Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 27.04.2011, Az.: 1 Ss 66/11

Das Heraustreten von Seitenscheiben eines Polizeifahrzeugs ist eine Sachbeschädigung und kein teilweises Zerstören eines polizeilichen Kraftfahrzeuges gem. § 305a Abs. 1 Nr. 2 StGB; Voraussetzungen für das Zerstören eines Kraftfahrzeuges der Polizei durch Heraustreten der Seitenscheiben i.S.d. § 305a Abs. 1 Nr. 2 StGB

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
27.04.2011
Aktenzeichen
1 Ss 66/11
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 17744
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:2011:0427.1SS66.11.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Oldenburg - 23.12.2010 - AZ: 13 Ns 342/09

Fundstellen

  • NStZ-RR 2011, 338
  • StRR 2011, 287
  • ZAP 2011, 1031
  • ZAP EN-Nr. 667/2011

Amtlicher Leitsatz

Das Heraustreten von Seitenscheiben eines Polizeiwagens ist kein teilweises Zerstören eines Kraftfahrzeuges der Polizei im Sinne von § 305a Abs. 1 Nr. 2 StGB, sondern nur eine Sachbeschädigung.

Tenor:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 13. kleinen Strafkammer des Landgerichts Oldenburg vom 23. Dezember 2010 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass er wegen gefährlicher Körperverletzung in drei Fällen, davon einem Falle in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Sachbeschädigung und Beleidigung verurteilt wird.

Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dadurch dem Nebenkläger erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

1

Das Amtsgericht Westerstede hatte den Angeklagten mit Urteil vom 1. September 2009 wegen vorsätzlichen Vollrausches zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 8 Monaten verurteilt. Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Oldenburg mit Urteil vom 23. Dezember 2010 mit der Maßgabe verworfen, dass es den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen sowie wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel, vorsätzlicher Körperverletzung und Beleidigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von wiederum 2 Jahren und 8 Monaten verurteilt hat.

2

Hiergegen richtet sich die form und fristgerecht eingelegte Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt und beantragt, das Urteil in vollem Umfang aufzuheben.

3

Die zulässige Revision führt auf die Sachrüge lediglich zu der sich aus dem Tenor ergebenden Änderung des Schuldspruchs.

4

I. Das Landgericht hat hinsichtlich der Tat Ziffer II.3. - rechtsfehlerfrei - unter Anderem folgende Feststellungen getroffen (UA S. 4/5):

5

"Der Angeklagte weigerte sich, in den Streifenwagen einzusteigen, wand und wehrte sich und hielt sich am Türrahmen fest. Schließlich gelang es dem Polizeibeamten K..., den Angeklagten auf die Rückbank zu drängen, sich auf ihn zu legen und ihn mit Handschellen an die Kopfstütze anzuschließen. Während der Zeuge K... um den VW Touran herum zur Fahrertür ging, trat der Angeklagte von innen gegen die Seitenverkleidung und schließlich gegen die hintere rechte Scheibe, so dass diese zersplitterte. Die dort anwesende Polizeibeamtin K... wurde, was der Angeklagte zumindest billigend in Kauf genommen hatte, durch herumfliegende Splitter am Auge verletzt und musste ärztlich behandelt werden. Während der anschließenden Fahrt zum Kommissariat trat der weiterhin aggressive Angeklagte nach vorheriger Ankündigung auch die andere hintere Seitenscheibe des Polizeifahrzeugs heraus. Auf der Wache in W... angekommen, betitelte er den anwesenden Polizeibeamten D... als "Scheißbulle" und "Wichser" und kränkte ihn dadurch in seiner Ehre.

6

Durch das zu diesem Fall festgestellte Verhalten hat sich der Angeklagte nach Ansicht der Strafkammer des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel, vorsätzlicher Körperverletzung und Beleidigung gemäß §§ 113, 305a Abs. 1 Nr. 2, 223, 185, 52 StGB strafbar gemacht (UA. S. 13).

7

Dem vermag der Senat nicht uneingeschränkt zu folgen.

8

1. Zu Recht hat die Strafkammer das Verhalten des Angeklagten in diesem Fall als Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gemäß § 113 StGB und als Beleidigung gemäß § 185 StGB gewürdigt.

9

2. Die Verurteilung wegen Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel gemäß § 305a Abs. 1 Nr. 2 StGB kann indessen keinen Bestand haben. Denn ein jedenfalls "teilweises Zerstören" im Sinne dieser Vorschrift hat das Landgericht nicht festgestellt. Ein solches ist mehr als ein "Beschädigen" und nur dann anzunehmen, wenn durch die Substanzverletzung einzelne, funktionell selbständige Teile der Sache, die für die zweckentsprechende Nutzung des Gesamtgegenstandes von Bedeutung sind, unbrauchbar gemacht werden (vgl. Fischer, StGB, 58. Aufl, § 305 Rz. 5). Diese Teile müssen für die bestimmungsgemäße Verwendung wesentlich sein (vgl. SchönkeSchröder, StGB, 28. Aufl., § 305 Rz. 5). Eine nicht nachhaltige Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit wie etwa die Zerstörung eines Reifens eines Kraftfahrzeuges (vgl. Fischer, aaO., § 305a Rz. 10) reicht hierfür nicht aus. Dem steht das Eintreten von Scheiben eines Fahrzeuges gleich.

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Durch das Eintreten der beiden Scheiben hat sich der Angeklagte jedoch einer Sachbeschädigung gemäß § 303 Abs. 1 StGB schuldig gemacht, wobei der Senat vom Vorliegen einer natürlichen Handlungseinheit ausgeht. Der nach § 303 c StGB insoweit erforderliche Strafantrag ist am 16. März 2009 und damit rechtzeitig gestellt (Bl. I 103 d.A.)

11

3. Soweit die Strafkammer den Angeklagten in diesem Falle auch wegen vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt hat, übersieht sie, dass die durch die Zerstörung der Seitenscheiben durch Fußtritte entstandenen, in Gesichtshöhe unkontrolliert herumfliegenden Glassplitter als gefährliche Werkzeuge gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB anzusehen sind (vgl. OLG Köln, Urteil v. 17.09.1985, 1 Ss 424/85, VRS 70, 273), und der Angeklagte sich somit auch in diesem Fall der gefährlichen Körperverletzung schuldig gemacht hat.

12

II. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils anhand der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

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Auf die Revision des Angeklagten war daher das Urteil des Landgerichts Oldenburg im Schuldspruch dahingehend zu ändern, dass der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung in drei Fällen, davon einem Falle in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Sachbeschädigung und Beleidigung verurteilt wird.

14

III. Eine Aufhebung des Strafausspruches ist hierdurch nicht veranlasst. Die Strafkammer hat für die zu Ziffer II 3. festgestellte Tat eine Freiheitsstrafe von 6 Monaten verhängt. Sie hat, obwohl die Voraussetzungen des § 21 StGB bei sämtlichen Taten vorlagen, in nicht zu beanstandender Weise von einer Strafmilderung nach § 49 StGB abgesehen und bezüglich der Körperverletzungstaten das Vorliegen minder schwerer Fälle verneint. Vor diesem Hintergrund schließt der Senat aus, dass das Landgericht in diesem Fall - bei dem der Angeklagte immerhin vier Straftatbestände tateinheitlich verwirklicht hat - zu einer milderen Strafe als der für den Regelfall der gefährlichen Körperverletzung in § 224 Abs. 1 StGB vorgesehenen Mindeststrafe von 6 Monaten Freiheitsstrafe und damit möglicherweise zu einer niedrigeren Gesamtfreiheitsstrafe gelangt wäre. Da auch auszuschließen ist, dass der Angeklagte sich gegen den bereits in der Anklage wie festgestellt beschriebenen Vorwurf anders als geschehen verteidigt hätte, kann gemäß § 354 Abs. 1 StPO der Rechtsfolgenausspruch bestehen bleiben.

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IV. Die Kosten und Auslagenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO.