und 3, 10 Abs. 3 AsylVfG).

19

Für die Anfechtungsklage des Klägers kommt es allerdings nicht mehr darauf an, ob das Bundesamt seinen Asylantrag zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat. Es geht jetzt nicht mehr darum, ob der Aufenthalt des Klägers im Inland schon während des laufenden Asylrechtsstreits hätte beendet werden können. Der Asylrechtsstreit ist rechtskräftig abgeschlossen. Damit steht fest, daß dem Kläger das erneut geltend gemachte Asylrecht nicht zusteht und er - soweit nicht die genannten asylverfahrensunabhängigen Ausreisehindernisse des § 11 Abs. 1 AsylVfG vorliegen - allemal ausreisepflichtig ist (dazu BVerwG, Beschl. v. 17. 2. 1986 - 1 B 30.86 -, DVBl 1986, 518).

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Dem Kläger, der nicht im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung war und ist, war in dem Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheides, auf den abzustellen ist (BVerwG, Urt. v. 3. 11. 1987, wie vor), auch nicht aus anderen Gründen der Aufenthalt im Inland zu ermöglichen. Das Verwaltungsgericht geht insofern zwar in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 3. 11. 1987, wie vor, m.w.Nachw.) davon aus, daß in diesem Zusammenhang auch und gerade zu prüfen ist, ob eine Abschiebungsandrohung im Einzelfall mit dem Grundsatz der Menschenwürde als oberstem Prinzip unserer Rechtsordnung vereinbar ist. So hat auch das Bundesverfassungsgericht (Beschl. v. 2. 5. 1984, wie vor) gerade im Hinblick auf den hier zu untersuchenden § 11 Abs. 1 AsylVfG ausgeführt, es sei zu vermeiden, daß die Ausländerbehörde sehenden Auges eine aufenthaltsbeendende Entscheidung treffe, die etwa humanitären oder anderen beachtlichen Gründen zuwider liefe. Ein Abschiebungshindernis dieser Art wird von beiden Gerichten etwa in dem Umstand gesehen, daß der betroffene Ausländer bei einer Rückkehr in seinen Heimatstaat einer menschenrechtswidrigen Behandlung, insbesondere der Folter, ausgesetzt würde. Ein derartiges Gewicht kommt den etwaigen Nachteilen, die dem Kläger aus der angedrohten Abschiebung in die Türkei erwachsen könnten, jedoch nicht zu. Daß er selbst in seiner Heimat staatlichen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt sein könnte, haben weder das von ihm durchgeführte erste Asylverfahren noch das danach angestrengte Folgeverfahren, denen sich jeweils Asylrechtsstreite anschlossen, ergeben. Die mit der angedrohten Abschiebung verbundene Lösung aus den dem Kläger vertraut gewordenen Lebensumständen des ihm zugewiesenen Aufenthaltsortes verdient ebenso wenig das Verdikt der Menschenrechtswidrigkeit wie die mit der Abschiebung verbundene Herausnahme der Kinder aus der von ihnen besuchten Schule, falls er sie zugleich mit in die Heimat zurücknehmen wollte, wie auch die vorübergehende Trennung von Frau und Kindern, falls er diese bis zur Beendigung des laufenden Schuljahres oder gar bis zum Schulabschluß am bisherigen Aufenthaltsort zurücklassen wollte (und der Beklagte weiterhin trotz bestehender Ausreisepflicht gegen sie von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen absehen wollte). Der Kläger genoß während seines Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland lediglich einen vorläufigen Aufenthaltsstatus. Ihm war der Aufenthalt allein zwecks Durchführung seiner beiden Asylverfahren ermöglicht worden. Der Aufenthalt seiner Familie, die er trotz seines eigenen unsicheren Aufenthaltsrechts zu sich holte, hatte nur eine von seinem Status abgeleitete aufenthaltsrechtliche Position. Der Beklagte sah von einer Aufenthaltsbeendigung ab und duldete die Aufrechterhaltung der familiären Gemeinschaft des Klägers. Selbst dies war nicht zwingend rechtlich geboten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist auch unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidung in Art. 6 GG eine vorübergehende Trennung eines Asylbewerbers von seiner Familie nicht ohne weiteres unzumutbar (Beschl. v. 7. 5. 1981 - 1 B 257.78 -, DVBl 1981, 775; ferner vom 3. 8. 1984 - 1 B 159.83 -, DVBl 1984, 119). Um so eher muß der Versuch des Klägers scheitern, in Umkehrung der rechtlichen und tatsächlichen Situation ein eigenes zeitlich über seine asylrechtliche Aufenthaltsgestattung hinausreichendes Aufenthaltsrecht aus der zeitweilig seiner Familie erteilten Duldung herzuleiten. Der Beklagte hat auch zu keinen Zeitpunkt den Kläger wie auch seine Familie darüber im Unklaren gelassen, daß sie nach bestandskräftiger Ablehnung des Asylantrages des Klägers auszureisen hätten. Alle Integrationsbemühungen des Klägers standen unter diesem Vorbehalt. Er hat diese Bemühungen nach rechtskräftigem Abschluß des ersten Asylrechtsstreits auch nur noch dadurch absichern können, daß er sogleich einen - dann durch das Bundesamt als offensichtlich unbegründet abgelehnten - weiteren Asylantrag stellte und diesen mit seiner jetzigen Klage weiter verfolgte.

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Der angefochtene Bescheid ist auch nicht hinsichtlich der Bemessung der Frist, nach deren Ablauf die Abschiebung des Klägers zu erfolgen hat, fehlerhaft. Welche Ausreisefrist dem ausreisepflichtigen Asylbewerber zu setzen ist, liegt im Ermessen der Ausländerbehörde (BVerwG, Urt. v. 3. 11. 1978, bereits zitiert). Ermessensfehler i.S. des § 114 VwGO enthält die Fristbemessung nicht. Sie ist alternativ in Übereinstimmung mit der gesetzlichen Regelung (§§ 11 Abs. 2, 10 Abs. 3 Satz 6 AsylVfG) an den Ablauf des erwarteten - und durch Senatsbeschluß v. 15. 2. 1989 abgeschlossenen - Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes geknüpft worden. Aus der maßgeblichen damaligen Sicht war die gesetzte Zwei-Wochen-Frist ausreichend, um dem Kläger die Regelung seiner persönlichen Angelegenheiten und die Vorbereitung einer freiwilligen Ausreise zur Verhinderung der Abschiebung zu ermöglichen.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, der Ausspruch über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO iVm § 708 Nr. 10 ZPO.

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Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.

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Stelling

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Behrens

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Arndt