Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 27.03.2020, Az.: 7 B 721/20

Allgemeinverfügung; Corona; COVID-19; Ferienwohnung; Nebenwohnung; Rückreiseanordnung; SARS-CoV-2; Zweitwohnung

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
27.03.2020
Aktenzeichen
7 B 721/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 71483
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

Das nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO zu beurteilende Begehren der Antragsteller, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage (7 A 720/20) gegen die sofort vollziehbare Allgemeinverfügung des Antragsgegners vom 20. März 2020, mit welcher insbesondere den Nutzern einer Nebenwohnung im Landkreis Aurich aufgegeben wird, die Rückreise spätestens bis zum 22. März 2020 vorzunehmen, anzuordnen, hat keinen Erfolg.

Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.

Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Klage im Falle des vorliegend aus § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. §§ 28 Abs. 3, 16 Abs. 8 IfSG folgenden gesetzlichen Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Für den Erfolg eines Antrags nach § 80 Absatz 5 Satz 1 VwGO ist in materieller Hinsicht entscheidend, ob das private Interesse eines Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage höher als das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der angegriffenen Allgemeinverfügung zu bewerten ist. Im Rahmen dieser gerichtlichen Abwägung der widerstreitenden Interessen sind die Aussichten des Begehrens im Hauptsacheverfahren zu berücksichtigen. Bei einer offensichtlich Erfolg versprechenden Klage überwiegt das Suspensivinteresse des Betroffenen regelmäßig das öffentliche Vollzugsinteresse. Der Antrag ist dagegen in aller Regel unbegründet, wenn der Antragsteller im Verfahren zur Hauptsache voraussichtlich keinen Erfolg haben wird, insbesondere wenn die angegriffene Verfügung offensichtlich rechtmäßig ist. Hier spricht Überwiegendes für die Rechtmäßigkeit der angegriffenen behördlichen Maßnahme. Nach dieser materiell-akzessorischen Prüfung ist der Antrag abzulehnen (dazu 1.)

Lässt sich die Rechtmäßigkeit im Rahmen des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes nicht eindeutig beurteilen, bedarf es schließlich einer allgemeinen Interessenabwägung im Sinne einer Folgenabwägung. Dabei sind die Folgen gegenüberzustellen, die einerseits eintreten, wenn dem Antrag stattgegeben wird, der Bescheid sich aber später im Hauptsacheverfahren als rechtmäßig erweist bzw. die andererseits eintreten, wenn der Antrag abgelehnt wird, der Bescheid sich aber später im Hauptsacheverfahren als rechtswidrig erweist (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 10. Juli 2017 – 11 MC 186/17 – juris, Rn. 12). Da die Kammer auf Grundlage der ihr vorliegenden Erkenntnisse und der Kürze der für die Gewährung effektiven Rechtsschutzes zur Verfügung stehenden Zeit eine abschließende rechtliche Bewertung der in Form der Allgemeinverfügung gemäß § 1 Abs. 1 NVwVfG i.V.m. § 35 Satz 2 VwVfG getroffenen Anordnung in hinreichender Tiefe und Schärfe erst im Hauptsacheverfahren vorzunehmen vermag, nimmt sie ergänzend hier auch diese Güterabwägung vor, nach welcher der Eilantrag ebenfalls ohne Erfolg bleiben muss (dazu 2.).

1.

Die angegriffene Allgemeinverfügung lässt sich voraussichtlich auf die Rechtsgrundlage des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG stützen. Hiernach trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen insbesondere für den Fall, dass Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist.

Bei der sich gegenwärtig weltweit verbreitenden Erkrankung COVID-19, die durch den Coronavirus (SARS-CoV-2) verursacht wird, handelt es sich um eine übertragbare Krankheit im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 2 Nr. 3 IfSG. Eine Übertragung der Erkrankung erfolgt in der Bevölkerung hauptsächlich im Wege der Tröpfcheninfektion. Theoretisch denkbar und wohl auch möglich sind daneben andere Übertragungswege und –arten, z.B. eine Schmierinfektion oder eine Ansteckung über die Bindehaut der Augen (vgl. RKI, SARS-CoV-2 Steckbrief, letzter Zugriff: 27. März 2020, www.bit.ly/2UGSnkB).

Im Gebiet des Antragsgegners mussten in der Vergangenheit bereits zahlreiche Kranke festgestellt werden. Am 19. März 2020 wurden für das gesamte Gebiet des Antragsgegners 26 Corona-Infektionen bestätigt (Landkreis Aurich, News Soziales und Gesundheit, letzter Stand: 27. März 2020, www.bit.ly/2Uhxu0e). Nach den Angaben in der Erwiderung des Antragsgegners vom 25. März 2020 wurden zuletzt bereits 41 Personen positiv auf das Virus getestet. Dies lässt die Kammer hinreichend sein, um von der Pflicht des Antragsgegners zum Einschreiten auszugehen.

Die zuständige Behörde ist zur Ergreifung von Schutzmaßnahmen grundsätzlich verpflichtet – ein behördliches Ermessen besteht ausschließlich mit Blick auf die Auswahl der gebotenen Maßnahmen gegen die Verbreitung übertragbarer Krankheiten (Häberle in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 228. EL v. Januar 2020, § 28 IfSG Rn. 1). Das Auswahlermessen erfährt hierbei wiederum dadurch eine Beschränkung, dass die gewählte Maßnahme ausweislich des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG „notwendig“ und somit zur Verhinderung einer (fortschreitenden) Verbreitung der Krankheit geboten sein muss. Im Übrigen sind dem Ermessen – ganz allgemein und so auch hier – durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Grenzen gesetzt.

Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der durch die angegriffene Allgemeinverfügung angeordneten Nutzungsuntersagung von Nebenwohnungen im Gebiet des Antragsgegners ist der im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht geltende Grundsatz heranzuziehen, nach welchem um so geringere Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 26. Februar 1974 – I C 31.72 – juris, Rn. 41 m.w.N.). Für eine Übertragung dieses Grundsatzes auf den Bereich des Infektionsschutzrechts spricht neben der Zielsetzung, eine effektive Gefahrenabwehr zu ermöglichen (§§ 1 Abs. 1, 28 Abs. 1 IfSG), auch die Tatsache, dass einzelne Krankheiten nach ihrem Ansteckungsrisiko und den Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit unterschiedlich gefährlich sind. Vor diesem Hintergrund erscheint es sachgerecht, einen am Gefährdungsgrad der jeweiligen Erkrankung orientierten, „flexiblen“ Maßstab für die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen (zu Vorstehendem vgl. BVerwG, Urt. v. 22. März 2012 – 3 C 16/11 – juris, Rn. 32; VG Schleswig, Beschl. v. 22. März 2020 – 1 B 17/20 – juris, Rn. 5 f.; VG Bayreuth, Beschl. v. 11. März 2020 – B 7 20.223 – juris, Rn. 44 f.).

Gemessen an diesen Vorgaben begegnet die vorliegend durch die angegriffene Allgemeinverfügung des Antragsgegners angeordnete Nutzungsuntersagung von Nebenwohnungen keinen grundlegenden rechtlichen Bedenken. Von der Krankheit COVID-19 geht sowohl hinsichtlich des Ansteckungsrisikos als auch mit Blick auf die schwerwiegenden Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit eine besondere Gefährdung der Bevölkerung aus. In Anbetracht der rasanten weltweiten Ausbreitung von COVID-19 wurde die Krankheit von der Weltgesundheitsorganisation am 11. März 2020 als Pandemie eingestuft (Rede des Generaldirektors der WHO v. 11. März 2020, letzter Zugriff: 27. März 2020, www.bit.ly/2UlWpzX). Eine Ansteckung mit dem Coronavirus (SARS-CoV-2) geht dabei – gerade in bestimmten Bevölkerungsteilen – mit ernsthaften Gefahren für Leben und Gesundheit einher. Das Robert Koch-Institut (RKI) führt hierzu in seiner Risikobewertung aus (RKI, Risikobewertung zu COVID-19, letzter Zugriff: 27. März 2020, www.bit.ly/2QKNOVg):

„Es handelt sich weltweit und in Deutschland um eine sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation. Bei einem Teil der Fälle sind die Krankheitsverläufe schwer, auch tödliche Krankheitsverläufe kommen vor. Die Zahl der Fälle in Deutschland steigt weiter an.

Die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland wird derzeit insgesamt als hoch eingeschätzt. Diese Gefährdung variiert aber von Region zu Region. Die Wahrscheinlichkeit für schwere Krankheitsverläufe nimmt mit zunehmendem Alter und bestehenden Vorerkrankungen zu.“

Eine auf Grundlage des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG ergangene Schutzmaßnahme muss sich dabei nicht zwingend gegen den in der Norm genannten Personenkreis (Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider) richten, sondern kann auch – soweit erforderlich – gegenüber anderen Personen angeordnet werden (VG Schleswig, Beschl. v. 22. März 2020 – 1 B 17/20 – juris, Rn. 7 m.w.N.).

Gegen die Rechtmäßigkeit der in der angegriffenen Allgemeinverfügung auf Grundlage des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG angeordneten Rückreiseanordnung wenden die Antragsteller ein, dass die zuständige Behörde durch die Generalklausel ausschließlich zur Anordnung eines Einreiseverbots, nicht jedoch zum Ausspruch eines Ausreisegebots ermächtigt werde. Auch wenn in § 28 Abs. 1 Satz 2 HS 2 IfSG der Ausspruch eines Verlassensverbots bzw. eines Betretensverbots nochmals ausdrückliche Erwähnung findet, schließt dies aber nach vorläufiger rechtlicher Einschätzung der Kammer nicht aus, dass die Generalklausel des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG, auf die die anschließenden gesetzgeberischen Ausführungen erkennbar beispielhaft Bezug nehmen („Unter den Voraussetzungen von Satz 1“), ebenfalls zum Ausspruch einer Rückreiseanordnung ermächtigt. Die inhaltliche Offenheit des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG auch für eine solche Anordnung wird nicht zuletzt daran deutlich, dass einzelne Schutzmaßnahmen lediglich exemplarisch („insbesondere“) aufgeführt werden. Die Tatsache, dass ein Verlassens- bzw. Betretensverbot in Abs. 1 Satz 2 HS 2 der Vorschrift ausdrücklich erwähnt wird, ein Ausreisegebot hingegen nicht nochmals explizit aufgeführt wird, dürfte daher einzig auf den Umstand zurückzuführen sein, dass dieser Fallkonstellation jedenfalls bisher keine ähnliche Praxisrelevanz zukam.

Die Kammer hält es demnach für durchaus möglich und rechtlich naheliegend, auf die Vorschrift des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG auch die vorliegend getroffene Anordnung zum Verlassen des Ortes der Nebenwohnung zu stützen, um sich auf diesem Wege um eine ausreichende medizinische (Intensiv-)Versorgung der in dem betroffenen Gebiet lebenden Bevölkerung zu bemühen und dadurch den derzeit noch kaum absehbaren Folgen der aktuell erfolgenden pandemischen Verbreitung des Coronavirus (SARS-CoV-2) zu begegnen (so auch VG Schleswig, Beschl. v. 22. März 2020 – 1 B 17/20 – juris, Rn. 8). Diese Auslegung von § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG entspricht der Systematik und dem Charakter der Norm als Generalklausel. Sie ist damit § 11 NPOG vergleichbar.

Möglicherweise erscheint in Anbetracht des hiermit verbundenen, nicht unerheblichen Eingriffs in die Rechte des Einzelnen eine noch eingehendere rechtliche Prüfung unter Berücksichtigung der Anforderungen an den Vorbehalt des Gesetzes und die in diesem Zusammenhang erforderliche Bestimmtheit gesetzlicher Regelungen geboten. Die schlussendliche Beantwortung dieser Frage bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.

2.

Selbst wenn sich aber weder eine offensichtliche Rechtmäßigkeit noch eine offensichtliche Rechtswidrigkeit der angegriffenen Allgemeinverfügung feststellen ließe, bedürfte es im Rahmen des vorliegenden Verfahrens zur Gewährleistung vorläufigen Rechtsschutzes einer allgemeinen Abwägung der sich gegenüberstehenden öffentlichen und privaten Interessen. Diese auf der Grundlage einer an der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes orientierte Folgenabwägung nimmt die Kammer hier ergänzend vor. Sie geht zu Lasten der Antragsteller aus. Die Folgen, die bei einer Stattgabe zugunsten des Antrags der Allgemeinheit drohen können, wiegen schwerer als die Folgen einer Ablehnung des Antrags für die Antragsteller. Ihnen ist es insbesondere zumutbar, der behördliche Verfügung jedenfalls zunächst Folge zu leisten.

Die in der angegriffenen Allgemeinverfügung enthaltene Rückreiseanordnung gegenüber Nutzern von Nebenwohnungen in dem Gebiet des Antragsgegners dient zuvörderst der Abwehr von Gefahren für Leben und Gesundheit der dort lebenden, d.h. mit Erstwohnsitz ansässigen Bevölkerung. Aufgrund der derzeit ungebremsten Ausbreitung der Krankheit COVID-19 durch pandemische Ausbreitung des Infektionsvirus besteht die realistische Befürchtung, dass die medizinische Versorgung an Kapazitätsgrenzen stößt. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die Gewährleistung der krankenhausärztlichen (Intensiv-)Versorgung, die bei schweren Krankheitsverläufen dringend erforderlich ist. Das Robert Koch-Institut führt hierzu in seinem Epidemiologischen Bulletin vom 19. März 2020 (www.bit.ly/3drQvoc, S. 3) aus:

„Die Erkrankung ist sehr infektiös, sie verläuft in etwa 4 von 5 Fällen mild, aber insbesondere ältere Menschen und solche mit vorbestehenden Grunderkrankungen sind von schweren Krankheitsverläufen betroffen und können an der Krankheit versterben (SARS-CoV-2-Steckbrief zur Coronavirus-Krankheit-2019). Bei vielen schwer erkrankten Menschen muss mit einer im Verhältnis zu anderen schweren akuten respiratorischen Infektionen (SARI) – vermutlich sogar deutlich – längeren intensivmedizinischen Behandlung mit Beatmung/zusätzlichem Sauerstoffbedarf gerechnet werden. Selbst gut ausgestattete Gesundheitsversorgungssysteme wie das in Deutschland können hier schnell an Kapazitätsgrenzen gelangen, wenn sich die Zahl der Erkrankten durch längere Liegedauern mit Intensivtherapie aufaddiert (Bericht ARDS-Netzwerk zu Influenza).“

Die Krankenhausplanung und die in diesem Zusammenhang gewährleistete Vorhaltung medizinischer Kapazitäten ist in Niedersachsen maßgeblich an der vor Ort mit Erstwohnsitz lebenden Bevölkerung ausgerichtet (vgl. Nds. Krankenhausplan, 34. Fortschreibung v. 1. Januar 2019, letzter Zugriff: 27. März 2020, https://www.bit.ly/2QJvplo, S. 4 f.). Insoweit hat das Land Niedersachsen mit § 1 der „Verordnung zur Bekämpfung der Corona-Virus-Krankheit COVID-19“ vom 18. März 2020 (Nds. GVBl. v. 19. März 2020, S. 37) u.a. bereits für eine Freihaltung von Kapazitäten für entsprechend Erkrankte gesorgt, indem es dort heißt (Absätze 1 und 2):

(1) In Krankenhäusern, die in den Krankenhausplan des Landes Niedersachsen nach § 6 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes und § 4 des Niedersächsischen Krankenhausgesetzes aufgenommen sind oder einen Versorgungsvertrag nach § 108 Nr. 3 des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB V) abgeschlossen haben, sind noch nicht begonnene medizinische Eingriffe und Behandlungen auszusetzen, die nicht dringend medizinisch notwendig sind.

(2) Patientinnen und Patienten, die bereits aufgenommen wurden und bei denen Eingriffe und Behandlungen nach Absatz 1 auszusetzen sind, sind zu entlassen.

Um eine Überlastung der bestehenden medizinischen Infrastruktur zu vermeiden, ist es daher notwendig, den Aufenthalt all derer, die nicht mit Erstwohnsitz im Gebiet des Antragsgegners gemeldet sind, zu verhindern oder zu beenden (so auch VG Schleswig, Beschl. v. 22. März 2020 – 1 B 17/20 – juris, Rn. 12). Die Antragsteller, die ihren Erstwohnsitz in Rheinland-Pfalz haben, wären im Ernstfall auf medizinische Kapazitäten angewiesen, die für sie nicht geplant sind und welche der großen Zahl der vor Ort erkrankten Personen aufgrund der möglicherweise notwendigen (intensiv-)medizinischen Behandlung nicht mehr gewachsen wären (vgl. zuvor). Bei der Betrachtung des Einzelfalls mag sich die hieraus folgende Gefahr noch als überschaubar darstellen; jedoch in Ansehung der allgemeinkundigen Tatsache, dass es sich beim Landkreis Aurich um eine stark frequentierte Tourismusregion handelt, gerät der Aufenthalt weiterer Personen schnell zu einem unkalkulierbaren Risiko. Dies mag nicht zuletzt daran deutlich werden, dass die Antragsteller in ihrem Schriftsatz vom 24. März 2020 selbst ausführten, dass auch ihre Nachbarn von der Allgemeinverfügung des Antragsgegners betroffen seien (GA, Bl. 15).

Eng mit der aus einem steigenden Bedarf an Intensiv- und Beatmungskapazitäten folgenden Gefahr einer Überlastung der (intensiv-)medizinischen Infrastruktur ist zudem die Notwendigkeit zur Reduzierung der Geschwindigkeit von Neuinfektionen verbunden. Hierzu für das Robert Koch-Institut aus (RKI, Epidemiologisches Bulletin, S. 3):

„Da weder eine Impfung in den nächsten Monaten noch eine spezifische Therapie derzeit zur Verfügung stehen, müssen alle Maßnahmen darauf ausgerichtet sein, die Verbreitung der Erkrankung in Deutschland und weltweit so gut wie möglich zu verlangsamen, die Erkrankungswelle auf einen längeren Zeitraum zu strecken und damit auch die Belastung am Gipfel leichter bewältigbar zu machen.“

Selbst wenn die Antragsteller sich darauf berufen, dass sie (derzeit) selbst nicht infiziert seien und von ihnen daher keine Gefahr ausgehe, ist zu bedenken, dass sich mit jeder weiteren Person, die sich gegenwärtig in dem touristisch stark frequentierten Gebiet des Antragsgegners aufhält, die Gefahr einer beschleunigten Verbreitung des Coronavirus (SARS-CoV-2) erhöht. Die gegenwärtig zu beobachtende Dynamik bei der Ausbreitung des Virus ist wesentlich darauf zurückzuführen, dass Personen sich im öffentlichen Raum bewegen und dabei unwissentlich infiziert werden bzw. anschließend andere Personen infizieren. Auch die Antragsteller werden sich dem nicht vollends entziehen können, da sie auch auf dem Gebiet des Antragsgegners bei lebensnaher Betrachtung zwangsläufig dem Kontakt mit anderen Menschen – etwa beim Einkaufen – ausgesetzt sind. Eine jede Person, die sich in dem Gebiet des Antragsgegners aufhält, legt somit schon durch ihre Anwesenheit die Ursache für eine potentielle Erhöhung des Infektionsrisikos (vgl. VG Schleswig, Beschl. v. 22. März 2020 – 1 B 17/20 – juris, Rn. 11).

Im Vergleich zu dem dargelegten öffentlichen Interesse würde ein etwaiges überwiegendes privates Interesse der Antragsteller im Rahmen der Güterabwägung voraussetzen, dass im Einzelfall Umstände vorliegen, die so gewichtig sind, dass entgegen der gesetzgeberischen Anordnung in §§ 28 Abs. 3, 16 Abs. 8 IfSG eine vorläufige Aussetzung der Vollziehung angezeigt ist.

Ein solches überwiegendes Interesse der Antragsteller lässt sich ihrem Vortrag nicht entnehmen und liegt auch ansonsten nicht vor.

Wie sie in ihrer Antrags- und Klageschrift vom 23. März 2020 selbst vortragen, besitzen die Antragsteller im Gebiet des Antragsgegners ein Ferienhaus; ihr gewöhnlicher Aufenthaltsort – und somit ihr Erstwohnsitz – befindet sich hingegen in Rheinland-Pfalz. Es begegnet im Grundsatz keinen rechtlichen Bedenken, Bewohner einer Nebenwohnung auf die Nutzung ihrer Hauptwohnung zu verweisen. Eine Unzumutbarkeit einer entsprechenden Anordnung könnte allenfalls im Einzelfall und auch nur dann angenommen werden, wenn besondere individuelle Umstände hinzuträten, aufgrund derer die kurzfristige Nutzung der Hauptwohnung (grob) unverhältnismäßig wäre und die Folgen für die Betroffenen einen gravierenden Eingriff in besonders gewichtige Individualrechtsgüter darstellten. Dies kann sich womöglich dann in besonderen Fallkonstellationen (die hier nicht vorliegen) ergeben, z.B. wenn bereits die Rückreise zur Hauptwohnung eine schwerwiegende Gesundheitsgefahr darstellt oder aber sich diese Gefahr durch die Ankunft und den weiteren Verbleib in der Hauptwohnung ergibt (vgl. VG Schleswig, Beschl. v. 22. März 2020 – 1 B 17/20 – juris, Rn. 14).

Derartige Umstände, welche die Annahme einer Unzumutbarkeit der Rückreiseanordnung für die Antragsteller rechtfertigen, wurden weder vorgetragen noch sind sie für die Kammer ersichtlich. Der Verweis auf das „entsprechende Alter“ der Antragstellerin zu 1. und eine bei ihr vorhandene (nicht weiter dokumentierte) Asthmaerkrankung (GA, Bl. 3) begründen keine besonderen Umstände, die eine Rückreise in die Hauptwohnung nach Rheinland-Pfalz als unzumutbar erscheinen ließen. Auch kann die Kammer nicht erkennen, warum die Rückreise mit einem privaten Kraftfahrzeug in die ca. 530 Kilometer entfernte Heimat allein aufgrund der – im Übrigen selbstständig planbaren und auf das notwendige Maß reduzierbaren – Haltestopps zum Tanken und zur Verpflegung eine schwerwiegende Gesundheitsgefahr für die Antragsteller begründen sollte. Selbstredend sind auch bei der Rückreise die allgemein geltenden Hygieneregeln zu befolgen; woraus aber gerade in diesem Zusammenhang eine höhere Gefährdung als bei einem sonstigen Aufenthalt in der Öffentlichkeit folgen sollte, erschließt sich nicht. Die Rückreiseanordnung stellt dabei im Übrigen auch keine außergewöhnliche, d.h. die Antragsteller härter als alle anderen von der Rückreiseanordnung Betroffenen treffende Belastung dar, da die Rückreise von ihnen allen unter den gegebenen Umständen durchzuführen ist. Der Verweis auf den Umstand, dass die Antragsteller in ihrer Nebenwohnung Renovierungsarbeiten durchführen und bei einer Rückreise diverse Baumaterialien (Steine, Schutt) unbeaufsichtigt zurückbleiben müssten, vermag einen gravierenden Eingriff in gewichtige Individualrechtsgüter ebenfalls schon nicht ansatzweise zu begründen. Schließlich kann auch der Verweis auf die erhöhten Infektionszahlen in dem Gebiet des Erstwohnsitzes der Antragsteller nicht als Grund für ein überwiegendes Interesse an der vorläufigen Aussetzung der Vollziehung angeführt werden. Den Antragstellern ist es bei einer Rückkehr an ihren Erstwohnsitz zumutbar, der (evtl. potenziell erhöhten) Gefahr einer Infektion – wie allen anderen dort lebenden Personen – durch Beachtung der grundlegenden und gegenwärtig hinlänglich kommunizierten (Hygiene-)Regeln zu begegnen. Um sich dem Infektionsrisiko bestmöglich zu entziehen, sollte die Bewegung im öffentlichen Raum – gerade bei einer bestehenden Vorerkrankung – so weit wie möglich vermieden und die Wohnung allenfalls für Versorgungsgänge verlassen werden. Bei einem Aufenthalt in der Öffentlichkeit ist dabei vor allem die Wahrung eines Mindestabstands von 1,5 Metern zu anderen Menschen (Körperabstandsgebot) und die Praktizierung einer gewissenhaften Handhygiene bzw. Hygiene insgesamt zu beachten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG. Eine Halbierung des Streitwertes nach Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NordÖR 2014, 11) scheidet im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes aufgrund der Vorwegnahme der Hauptsache aus (Ziffer 1.5 Satz 2).