Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 07.10.2010, Az.: 5 B 178/10
Berufsfreiheit; Dienstleistungsfreiheit; Monopol; Niederlassungsfreiheit; Odsett; Sportwetten; TLN
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 07.10.2010
- Aktenzeichen
- 5 B 178/10
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 40912
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGBRAUN:2010:1007.5B178.10.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- OVG Niedersachsen - 11.08.2008 - AZ: 11 ME 139/08
Rechtsgrundlagen
Fundstelle
- ZfWG 2010, 446-450
Amtlicher Leitsatz
Die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs vom 08.09.2010 stellen im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren gegen die Untersagung der Vermittlung privater Sportwetten keine Änderung der Umstände im Sinne von § 80 Abs. 7 VwGO dar.
Tenor:
Der Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO auf Abänderung des Beschlusses des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 11.08.2008 - 11 ME 139/08 - wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 7.500,00 Euro festgesetzt.
Gründe
Der Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO auf Abänderung des Beschlusses des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 11.08.2008 - 11 ME 139/08 -, für den das erkennende Gericht als Gericht der Hauptsache zuständig ist (Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl., Rdnr. 200 zu § 80), ist zulässig, aber nicht begründet.
Der Antrag ist zulässig, denn die Antragstellerin macht unter Bezugnahme auf die Urteile des Europäischen Gerichtshofs vom 08.09.2010 (C-316/07 und C-409/06 - juris) eine nachträglich eingetretene Veränderung der Umstände i.S.d. § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO geltend (vgl. BVerfG, B. v. 26.08.2004 - 1 BvR 1446/04 - juris). Die Antragstellerin trägt vor, nach der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage ihre Betriebsstätten wieder eröffnen zu wollen.
Der Antrag ist aber unbegründet.
Für den Erfolg eines zulässigen Antrags nach § 80 Abs. 7 i.V.m. Abs. 5 VwGO ist entscheidend, ob im Einzelfall dem Interesse des Antragstellers am Schutz vor Schaffung ihn belastender vollendeter Tatsachen auf Grund eines möglicherweise rechtswidrigen Verwaltungsaktes oder dem Interesse Dritter oder der Behörde an einer Durchführung der mit dem Verwaltungsakt angeordneten Maßnahme auch vor einer abschließenden gerichtlichen Prüfung seiner Rechtmäßigkeit das größere Gewicht beizumessen ist. Im Rahmen der Interessenabwägung sind mit der im vorläufigen Verfahren gebotenen Zurückhaltung auch die Aussichten des Begehrens im Hauptsacheverfahren zu berücksichtigen. Ist dessen Ausgang offen, reduziert sich die Prüfung auf die Interessenabwägung.
Auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH vom 08.09.2010 sind die Erfolgsaussichten der am 02.01.2008 erhobenen Klage 5 A 177/10 (früher 5 A 1/08) gegen die angefochtene Verfügung vom 30.11.2007 nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren angebrachten summarischen Überprüfung offen und die Interessenabwägung geht zu Lasten der Antragstellerin aus.
Der EuGH hat im Verfahren C-316/07 (verbunden mit C-358/07, C-359/07, C-360/07 und C-410/07) ausgeführt:
"1. Die Art. 43 EG und 49 EG sind wie folgt auszulegen:
a) Um ein staatliches Monopol auf Sportwetten und Lotterien der in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Art mit dem Ziel rechtfertigen zu können, Anreize zu übermäßigen Ausgaben für das Spielen zu vermeiden und die Spielsucht zu bekämpfen, müssen die betreffenden nationalen Behörden nicht unbedingt in der Lage sein, eine vor Erlass der genannten Maßnahme durchgeführte Untersuchung vorzulegen, die ihre Verhältnismäßigkeit belegt.
b) Der Umstand, dass ein Mitgliedstaat ein solches Monopol einem Erlaubnissystem vorzieht, nach dem privaten Veranstaltern die Ausübung ihrer Tätigkeiten im Rahmen einer Regelung ohne Ausschließlichkeitscharakter gestattet würde, kann dem Erfordernis der Verhältnismäßigkeit genügen, soweit, unter dem Aspekt des Ziels eines hohen Verbraucherschutzniveaus, die Errichtung des Monopols mit der Einführung eines normativen Rahmens einhergeht, der dafür sorgt, dass der Inhaber des Monopols tatsächlich in der Lage sein wird, ein solches Ziel mit einem Angebot, das nach Maßgabe dieses Ziels quantitativ bemessen und qualitativ ausgestaltet ist und einer strikten behördlichen Kontrolle unterliegt, in kohärenter und systematischer Weise zu verfolgen.
c) Der Umstand, dass die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats auf gewisse Schwierigkeiten stoßen könnten, die Beachtung eines solchen Monopols durch im Ausland ansässige Veranstalter von Spielen und Wetten sicherzustellen, die unter Verstoß gegen das Monopol über das Internet Wetten mit Personen im örtlichen Zuständigkeitsbereich dieser Behörden abschließen, ist als solcher nicht dazu angetan, die eventuelle Vereinbarkeit eines solchen Monopols mit den genannten Bestimmungen des Vertrags zu beeinträchtigen.
d) Stellt ein nationales Gericht sowohl fest,
- dass die Werbemaßnahmen des Inhabers eines solchen Monopols für andere, ebenfalls von ihm angebotene Arten von Glücksspielen nicht auf das begrenzt bleiben, was erforderlich ist, um die Verbraucher zum Angebot des Monopolinhabers hinzulenken und sie damit von anderen, nicht genehmigten Zugangskanälen zu Spielen wegzuführen, sondern darauf abzielen, den Spieltrieb der Verbraucher zu fördern und sie zwecks Maximierung der aus den entsprechenden Tätigkeiten erwarteten Einnahmen zu aktiver Teilnahme am Spiel zu stimulieren, als auch,
- dass andere Arten von Glücksspielen von privaten Veranstaltern, die über eine Erlaubnis verfügen, betrieben werden dürfen, als auch,
- dass in Bezug auf andere Arten von Glücksspielen, die nicht unter das Monopol fallen und zudem ein höheres Suchtpotenzial als die dem Monopol unterliegenden Spiele aufweisen, die zuständigen Behörden eine zur Entwicklung und Stimulation der Spieltätigkeiten geeignete Politik der Angebotserweiterung betreiben oder dulden, um insbesondere die aus diesen Tätigkeiten fließenden Einnahmen zu maximieren,
so kann es berechtigten Anlass zu der Schlussfolgerung haben, dass ein solches Monopol nicht geeignet ist, die Erreichung des mit seiner Errichtung verfolgten Ziels, Anreize zu übermäßigen Ausgaben für das Spielen zu vermeiden und die Spielsucht zu bekämpfen, dadurch zu gewährleisten, dass es dazu beiträgt, die Gelegenheiten zum Spiel zu verringern und die Tätigkeiten in diesem Bereich in kohärenter und systematischer Weise zu begrenzen.
2. Die Art. 43 EG und 49 EG sind dahin gehend auszulegen, dass beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts der Umstand, dass ein Veranstalter in dem Mitgliedstaat, in dem er ansässig ist, über eine Erlaubnis für das Anbieten von Glücksspielen verfügt, es einem anderen Mitgliedstaat nicht verwehrt, unter Beachtung der Anforderungen des Unionsrechts die Möglichkeit für solche Veranstalter, derartige Dienstleistungen den Verbrauchern in seinem Hoheitsgebiet anzubieten, vom Besitz einer von seinen eigenen Behörden erteilten Erlaubnis abhängig zu machen."
Entgegen der in der Antragsschrift vertretenen Auffassung ist der in dieser Sache ergangene Beschluss des Nds. OVG vom 11.08.2008 nicht in Ansehung der vom EuGH an der Gemeinschaftsrechtskonformität des Sportwettenmonopols geäußerten Zweifel überholt; die Entscheidungen des EuGH widerlegen nicht die vom Nds. OVG seiner Rechtsprechung zugrunde gelegten Prämissen.
Das Nds. OVG führt in seiner Entscheidung vom 11.08.2008 aus, mit den am 1. Januar 2008 in Kraft getretenen gesetzlichen Regelungen über die Vermittlung und Bewerbung von Sportwetten liege nach der im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung kein Widerspruch zu höherrangigem Verfassungsrecht und damit kein Verstoß gegen Art. 12 GG vor. Denn die seit dem 1. Januar 2008 in Kraft getretenen gesetzlichen Regelungen seien (noch) in zureichendem Maße von dem vom Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf Artikel 12 GG vorgegebenen Ziel getragen, die Wettleidenschaft ernsthaft zu bekämpfen. Auch stünden die Vorschriften über die Werbung in § 5 GlüStV nach vorläufiger Prüfung nicht im Widerspruch zu dem Ziel der Bekämpfung der Wettleidenschaft. Die "Werberichtlinien der Glücksspielaufsichtsbehörden der Länder zu § 5 Abs. 1 und 2 GlüStV" stellten sicher, dass die Werbung den in § 5 Abs. 1 GlüStV niedergelegten Zielen entspräche. Im Hauptsachverfahren sei aber möglicherweise von Bedeutung, ob die Werbung in Zukunft tatsächlich entsprechend diesen Vorgaben beschränkt werde.
Das Nds. OVG vertritt in seiner Entscheidung vom 11.08.2008 außerdem die Auffassung, eine im Sinne der Rechtsprechung des EuGH und des Bundesverfassungsgerichts kohärente und systematische Bekämpfung der Spielsucht erfordere auch unter dem Blickwinkel des Art. 3 GG, dass der Gesetzgeber alle Sparten des Glücksspiels bewertend in den Blick nehme. Eine solche Gesamtbetrachtung aller unterschiedlichen Bereiche des Glücksspiels erfordere allerdings nicht, dass der Spielleidenschaft der Bevölkerung jeweils auf die gleiche Art und Weise begegnet werden müsse, also z. B. der gesamte Bereich monopolisiert werden müsse. Nach Maßgabe des jeweils ermittelnden Gefährdungs- bzw. Suchtpotenzials könnten vielmehr unterschiedliche Maßnahmen getroffen werden, es müsse jedoch erkennbar sein, dass dem ein Gesamtkonzept zugrunde liege und dass mit der Verwirklichung entsprechender Begrenzungen auch in anderen Sektoren des Glücksspiels zu rechnen sei. Bei einer solchen Gesamtbetrachtung des Glücksspielmarktes ergebe sich, dass die Regelungen über Sportwetten und Lotterien in weiten Teilen ein in diesem Sinne kohärentes System darstellten. In den in Niedersachsen wieder privatisierten zehn Spielbanken werde das Ziel der Suchtprävention durch eine besondere Überwachung erreicht und liege damit im vorgenannten System. Die Klärung, ob - wie vorgetragen - auch die in den Spielbanken aufgestellten Spielautomaten in ausreichendem Umfang überwacht würden, müsse dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Die zu den Sportwetten zu zählende Pferdewette, die seit 1922 konzessionierten privaten Buchmachern erlaubt sei, sei wegen ihres geringen, maximal 1 % betragenden Marktanteils am Glücksspielmarkt von untergeordneter Bedeutung. Es sei jedoch als offen anzusehen, ob die Regelungen der Sportwetten/Lotterien einerseits und der gewerblichen Geldspielautomaten nach §§ 33c ff. der Gewerbeordnung einer kohärenten und systematischen Glücksspielpolitik entsprächen. Der Anteil dieses Spiels am Glücksspielmarkt betrage 21,5 % und sei mit dem Anteil der Sportwetten von 29,9 % vergleichbar. Zu beachten sei, dass nach den bisher vorliegenden Gutachten bei weitem die meisten Spieler mit problematischem oder pathologischem Spielverhalten an den Geldspielautomaten nach der Gewerbeordnung spielten. Jedoch führe diese auf den ersten Blick widersprüchliche Regelung nicht ohne weiteres zur Bejahung einer inkohärenten Regelung auf dem Gesamtglücksspielmarkt. Es stehe im Ermessen des Gesetzgebers, wie er die Regelung gestalte, die ihrer Zielsetzung nach jeweils der Bekämpfung der Wettsucht in zureichendem Maße diene. Die Eignung der aktuellen Regelung in §§ 33c ff. GewO, der Spielsucht zu begegnen, könne angesichts der vorliegenden widersprechenden fachlichen Stellungnahmen derzeit nicht eindeutig beurteilt werden. Eine weitere Aufklärung müsse dem Hauptsacheverfahren vorbehalten werden.
Diesen Annahmen des Nds. OVG in seiner Entscheidung vom 11.08.2008 stehen die Ausführungen des EuGH in den Entscheidungen vom 08.09.2010 zur generellen Zulässigkeit eines Monopols, den zulässigen Werbemaßnahmen des mittelbar staatlichen Monopolisten und zur notwendigen Kohärenz des staatlichen Systems nicht entgegen.
Soweit das Gericht in Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung zu den Sportwettenmonopolen die Anforderungen an die gemeinschaftsrechtliche Zulässigkeit konkretisiert hat, steht dies der oben beschriebenen Rechtsprechung des Nds. OVG nicht entgegen. Auch das Nds. OVG geht davon aus, dass das staatliche Monopol - in Abgrenzung zum Konzessionssystem - als Eingriff in die Rechte aus Art. 43 und 49 EG nur dann zulässig ist, wenn es geeignet ist, die Spielsucht zu bekämpfen, die Gelegenheiten zum Spiel zu verringern und die Tätigkeiten in diesem Bereich in kohärenter und systematischer Weise zu begrenzen. Soweit der EuGH jetzt klargestellt hat, dass die Kohärenzprüfung sich nicht nur auf die Sportwetten beschränken darf, sondern auch die Regelungen zu z. B. Pferdewetten, Automatenspielen und Spielbanken einzubeziehen sind, entspricht auch dies der - bisher umstrittenen - Rechtsprechung des Nds. OVG. Der EuGH fordert darüber hinaus nicht, dass alle diese Bereiche rechtlich und tatsächlich gleich zu regeln sind, sondern spricht - wie das Nds. OVG - von einem kohärenten, demselben Ziel dienenden System. Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Nds. OVG besteht auch insoweit, als der EuGH festgestellt hat, dass die Schwierigkeiten der Kontrolle eines Internetverbotes der Annahme eines kohärenten Systems nicht entgegenstehen und keine Verpflichtung zur gegenseitigen Anerkennung von Konzessionen anderer EU-Staaten besteht.
Auch aus den Ausführungen des EuGH in Ziff. 1d) des Tenors der Entscheidung C-316/07, auf den die Antragsschrift Bezug nimmt, ergibt sich kein Anspruch aus § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO auf Abänderung des Beschlusses vom 11.08.2008.
Der EuGH hat an dieser Stelle ausdrücklich ausgeführt, dass seine Ausführungen hinsichtlich der Zulässigkeit eines Monopols tatsächliche bzw. rechtliche Feststellungen der - vorlegenden - nationalen Gerichte voraussetzen ("Stellt ein nationales Gericht fest...so kann"). Die Schlussfolgerung, das Monopol sei zur Erreichung des mit seiner Errichtung verfolgten Ziels, die Spielsucht zu bekämpfen, nicht geeignet, weil es nicht dazu beitrage, die Gelegenheiten zum Spiel zu verringern und die Tätigkeiten in diesem Bereich in kohärenter und systematischer Weise zu begrenzen, setzt demnach voraus, dass die im Tenor der Entscheidung unter Ziff. 1d) hinter den Spiegelstrichen genannten Voraussetzungen vorher definitiv von einem nationalen Gericht festgestellt worden sind. Der EuGH hat also, anders als die Presseerklärung des Gerichts vermuten ließ, selbst nicht in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht die Feststellung getroffen, dass das derzeit in Deutschland bestehende Sportwettenmonopol nicht gemeinschaftsrechtskonform ist.
Der Gerichtshof ist nämlich von den Feststellungen der Verwaltungsgerichte Gießen und Stuttgart ausgegangen. So legt er dar, das VG Gießen gehe davon aus, dass es im Land Hessen an einer kohärenten und systematischen Politik zur Beschränkung des Glücksspiels fehle, weil der Inhaber des staatlichen Monopols zur Teilnahme an anderen Glücksspielen ermuntere (Rdnr. 25), und nach Auffassung des VG Stuttgart fehle es angesichts der aggressiven Werbetätigkeit an einer systematischen Begrenzungspolitik (Rdnr. 39). Das VG Stuttgart habe ausgeführt, die Verordnung über Spielgeräte und andere Spiele mit Gewinnmöglichkeiten sei unlängst zu dem Zweck geändert worden, die Zahl der in einer Spielhalle erlaubten Geräte zu erhöhen, die Mindestdauer des einzelnen Spiels zu verkürzen und die Grenze der zulässigen Verluste zu erhöhen, und diese Regelungen stünden dem Ziel der Spielsuchtbekämpfung entgegen (Rdnr. 38).
Hinsichtlich dieser Feststellungen der beiden vorlegenden Gerichte ist zum einen zu berücksichtigen, dass die Vorlagebeschlüsse und damit auch die sie tragenden tatsächlichen Feststellungen aus dem Jahr 2007 stammen, also der Zeit vor dem Inkrafttreten des Glücksspielstaatsvertrages am 01.01.2008, während die - die oben angesprochenen Fragen anders gewichtenden - Ausführungen des Nds. OVG im Beschluss vom 11.08.2008 die neue - auch jetzt aktuelle - Rechtslage und eine neuere Tatsachengrundlage haben.
Das Nds. OVG geht - anders als die Verwaltungsgerichte Gießen und Stuttgart für Hessen und Baden-Württemberg - davon aus, dass die gesetzlichen Regelungen und die Werbemaßnahmen des niedersächsischen Monopolunternehmens TLN geeignet sind, die legitimen Ziele des Monopols umzusetzen. Bestehende Zweifel, ob die neuen Regelungen ausreichend umgesetzt seien, müssten im Hauptsacheverfahren geklärt werden. Auch hinsichtlich der (Gleich-)Behandlung anderer Spiele, insbesondere der Automatenspiele, vertritt das Nds. OVG - wie oben beschrieben - eine andere Auffassung als die vorlegenden Gerichte.
Der Beurteilung der beiden genannten Punkte durch das Nds. OVG stehen auch die - allgemeinen - Feststellungen des EuGH nicht entgegen.
Die Überprüfung der Werbemaßnahmen durch das Nds. OVG geschieht am Ziel der Bekämpfung der Wettleidenschaft und des Spielerschutzes und § 5 Glücksspielstaatsvertrag. Die Formulierung von § 5 Glücksspielstaatsvertrag und der Prüfungsmaßstab des Nds. OVG stehen den vom EuGH gefundenen Grundsätzen nicht entgegen. Der EuGH führt insoweit aus, die Werbemaßnahmen der Monopolunternehmen müssten maßvoll und strikt darauf begrenzt bleiben, was erforderlich ist, um die Verbraucher zu den genehmigten Spielnetzwerken zu lenken, die Werbemaßnahmen dürften insbesondere nicht darauf abzielen, den natürlichen Spieltrieb der Verbraucher dadurch zu fördern, dass sie zu aktiver Teilnahme an Spielen angeregt werden, etwa in dem das Spiel verharmlost oder ihm ein an die Verwendung der Einnahmen für Aktivitäten im Allgemeininteresse anknüpfendes positives Image verliehen werde (Rdnr. 103). Gerade darauf, dass bei der Grenzziehung zu berücksichtigen sei, dass das Monopolunternehmen auch die Möglichkeit haben müsste, die Spieler zu sich "umzulenken", stellt auch das Nds. OVG ab. Soweit im vorliegenden Verfahren Einzelbeispiele von Werbemaßnahmen vorgelegt werden, die im Hinblick auf diese Prüfungsmaßstäbe kritisch zuwerten sind, legt der Antragsgegner in seiner Erwiderung glaubhaft dar, dass er sofort nach dem Bekanntwerden der Entscheidungen des EuGH geeignete Maßnahmen getroffen hat, um solche Werbungen in Zukunft zu verhindern. Insofern muss es dem Hauptsacheverfahren überlassen bleiben, zu prüfen, ob diese Maßnahmen greifen. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es der Antragstellerin jedenfalls nicht gelungen, glaubhaft zu machen, dass die aktuelle Handhabung durch TLN generell gegen die vom EuGH jetzt aufgestellten bzw. gegenüber der vorhergehenden Rechtsprechung konkretisierten Maßstäbe - weiterhin - verstößt.
Auch für die Frage, ob die deutsche Regelung im Hinblick auf die Begrenzung der Spielsucht kohärent ist, ergeben sich aus der neuen Rechtsprechung des EuGH keine Gesichtspunkte, die eine - von der bisherigen Rechtsprechung des Nds. OVG abweichende - Beurteilung im Eilverfahren i.S.d. § 80 Abs. 7 VwGO gebieten. Wie bereits ausgeführt, ist das Nds. OVG davon ausgegangen, dass das Glücksspiel in seiner Gesamtheit betrachtet werden müsse und hat sich damit entsprechend der jetzt erfolgten Klarstellung durch den EuGH verhalten. Soweit das OVG dann ausführt, die gesetzlichen Regelungen der §§ 33c ff.GewO und die tatsächliche Kontrolle der Automaten in den Spielbanken müssten im Hauptsacheverfahren darauf überprüft werden, ob sie dem Ziel der Begrenzung der Spielsucht entgegenstünden, entspricht dies der Rechtsprechung des EuGH, wenn dieser ausführt, dass die erheblichen Unterschiede verschiedener Arten von Glücksspielen berücksichtigt werden müssten, so dass aus der Tatsache alleine, dass Teile des Glücksspiels privat und andere Teile staatlich monopolisiert seien, sich nicht die Unzulässigkeit ergebe, sondern lediglich das System insgesamt kohärent sein müsse. Im Bereich der GewO stehen der Gesetzesbegründung fachliche Ausführungen zur Spielsucht gegenüber. Aber aus der fachlich-wissenschaftlichen Beurteilung ergibt sich kein klares Bild. Deshalb ist auch zum derzeitigen Zeitpunkt eine Entscheidung dieser Frage im Eilverfahren nicht möglich. Die Entscheidung, ob mit der Regelung der §§ 33c ff. GewO die vom EuGH formulierten Anforderungen erfüllt sind, ist daher weiterhin dem Hauptsacheverfahren zu überlassen.
Dieser Entscheidung steht der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 26.08.2004 (1 BvR 1446/04 - juris) nicht entgegen, in dem das Bundesverfassungsgericht in der dortigen Verweisung des Antragstellers auf das Hauptsacheverfahren einen Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG gesehen hat. Anders als in dem vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall ist die Frage der Kohärenz der Regelung der §§ 33c ff. GewO mit dem Glücksspielstaatsvertrag Gegenstand einer fachlich-wissenschaftlichen Auseinandersetzung, die sich einer Entscheidung im Eilverfahren entzieht. Hinsichtlich der Systemgerechtigkeit der Werbemaßnahmen von TLN ist wegen des Charakters der Untersagungsverfügung als Dauerverwaltungsakt die Umsetzung der einschränkenden Regelungen zu beurteilen. Im Übrigen stellt das Bundesverfassungsgericht in diesem Beschluss auch maßgeblich darauf ab, dass in dem dortigen Verfahren das Eilverfahren mehr als ein Jahr gedauert hatte. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Soweit das Hauptsacheverfahren hier bereits seit dem 02.01.2008 anhängig ist, ist darauf hinzuweisen, dass das Verfahren zwischenzeitlich im Hinblick auf die jetzt erfolgten Entscheidungen des EuGH ausgesetzt war, die die bisher umstrittenen Fragen der Bezugsgruppe für die Kohärenzprüfung und die Frage der Anerkennung von in anderen EU-Staaten erteilten Lizenzen geklärt haben.
Ist demnach im gerichtlichen Eilverfahren eine abschließende Bewertung der Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung weiterhin nicht möglich, sind die Interessen der Beteiligten gegeneinander abzuwägen. Die Entscheidungen des EuGH vom 08.09.2010 führen auch hinsichtlich der vom Nds. OVG durchgeführten Interessenabwägung nicht zu einer anderen Sach- und Rechtslage i.S.d. § 80 Abs. 7 VwGO.
Das OVG hat dazu ausgeführt, die angesichts der offenen Beurteilung der Rechtsfrage in der Hauptsache zu treffende Interessenabwägung gehe zum derzeitigen Zeitpunkt zu Lasten der Antragstellerin aus. Bei einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung werde ein Marktgeschehen eröffnet, dessen Dynamik es erheblich erschweren würde, das Wettmonopol später - sollte es in der Hauptsache bestätigt werden - mittels Verwaltungszwangs durchzusetzen, weil bereits in der Übergangszeit mit einer erheblichen Ausweitung des illegalen Wettangebots zu rechnen sei. Dies sei daraus zu schließen, dass es derzeit bereits rund 290 private Wettbüros in Niedersachsen gäbe und zudem 696 Vermittler bekannt seien, von denen 224 aktiv eine Wettvermittlung betrieben. Der durch eine unerwünschte Ausweitung des Glücksspielmarktes entstehende Schaden werde, je länger gegen das Verbot verstoßen werde, um so schwerer zu bekämpfen sein. Dem Schutz der Bevölkerung, dem ein hoher Stellenwert zukomme, stünden keine gleichwertigen Interessen der privaten Sportwettanbieter gegenüber. Die Antragsteller müssten sich zurechnen lassen, dass sie ihr Gewerbe während einer unklaren rechtlichen Situation begründet hätten. Zum selben Ergebnis käme die Abwägung bei der Annahme, das Staatsmonopol würde im Hauptsacheverfahren keinen Bestand haben. Eine dann zu erwartende gesetzlich normierte und kontrollierte Zulassung gewerblicher Veranstalter und Vermittler werde nur für bedeutend weniger als die derzeit auf dem Markt befindlichen privaten Wettanbieter eine Genehmigungsmöglichkeit eröffnen dürfen. Auch zur effektiven Durchsetzung einer etwaigen derartigen gesetzlichen Regelung sei es daher erforderlich, die große Anzahl der illegalen Wettunternehmen zurückzuführen. Die Möglichkeit, vorläufigen Rechtsschutz unter Auflagen zur Suchtprävention zu gewähren, stelle kein geeignetes Mittel zur Begrenzung der Spielsucht dar, denn bei der großen Anzahl der privaten Anbieter bestünden Zweifel, dass die Aufsichtsbehörde die Einhaltung derartiger Auflagen aktuell in zureichendem Maße kontrollieren könne.
Keines dieser Abwägungskriterien ist vom EuGH in Frage gestellt worden. Insbesondere ergibt sich aus der - erneuten - Feststellung, dass ein staatliches Sportwettenmonopol die Rechte aus Art. 43 und 49 EG zulässigerweise einschränken kann und der Klarstellung, dass keine Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung von in anderen EU-Staaten erteilten Lizenzen besteht, die Richtigkeit der Gewichtung des Interesses der Antragstellerin durch das Nds. OVG, wenn es darauf abstellt, dass sie ihr Gewerbe während einer unklaren rechtlichen Situation begründet habe.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über den Streitwert folgt aus §§ 53, 52 Abs. 1 GKG. Im Hauptsacheverfahren wäre der Streitwert endgültig auf 15.000,00 Euro festzusetzen.