Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 26.02.1998, Az.: 5 A 5038/95

Antrag von kurdischen Türken auf Anerkennung als Asylberechtigte; Geltendmachung eines Abschiebungshindernisses; Anwendungsbereich des Verbots der Abschiebung politisch Verfolgter; Grundlage für die Auslegung dieses Bereichs und vergleichbare verfassungsrechtliche Fälle; Beurteilung des Schutzes vor Abschiebung; Maßstab der herabgestuften Wahrscheinlichkeit bei Verfolgungsgefahren; Verhalten der türkischen Stellen in Deutschland gegenüber Kurden; Grundlage der Bestrafung von Straftaten von Türken im Ausland; Gefährdung einer Personen auf Grund seines Erscheinens in einer Fernsehsendung

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
26.02.1998
Aktenzeichen
5 A 5038/95
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1998, 30505
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGBRAUN:1998:0226.5A5038.95.0A

Verfahrensgegenstand

Asyl

Abschiebungsschutz nach § 51 AuslG

Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Derzeit können sich türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit vor einer kollektiven Verfolgung in der Osttürkei, unabhängig davon, eine solche tatsächlich stattgefunden hat oder stattfindet, in den Westen ihres Heimatstaates flüchten.

  2. 2.

    Wegen exilpolitischer Betätigung droht bei einer Rückkehr in die Türkei nur exponierten Personen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung, d.h. den an exponierter Stelle auftretenden und agierenden Wortführern staatsfeindlicher Gruppen und sonst in der Öffentlichkeit bekanntgewordenen Kritikern der Verhältnisse in der Türkei (z.B. die Leiter von größeren und öffentlichkeitswirksamen Demonstrationen und Protestaktionen sowie die Redner auf solchen Veranstaltungen, ferner die Vorstandsmitglieder eingetragener Vereine, die sich aus Sicht der türkischen Behörden regimekritisch betätigen).

  3. 3.

    Dass ein Asylsuchender aufgrund einer Fernsehsendung als gefährdet erscheint, setzt voraus, dass aufgrund ungewöhnlicher Umstände oder eindeutiger Erklärungen davon ausgegangen werden muss, dass ein besonderes Interesse der Sicherheitskräfte an der betreffenden Person geweckt wurde.

Das Verwaltungsgericht Braunschweig - 5. Kammer - hat
auf die mündliche Verhandlung
am 26. Februar 1998
durch
den Richter am Verwaltungsgericht Tscherning als Einzelrichter
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Kläger können eine Vollstreckung durch die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe des festgesetzten Vollstreckungsbetrages abwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand

1

Der am 1. Januar 1963 in Mus geborene Kläger zu 1) ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Dieselbe Staatsangehörigkeit und Volkszugehörigkeit besitzen seine ihm nach religiösem Ritus angetraute Ehefrau, die Klägerin zu 1) (geb. am 9. November 1978 in Kastamonu) sowie die gemeinsamen Kinder, die Kläger zu 3) bis 5) (geb. am 20. Juli 1992 bzw. am 8. August 1993 in Osnabrück und am 17. September 1994 in Salzgitter).

2

Nach eigenen Angaben reisten die Kläger zu 1) und zu 2) am 17. März 1993 mit einem TIR-LkW ins Bundesgebiet ein. Dort stellten sie einen Asylantrag, in den zunächst der am 5. September 1993 ins Bundesgebiet gebrachte Kläger zu 3) und dann die beiden übrigen Kläger einbezogen wurden. Im Rahmen der Niederschrift des Asylbegehrens und der Anhörung des Klägers zu 1) am 18. August 1994 wurden folgende Angaben gemacht: Man habe zuletzt in Yarpuzlu Köyü, Provinz Mus, gelebt. Der Kläger zu 1) habe zwei Brüder, die jedoch unbekannten Aufenthalts seien. Der Sohn eines der Brüder befinde sich in den Bergen. Nach dem Todes seines Vaters habe der Kläger zu 1) zusammen mit seiner Mutter die große Landwirtschaft der Familie (370 Dönum) bewirtschaftet. Außerdem habe er einen Lebensmittelladen in Mus gehabt. Die Türkei habe er verlassen, da er den Tod oder eine Verhaftung zu fürchten gehabt habe. Denn er habe die PKK unterstützt. In Soko, wo er gewohnt habe, habe er den Guerillakämpfern regelmäßig Geld und Lebensmittel gegeben. Die Lebensmittel habe er aus seinem Laden geholt und mit nach Hause gebracht. Zunächst erklärte der Kläger, häufig hätten die Kämpfer ihn und die Seinen nachts besucht und auch bei ihm übernachtet. Bei Sonnenaufgang seien sie wieder weggegangen. Später führte er aus, alle 10 Tage habe er die PKK in der beschriebenen Weise unterstützt. Die Kämpfer hätten jedoch nicht übernachtet. Sie hätten nur gegessen und unterdessen habe man ihre Kleider gewaschen. Er selbst habe das Essen geholt, seine Frau und seine Schwester hätten gekocht. Wenn die Anhänger der PKK morgens weggegangen seien, hätten sie für ihre Mitkämpfer noch Lebensmittel mitgenommen. Dies alles hätten die Dorfschützer und Spione bemerkt. Daraufhin hätten ihn Gendarmen mit zu einem Karakol in Mus genommen. Dort sei er mit Wasser und Strom gefoltert worden. Außerdem habe man ihn geschlagen. Zweimal sei dies geschehen. Einmal sei seine Schwester dabei gewesen, einmal sei er allein gewesen. Zuletzt sei es im Oktober 1991 geschehen. In der Zeit vom Oktober 1991 bis zum März 1993 sei ihm dergleichen nicht mehr zugestoßen. Allerdings habe man ihm am 21. März 1992 kontrolliert, als er das Newroz-Fest gefeiert habe. Dies sei in Batman geschehen. Die PKK habe er auch nach seiner Inhaftierung weiter unterstützt. Auch habe er Dorfschützer werden sollen, was jedoch von ihm abgelehnt worden sei. Deshalb werde er im Falle seiner Rückkehr getötet oder verhaftet werden. Und übernähme er tatsächlich ein Dorfschützeramt, dann würde ihn die PKK töten. In Deutschland sei er auch einmal verhaftet worden. Die Klägerin zu 2) verzichtete auf eine eigene Anhörung und berief sich wie die übrigen Kläger auf die Asylgründe des Klägers zu 1).

3

Mit Bescheiden vom 5. Januar 1995 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Antrag der Kläger auf Anerkennung als Asylberechtigte als unbegründet ab und stellte fest, daß die Voraussetzungen der §§ 51 Abs. 1 und 53 AuslG nicht gegeben seien. Außerdem forderte die Behörde die Kläger zur Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland innerhalb von einem Monat nach Unanfechtbarkeit ihrer ablehnenden Entscheidung auf und drohte für den Fall, daß dieser Aufforderung nicht fristgerecht nachgekommen werde, die Abschiebung an.

4

Gegen die ihnen am 8. Januar 1995 zugestellten Bescheide haben die Kläger am 18. Januar 1995 den Verwaltungsrechtsweg beschritten.

5

Zur Begründung ihrer Klage beziehen sie sich auf ihr Vorbringen im Verwaltungsverfahren. Ergänzend führen sie aus, daß sie als Kurden einer Einzelverfolgung aufgrund von Gruppenzugehörigkeit unterlägen, der gegenüber ihnen innerhalb der Türkei keine innerstaatliche Fluchtalternative offenstehe. Denn auch in der Westtürkei seien kurdische Volkszugehörige behördlichen Willkürmaßnahmen ausgesetzt und an Leib und Leben gefährdet. Sie würden nämlich aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit pauschal als Unterstützer der PKK verdächtigt und müßten daran anknüpfend mit Festnahme, Mißhandlung und Folter rechnen. Darüber hinaus seien sie auch bedroht, da sich der Kläger zu 1) exilpolitisch betätigt habe und davon auszugehen sei, daß der türkische Geheimdienst MIT die exilpolitischen Aktivitäten in der Bundesrepublik genau beobachte und es für eine daraus resultierende Gefahr, in der Türkei einer Strafverfolgung und politischen Verfolgung unterworfen zu werden, nicht darauf ankomme, welche Qualität die gegen die Türkei gerichteten Aktionen gehabt hätten. Die genaue Beobachtung exilpolitischer Aktivitäten lasse sich auch aus der Analyse des Urteils des ersten Staatssicherheitsgerichts Ankara gegen die ehemaligen Abgeordneten der Partei DEP vom 8.12.1994 herleiten. Denn aus dem Urteil ergebe sich, daß dem Gericht detaillierte Informationen über Situationen und Äußerungen einzelner Redner im Zusammenhang mit einer Demonstration in Bonn am 29. Mai 1993 vorgelegen hätten. Im einzelnen habe sich der Kläger zu 1) insbesondere wie folgt betätigt:

  1. 1.)

    Im Jahre 1993 habe er in Hannover an einer Demonstration gegen die Ermordung von Semsettin Kurt teilgenommen.

  2. 2.)

    Im Jahre 1993 habe er an einer Demonstration in Bielefeld teilgenommen.

  3. 3.)

    Am 29. Mai 1993 habe er in Hannover an einer Demonstration anläßlich der nationalen Vereinigung des kurdischen Volkes teilgenommen.

  4. 4.)

    Am 24. Juni 1993 habe er an einer Protestaktion vor dem türkischen Konsulat in Hannover teilgenommen, wobei die Demonstranten vom Konsulat aus per Kamera aufgenommen worden seien.

  5. 5.)

    Im Jahre 1994 habe er an einer Demonstration in Bonn gegen das Verbot der PKK teilgenommen und ein Transparent getragen.

  6. 6.)

    Am 21. März 1994 habe er in Hannover als Ordner an einem Newroz-Fest teilgenommen und sei von der Polizei vorübergehend festgenommen worden.

  7. 7.)

    Am 25. Juni 1994 habe er an einem Friedensmarsch in Frankfurt teilgenommen, wobei er als gekennzeichneter Ordner tätig gewesen sei und Flugblätter verteilt habe.

  8. 8.)

    Am 22. Oktober 1994 habe er in Hannover an einem Protestmarsch gegen die Zerstörung der Dörfer in der Provinz Dersim teilgenommen, wobei er Flugblätter verteilt habe und als Ordner tätig gewesen sei.

  9. 9.)

    Am 29. Oktober 1994 habe er in Salzgitter an einer Protestaktion gegen das Inbrandstecken von Dörfern in der Provinz Dersim als Ordner teilgenommen.

  10. 10.)

    Am 17. März 1995 habe er in Salzgitter an einer Protestaktion anläßlich der Ermordnung von Kurden im Stadtteil Gazi der Provinz Istanbul als Ordner und Verteiler von Flugblättern teilgenommen.

  11. 11.)

    Am 1. April 1995 habe er in Düsseldorf an einer Protestaktion gegen den Einmarsch türkischen Militärs in den Nordirak als Ordner teilgenommen.

  12. 12.)

    Am 15. April 1995 habe er in Kassel an einer Abendveranstaltung aus Anlaß kurdischer Gefallener als Zuständiger für die Sicherheit in der Halle teilgenommen.

  13. 13.)

    Am 17. Mai 1995 habe er in Bonn an einer Friedensdemonstration teilgenommen und die kurdische Fahne getragen.

  14. 14.)

    Am 1. Juli 1995 habe er in Hannover an einer Demonstration anläßlich des Jahrestages der Ermordung von Halim Dener als Ordner teilgenommen.

  15. 15.)

    Am 1. August 1995 habe er in Berlin an dem Trauermarsch für Frau Gülnaz Baghistani als Ordner und Verteiler von Flugblättern teilgenommen.

  16. 16.)

    Am 9. März 1996 habe er in Bonn am Jahrestag der Verbrennung der Frauen Tas und Yildirim teilgenommen.

  17. 17.)

    Am 15. Juni 1996 habe er in Hamburg als Ordner an einem Friedensmarsch teilgenommen und Flugblätter bei der Demonstration verteilt.

  18. 18.)

    Am 7. September 1996 habe er in Neumünster an einem Trauermarsch anläßlich des Jahrestages der Ermordung von Seyfettin Kalan teilgenommen.

  19. 19.)

    Am 21. September 1996 habe er in Köln als Ordner an einem Friedensfestival teilgenommen und zuvor Buskarten und Eintrittskarten für das Stadion an die Kurden in Salzgitter verteilt.

  20. 20.)

    Am 28. August 1996 habe er an einer weiteren Demonstration "in der 1. Reihe" teilgenommen und hierbei ein Transparent getragen. Darüber hinaus sei er in einem Bericht des Fernsehsenders

6

"MED-TV" vom 31. Mai 1996 zu sehen gewesen. Anlaß hierfür sei eine Konferenz in Brüssel gewesen, an der u.a. auch Nizzamettin Togos, ein ehemaliges DEP-Mitglied und Mitglied des kurdischen Parlaments, teilgenommen habe. Daneben sei Hüseyin Tuysuz zu sehen gewesen, der von 1982 bis 1994 aus politischen Gründen in der Türkei inhaftiert gewesen sei, sowie ferner Segmus Cegro, der frühere Vorsitzende der HADEP. Neben diesen sei er in dem Bericht deutlich erkennbar. Außerdem habe er am 6. Dezember 1996 in Belgien an einer politischen Fernsehsendung namens "Kursiya Gel" des "MED-TV" teilgenommen. Anläßlich dieser politischen Sendung habe er eine Rede gehalten und sei des öfteren zu sehen.

7

Die Kläger beantragen,

die Bescheide des Bundesamtes vom 5. Januar 1995 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, sie als Asylberechtigte anzuerkennen und außerdem festzustellen, daß die Voraussetzungen der §§ 51 Abs. 1 und 53 AuslG vorliegen.

8

Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf die Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid,

die Klage abzuweisen.

9

Die Kläger zu 1) und 2) sind in der mündlichen Verhandlung informatorisch angehört worden. Hinsichtlich des Ergebnisses dieser Anhörung wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

10

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im übrigen wird auf die Gerichtsakte, auf den Verwaltungsvorgang der Beklagten sowie auf die den Beteiligten bekannte Liste der Erkenntnismittel zu Asylverfahren türkischer Staatsangehöriger verwiesen. Diese Unterlagen sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand des Verfahrens gewesen.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg. Die Kläger haben keinen Anspruch auf eine Feststellung der Beklagten, daß die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Ebenso wenig können sie eine Anerkennung als Asylberchtigte oder die Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungshindernisses nach § 53 AuslG verlangen.

12

Gemäß § 51 Abs. 1 AuslG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Der Anwendungsbereich des § 51 Abs. 1 AuslG erstreckt sich neben den Fällen der politischen Verfolgung im Sinne des Artikel 16 a Abs. 1 GG auch auf solche Fälle, in denen eine Anerkennung als Asylberechtigter nach den §§ 26 a und 27 AsylVfG ausgeschlossen ist oder wegen selbstgeschaffener (subjektiver) Nachfluchtgründe scheitert (§ 28 AsylVfG). Über ihren Wortlaus hinaus erfaßt die Norm aller asylrelevanten Rechtsgutgefährdungen (Hailbronner, AuslR, Kommentar, Loseblatt, § 51 AuslG, RdNrn. 11 und 14). Dementsprechend sind ihre Voraussetzungen mit demjenigen des Artikel 16 a Abs. 1 GG identisch, was die Verfolgungshandlung, das geschützte Rechtsgut und den politischen Charakter der Verfolgung anbetrifft (Hailbronner, a.a.O., RdNr. 12). Für die Auslegung des § 51 Abs. 1 AuslG kann also im wesentlichen auf die von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien für die Feststellung einer asylrelevanten Gefährdungssituation zurückgegriffen werden (Hailbronner, a.a.O., RdNr. 14). Dies trifft auch auf den anzuwendenden Prognosemaßstab zu (Marx, Kommentar zum AsylVfG, 3. Aufl., § 1 RdNr. 38 i.V.m. RdNrn. 31-35). Insoweit folgt das erkennende Gericht seiner ständigen Rechtsprechung (vgl. etwa Urt.v. 4. November 1997 - 5 A 5131/95 -, Aktenz. der RAe. Waldmann-Stocker u. andere: 941044. w/cf), auf die wegen der weiteren Einzelheiten der Voraussetzungen, unter denen Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG zu gewähren ist, Bezug genommen wird (vgl. die Seiten 9 bis 20, 1. Absatz, des Abdrucks der Entscheidung im Verfahren 5 A 5131/95).

13

Im Hinblick auf die behauptete Individualverfolgung steht den Klägern Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG nicht zu. Dabei kann dahinstehen, ob die Angaben des Klägers zu 1) zutreffen, daß er in der Zeit bis zum Oktober 1991 wegen des Verdachts, die PKK durch Versorgungsleistungen zu unterstützen, zweimal von den Sicherheitskräften festgenommen und auf einem Karakol in Mus gefoltert wurde. Denn nach seinen eigenen Einlassungen bei dem Bundesamt ist ihm dergleichen in der Zeit vom Oktober 1991 bis zu seiner Ausreise im März 1993 nicht mehr geschehen. Es kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, daß sich die Kläger zu 1) bis 3) allein wegen der für die Zeit bis zum Oktober 1991 behaupteten Ereignisse zum Zeitpunkt ihrer Ausreise in einer ausweglosen Lage befunden hätten, die es ihnen nicht gestattet hätte, in der Türkei zu bleiben. Vielmehr fehlt es insoweit jedenfalls an einem Zusammenhang zwischen Flucht und Verfolgung. Darüber hinaus ist nicht davon auszugehen, daß die nun mehr als 6 Jahre zurückliegenden Ereignisse bis zum Oktober 1991 isoliert betrachtet gegenwärtig geeignet wären, eine hinreichende Sicherheit der Kläger in der Westtürkei in Frage zu stellen. Soweit dagegen die Kläger für die Zeit seit dem Oktober 1991 behaupten, es habe weiterhin der Verdacht einer Unterstützung der PKK bestanden, der Kläger zu 1) habe die Sicherheitskräfte fürchten müssen, da er ein ihm angetragenes Dorfschützeramt abgelehnt habe, und er sei im Anschluß an ein Newroz-Fest in Batman im März 1992 erneut festgenommen und gefoltert worden, werden diese Angaben von dem Gericht nicht für glaubhaft erachtet. Mit Blick auf die Inhaftierung und Folterung im März 1992 ergibt sich das daraus, daß der Kläger von dieser Inhaftierung ausweislich des Protokolls seiner Anhörung bei dem Bundesamt im Verwaltungsverfahren nichts berichtet hatte. Mehr noch, auf die ausdrückliche Frage, ob er nach dem Oktober 1991 noch einmal inhaftiert gewesen sei, hatte er damals mit einem klaren "Nein" geantwortet. Vor diesem Hintergrund wird die Einlassung des Klägers zu 1), er habe bereits bei der Behörde von der Festnahme im März 1992 berichtet, als Schutzbehauptung gewertet. Das Gericht gelangt zu der Überzeugung, daß der Kläger zu 1) in der mündlichen Verhandlung sein Vorbringen durch unwahre Angaben zu einer angeblichen Inhaftierung und Folterung im März 1992 gesteigert hat. Die Unwahrheiten zu diesem Punkte rechtfertigen Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit auch im übrigen. Zumal die Angaben bei dem Bundesamt über die angebliche Kontrolle im März 1992 und den Versuch, ihm ein Dorfschützeramt aufzudrängen unsubstantiiert gewesen sind, kann das Gericht nicht die Überzeugung gewinnen, daß der Kläger zu 1) zum Zeitpunkt seiner Ausreise aus der Türkei tatsächlich allein oder gemeinsam mit seiner damaligen Familie in einem aktuellen oder konkreten Verdacht gestanden hätte, die PKK zu unterstützen. Es ist auch nicht glaubhaft gemacht, daß der Kläger ein ihm angetragenes Dorfschützeramt abgelehnt hat und die Familie deshalb gefährdet war. Nach alldem können sich die Kläger zu 1) bis 3) auf individuelle Vorfluchtgründe nicht berufen. Für die im Bundesgebiet geborenen übrigen Kläger kommt dies ohnehin nicht in Betracht.

14

Auch unter dem Blickwinkel einer etwaigen Gruppenverfolgung oder Einzelverfolgung kraft Gruppenzugehörigkeit von kurdischen Volkszugehörigen in den südöstlichen Provinzen der Türkei kann den Klägern Abschiebungsschutz gemäß § 51 Abs. 1 AuslG nicht gewährt werden. Dabei kann dahinstehen, ob eine derartige kollektive Verfolgung in der Osttürkei, namentlich in den unter Notstandsrecht stehenden Provinzen, tatsächlich stattgefunden hat oder stattfindet. Denn nach derzeitigem Erkenntnisstand können sich türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit vor einer solchen Verfolgung in den Westen ihres Heimatstaates flüchten. Dort sind sie vor politischer Verfolgung hinreichend sicher und nach dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit auch anderweitig nicht existentiell gefährdet. Insoweit erhält das erkennende Gericht an seiner ständigen Rechtsprechung (vgl. etwa Seite 27, letzter Absatz, bis Seite 32, zweiter Absatz, des schon zitierten Urteils vom 4. November 1997) fest. Darauf aber, daß in der Westtürkei vor politischer Verfolgung solche Personen nicht hinreichend sicher sind, die aus den südöstlichen Regionen des Landes stammen, bei den Sicherheitskräften am Heimatort im Verdacht stehen, mit der militanten kurdischen Bewegung zu sympathisieren und deshalb mit behördlichen Ermittlungen rechnen müssen, können sich die Kläger nicht mit Erfolg berufen.

15

Wie bereits ausgeführt rechtfertigt das Vorbringen betreffend individuelle Vorfluchtgründe nicht die Annahme, sie seien im Westen des Landes nicht hinreichend sicher.

16

Zur Überzeugung des erkennenden Gerichts wird die hinreichende Sicherheit der Kläger in der Westtürkei auch nicht durch die geltend gemachten Nachfluchtaktivitäten des Klägers zu 1) in Frage gestellt. Entgegen wohl der Rechtsprechung des Nieders. Oberverwaltungsgerichts hält das erkennende Gericht eine Einbeziehung dieser Nachfluchtaktivitäten in die Prüfung der hinreichenden Sicherheit vor Verfolgung im Westen für erforderlich. Wird die Frage einer regionalen Gruppenverfolgung kurdischer Volkszugehöriger in der Osttürkei auch im Sinne eines objektiven Nachfluchtgrundes offengelassen, so können Kurden, selbst wenn sie unverfolgt ausgereist sind, auf eine inländische Fluchtalternative nämlich nur dort verwiesen werden, wo sie - nach dem sogenannten herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab - vor Verfolgung hinreichend sicher sind (vgl. insbesondere BVerwG, Urt.v. 30. April 1996 - 9 C 171.95 -, Seite 12 des Urteilsabdrucks). Dabei ist in entsprechender Anwendung der Grundsätze, die das Bundesverwaltungsgericht zur Reichweite der Anwendung des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes im Falle erlittener Vorverfolgung entwickelt hat (vgl. Urt.v. 18. Februar 1997 - 9 C 9.96 -) davon auszugehen, daß der herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab auf alle Verfolgungsgefahren anzuwenden ist, die mit der offengelassenen Verfolgung, deretwegen auf die inländische Fluchtalternative verwiesen werden soll, in einem inneren Zusammenhang stehen. Ein solcher Zusammenhang wird in der Regel nicht gegeben sein, wenn unterschiedliche Verfolgungsmerkmale betroffen sind, also etwa eine regionale Gruppenverfolgung wegen der Religionszugehörigkeit offengelassen wird und der Betreffende gleichzeitig geltend macht, in dem Gebiet seiner etwaigen inländischen Fluchtalternative der Gefahr einer künftigen Einzelverfolgung wegen politischer Aktivitäten ausgesetzt zu sein. Dagegen ist ein erhöhtes Verfolgungsrisiko typischerweise naheliegend, wenn dasselbe Ausgrenzungsmerkmal in Rede steht (vgl. BVerwG, Urt.v. 18. Februar 1997 - 9 C 9.96 - Seite 11 des Urteilsabdrucks). So aber liegt es im Falle einer auch als objektiver Nachfluchtgrund offengelassenen regionalen Gruppenverfolgung wegen der kurdischen Volkszugehörigkeit (und eines daran anknüpfenden pauschalen Separatismusverdachts) bei gleichzeitiger Geltendmachung von Nachfluchtaktivitäten, die in einem demonstrativen Bekenntnis zur kurdischen Volkszugehörigkeit bestehen (mit der behaupteten Gefährdung wegen individuellen Separatismusverdachts). Hier besteht zwischen der offengelassenen Verfolgung, deretwegen ein Gebiet als inländische Fuchtalternative geprüft wird, und der auch für dieses Gebiet behaupteten Gefährdung durch Individualverfolgung ein hinreichender innerer Zusammenhang. Es reicht daher nicht aus, die hinreichende Sicherheit in der Westtürkei zunächst unter Ausblendung der Nachfluchtaktivitäten zu prüfen, um deren Relevanz dann erst in einem zweiten Schritt unter Heranziehung des Maßstabs der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu beurteilen. Dies gilt jedenfalls im Kontext des § 51 Abs. 1 AuslG. Dagegen läßt es das erkennende Gericht ausdrücklich dahinstehen, ob dasselbe auch für solche Nachfluchtaktivitäten gilt, die gemäß § 28 Satz 1 AsylVfG nicht zu einer Asylanerkennung führen, wenn die hinreichende Sicherheit bei als Nachfluchtgrund offengelassener regionaler Gruppenverfolgung im Rahmen des Art. 16 a Abs. 1 GG geprüft wird.

17

Die Kläger sind jedoch vor politischer Verfolgung im Westen der Türkei auch in Anbetracht der Nachfluchtaktivitäten des Klägers zu 1) hinreichend sicher. Dies gilt zunächst insbesondere für die Nachfluchtaktivitäten zu Ziff. 1 bis 20 des Tatbestandes, und zwar weil es sich bei diesen zur Überzeugung des Gerichts nicht um herausgehobene Aktivitäten handelt. Ein nennenswertes Verfolgungsrisiko besteht nämlich nur für die an exponierter Stelle auftretenden und agierenden Wortführer staatsfeindlicher Gruppen und sonst in der Öffentlichkeit bekanntgewordenen Kritiker der Verhältnisse in der Türkei (z.B. die Leiter von größeren und öffentlichkeitswirksamen Demonstrationen und Protestaktionen sowie die Redner auf solchen Veranstaltungen, ferner die Vorstandsmitglieder eingetragener Vereine, die sich aus Sicht der türkischen Behörden regimekritisch betätigen).

18

Nach übereinstimmender Erkenntnislage kann allerdings angenommen werden, daß die türkischen Sicherheitskräfte und der türkische Geheimdienst in der Bundesrepublik Deutschland über ein Netz von Mitarbeitern sowohl innerhalb als auch außerhalb ihrer diplomatischen Vertretungen verfügen. Sie beobachten, überwachen und registrieren die Aktivitäten oppositioneller Gruppen und Individuen, die für sie unter Staatsschutzgesichtspunkten von Interesse sein könnten. Die türkischen Stellen in Deutschland verfolgen insbesondere die Aktivitäten kurdischer Organisationen aufmerksam und leiten die gesammelten Informationen in die Türkei weiter. Angesichts der Vielzahl der Ereignisse und der oft nur am Rande beteiligten Personen ist indessen wenig wahrscheinlich, daß auch nicht herausragende Aktivitäten, wie z.B. einfache Vereinsmitgliedschaft, Teilnahme an Demonstrationen - und sei es als Ordner -, Hungerstreiks oder Informationsveranstaltungen sowie die Verteilung von Flugblättern, den zuständigen türkischen Stellen überhaupt in einer die Identifizierung des Betroffenen ermöglichenden Weise bekannt werden. Zwar gibt es auch Hinweise darauf, daß Mitarbeiter türkischer Auslandsvertretungen in Deutschland während des Ablaufs kurdischer Protestveranstaltungen (insbesondere von gewalttätigen Aktionen gegen Generalkonsulate) Film- und Videoaufnahmen machen, die dem Zweck der späteren Identifizierung von Beteiligten dienen könnten. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, daß hierdurch vor allem bereits auf andere Weise bekannte Teilnehmer identifiziert werden. Die Auswertung von Videoaufnahmen oder sonstigen Bilddokumenten unter dem Gesichtspunkt, namentlich noch nicht bekannte Personen feststellen zu können, ist nicht ohne erheblichen Aufwand möglich und setzt bereits weitere Anhaltspunkte, wie z.B. die Kenntnis des Wohnorts der betreffenden Person, für die Ermittlungen voraus. Schon wegen des damit verbundenen umfangreichen Arbeitsaufwandes spricht überwiegendes dafür, daß türkische Sicherheitsbehörden sich der Mühe der Identifizierung (nur) bei solchen Personen unterziehen (können), deren Aktivität eine herausragende Bedeutung beigemessen wird (so auch Kaya, Gutachten vom 03.04.1996 an das VG Neustadt). Demgemäß ist davon auszugehen, daß sich das einzelnen Personen gewidmete Ermittlungsinteresse der türkischen Stellen schon aus kapazitären Gründen auf die an exponierter Stelle auftretenden und agierenden Wortführer regimekritischer Gruppen und sonst in der Öffentlichkeit bekannt gewordene Kritiker der Verhältnisse in der Türkei konzentrieren wird (vgl. ai, Stellungnahme vom 31.01.1994 an das VG Ansbach; Auswärtiges Amt, Auskünfte vom 08.06.1994 an das VG Frankfurt/Main und 17.04.1996 an das VG Neustadt; Rumpf, Gutachten vom 15.06.1993 an das VG Hannover und vom 30.06.1994 an das VG Frankfurt/Main; Kaya, Gutchten vom 28.10.1993 an das VG Hamburg und vom 03.04.1996 an das VG Neustadt).

19

Insoweit ist zusätzlich zu berücksichtigen, daß exilpolitische Aktivitäten der vorgenannten, niedrig profilierten Art in der Türkei strafrechtlich nicht verfolgt werden. Es kann angenommen werden, daß solche Aktivitäten nach Art. 8 des Anti-Terrorgesetzes (ATG) vom 12.04.1991 i.d.F. des Änderungsgesetzes vom 27.10.1995 wahrscheinlich nicht bestraft werden. Nach dieser Vorschrift wird separatistische Propaganda mit Gefängnis von ein bis drei Jahren und mit schwerer Geldstrafe bestraft. Es handelt sich dabei um ein typisches "Intellektuellendelikt", das vorwiegend auf Journalisten und Schriftsteller zielt und daneben auch prominente Persönlichkeiten erfaßt, die Vorträge halten und Konzerte geben. Einschlägige Strafverfahren haben in der Vergangenheit hauptsächlich an Buch- oder Zeitungsveröffentlichungen angeknüpft. Demgegenüber sind Verurteilungen von Personen, die bei einer Demonstration fotografiert worden waren, schon nach der türkischen Strafverfolgungspraxis unter der Geltung der ursprünglichen Fassung des Art. 8 ATG nicht bekannt geworden (vgl. dazu Kaya, Gutachten vom 03.04.1996 an das VG Neustadt). Erst recht sind dahingehende Befürchtungen nicht mehr gerechtfertigt, seit der bisher ausdrücklich weitgefaßte Tatbestand im Sinne einer Einengung geändert worden ist. Nunmehr kommt eine Verurteilung nur in Betracht, wenn die Äußerung objektiv geeignet ist, zu einer mindestens ernsthaften Beeinträchtigung der Souveränität der türkischen Regierung über einen Teil des Staatsgebietes zu führen (vgl. hierzu und zum folgenden auch: OVG NW, Urt. vom 11.03.1996 - 25 A 5977/94.A - Seite 104 m.w.N.). In der Praxis hat diese Reform zur Freilassung von über 100 der etwa 150 bis 180 nach Art. 8 ATG Verurteilten geführt. Des weiteren wurden auch zahlreiche nach dieser Norm angeklagte Personen aus der Untersuchungshaft entlassen (vgl. dazu: Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 07.12.1995, Seite 17 f.; OVG NW, a.a.O.).

20

Selbst wenn die hier in Rede stehenden exilpolitischen Aktivitäten türkischen Straftatbeständen unterfielen, schiede eine Strafverfolgung auch aus einem weiteren Grunde aus. Da es sich bei solchen Aktivitäten - ihre Strafbarkeit unterstellt - aus der Sicht des türkischen Staates um Auslandsstraftaten handelt, kommen die einschlägigen Vorschriften des internationalen Strafrechts im Türkischen Strafgesetzbuch zu Anwendung. Nach Art. 5 TStGB findet eine Strafverfolgung statt, wenn für das fragliche Delikt eine Mindestfreiheitsstrafe von drei Jahren vorgesehen ist; dies ist bei Art. 8 ATG nicht der Fall. Nach Art. 4 TStGB wird eine Auslandsstraftat darüber hinaus verfolgt, wenn sie sich gegen die "Persönlichkeit des Staates" richtet. Die türkische Strafrechtslehre, der die Rechtsprechung offensichtlich gefolgt ist, meint indessen, daß Art. 8 ATG nicht zu den Straftaten gegen die Persönlichkeit des Staates zählt (vgl. Auswärtiges Amt, Auskünfte vom 03.11.1994 an das VG Freiburg, vom 29.12.1994 an das VG Wiesbaden, vom 05.05.1995 an das VG Schleswig und vom 17.04.1996 an das VG Neustadt; vgl. dazu ferner: Rumpf, Gutachten vom 25.08.1994 an das VG Köln, Seite 5 ff. sowie OVG NW, a.a.O.). Eine Bestrafung wegen Volksverhetzung nach Art. 312 Abs. 2 TStGB scheitert ebenfalls an Art. 4 und 5 TStGB. Eine Bestrafung wegen Mitgliedschaft in einer bewaffneten Bande nach Art. 168 Abs. 2 TStGB scheidet aus, weil diese Vorschrift allenfalls Personen erfaßt, die sich über einen längeren Zeitraum häufig öffentlich und prominent für die Ziele einer militanten Organisation, wie z.B. der PKK, eingesetzt haben. Eine Bestrafung wegen Unterstützung einer bewaffneten Bande nach Art. 169 TStGB kommt schließlich nur in Betracht, wenn das fragliche Verhalten als Anstifung zu (konkreten effizienten) separatistischen Aktionen in der Türkei gewertet werden kann; dies ist bei exilpolitischen Aktivitäten der hier in Rede stehenden Art ausgeschlossen (vgl. dazu auf: Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 07.12.1995, Seite 17 ff.; OVG NW, a.a.O.).

21

Insoweit ist schließlich zu erwägen, daß die massenweise Teilnahme türkischer Asylbewerber an exilpolitischen Aktivitäten im Bundesgebiet in auffälligem Gegensatz zu der berichteten Anzahl von einschlägigen Referenzfällen steht, in denen eine menschenrechtswidrige Behandlung in der Türkei allein durch exilpolitische Tätigkeit ausgelöst worden ist. Auch Kaya bestätigt in seinem Gutachten vom 03.04.1996, daß zahlreiche ("Hunderte, ja sogar Tausende") Personen (kurdischer und türkischer Herkunft), die sich an Demonstrationen, Veranstaltungen und Hungerstreiks beteiligt hatten, und von denen Bilder in der Presse veröffentlicht worden waren, weder bei Konsulatsangelegenheiten noch bei Reisen in die Türkei Schwierigkeiten bekommen haben. Kaya führt dies auf die mangelnde Auswertung der Bilddokumentationen zurück. Zumindest ebenso plausibel erscheint daneben aber auch die Annahme, daß die türkischen Stellen sich auf die aus ihrer Sicht ernsthaften Gegner konzentrieren und dabei auch erkennen, daß einfache exilpolitische Aktivitäten offenbar nicht selten vorwiegend mit dem Ziel unternommen werden, sich einen Vorteil im laufenden Asylverfahren zu verschaffen und dadurch einen sonst nicht zu erreichenden vorüberghenden Aufenthalt im Bundesgebiet zu erzwingen.

22

Auch daß der Kläger zu 1), wie in der Sitzungsniederschrift im einzelnen referiert, zweimal in MED-TV zu sehen war, rechtfertigt nicht den Schluß, er und die Seinen seien bei einer Rückkehr in die Westtürkei nicht hinreichend sicher vor politischer Verfolgung. Zwar ist davon auszugehen, daß die Sendungen des kurdischen Fernsehsenders MED-TV von den türkischen Sicherheitsbehörden aufmerksam verfolgt und, soweit dies personell möglich ist, ausgewertet werden. Es ist jedoch nichts dafür erkennbar, daß sich diese Auswertung des Bildmaterials nach anderen Kriterien vollzöge als etwa desjenigen Materials, das beim Filmen von Protestveranstaltungen anfällt. Soweit also der Betreffende in dem Filmbeitrag nicht in herausgehobener Weise in Erscheinung tritt, besteht auch für die türkischen Sicherheitskräfte kein Anlaß, mit Aufwand seine Identität zu ermitteln, um ihn im Falle seiner Rückkehr einer besonderen Behandlung zuzuführen (vgl. Nieders. OVG, Urt.v. 21.11.1996 - 11 L 1692/92 - Seite 39 f. unter Hinweis auf das Gutachten von Kaya vom 3.4.1996). Zwar sind durchaus auch Fälle denkbar, in denen der Betreffende aufgrund einer Fernsehsendung als gefährdet erscheint (vgl. hierzu das Gutachten Kayas vom 2. Juli 1997 an das VG Karlsruhe). Dies setzt jedoch voraus, daß aufgrund ungewöhnlicher Umstände oder eindeutiger Erklärungen davon ausgegangen werden muß, daß ein besonderes Interesse der Sicherheitskräfte an der betreffenden Person geweckt wurde. Ein solches Interesse an der Person des Klägers vermag sein Erscheinen im MED-TV nicht zu wecken. Allein daß er in dem Bericht vom 31. Mai 1996 neben bekannteren kurdischen Oppositionellen als ein "Hinterbänkler" zu sehen ist, der sich nicht an der Diskussion beteiligt und dessen Name auch nicht erwähnt wird, läßt es nicht der Mühe Wert erscheinen, Ermittlungen über seine Identität anzustellen. Auch die Teilnahme und der Wortbeitrag des Klägers an bzw. in der Sendung vom 6. Dezember 1996 löst zur Überzeugung des erkennenden Gerichts keine Gefahr von Ermittlungen der Sicherheitsbehörden aus. Im Gegenteil, der Kläger erscheint bei der Abgabe seines "Statements" unsicher und seine Aussagen sind weitgehend inhaltsleer. Einem unbefangenen Beobachter drängt sich der Eindruck auf, daß sich hier jemand zu Wort gemeldet hat, um auch einmal in der Sendung zu sprechen, ohne jedoch eigentlich etwas Spezielles zu sagen zu haben. Es ist gerichtsbekannt, daß zunehmend Asylbewerber kurdischer Volkszugehörigkeit bestrebt sind, im MED-TV zu erscheinen, um dies als Nachfluchtgrund in ihrem Asylverfahren vorzubringen. Das dürfte auch den türkischen Sicherheitsorganen bekannt sein und diese werden Wortbeiträge wie denjenigen des Kläges entsprechend einzuordnen wissen. Die schlichte Mitgliedschaft im Deutsch-Kurdischen Freundschaftsverein Salzgitter eV läßt schließlich den Kläger zu 1) ebenfalls nicht als einen herausgehoben exilpolitisch tätigen Kurden erscheinen.

23

Mit seiner ständigen Rechtsprechung (vgl. die Seiten 33, 2. Absatz, bis 36, 1. Absatz, des Urteils vom 4. November 1997) hält das Gericht auch im Falle der Kläger daran fest, daß für kurdische Volkszugehörige, die im Westen der Türkei vor politischer Verfolgung hinreichend sicher sind, regelmäßig zudem die wirtschaftlichen Voraussetzungen einer inländischen Fluchtalternative in diesem Teil des Landes vorliegen. Denn es ist nicht beachtlich wahrscheinlich, daß der angesprochene Personenkreis bei der gebotenen generalisierenden Betrachtung im Westen der Türkei auf Dauer ein Leben unter dem Existenzminimum zu erwarten hätte.

24

Schließlich müssen die Kläger nach erfolglosem Asylverfahren bei der Rückkehr in die Türkei nicht damit rechnen, asylerhebliche Maßnahmen erdulden zu müssen. Denn das Risiko von Verhaftung, Verhör und Folter ist im Falle der Rückkehr abgelehnter türkischer Asylbewerber kurdischer Volkszugehörigkeit für den Regelfall ausgeschlossen. Auch insoweit folgt das Gericht seiner ständigen Rechtsprechung (vgl. Seite 36, letzter Absatz, bis Seite 38, 1. Absatz, des Urteils vom 4. November 1997).

25

Da die Kläger trotz der Nachfluchtaktivitäten des Klägers zu 1) in der Westtürkei vor politischer Verfolgung hinreichend sicher sind, bedarf es keiner weiteren Ausführungen, daß ihnen aufgrund dieser Aktivitäten solche Verfolgung auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Dementsprechend käme man im vorliegenden Falle auf der Grundlage der Rechtsprechung des Nieders. Oberverwaltungsgerichts zum selben Ergebnis wie das erkennende Gericht.

26

Da nach alldem nicht festgestellt werden kann, daß die Kläger in der Westtürkei von politischer Verfolgung bedroht oder auch nur vor dieser nicht hinreichend sicher wären, scheidet - unter Berücksichtigung des Vorliegens der wirtschaftlichen Voraussetzungen einer Fluchtalternative - zugleich eine Gewährung von Asyl nach Artikel 16 a Abs. 1 GG aus.

27

Abschiebungshindernisse im Sinne des § 53 AuslG sind nicht ersichtlich.

28

Der Hilfsbeweisantrag der Kläger wird abgelehnt.

29

Zum einen hat der Prozeßbevollmächtigte der Kläger den Beweisantrag durch Bezugnahme auf seinen Schriftsatz vom 13. Februar 1998 gestellt, obwohl das Gericht durch einen entsprechenden Hinweis ausdrücklich zu erkennen gegeben hatte, daß es eine derartige Bezugnahme nicht für angemessen halte. Die Antragstellung durch Bezugnahme ist deshalb in entsprechender Anwendung der §§ 173 VwGO, 137 Abs. 3 Satz 1 ZPO nicht zulässig.

30

Außerdem wurde mit dem Beweisantrag entgegen §§ 98 VwGO, 373 ZPO nicht ordnungsgemäß Beweis angetreten, weil sich die konkreten Beweistatsachen und die dazu genannten Zeugen nur aus einem Abgleich der Angaben in den Anlagen zum klägerischen Schriftsatz vom 13. Februar 1998 und dem Sitzungsprotokoll (wegen der erschienenen Zeugen) ermitteln lassen. Es ist aber nicht Aufgabe des Gerichts, sich die Bestandteile eines ordnungsgemäßen Beweisantrages aus verschiedenen Unterlagen, die teilweise noch eine Bezugnahme enthalten, zusammenzustellen.

31

Schließlich muß der Beweisantrag aber auch deshalb erfolglos bleiben, weil die geltend gemachten exilpolitischen Aktivitäten - wie ausgeführt - unerheblich sind.

32

Da die Kläger von der Beklagten nicht als Asylberechtigte anzuerkennen waren und keine Aufenthaltsgenehmigung besitzen, waren sie gemäß den §§ 34 ff. AsylVfG von dem Bundesamt zur Ausreise aufzufordern und war ihnen die Abschiebung anzudrohen.

33

Die Klage ist deshalb mit der Kostenfolge aus den §§ 154 Abs. 1 VwGO und 83 b Abs. 1 AsylVfG abzuweisen. Die Nebenentscheidungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruhen auf den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Tscherning