Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 31.03.2020, Az.: 7 B 709/20

Allgemein; Corona; COVID-19; Nebenwohnung; Zweitwohnung

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
31.03.2020
Aktenzeichen
7 B 709/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 71484
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

1. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

2. Der Streitwert wird auf 2.500,00 € festgesetzt.

Gründe

1.

Der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO zu beurteilende Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seiner Klage (7 A 707/20) gegen die sofort vollziehbare Allgemeinverfügung des Antragsgegners „zur Beschränkung von sozialen Kontakten im öffentlichen Bereich angesichts der Corona-Epidemie und zum Schutz der Bevölkerung vor der Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 auf dem Gebiet des Landkreises Friesland“ vom 18. März 2020, mit welcher insbesondere die Nutzung einer Nebenwohnung im Landkreis Friesland untersagt wird, anzuordnen, über den der Berichterstatter nach Übertragung durch die Kammer (§ 6 Abs. 1 Satz 1 VwGO) in Ansehung der „Leitentscheidung“ der Kammer vom 27. März 2020 (7 B 721/20, juris) als Einzelrichter entscheidet, hat keinen Erfolg.

Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.

Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Klage im Falle des vorliegend aus § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. §§ 28 Abs. 3, 16 Abs. 8 IfSG folgenden gesetzlichen Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Für den Erfolg eines Antrags nach § 80 Absatz 5 Satz 1 VwGO ist in materieller Hinsicht entscheidend, ob das private Interesse eines Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage höher als das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der angegriffenen Allgemeinverfügung zu bewerten ist. Im Rahmen dieser gerichtlichen Abwägung der widerstreitenden Interessen sind die Aussichten des Begehrens im Hauptsacheverfahren zu berücksichtigen. Bei einer offensichtlich Erfolg versprechenden Klage überwiegt das Suspensivinteresse des Betroffenen regelmäßig das öffentliche Vollzugsinteresse. Der Antrag ist dagegen in aller Regel unbegründet, wenn der Antragsteller im Verfahren zur Hauptsache voraussichtlich keinen Erfolg haben wird, insbesondere wenn die angegriffene Verfügung offensichtlich rechtmäßig ist. Hier spricht Überwiegendes für die Rechtmäßigkeit der angegriffenen behördlichen Maßnahme. Nach dieser materiell-akzessorischen Prüfung ist der Antrag abzulehnen (dazu 1.)

Lässt sich die Rechtmäßigkeit im Rahmen des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes nicht eindeutig beurteilen, bedarf es schließlich einer allgemeinen Interessenabwägung im Sinne einer Folgenabwägung. Dabei sind die Folgen gegenüberzustellen, die einerseits eintreten, wenn dem Antrag stattgegeben wird, der Bescheid sich aber später im Hauptsacheverfahren als rechtmäßig erweist bzw. die andererseits eintreten, wenn der Antrag abgelehnt wird, der Bescheid sich aber später im Hauptsacheverfahren als rechtswidrig erweist (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 10. Juli 2017 – 11 MC 186/17 – juris, Rn. 12). Da das Gericht auf Grundlage der ihm vorliegenden Erkenntnisse und der Kürze der für die Gewährung effektiven Rechtsschutzes zur Verfügung stehenden Zeit eine abschließende rechtliche Bewertung der in Form der Allgemeinverfügung gemäß § 1 Abs. 1 NVwVfG i.V.m. § 35 Satz 2 VwVfG getroffenen Anordnung in hinreichender Tiefe und Schärfe erst im Hauptsacheverfahren vorzunehmen vermag, nimmt es ergänzend hier auch diese Güterabwägung vor, nach welcher der Eilantrag ebenfalls ohne Erfolg bleiben muss (dazu 2.).

1.

Die angegriffene Allgemeinverfügung vom 18. März 2020 lässt sich voraussichtlich auf die Rechtsgrundlage des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG stützen. Hiernach trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen insbesondere für den Fall, dass Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist.

Bei der sich gegenwärtig weltweit verbreitenden Erkrankung COVID-19, die durch den Coronavirus (SARS-CoV-2) verursacht wird, handelt es sich um eine übertragbare Krankheit im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 2 Nr. 3 IfSG. Eine Übertragung der Erkrankung erfolgt in der Bevölkerung hauptsächlich im Wege der Tröpfcheninfektion. Theoretisch denkbar und wohl auch möglich sind daneben andere Übertragungswege und –arten, z.B. eine Schmierinfektion oder eine Ansteckung über die Bindehaut der Augen (vgl. RKI, SARS-CoV-2 Steckbrief, Stand: 23. März 2020, www.bit.ly/2UGSnkB).

Im Gebiet des Antragsgegners mussten in der Vergangenheit bereits Kranke festgestellt werden. Am 29. März 2020 wurden für das gesamte Gebiet des Antragsgegners 10 Corona-Infektionen bestätigt (Landkreis Friesland, Coronavirus Informationen, Stand: 29. März 2020, https://bit.ly/2WSF4jv). In Niedersachsen gibt es derzeit 3.732 bestätigte Infektionen (RKI, Stand: 30. März 2020, https://bit.ly/3bF8J43), bundesweit sind es 57.298 (RKI, Stand: 30. März 2020, https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Fallzahlen.html). Dies lässt das Gericht hinreichend sein, um von der Pflicht des Antragsgegners zum Einschreiten auszugehen.

Die zuständige Behörde ist zur Ergreifung von Schutzmaßnahmen grundsätzlich verpflichtet – ein behördliches Ermessen besteht ausschließlich mit Blick auf die Auswahl der gebotenen Maßnahmen gegen die Verbreitung übertragbarer Krankheiten (Häberle in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 228. EL v. Januar 2020, § 28 IfSG Rn. 1). Das Auswahlermessen erfährt hierbei wiederum dadurch eine Beschränkung, dass die gewählte Maßnahme ausweislich des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG „notwendig“ und somit zur Verhinderung einer (fortschreitenden) Verbreitung der Krankheit geboten sein muss. Im Übrigen sind dem Ermessen – ganz allgemein und so auch hier – durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Grenzen gesetzt.

Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der durch die angegriffene Allgemeinverfügung angeordneten Nutzungsuntersagung von Nebenwohnungen im Gebiet des Antragsgegners ist der im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht geltende Grundsatz heranzuziehen, nach welchem um so geringere Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 26. Februar 1974 – I C 31.72 – juris, Rn. 41 m.w.N.). Für eine Übertragung dieses Grundsatzes auf den Bereich des Infektionsschutzrechts spricht neben der Zielsetzung, eine effektive Gefahrenabwehr zu ermöglichen (§§ 1 Abs. 1, 28 Abs. 1 IfSG), auch die Tatsache, dass einzelne Krankheiten nach ihrem Ansteckungsrisiko und den Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit unterschiedlich gefährlich sind. Vor diesem Hintergrund erscheint es sachgerecht, einen am Gefährdungsgrad der jeweiligen Erkrankung orientierten, „flexiblen“ Maßstab für die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen (zu Vorstehendem vgl. BVerwG, Urt. v. 22. März 2012 – 3 C 16/11 – juris, Rn. 32; VG Schleswig, Beschl. v. 22. März 2020 – 1 B 17/20 – juris, Rn. 5 f.; VG Bayreuth, Beschl. v. 11. März 2020 – B 7 20.223 – juris, Rn. 44 f.).

Gemessen an diesen Vorgaben begegnet die vorliegend durch die angegriffene Allgemeinverfügung des Antragsgegners angeordnete Nutzungsuntersagung von Nebenwohnungen keinen grundlegenden rechtlichen Bedenken. Von der Krankheit COVID-19 geht sowohl hinsichtlich des Ansteckungsrisikos als auch mit Blick auf die schwerwiegenden Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit eine besondere Gefährdung der Bevölkerung aus. In Anbetracht der rasanten weltweiten Ausbreitung von COVID-19 wurde die Krankheit von der Weltgesundheitsorganisation am 11. März 2020 als Pandemie eingestuft (Rede des Generaldirektors der WHO v. 11. März 2020, letzter Zugriff: 27. März 2020, www.bit.ly/2UlWpzX). Eine Ansteckung mit dem Coronavirus (SARS-CoV-2) geht dabei – gerade in bestimmten Bevölkerungsteilen – mit ernsthaften Gefahren für Leben und Gesundheit einher. Das Robert Koch-Institut (RKI) führt hierzu in seiner Risikobewertung aus (RKI, Risikobewertung zu COVID-19, letzter Zugriff: 27. März 2020, www.bit.ly/2QKNOVg):

„Es handelt sich weltweit und in Deutschland um eine sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation. Bei einem Teil der Fälle sind die Krankheitsverläufe schwer, auch tödliche Krankheitsverläufe kommen vor. Die Zahl der Fälle in Deutschland steigt weiter an.

Die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland wird derzeit insgesamt als hoch eingeschätzt. Diese Gefährdung variiert aber von Region zu Region. Die Wahrscheinlichkeit für schwere Krankheitsverläufe nimmt mit zunehmendem Alter und bestehenden Vorerkrankungen zu.“

Eine auf Grundlage des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG ergangene Schutzmaßnahme muss sich dabei nicht zwingend gegen den in der Norm genannten Personenkreis (Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider) richten, sondern kann auch – soweit erforderlich – gegenüber anderen Personen angeordnet werden (VG Schleswig, Beschl. v. 22. März 2020 – 1 B 17/20 – juris, Rn. 7 m.w.N.).

Da der Antragsteller sich gegenwärtig – soweit ersichtlich – nicht am Ort seiner Nebenwohnung aufhält und damit – anders als in der Leitentscheidung der Kammer vom 27. März 2020 (Az. 7 B 721/20, juris) – nicht von einer Rückreise- und Verlassenspflicht, sondern „lediglich“ von einem Verbot, sich aktiv an den Ort seiner Nebenwohnung zu begeben und diese zu nutzen, betroffen ist, stellt sich hier nicht in entscheidungserheblicher Weise die Frage, ob auch ein Ausreisegebot auf die Rechtsgrundlage des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG gestützt werden kann. Aus Gründen der Rechtssicherheit verweist das Gericht jedoch insoweit zusätzlich auf die entsprechenden Ausführungen in der zuvor genannten Kammerentscheidung:

„Gegen die Rechtmäßigkeit der in der angegriffenen Allgemeinverfügung auf Grundlage des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG angeordneten Rückreiseanordnung wenden die Antragsteller ein, dass die zuständige Behörde durch die Generalklausel ausschließlich zur Anordnung eines Einreiseverbots, nicht jedoch zum Ausspruch eines Ausreisegebots ermächtigt werde. Auch wenn in § 28 Abs. 1 Satz 2 HS 2 IfSG der Ausspruch eines Verlassensverbots bzw. eines Betretensverbots nochmals ausdrückliche Erwähnung findet, schließt dies aber nach vorläufiger rechtlicher Einschätzung der Kammer nicht aus, dass die Generalklausel des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG, auf die die anschließenden gesetzgeberischen Ausführungen erkennbar beispielhaft Bezug nehmen („Unter den Voraussetzungen von Satz 1“), ebenfalls zum Ausspruch einer Rückreiseanordnung ermächtigt. Die inhaltliche Offenheit des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG auch für eine solche Anordnung wird nicht zuletzt daran deutlich, dass einzelne Schutzmaßnahmen lediglich exemplarisch („insbesondere“) aufgeführt werden. Die Tatsache, dass ein Verlassens- bzw. Betretensverbot in Abs. 1 Satz 2 HS 2 der Vorschrift ausdrücklich erwähnt wird, ein Ausreisegebot hingegen nicht nochmals explizit aufgeführt wird, dürfte daher einzig auf den Umstand zurückzuführen sein, dass dieser Fallkonstellation jedenfalls bisher keine ähnliche Praxisrelevanz zukam.

Die Kammer hält es demnach für durchaus möglich und rechtlich naheliegend, auf die Vorschrift des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG auch die vorliegend getroffene Anordnung zum Verlassen des Ortes der Nebenwohnung zu stützen, um sich auf diesem Wege um eine ausreichende medizinische (Intensiv-)Versorgung der in dem betroffenen Gebiet lebenden Bevölkerung zu bemühen und dadurch den derzeit noch kaum absehbaren Folgen der aktuell erfolgenden pandemischen Verbreitung des Coronavirus (SARS-CoV-2) zu begegnen (so auch VG Schleswig, Beschl. v. 22. März 2020 – 1 B 17/20 – juris, Rn. 8). Diese Auslegung von § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG entspricht der Systematik und dem Charakter der Norm als Generalklausel. Sie ist damit § 11 NPOG vergleichbar.“

Soweit in Anbetracht des mit der hier angegriffenen behördlichen Maßnahme in der Allgemeinverfügung vom 18. März 2020 möglicherweise verbundenen, nicht unerheblichen Eingriffs in die Rechte des Einzelnen eine noch eingehendere rechtliche Prüfung unter Berücksichtigung der Anforderungen an den Vorbehalt des Gesetzes und die in diesem Zusammenhang erforderliche Bestimmtheit gesetzlicher Regelungen geboten. Die schlussendliche Beantwortung dieser Frage bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.

2.

Selbst wenn sich aber weder eine offensichtliche Rechtmäßigkeit noch eine offensichtliche Rechtswidrigkeit der angegriffenen Allgemeinverfügung feststellen ließe, bedürfte es im Rahmen des vorliegenden Verfahrens zur Gewährleistung vorläufigen Rechtsschutzes einer allgemeinen Abwägung der sich gegenüberstehenden öffentlichen und privaten Interessen. Diese auf der Grundlage einer an der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes orientierte Folgenabwägung nimmt das Gericht hier ergänzend vor. Sie geht zu Lasten des Antragstellers aus. Die Folgen, die bei einer Stattgabe zugunsten des Antrags der Allgemeinheit drohen können, wiegen schwerer als die Folgen einer Ablehnung des Antrags für den Antragsteller. Ihm ist es insbesondere zumutbar, der behördliche Verfügung jedenfalls zunächst Folge zu leisten.

Die in der angegriffenen Allgemeinverfügung enthaltene Anordnung des Verbots der Nutzung einer Nebenwohnung in dem Gebiet des Antragsgegners dient zuvörderst der Abwehr von Gefahren für Leben und Gesundheit der dort lebenden, d.h. mit Erstwohnsitz ansässigen Bevölkerung. Aufgrund der derzeit ungebremsten Ausbreitung der Krankheit COVID-19 durch pandemische Ausbreitung des Infektionsvirus besteht die realistische Befürchtung, dass die medizinische Versorgung an Kapazitätsgrenzen stößt. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die Gewährleistung der krankenhausärztlichen (Intensiv-)Versorgung, die bei schweren Krankheitsverläufen dringend erforderlich ist. Das Robert Koch-Institut führt hierzu in seinem Epidemiologischen Bulletin vom 19. März 2020 (www.bit.ly/3drQvoc, S. 3) aus:

„Die Erkrankung ist sehr infektiös, sie verläuft in etwa 4 von 5 Fällen mild, aber insbesondere ältere Menschen und solche mit vorbestehenden Grunderkrankungen sind von schweren Krankheitsverläufen betroffen und können an der Krankheit versterben (SARS-CoV-2-Steckbrief zur Coronavirus-Krankheit-2019). Bei vielen schwer erkrankten Menschen muss mit einer im Verhältnis zu anderen schweren akuten respiratorischen Infektionen (SARI) – vermutlich sogar deutlich – längeren intensivmedizinischen Behandlung mit Beatmung/zusätzlichem Sauerstoffbedarf gerechnet werden. Selbst gut ausgestattete Gesundheitsversorgungssysteme wie das in Deutschland können hier schnell an Kapazitätsgrenzen gelangen, wenn sich die Zahl der Erkrankten durch längere Liegedauern mit Intensivtherapie aufaddiert (Bericht ARDS-Netzwerk zu Influenza).“

Die Krankenhausplanung und die in diesem Zusammenhang gewährleistete Vorhaltung medizinischer Kapazitäten ist in Niedersachsen maßgeblich an der vor Ort mit Erstwohnsitz lebenden Bevölkerung ausgerichtet (vgl. Nds. Krankenhausplan, 34. Fortschreibung v. 1. Januar 2019, letzter Zugriff: 27. März 2020, https://www.bit.ly/2QJvplo, S. 4 f.). Insoweit hat das Land Niedersachsen mit § 1 der „Verordnung zur Bekämpfung der Corona-Virus-Krankheit COVID-19“ vom 18. März 2020 (Nds. GVBl. v. 19. März 2020, S. 37) u.a. bereits für eine Freihaltung von Kapazitäten für entsprechend Erkrankte gesorgt, indem es dort heißt (Absätze 1 und 2):

(1) In Krankenhäusern, die in den Krankenhausplan des Landes Niedersachsen nach § 6 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes und § 4 des Niedersächsischen Krankenhausgesetzes aufgenommen sind oder einen Versorgungsvertrag nach § 108 Nr. 3 des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB V) abgeschlossen haben, sind noch nicht begonnene medizinische Eingriffe und Behandlungen auszusetzen, die nicht dringend medizinisch notwendig sind.
(2) Patientinnen und Patienten, die bereits aufgenommen wurden und bei denen Eingriffe und Behandlungen nach Absatz 1 auszusetzen sind, sind zu entlassen.

Um eine Überlastung der bestehenden medizinischen Infrastruktur zu vermeiden, ist es daher notwendig, den Aufenthalt all derer, die nicht mit Erstwohnsitz im Gebiet des Antragsgegners gemeldet sind, zu verhindern oder zu beenden (so auch VG Schleswig, Beschl. v. 22. März 2020 – 1 B 17/20 – juris, Rn. 12). Der Antragsteller, die seinen Erstwohnsitz in Nordrhein-Westfalen hat, wäre im Ernstfall auf medizinische Kapazitäten angewiesen, die für ihn nicht geplant sind und welche der großen Zahl der vor Ort erkrankten Personen aufgrund der möglicherweise notwendigen (intensiv-)medizinischen Behandlung nicht mehr gewachsen wären (vgl. zuvor). Bei der Betrachtung des Einzelfalls mag sich die hieraus folgende Gefahr noch als überschaubar darstellen; jedoch in Ansehung der allgemeinkundigen Tatsache, dass es sich beim Landkreis Friesland um eine stark frequentierte Tourismusregion handelt, gerät der Aufenthalt weiterer Personen schnell zu einem unkalkulierbaren Risiko. Der Landkreis Friesland weist mit 4.072 gemeldeten Zweitwohnungen bei einer Bevölkerungszahl von 98.460 einen hohen Anteil von Zweitwohnungsinhabern auf. Noch augenscheinlicher ist die zahlenmäßige Bedeutung der Zweitwohnsitzinhaber auf dem Gebiet der Insel Wangerooge, auf der sich auch die Ferienwohnung des Antragstellers befindet. Dort befinden sich bei einer Bevölkerungszahl von 1.264 ganze 317 Zweitwohnungen. Zudem ist auch die medizinische Versorgung auf der Insel Wangerooge als besonders kritisch zu beurteilen. Dort befindet sich kein Krankenhaus und nur ein niedergelassener Arzt. Eine Intensivbetreuung ist damit nicht auf der Insel, sondern nur auf dem Festland möglich. Auch die rettungsdienstliche Versorgung der Insel Wangerooge unterliegt besonderen Herausforderungen und Kapazitätsbeschränkungen: Sie erfolgt vom Festland her mittels Rettungshubschrauber und teilweise durch Einsätze der DGRzS auf dem Seeweg, wenn es nach der jeweiligen Wetter- und Tidesituation möglich ist.

Eng mit der aus einem steigenden Bedarf an Intensiv- und Beatmungskapazitäten folgenden Gefahr einer Überlastung der (intensiv-)medizinischen Infrastruktur ist zudem die Notwendigkeit zur Reduzierung der Geschwindigkeit von Neuinfektionen verbunden. Hierzu für das Robert Koch-Institut aus (RKI, Epidemiologisches Bulletin, S. 3):

„Da weder eine Impfung in den nächsten Monaten noch eine spezifische Therapie derzeit zur Verfügung stehen, müssen alle Maßnahmen darauf ausgerichtet sein, die Verbreitung der Erkrankung in Deutschland und weltweit so gut wie möglich zu verlangsamen, die Erkrankungswelle auf einen längeren Zeitraum zu strecken und damit auch die Belastung am Gipfel leichter bewältigbar zu machen.“

Unerheblich ist, ob der Antragsteller (derzeit) selbst infiziert ist oder nicht und ob von ihm derzeit eine konkrete Gefahr ausgeht, da zu bedenken ist, dass sich mit jeder weiteren Person, die sich gegenwärtig in dem touristisch stark frequentierten Gebiet des Antragsgegners aufhält, die Gefahr einer beschleunigten Verbreitung des Coronavirus (SARS-CoV-2) erhöht. Die gegenwärtig zu beobachtende Dynamik bei der Ausbreitung des Virus ist wesentlich darauf zurückzuführen, dass Personen sich im öffentlichen Raum bewegen und dabei unwissentlich infiziert werden bzw. anschließend andere Personen infizieren. Auch der Antragsteller wird sich dem nicht vollends entziehen können, da er auch auf dem Gebiet des Antragsgegners bei lebensnaher Betrachtung zwangsläufig dem Kontakt mit anderen Menschen – etwa beim Einkaufen – ausgesetzt wäre. Eine jede Person, die sich in dem Gebiet des Antragsgegners aufhält, legt somit schon durch ihre Anwesenheit die Ursache für eine potentielle Erhöhung des Infektionsrisikos (vgl. VG Schleswig, Beschl. v. 22. März 2020 – 1 B 17/20 – juris, Rn. 11). Hinzu käme im vorliegenden Fall, dass der Antragsteller sich gegenwärtig nicht schon am Ort seiner Nebenwohnung befindet, sondern sich dorthin begeben würde. Ein solcher Ortswechsel mit einer Anreise über mehr als 300 km mit entsprechenden Begegnungskontakten bei der Anreise und der Verwendung von öffentlichen Verkehrsmitteln (Fähre) erhöht die Infektions- und Verbreitungsgefahr des Coronavirus noch weiter.

Im Vergleich zu dem dargelegten öffentlichen Interesse würde ein etwaiges überwiegendes privates Interesse des Antragstellers im Rahmen der Güterabwägung voraussetzen, dass im Einzelfall Umstände vorliegen, die so gewichtig sind, dass entgegen der gesetzgeberischen Anordnung in §§ 28 Abs. 3, 16 Abs. 8 IfSG eine vorläufige Aussetzung der Vollziehung angezeigt ist.

Ein solches überwiegendes Interesse des Antragstellers lässt sich seinem Vortrag nicht entnehmen und liegt auch ansonsten nicht vor.

Der gewöhnliche Aufenthaltsort des Antragstellers – und somit sein Erstwohnsitz – befindet sich in Nordrhein-Westfalen. Es begegnet im Grundsatz keinen rechtlichen Bedenken, Bewohner einer Nebenwohnung auf die Nutzung ihrer Hauptwohnung zu verweisen. Eine Unzumutbarkeit einer entsprechenden Anordnung könnte allenfalls im Einzelfall und auch nur dann angenommen werden, wenn besondere individuelle Umstände hinzuträten, aufgrund derer die kurzfristige Nutzung der Hauptwohnung (grob) unverhältnismäßig wäre und die Folgen für die Betroffenen einen gravierenden Eingriff in besonders gewichtige Individualrechtsgüter darstellten. Dies kann sich womöglich dann in besonderen Fallkonstellationen (die hier nicht vorliegen) ergeben, z.B. wenn bereits die Rückreise zur Hauptwohnung eine schwerwiegende Gesundheitsgefahr darstellt oder aber sich diese Gefahr durch die Ankunft und den weiteren Verbleib in der Hauptwohnung ergibt (vgl. VG Schleswig, Beschl. v. 22. März 2020 – 1 B 17/20 – juris, Rn. 14).

Derartige Umstände, welche die Annahme einer Unzumutbarkeit der Nutzungsuntersagung für den Antragsteller rechtfertigen, wurden weder vorgetragen noch sind sie für das Gericht ersichtlich. Der Antragsteller hat hier über seine Berufung auf sein Grundrecht aus Art. 14 GG hinaus keine besonderen Gründe vorgebracht, warum es für ihn eine besondere Härte und Belastung darstellen sollte, seine Nebenwohnung vorübergehend nicht nutzen zu dürfen und an seinem Hauptwohnsitz zu verbleiben. Der Antragsteller kann auch nicht mit Erfolg einwenden, dass Handwerker die Insel Wangerooge weiter betreten dürften, obwohl auch diese sich mit dem Coronavirus infizieren und dieses weiterverbreiten könnten. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin für einzelne Personengruppen Ausnahmen vom vorübergehenden Betretensverbot für die Insel Wangerooge vorgesehen hat. Den (hier nicht streitgegenständlichen) Allgemeinverfügungen der Antragsgegnerin vom 20. März 2020 und 23. März 2020 sind dies „Personen, die

a) aufgrund eines Dienst- bzw. Arbeitsverhältnisses, eines Werkvertrages oder eines Dienst- oder Arbeitsauftrages zur Sicherstellung der kritischen Infrastruktur (insbesondere Versorgung mit Strom, Wasser, Gas und Fernmeldedienstleistungen bzw. zur Schaffung, Erhaltung, Instandhaltung von öffentlicher oder kritischer Infrastruktur) zum Zweck der Arbeitsaufnahme die Inseln betreten;

b) die medizinische, notfallmedizinische, geburtshelfende oder pflegerische Versorgung sicherstellen, einschließlich der Angehörigenpflege;

c) die Versorgung der Inselbewohnerinnen und -bewohner mit Gütern des täglichen Bedarfs sicherstellen;

d) von der jeweiligen kreisangehörigen Gemeinde als Journalistinnen oder Journalisten akkreditiert worden sind.

e) Eheleute oder Verwandte ersten Grades von auf der Insel lebenden Personen sind, die aus zwingenden familiären Gründen auf die Insel übersetzen müssen.“

Dass es sich hierbei um Personen handelt, für deren Anwesenheit auf der Insel Wangerooge in der aktuellen Situation regelmäßig eine andere und gewichtigere öffentliche und private Interessenlage als bei bloßen Inhabern von Nebenwohnungen besteht, liegt auf der Hand. Die vom Betretensverbot ausgenommenen Personengruppen dienen einem gewichtigen öffentlichen bzw. privaten Interesse Dritter. Ein Interesse von vergleichbarem Gewicht vermag der Antragsteller nicht für sich anzuführen.

Auch ein Verweis auf die erhöhten Infektionszahlen in dem Gebiet des Erstwohnsitzes des Antragstellers könnte nicht als Grund für ein überwiegendes Interesse an der vorläufigen Aussetzung der Vollziehung angeführt werden. Dem Antragsteller ist es an seinem Erstwohnsitz zumutbar, der (evtl. potenziell erhöhten) Gefahr einer Infektion – wie allen anderen dort lebenden Personen – durch Beachtung der grundlegenden und gegenwärtig hinlänglich kommunizierten (Hygiene-)Regeln zu begegnen. Um sich dem Infektionsrisiko bestmöglich zu entziehen, sollte die Bewegung im öffentlichen Raum – gerade bei einer bestehenden Vorerkrankung – so weit wie möglich vermieden und die Wohnung allenfalls für Versorgungsgänge verlassen werden. Bei einem Aufenthalt in der Öffentlichkeit ist dabei vor allem die Wahrung eines Mindestabstands von 1,5 Metern zu anderen Menschen (Körperabstandsgebot) und die Praktizierung einer gewissenhaften Handhygiene bzw. Hygiene insgesamt zu beachten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

2.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG und berücksichtigt Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.