Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 09.07.2009, Az.: 1 K 231/08
Rückforderung von Kindergeld für ein im Ausland studierendes Kind
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 09.07.2009
- Aktenzeichen
- 1 K 231/08
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2009, 25543
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2009:0709.1K231.08.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 28.04.2010 - AZ: III R 52/09
Rechtsgrundlagen
- § 32 Abs. 4 S. 2 EStG
- § 62 Abs. 1 Nr. 2a EStG
- § 63 Abs. 1 S. 3 EStG
- § 9 S. 2 AO
Fundstellen
- DStR 2010, 9
- DStRE 2010, 534
- DStZ 2010, 8
- EFG 2010, 240-241
- IWB 2010, 226
Kindergeld ab August 2007
Rückforderung von Kindergeld August - November 2007
Der Inlandsaufenthalt eines im Ausland studierenden Kindes, bei dem die zeitlichen Vorgaben des BFH erfüllt sind (5 Monate Inlandsaufenthalt - Urteil vom 23.11.2000 BI R 107/99, BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294) dauert bis zum Ende des Kalenderjahres an.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Rahmen eines Kindergeldanspruchs über die Frage, ob das Kind seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland aufgegeben hat.
Die am 13.01.1988 geborene Tochter N der Klägerin besuchte bis Juli 2007 ein Gymnasium in W. Nach Erhalt des Abiturs nahm sie ein Studium an der California State University in ......., USA, auf. Die voraussichtliche Dauer des Studiums beträgt 60 Monate. Ausweislich der Bescheinigung des Department of Justice in den Akten des Beklagten begann das Studium am 17.08.2007. Nach Mitteilung der Klägerin hat die Tochter ihren "zweiten Wohnsitz" mit Beginn des Studiums und zu dessen Durchführung in die USA verlegt. Seitdem hat sie ihr Elternhaus in Deutschland in der Zeit vom 26.12.2007 bis 09.01.2008 aufgesucht, ferner vom 05.06.2008 bis 23.08.2008, und danach vom 21.12.2008 bis 17.01.2009. Seit dem 16.05.2009 hält sich die Tochter wiederum in Deutschland auf, der Rückflug ist für den 21.08.2009 gebucht.
Die Klägerin erhielt für ihre Tochter zunächst laufend Kindergeld. Mit Bescheid vom ....... hob der Beklagte die Festsetzung des Kindergeldes ab August 2007 mit der Begründung auf, die Tochter habe ihren Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt nicht mehr in der Bundesrepublik. Gleichzeitig wurde die Klägerin aufgefordert, das in der Zeit von August bis November 2007 ausgezahlte Kindergeld zurückzuzahlen.
Dagegen hat die Klägerin nach erfolglosem Vorverfahren Klage erhoben, mit der sie die Fortzahlung des Kindergeldes erstrebt. Sie ist der Auffassung, dass ihre Tochter ihren Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt weiterhin in Deutschland habe. Ihr Lebensschwerpunkt befinde sich weiterhin in ihrem Elternhaus in Deutschland, dort sei sie auch mit erstem Wohnsitz gemeldet. Im Elternhaus stünden der Tochter zwei Wohnräume, Küche und Bad uneingeschränkt und vollständig eingerichtet und zur jederzeitigen Nutzung zur Verfügung. Es seien dieselben Räume, die N schon vor Aufnahme des Studiums in den USA bewohnt habe. N suche diese Räume nicht nur zu besuchsweise auf, sondern weil sie dort wohne. Während der Ausbildung sei das allerdings nur dann möglich, wenn das Studium das zulasse. Das seien im Sommer 2008 mehr als 11 Wochen gewesen. Ein derart langer Aufenthalt könne nicht als kurzzeitiger Besuch eingestuft werden. Nach dem Ende der Ausbildung werde N wieder nach Deutschland zurückkehren. Der angefochtene Bescheid verstoße zudem gegen Art. 3 GG. Im Bekanntenkreis gebe es zahlreiche vergleichbare Fälle, in denen für in den USA studierende Kinder Kindergeld gezahlt werde. Eine Ungleichbehandlung liege auch deshalb vor, weil sie - die Klägerin - mit Unterhaltskosten in Höhe von monatlich etwa 900 EUR belastet werde. Zur Abdeckung dieser Kosten sei die Fortzahlung des Kindergeldes erforderlich.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom ........ sowie den Einspruchsbescheid vom .......... aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält an ihrer bereits im Einspruchsverfahren vertretenen Rechtsauffassung fest, dass die Tochter mit Beginn des Studiums in den USA ihren Wohnsitz in Deutschland aufgegeben habe. Der BFH habe in seiner Entscheidung vom 23. November 2000 VI R 107/99, BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294 erkannt, dass ein Wohnsitz in Deutschland nur dann noch beibehalten werde, wenn sich das Kind mindestens 5 Monate im Jahr noch im Inland aufhalte. Das treffe auf die Tochter nicht zu. Die einzelnen Aufenthalte zwischen dem 26.12.2007 und dem 17.01.2009 erreichten diesen Zeitraum nicht.
Wegen des Vortrags der Parteien im Übrigen wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze im Klage- und im Vorverfahren sowie auf das Protokoll der heutigen mündlichen Verhandlung vor dem Senat Bezug genommen.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Vertreter der Beklagten den angefochtenen Bescheid geändert und die Aufhebung und Rückforderung des Kindergeldes auf den Zeitraum ab September 2007 beschränkt.
Entscheidungsgründe
I.
Die Klage hat zum Teil Erfolg.
1.
Gemäß § 62 Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) besteht unter den dort genannten weiteren Voraussetzungen ein Anspruch auf Kindergeld "für Kinder im Sinne des § 63". Nach§ 63 Abs. 1 Satz 3 EStG werden solche Kinder indes nicht berücksichtigt, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat haben, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, es sei denn, sie leben im Haushalt eines Berechtigen im Sinne des § 62 Abs. 1 Nr. 2a EStG.
a)
Da die Tochter N nicht in einem Haushalt eines Berechtigten im Sinne des § 62 Abs. 1 Nr. 2a EStG lebt und auch die USA nicht zu den in § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG genannten Staaten gehört, hängt der Kindergeldanspruch der Klägerin allein davon ab, ob ihre Tochter im Inland noch einen gewöhnlichen Aufenthalt oder Wohnsitz unterhält. Dazu hat - worauf die Beklagte bereits zutreffend hingewiesen hat - der BFH in seiner Entscheidung vom 23. November 2000 VI R 107/99, BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294 erkannt, dass ein vorübergehender von vornherein beschränkter Auslandsaufenthalt grundsätzlich nicht dazu führt, den Wohnsitz in Deutschland zu verlieren. Ist der Auslandsaufenthalt jedoch auf mehr als ein Jahr angelegt, reichen kurzzeitige Besuche oder sonstige Aufenthalte nicht aus, um die Aufrechterhaltung des Inlandswohnsitzes anzunehmen. Selbst wenn die Möglichkeit des längeren Wohnens des Kindes in der Wohnung der Eltern besteht, darf die Anwesenheit des Kindes in der elterlichen Wohnung nicht nur Besuchscharakter haben. Einen solchen Besuchscharakter nimmt der BFH bei Aufenthalten von jeweils nur 2 bis 3 Wochen pro Jahr an (Entscheidungsgründe Ziff. 3c). Bei periodischen Auslandsaufenthalten von nur 7 Monaten im Jahr und 5 Monaten in der Wohnung der Eltern im Inland liegen dagegen nach Einschätzung des BFH keine Elternbesuche mehr vor, vielmehr wird dann der Wohnsitz im Inland beibehalten (Urteilsgründe Ziff. 7b). In seiner weiteren Entscheidung vom 20.11.2008 III R 53/05 BFH/NV 2009, 564 sieht der BFH die in § 9 Satz 2 AO genannte Aufenthaltsdauer von 6 Monaten als einen Anhaltspunkt für die Beibehaltung des inländischen Wohnsitzes an.
b)
Der erkennende Senat folgt dieser Rechtsansicht und macht sie sich zu eigen.
Daraus resultiert die Erkenntnis, dass das Kind N im Jahre 2008 keinen Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt mehr im Inland unterhalten hat. Ihr Aufenthalt bei den Eltern machte in diesem Jahr weniger als 5 Monate aus. Gleiches gilt auch nach den bisher bekannten Planungen für das Jahr 2009. Für diese Zeiträume liegen damit die Voraussetzungen für den Kindergeldbezug nicht mehr vor, sodass der Klage insoweit der Erfolg versagt bleiben musste.
Dagegen hatte die Tochter im Kalenderjahr 2007 ihren Wohnsitz bei den Eltern noch nicht aufgegeben. Das Studium in den USA begann erst am 17.08.2007. Bis Juli 2007 hat sie sogar noch eine Schule in Deutschland besucht. Sie hat sich damit im Kalenderjahr 2007 mehr als nur 5 Monate im Inland aufgehalten. Das Gericht wendet die vom BFH vorgegeben Aufenthaltszeiten auf das jeweilige Kalenderjahr an und nimmt damit die Prinzipien auf, die auch im Übrigen im Kindergeldrecht gelten, wie z.B. die Berechnung des Grenzbetrages nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG. Damit konnte der angefochtene Bescheid - soweit er das Jahr 2007 betrifft - keinen Bestand haben.
2.
Verfassungsrechtliche Bedenken haften den angefochtenen Bescheiden nicht an. Das Gericht verweist insoweit auf die ständige Rechtsprechung des BFH, wie sie zuletzt im Beschluss vom 27. Februar 2006 III B 170/05, BFH/NV 2006, 1090 zum Ausdruck kommt.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 151 Abs. 3 und 155 FGO i.V.m. § 708 Nrn. 10, 11 Zivilprozessordnung.
Das Gericht hat die Revision unter Hinweis auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen. Soweit ersichtlich, liegt höchstrichterliche Rechtsprechung zu der Frage, ob die notwendigen Aufenthaltszeiträume für die Annahme eines inländischen Wohnsitzes auf das Kalenderjahr zu beziehen sind, noch nicht vor.