Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 03.03.2020, Az.: 7 A 2393/19

Allg. Gesundheitsversorgung; Familienverbund; Inländische Fluchtalternative; Lage von Roma in Serbien; Roma; Rückkehrprognose; Schutzfähig- und -willigkeit des Staates; Serbien; Sicherer Herkunftsstaat; Sozialhilfe; Übergriffe privater Dritter

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
03.03.2020
Aktenzeichen
7 A 2393/19
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2020, 71477
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Die am 1. Dezember 2015 in G. (Deutschland) geborene Klägerin ist serbische Staatsangehörige. Sie hat am 20. August 2019 gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Nürnberg, vom 31. Juli 2019 (Az.: ), zugestellt am 6. August 2019, Klage erhoben.

Der Sachverhalt ergibt sich wie folgt aus den seitens der Beklagten elektronisch vorgelegten sieben Akten mit verschiedenen Verwaltungsverfahren und unterschiedlichen Bescheiden, den Beiakten (BA) 1 bis 7.

In der Akte zum Hauptgeschäftszeichen (BA 1) heißt es auf Seite 11 unter 2. „Sachverhaltsdarstellung“, dass der Klägerin mit Bescheid vom 19. Dezember 2016, Geschäftszeichen H., insoweit eine begünstigende Entscheidung erteilt wurde, dass das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 5 AufenthG festgestellt worden sei. Unter dem Punkt „wesentliche Begründung“ finden sich Hinweise darauf, dass der insoweit stattgebende Einzelentscheider der Beklagten offenbar darauf abgehoben habe, schon die Volkszugehörigkeit zur Ethnie der Roma der Klägerin führe im Sinne einer unmenschlichen Behandlung allein aufgrund des Merkmales „Rasse“ (Seite 12 Beiakte 1) zur Annahme des Vorliegens eines solchen Abschiebungshindernisses.

Weiter heißt es dort (ebenda), dass am 22. Oktober 2018 zum weiteren Geschäftszeichen 7504885-170 entschieden worden sei, dass die Voraussetzungen für den Widerruf / die Rücknahme nicht vorlägen.

Sodann heißt es in den Mitteilungen unter „sachliche/rechtliche Würdigung“ (Seite 12/13 der Beiakte 1), dass diese Voraussetzungen vorlägen und weiter, unter „Entscheidungsvorschlag“, dass ein Aufhebungsverfahren eingeleitet werde (Seite 13 unten), weil Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. 7 AufenthG nicht vorlägen (Seite 14 Beiakte 1 oben).

Danach teilte die Beklagte der Ausländerbehörde des Landkreises A-Stadt mit Anschreiben vom 23. Januar 2019 (Seite 17 Beiakte 1) mit, dass gegen die Klägerin ein Widerrufs-/Rücknahmeverfahren eingeleitet worden sei, und zwar zu dem hier aktuellen Geschäftszeichen .

Entsprechend äußerte sich die Beklagte gegenüber der Klägerin (Seiten 19 und 20 Beiakte 1) und gewährte rechtliches Gehör. Danach meldete sich die Klägerin mit Datum vom 13. Februar 2019 (Seiten 25 f. Beiakte 1) und beantragt durch ihren Verfahrensbevollmächtigten Akteneinsicht, zugleich unter Ankündigung weiteren Vortrages und Vorlage einer Vollmacht, worauf die Beklagte diesem am 19. Februar 2019 einen „kompletten Ausdruck der elektronischen Akte zum Verbleib zu“ (Seite 28 Beiakte 1) leitete.

Mit Datum vom 31. Juli 2019, Seite 31 ff. Beiakte 1, erließ das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Nürnberg, zum aktuellen Geschäftszeichen für die Beklagte den hier maßgeblichen Bescheid mit folgender Tenorierung (Hervorhebungen im Original):

„1. Das mit Bescheid vom 19.12.2016 (Az.: H.) festgestellte Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzeswird zurückgenommen.

2. Das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzesliegt nicht vor.

Danach hat die Klägerin am 20. August 2019 ihre o.a. Klage erhoben, der die Beklagte entgegentritt.

Die Klägerin beantragt sinngemäß laut Klageschrift,

den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 31. Juli 2019 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG zu gewähren.

Die Beklagte beantragt bezugnehmend auf die Gründe des angegriffenen Bescheides,

die Klage abzuweisen.

Den Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat das Gericht mit Beschluss vom 17. September 2019 abgelehnt.

Wegen der Einzelheiten und des (allerdings hier nicht ansatzweise vorliegenden) Vorbringens der Klägerin nimmt das Gericht Bezug auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten; er war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

Die Klage, über die das Gericht nach Übertragungsbeschluss der Kammer vom 22. August 2019 durch den Einzelrichter entscheidet, bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Die Klage ist unbegründet, soweit die Klägerin den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Nürnberg, vom 31. Juli 2019, Az., angreift.

Dieser Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO.

Zudem sind die Voraussetzungen des klageweise geltend gemachten Anspruchs aus § 60 Abs. 7 AufenthG nicht erfüllt, § 113 Abs. 5 VwGO.

Zur Begründung bezieht sich das Gericht gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die zutreffenden Gründe dieses Bescheides, die es sich als Entscheidungsgründe des vorliegenden Urteils für den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung, § 77 Abs. 1 AsylG, zu Eigen macht. Zudem hält das Gericht das Folgende fest.

Weil der früher einmal das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 5 AufenthG feststellende Bescheid der Beklagten aus B-Stadt rechtsfehlerhaft war und ist, wird er zu Recht aufgehoben.

Dies begründet der angegriffene Aufhebungsbescheid zutreffend.

Die Feststellung, die im damaligen Bescheid getroffen war und nunmehr aufgehoben ist, stand bereits damals nicht in Einklang mit der Rechtslage, insbesondere nicht mit der Rechtsprechung des angerufenen Gerichtes. Das Gericht verweist insoweit auf die folgenden Entscheidungen mit weiteren Nachweisen (jeweils in juris und kostenfrei einsehbar über http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/) und bezieht sich hiermit erneut auf deren Gründe (§ 77 Abs. 2 AsylG):

- Beschluss vom 9. April 2015 - 7 B 1548/15 -

- Beschluss vom 27. Januar 2016 - 7 B 283/16 -

- Beschluss vom 1. Juni 2016 - 7 B 1888/16 -

- Urteil vom 25. November 2016 - 7 A 5498/16 -

- Gerichtsbescheid vom 19. September 2017 - 7 A 6230/17-

- Beschluss vom 6. November 2017 – 7 B 8130/17 –

- Beschluss vom 19. März 2018 – 7 B 1315/18 –

- Urteil vom 4. Mai 2018 – 7 A 1313/18 –

- Urteil vom 6. März 2019 – 7 A 487/19 –

Ferner sind die folgenden Dokumente maßgeblich von Interesse:

AA    

 vom 23. November 2015

 Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Serbien als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29a AsylG

AA    

 vom 1.November 2016

 Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Serbien als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29a AsylG
(Stand: September 2016)

AA    

 vom 9. November 2017

 Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Serbien als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29a AsylG (Stand: September 2017)

BReg   

 vom 15. Dezember 2017

 „Erster Bericht der Bundesregierung zu der Überprüfung der Voraussetzungen zur Einstufung der in Anlage II zum Asylgesetz bezeichneten sicheren Herkunftsstaaten“ vom 15. Dezember 2017, Deutscher Bundestag - Drucksache 19/299

AA    

 vom 3. November 2018

 Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Serbien als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29a AsylG (Stand: September 2018)

AA    

 vom 3. November 2019

 Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Serbien als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29a AsylG (Stand: August 2019)

BReg   

 vom 20. Dezember 2019

„Zweiter Bericht zu der Überprüfung der Voraussetzungen zur Einstufung der in Anlage II zum Asylgesetz bezeichneten sicheren Herkunftsstaaten“ vom 20. Dezember 2019, Deutscher Bundestag - Drucksache 19/16465

Aus Alledem ergibt sich hier, dass die Klage in der Sache zwingend ohne Erfolg bleiben muss. Das Gericht hält fest:

Serbien ist sicher.

Dies gilt auch für Roma und insgesamt, weil Serbien sicherer Herkunftsstaat ist, Anl. II AsylG (zu § 29a -Serbien-).

Seit geraumer Zeit schon (Wahl durch die Nationalversammlung am 29. Juni 2017) ist in Serbien sogar eine offen lesbische Frau Regierungschefin (Ana Brnabić, Ministerpräsidentin).

Die allgemeinen Lebensschwierigkeiten und speziellen Probleme von Roma können die gesetzliche Vermutung nicht widerlegen und erfüllen auch gerade eben nicht etwa die Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft, subsidiären Schutzes oder hier maßgeblich: eines Abschiebungshindernisses.

Der am 1. Dezember 2015 in Wilhelmshaven (Deutschland) geborenen Klägerin, die serbischer Staatsangehörigkeit ist, droht in Serbien keine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Roma. Es gibt keine Gruppenverfolgung von Roma in Serbien, weder durch staatliche noch durch nichtstaatliche Akteure [vgl. Auswärtiges Amt, „Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Serbien als sicheres Herkunftsland im Sinne von § 29a AsylVfG“ vom 1. November 2016 - Lagebericht - und die danach erstatteten Berichte des AA; Nds. OVG Lüneburg, Beschluss vom schon 22. Oktober 2014 - 8 LA 129/14 -, mwN., juris; std. Rspr. des erkennenden Gerichts, vgl. juris, siehe oben mwN.]. Anhaltspunkte dafür, dass sie im Falle einer Rückkehr nach bzw. Aufenthalts in Serbien mit asyl- oder flüchtlingsrelevanten staatlichen oder nichtstaatlichen Maßnahmen zu rechnen hätte, sind nicht ersichtlich. Auch müsste sich die Klägerin (bzw. ihre Eltern) z.B. gegenüber Übergriffen seitens privater Dritter auf den Schutz der Polizei verweisen lassen, die nicht erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens ist, Schutz vor Verfolgung zu bieten (vgl. VG Sigmaringen, Urteil vom 25. April 2014 - 1 K 234/14 -, juris; Lageberichte vom 18. Oktober 2013 und 15. Dezember 2014 und die danach folgenden Berichte des AA; std. Rspr. mwN., siehe oben). Nach den Erkenntnissen auch des Auswärtigen Amtes könnten zwar die staatlichen Bemühungen zur Prävention bzw. Ermittlung und Strafverfolgung bei (drohenden) Angriffen Dritter gegenüber Roma bisweilen als unzureichend bewertet werden. Um hieraus aber den Schluss ziehen zu können, der serbische Staat sei erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, bedarf es zumindest dann, wenn eine generelle, an die Ethnie anknüpfende Schutzverweigerung des Staates behauptet wird, konkreter und gesicherter Anhaltspunkte dafür, dass der Staat keine zureichenden Vorkehrungen zur Eindämmung privater Gewalt gegenüber bestimmten Bevölkerungsgruppen getroffen hat bzw. seine Machtmittel zur Ahndung gewaltsamer Übergriffe nicht ausreichen (Vgl. VG Sigmaringen a.a.O. Rn. 35; Hessischer VGH, Urteil vom 20. Oktober 2005 - 7 UE 1365/05.A -, juris; hier std. Rspr.). Der Umstand allein, dass die staatlichen Organe trotz prinzipieller Schutzbereitschaft nicht immer in der Lage sind, die Betroffenen vor derartigen Übergriffen wirkungsvoll zu schützen, reicht hierfür nicht aus. Kein Staat vermag einen schlechthin perfekten, lückenlosen Schutz zu gewähren und sicherzustellen, dass Fehlverhalten, Fehlentscheidungen einschließlich sog. Amtswalterexzesse bei der Erfüllung der ihm zukommenden Aufgabe der Wahrung des inneren Friedens nicht vorkommen. Deshalb lässt weder eine Lückenhaftigkeit des Systems staatlicher Schutzgewährung überhaupt noch eine im Einzelfall von den Betroffenen erfahrene Schutzversagung als solche schon staatliche Schutzbereitschaft oder Schutzfähigkeit entfallen. Umgekehrt ist eine grundsätzliche Schutzbereitschaft des Staates zu bejahen, wenn die zum Schutz der Bevölkerung bestellten (Polizei-) Behörden bei Übergriffen Privater zur Schutzgewährung ohne Ansehen der Person verpflichtet und dazu von der Regierung auch landesweit angehalten sind, was in Serbien der Fall ist, auch wenn die Polizei, wie bereits ausgeführt, nach wie vor nicht in allen Fällen mit der gebotenen Konsequenz gegen Übergriffe auf Minderheiten (wohl vor allem Roma und Homosexuelle) vorzugehen scheint. Jedoch führen Anzeigen von Minderheitsangehörigen auch in der Praxis zu Gerichtsprozessen. Zudem könnten sie sich (jedenfalls im Familienverbund) unbehelligt an anderer Stelle in Serbien aufhalten, hatten und hätten mithin eine zumutbare inländische Fluchtalternative. Gründe für die Gewährung subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) lägen schon danach ebenso nicht vor. Ihnen droht auch kein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 3 AsylG. Ebenso wenig liegen insoweit Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder (bei der Klägerin hier allein nur maßgeblich:) Abs. 7 AufenthG vor.

Das Gericht vermag insgesamt keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit (§ 60 Abs. 5, 7 AufenthG) der Klägerin bei gedachtem Aufenthalt (insbesondere im Familienverbund) in Serbien zu erkennen. Die allgemein schwierigen Lebensbedingungen der Roma in Serbien begründen kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5, 7 AufenthG. Das Vorliegen einer extremen Gefahrenlage, d.h. der Ausländer müsste im Falle der Aufenthaltsbeendigung gleichsam sehenden Auges den sicheren Tod oder schwerste Verletzungen gewärtigen (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2001 - 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1 ff., juris), ist hier von Vorneherein auszuschließen. Einer Gefährdung in diesem Sinne wäre die Klägerin (zumal im Familienverbund) in Serbien nicht wegen der allgemeinen Gefahren ausgesetzt. Das Gericht verkennt dabei nicht die noch immer prekäre wirtschaftliche Situation von Roma und deren schwierige soziale Verhältnisse in Serbien. Die Bevölkerungsgruppe der Roma ist in Serbien von einem höheren Armuts- und Arbeitslosigkeitsrisiko betroffen als der übrige Teil der serbischen Bevölkerung. Der Zugang zum regulären Arbeitsmarkt ist oft aufgrund von sozialen Vorurteilen versperrt, so dass sich viele in der Schwarzarbeit oder aufgrund mangelnder Qualifikation als ungelernte Arbeitskräfte in Fabriken oder als Wertstoffsammler verdingen (vgl. Lageberichte). Auch wenn dies vielfach ein Leben unter schwierigen Umständen bedeutet, so lässt sich hieraus noch keine extreme Gefahrenlage ableiten. Ferner müsste der Eintritt der Gefahr mit überwiegender Wahrscheinlichkeit alsbald nach der Rückkehr ins Heimatland zu erwarten sein und zudem landesweit (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. April 1997 - 9 C 38.96 - BVerwGE 104, 265 <267>), wovon aber hier gerade eben nicht auszugehen ist. Gründe für die Annahme eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG sind danach ebenfalls nicht einmal ansatzweise erkennbar.

Die Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention gehen davon aus, dass die Staaten grundsätzlich das Recht haben, die Einreise und den Aufenthalt fremder Staatsangehöriger zu regeln. Deren Verbürgungen können daher nur in besonderen Situationen einer Aufenthaltsbeendigung entgegenstehen. So ist im Rahmen des Art. 3 EMRK geklärt, dass ein Ausländer hieraus kein Recht auf Verbleib in einem Konventionsstaat geltend machen kann, um dort weiter medizinische, soziale oder andere Hilfe und Unterstützung zu erhalten. Etwas anderes gilt nur in Ausnahmefällen, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 - juris, Rn. 23 und 36). Die anderen Grundrechte der EMRK verbieten daran anknüpfend deshalb die Abschiebung in Nichtvertragsstaaten nur dann, wenn in ihnen Maßnahmen drohen, die einen äußersten menschenrechtlichen Mindeststandard unterschreiten. Auch bei Eingriffen in den Kernbereich solcher speziellen Konventionsgarantien ist eine Abschiebung nur in krassen Fällen unzulässig, wenn nämlich die drohenden Beeinträchtigungen von ihrer Schwere her mit dem vergleichbar sind, was als menschenunwürdige Behandlung zu einem Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK führt (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Mai 2000 - 9 C 34.99 - juris, Rn. 11 f.). In Bezug auf Mitgliedstaaten der Konvention, wie insbesondere hier Serbien, steht darüber hinaus die Verantwortung des Abschiebezielstaates für die Einhaltung der Konventionsrechte im Vordergrund. Eine Mitverantwortung des abschiebenden Staates besteht nur dann, wenn dem Ausländer nach seiner Abschiebung Folter oder sonstige schwere und irreparable Misshandlungen drohen und effektiver Rechtsschutz - auch durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - nicht oder nicht rechtzeitig erreicht werden kann. Dabei sind insbesondere Verstöße gegen Verfahrensgarantien in aller Regel korrigierbar (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 2004 - 1 C 14.04 - juris, Rn. 18, 25).

Eine derartig krasse irreparable Diskriminierung der Roma in Serbien lässt sich nicht feststellen. Das Gericht verkennt dabei nicht die noch immer prekäre wirtschaftliche Situation und die schwierigen sozialen Verhältnisse in Serbien (s.o.), ebenso wie das Gericht nicht vernachlässigt, dass in der serbischen Öffentlichkeit wie aber auch andernorts, zum Beispiel in Deutschland, Vorbehalte gegen Angehörige bestimmter Minderheiten – so auch Roma – verbreitet sein können. Auch sind Roma-Kinder in Serbiens Schulen eventuell nach wie vor unterrepräsentiert. Allerdings sind deutliche und erhebliche Fortschritte durch erfolgreiche staatliche und gemeindliche Anstrengungen zu verzeichnen (zum Beispiel höhere Einschulungsquote von Roma-Kindern, Einsatz pädagogischer Assistenten und von Roma-Mediatoren oder Anerkennung von Schulbüchern in Minderheitensprachen). Der serbische Staat hat etliche Maßnahmen zum Minderheitenschutz getroffen. So sind ausführliche Bestimmungen zum Schutz nationaler Minderheiten in der serbischen Verfassung enthalten. Serbien hat zudem längst das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten sowie die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen des Europarats ratifiziert und schon im Jahr 2009 ein allgemeines Antidiskriminierungsgesetz sowie im März 2016 einen Aktionsplan für Minderheiten als Teil des Aktionsplans zum EU-Verhandlungskapitel verabschiedet. Seit dem Jahr 2003 (!) vertreten nationale Minderheitenräte und seit 2007 (!) Ombudsleute die Interessen von Minderheiten (vgl. zu alldem insb. die Lageberichte des AA und die beiden o.a. Berichte der BReg).

Vor Übergriffen privater Dritter bietet der serbische Staat Minderheiten ausreichend Schutz. Nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes (siehe Lageberichte) geht die Polizei zwar nicht immer in allen Fällen mit Konsequenz gegen Übergriffe auf Minderheiten (z.B. Roma und Homosexuelle) vor - Anzeigen von Roma wegen Körperverletzung führen jedoch zu Gerichtsprozessen, wenn auch die Polizei Übergriffe in manchen Fällen nur zögerlich verfolgen sollte.

Auch im Gesundheitssystem herrscht keine erhebliche Diskriminierung von Roma. Personen, die erkrankt sind, werden im serbischen Gesundheitssystem kostenfrei behandelt. Dies gilt auch für Roma (oder Ashkali). Diese haben in Serbien grundsätzlich Zugang zu allen staatlichen Einrichtungen und Dienstleistungen einschließlich der Sozialhilfe und der medizinischen Grundversorgung. Ärztliche Notfallversorgung ist grundsätzlich auch für nicht registrierte Personen gewährleistet. Kinder unter 18 Jahren werden grundsätzlich kostenfrei behandelt, wenn sie registriert sind. Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln ist für bisher nicht registrierte Personen mit Gesetz vom 31. August 2012 die Grundlage für eine nachträgliche Eintragung ins Personenstandsregister unter vereinfachten Bedingungen geschaffen worden. Damit soll ihr rechtlicher Status verbessert werden. In dem Ende 2011 in Kraft getretenen neuen Meldegesetz ist darüber hinaus eine Regelung aufgenommen worden, um Personen, die nicht über einen Personalausweis verfügen, die Anmeldung zu erleichtern. Auch diese Regelung zielt darauf, bisher nicht Registrierten die Anmeldung zu ermöglichen. Sie werden auch dann grundsätzlich kostenfrei und ohne finanzielle Eigenbeteiligung in Serbien behandelt, wenn sie dort wegen ihrer traditionellen Lebensweise keinen festen Wohnsitz oder Aufenthalt haben (vgl. dazu die Lageberichte). Mit der "Richtlinie über das Verfahren der Verwirklichung der Rechte aus der Sozialversicherung" ist geregelt, dass sie im System der Sozialversicherung angemeldet sein können, wenn sie eine persönliche Erklärung abgeben, dass sie Roma (bzw. Ashkali) sind, und wenn sie eine persönliche Erklärung über den Ort ihres vorläufigen Aufenthalts abgeben (Auswärtiges Amt vom 1. Juli 2014 - 508-516.80/48127). Zwar könnten sie in staatlichen Einrichtungen u.U. im Einzelfall Opfer von diskriminierender Behandlung werden. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass die auch für sie eröffneten Rechtsschutzmöglichkeiten in Serbien – gegebenenfalls unter Zuhilfenahme der dafür zuständigen Stellen und beispielsweise der Roma-Gesundheitsmediatoren – keinen ausreichenden Schutz gegen die willkürliche Versagung des Zugangs zu Sozial- und Gesundheitsleistungen bieten (vgl. VG Münster, Urteil vom 11. Mai 2015, juris; VG Berlin, Urteil vom 29. Januar 2015 - 7 K 476.14 A -, juris; std. Rspr.). Auch der Umstand, dass in Serbien nur neun Monate im Jahr Sozialhilfe bewilligt wird, ändert an der rechtlichen Beurteilung nichts, da in der übrigen Zeit zumindest ein Anspruch auf Nothilfe der Gemeinde besteht (SFH, Serbien: Zugang zu Sozialleistungen für Roma und Ashkali, 15. März 2015, S. 6).

Unter Berücksichtigung dieser den Diskriminierungen gegenläufigen Entwicklungen und institutionellen Schutzvorkehrungen weisen die zu befürchtenden Nachteile nicht die erforderliche Häufigkeit und Intensität auf, um annehmen zu können, dass jedem Angehörigen der Volksgruppe der Roma mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit Rechtsgutverletzungen drohen, die einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK gleichkommen und gleichzeitig irreparable Folgen haben.

Selbst die gedankliche Annahme, dass man auf eine (medizinische) Behandlung in Serbien länger warten müsste als in Deutschland und / oder deren Standard hinter demjenigen zurückbliebe, genügt nicht, um von einer konkreten, d.h. alsbald eintretenden und erheblichen Verschlechterung der gesundheitlichen Situation auszugehen, vgl. § 60 Abs. 7 AufenthG. Zur Überbrückung der Zeit bis zum Beginn der Behandlung in Serbien ist es zudem möglich, die ggf. in Deutschland erhaltenen Medikamente zu gebrauchen. Denn die Gewährung von Abschiebungsschutz gem. § 60 Abs. 7 AufenthG dient nicht dazu, eine bestehende Erkrankung optimal zu behandeln oder ihre Heilungschancen zu verbessern. Schließlich könnte man eventuell benötigte Medikamente auch in Serbien erhalten. Die gesetzliche Pflichtversicherung umfasst auch die Versorgung mit den notwendigen Medikamenten.

Im Rahmen der Rückkehrprognose ist zudem nicht etwa zwingend darauf abzustellen, dass sich die Klägerin alleinstehend - als kleines Kind - in Serbien aufhalten würde. Vielmehr kann und darf jedenfalls fiktiv unterstellt werden, dass sie gemeinsam mit dem familiären Verbund (im Familienverbund), insbesondere ihrer Mutter, mit der sie auch in Deutschland lebt, nach Serbien gelangt und dort lebt. Bei der Entscheidung, ob der Abschiebung eines (wie hier bei der Klägerin) erfolglosen Asylbewerbers zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote entgegenstehen, ist der Gefahrenprognose eine möglichst realitätsnahe, wenngleich notwendig hypothetische Rückkehrsituation zugrunde zu legen (vgl. BVerwG, Urteile vom 8. September 1992 - 9 C 8.91 - BVerwGE 90, 364 <367> und vom 21. September 1999 - 9 C 12/99 -, BVerwGE 109, 305-314, Rn. 11, - juris -). Dem entspricht es nach der bisher ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, bei der Prognose, welche Gefahren dem Asylbewerber im Falle einer Abschiebung in den Zielstaat der Abschiebung drohen, regelmäßig von einer gemeinsamen Rückkehr mit den Familienangehörigen (im Familienverbund/-verband) auszugehen (bisherige ständige Rechtsprechung, vgl. BVerwG, Urteile vom 21. September 1999 - 9 C 12/99 -, BVerwGE 109, 305-314, vom 16. August 1993 - 9 C 7.93 - und vom 8. September 1992 - 9 C 8.91 -, in Fortentwicklung des Urteils vom 6. März 1990 - 9 C 14.89 - BVerwGE 85, 12, - juris -). Soweit für die Fälle, dass Eltern von Asylsuchenden die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde oder in ihrer Person zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote festgestellt wurden, Ausnahmen von diesem Grundsatz gelten (vgl. BVerwG, Urteile vom 27. Juli 2000 - 9 C 9/00 -, juris, und vom 21. September 1999 - 9 C 12/99 -, BVerwGE 109, 305-314, - juris -), liegt hier ein solcher Ausnahmefall nicht vor. Hinzu kommt, dass das BVerwG seine dargestellte bisherige ständige Rechtsprechung inzwischen auch aufgegeben (BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 – 1 C 45/18 – juris) und dafür folgende Leitsätze formuliert (ebenda) hat (Randnummern zum Abdruck in juris hinzugesetzt):

„1. Auch bei familiärer Lebensgemeinschaft ist für jedes Familienmitglied gesondert zu prüfen, ob ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegt. (Rn.15)

2. Für die Prognose der bei einer Rückkehr drohenden Gefahren ist bei realitätsnaher Betrachtung der Rückkehrsituation im Regelfall davon auszugehen, dass eine im Bundesgebiet in familiärer Gemeinschaft lebende Kernfamilie (Eltern und minderjährige Kinder) im Familienverband in ihr Herkunftsland zurückkehrt (Fortführung von BVerwG, Urteile vom 8. September 1992 - 9 C 8.91 - BVerwGE 90, 364 und vom 16. August 1993 - 9 C 7.93 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 163). (Rn.16)

3. Von einer gemeinsamen Rückkehr im Familienverband ist für die Rückkehrprognose im Regelfall auch dann auszugehen, wenn einzelnen Familienmitgliedern bereits bestandskräftig ein Schutzstatus zuerkannt oder für sie ein nationales Abschiebungsverbot festgestellt worden ist (Aufgabe der Rechtsprechung BVerwG, Urteile vom 21. September 1999 - 9 C 12.99 - BVerwGE 109, 305 und vom 27. Juli 2000 - 9 C 9.00 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 39). (Rn.19)

4. Nicht zu entscheiden war, ob kein Regelfall anzunehmen ist, wenn der Konventions- und Grundrechtsschutz familiärer Bindungen etwa aus Gründen der öffentlichen Sicherheit zurückzutreten hat und eine zur Trennung des Familienverbandes führende Abschiebung in Betracht kommt.“

Danach kommt es auf die aufenthaltsrechtliche Situation von Familienmitgliedern der Klägerin und / oder ggf. eine für den Familienverbund insgesamt anzustellende Rückkehrprognose sowie auf die überholte Frage nach den o.a. Ausnahmefällen nicht mehr an.

Aus allem Voranstehenden ergibt sich, dass auch weder Abschiebungshindernisse aus § 60 Absatz 5 AufenthG noch Abschiebungshindernisse aus § 60 Absatz 7 AufenthG vorliegen.

Soweit das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – wohl offenbar bei Kleinkindern, die der Volksgruppe der Roma angehören – demgegenüber in der Vergangenheit und (soweit hier bekannt geworden) im Bundesland B-Stadt in Einzelfällen rechtswidrigerweise (s.o.) Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG feststellt hat, vermag dies auch unter Berücksichtigung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) keine andere Beurteilung zu rechtfertigen. Es handelt sich bei der Prüfung eines Abschiebungsverbotes um eine rechtlich gebundene Beurteilung. Wegen der Bindung an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) kann nicht verlangt werden, dass erneut eine mit der Rechtsordnung nicht vereinbare Entscheidung getroffen wird (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 22. April 1995 - 4 B 55.95 - juris, Rn. 4, mwN.). Dies versteht sich von selbst.

Die Klage ist mit der Kostenfolge aus §§ 154, 167 VwGO, 84b AsylG abzuweisen.