Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 15.05.2013, Az.: 11 A 3664/12

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
15.05.2013
Aktenzeichen
11 A 3664/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 64470
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die einer Duldung beigefügte Nebenbestimmung "Die Duldung erlischt nach Bekanntgabe des Abschiebetermins mit dem Zeitpunkt der Abschiebung" stellt eine rechtswidrige Umgehung des § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG dar (im Anschluss an OVG Magdeburg, Beschluss vom 17.08.2010, - 2 M 124/10 -, juris).

Tenor:

Es wird festgestellt, dass die Nebenbestimmung „Die Duldung erlischt nach Bekanntgabe des Abschiebetermins mit dem Zeitpunkt der Abschiebung“ in der Duldung des Beklagten vom 20. März 2012 rechtswidrig gewesen ist.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Die Berufung wird zugelassen.

Die Sprungrevision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin zu 1.) wurde am 31. März 1985 in Z./Serbien geboren. Sie reiste am 16. Oktober 1991 mit ihren Eltern in die Bundesrepublik Deutschland ein. Nach erfolgloser Durchführung des Asylverfahrens war die Klägerin zu 1.) seit dem Jahr 1993 in Besitz einer Duldung mit einer Wohnsitzauflage für den Landkreis Wittmund. Die in den Jahren 2004, 2006 und 2009 in der Bundesrepublik Deutschland geborenen Klägerinnen zu 2.) bis 4.) sind die Kinder der Klägerin zu 1.) und werden ebenfalls geduldet.

Seit dem 5. September 2005 enthalten die der Klägerin zu 1.) erteilten Duldungen, sowie die Duldungen der Klägerinnen zu 2.) bis 4.), folgende Nebenbestimmung: „Die Duldung erlischt nach Bekanntgabe des Abschiebetermins mit dem Zeitpunkt der Abschiebung.“

Am 20. März 2012 stellte der Beklagte den Klägerinnen erneut eine Duldung mit der genannten Nebenbestimmung aus. Die Gültigkeitsdauer der Duldung war bis zum 19. Juni 2012 befristet.

Am 11. Juni 2012 haben die Klägerinnen gegen die der Duldung vom 20. März 2012 beigefügte Nebenbestimmung Klage erhoben. Zur Begründung tragen die Klägerinnen vor, dass die Klage nicht verfristet sei, denn der Duldung sei keine Rechtsmittelbelehrung beigefügt gewesen. Bei der angegriffenen Nebenbestimmung handele es sich um eine auflösende Bedingung. Sie erlösche daher mit Auslaufen der jeweiligen Duldung und werde mit Verlängerung neu erteilt. Die Nebenbestimmung sei nicht hinreichend bestimmt.

Die Klägerinnen beantragen,

festzustellen, dass die Nebenbestimmung „Die Duldung erlischt nach Bekanntgabe des Abschiebungstermins mit dem Zeitpunkt der Abschiebung“ in der den Klägerinnen am 20. März 2012 erteilten Duldung rechtwidrig gewesen ist.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor: Der Betroffene könne der angefochtenen Nebenbestimmung eindeutig entnehmen, wann das Erlöschen der Duldung eintrete, nämlich mit dem Abschiebetermin. Der Bestimmtheitsgrundsatz sei daher gewahrt. Eine Anhörung gem. § 28 VwVfG sei nachträglich mit Schreiben vom 2. Juli 2012 erfolgt. Der Erlass der belastenden Nebenbestimmung sei mit Schreiben vom 25. Juli 2012 begründet worden. Eventuelle Verletzungen von Verfahrens- und Formvorschriften seien somit gem. § 45 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 VwVfG geheilt. Das Erlöschen der Duldung durch Eintritt der auflösenden Bedingung sei aus Zweckmäßigkeitsgründen geboten. Denn der Beklagte sei nicht verpflichtet, einen Widerruf zu erlassen, welcher ein zeitaufwändiges Verfahren nach sich ziehen könnte. Dies wäre mit dem Gesetzeszweck, eine beschleunigte Abschiebung ausreisepflichtiger Ausländer zu ermöglichen, nicht in Einklang zu bringen.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen; sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

Statthafte Klageart ist die Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann gegen eine belastende Nebenbestimmung eines begünstigenden Verwaltungsakts grundsätzlich eine Anfechtungsklage erhoben werden. Ob dieses Rechtsmittel letztlich zur Aufhebung der Nebenbestimmung führt, hängt davon ab, ob der begünstigende Verwaltungsakt ohne die Nebenbestimmung sinnvoller- und rechtmäßigerweise bestehen bleiben kann. Dies ist jedoch eine Frage der Begründetheit und nicht der Zulässigkeit des Rechtsmittels (vgl. BVerwG, Urteile vom 22. November 2000 - 11 C 2.00 - BVerwGE 112, 221 <224>; und vom 21. Juni 2007 - 3 C.39.06 - NVwZ-RR 2007, 776 Rn 20; jeweils m.w.N.). Hier hat sich die Duldung und damit auch die angefochtene Nebenbestimmung kurz nach Erhebung der Klage durch Zeitablauf erledigt. Denn die Duldung war lediglich bis zum 19. Juni 2012 gültig. Bei einer Erledigung einer Anfechtungsklage nach Klageerhebung ist die Fortsetzungsfeststellungsklage die statthafte Klageart. Das erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse ergibt sich aus der begründeten Befürchtung, dass der Beklagte auch in Zukunft Duldungen mit entsprechenden Nebenbestimmungen verfügen wird. Denn die zuvor vom Beklagten erteilten Duldungen verfügten über eine gleichlautende Nebenbestimmung, so dass davon auszugehen ist, dass der Beklagte an dieser Praxis auch für die Zukunft festhalten will. Beide Seiten haben in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend erklärt, dass die aktuellen Duldungen der Klägerinnen gleichlautende Nebenbestimmungen enthalten. Die Duldung mit der angegriffenen Nebenbestimmung wurde den Klägerinnen am 20. März 2012 ausgehändigt. Erst am 11. Juni 2012 haben die Klägerinnen Klage erhoben. Gleichwohl ist die Klage nicht nach § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO verfristet, da mangels Rechtsbehelfsbelehrung nicht die Monatsfrist, sondern die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO zu laufen begann. Die Änderung von der ursprünglich erhobenen Anfechtungsklage hin zur Fortsetzungsfeststellungsklage ist gemäß § 173 S. 1 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 3 ZPO ebenfalls zulässig, da sie auf einer nach Klageerhebung eingetretenen Veränderung beruht.

Die Klage ist auch begründet, da die angegriffene Nebenbestimmung rechtswidrig gewesen ist (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO).

Rechtsgrundlage für eine solche auflösende Bedingung ist § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG. Danach können neben den räumlichen Beschränkungen auf das Gebiet des Bundeslandes (§ 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) weitere Bedingungen und Auflagen angeordnet werden.

Nach dem Wortlaut der Vorschrift sind grundsätzlich auch auflösende Bedingungen möglich. Hieraus wird deutlich, dass der Gesetzgeber mit der Widerrufsregelung in § 60a Abs. 5 Satz 2 AufenthG keine abschließende Bestimmung über das vorzeitige Erlöschen einer Duldung getroffen hat, sondern die Möglichkeiten des Widerrufs und der auflösenden Bedingung nebeneinander stehen (vgl. VGH München, Beschluss vom 10. September 2008 - 19 C 08.2207 - juris, Rn. 4; VGH Mannheim, Urteil vom 22. September 2000 - 13 S 2260/99 - InfAuslR, 2001, 158 <159 f.>; VG Stuttgart, Urteil vom 9. Februar 2012 - 11 K 2593/11 - juris, Rn. 17; VG Oldenburg, Beschluss vom 6. Januar 2011, -11 B 3371/10 - juris, Rn. 5; Funke/Kaiser in: GK-AufenthG, Rn. 91 zu § 60a).

Der Beklagte hat das ihm gemäß § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG eingeräumte Ermessen jedoch fehlerhaft ausgeübt (§ 114 Satz 1 VwGO). Denn die verwendete Nebenbestimmung stellt eine rechtswidrige Umgehung der Regelung des § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG dar.

Mit der hier gewählten auflösenden Bedingung wird die Duldung zwar nicht widerrufen, jedoch ist auch auf diesen Fall die Vorschrift des § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG (entsprechend) anzuwenden. Durch die Beifügung der Nebenbestimmung, dass die Duldung nach Bekanntgabe des Abschiebetermins mit dem Zeitpunkt der Abschiebung erlischt, hat es hier allein der Beklagte in der Hand, das Erlöschen der Duldung durch Bekanntgabe des Rückführungstermins anstelle eines Widerrufs herbeizuführen (vgl. OVG Magdeburg, Beschluss vom 17. August 2010, - 2 M 124/10 -, juris Rn. 4; sowie Funke-Kaiser in: GK-AufenthG, § 60a Rn. 251). Das Erlöschen der Duldung liegt also allein im Willens- und Einflussbereich der Ausländerbehörde. Ein solches Vorgehen kommt einem Widerruf der Duldung gleich (vgl. OVG Magdeburg, a.a.O.). Ebenso wie beim Widerruf ist bei einer derartigen Ausgestaltung der auflösenden Bedingung, der Eintritt der Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht für den Ausländer nicht absehbar (vgl. Dienelt in: Renner Ausländerrecht, 9. Auflage 2011, § 60a Rn. 38). Die Streichung der obligatorischen Abschiebungsankündigung bei Ablauf der Gültigkeit der Duldung nach dem RL-Umsetzungsgesetz 2007 ("Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007", BGBl. I, S. 1970) beruhte letztlich auf der Überlegung, dass der Ausländer sich mit dem Ablauf der Duldung auf den Vollzug der Ausreisepflicht einzustellen hat und entsprechende Vorkehrungen zu treffen hat (vgl. Dienelt, a.a.O.). Diese Möglichkeit hat er aber weder beim Widerruf noch beim Eintritt einer auflösenden Bedingung der vorliegenden Art (vgl. Dienelt, a.a.O.).

Ferner ist die in § 60a Abs. 5 Satz 2 AufenthG enthaltene Aufforderung des Gesetzgebers an die Ausländerbehörden zu beachten. Danach ist die Duldung dann zu widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen sind. D.h. eine auflösende Bedingung muss so ausgestaltet sein, dass mit Wegfall des Abschiebungshindernisses auch unverzüglich (vgl. § 60a Abs. 5 Satz 3 AufenthG) die Duldung endet. Die hier gewählte auflösende Bedingung stellt den Bedingungseintritt aber ins Belieben der Behörde und kann nicht vermeiden, dass die Behörde aus taktischen oder sonstigen Gründen in rechtswidriger Weise noch weiter mit der Bekanntgabe des Abschiebungstermins zuwartet, obwohl das Abschiebungshindernis entfallen ist und ein Widerruf daher zwingend wäre. Dies widerspricht dem Gesetzeszweck der beschleunigten Abschiebung ausreisepflichtiger Ausländer.

Diese vorgenannten Überlegungen gelten hingegen nicht für auflösende Bedingungen, deren Eintritt nicht allein ins Belieben der Behörde gestellt ist (z.B. Passvorlage, Ausgang eines Gerichtsverfahrens, Entscheidung der Härtefallkommission, etc.). Denn die oben aufgezeigte Vergleichbarkeit zum Widerruf ist in diesen Fällen nicht gegeben. Vielmehr kann der Ausländer sich auf diese auflösenden Bedingungen ähnlich einrichten, wie auf den Ablauf der Gültigkeitsdauer seiner Duldung. Der Gültigkeitsablauf aber ist seit dem RL-Umsetzungsgesetz 2007 nicht mehr ein Fall des § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG. Die vom Gesetzgeber in den letzten Jahren/Jahrzenten vorgenommene immer weitergehende Begrenzung des Anwendungsbereiches des § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG spricht ebenfalls dafür, eine rechtswidrige Umgehung nur in den Fällen anzunehmen, in denen Nebenbestimmungen so ausgestaltet sind, wie die hier angefochtenen.